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SCHWÄBISCHES TAGBLATT

11. Juli 194»

dern darin jenen Kräften des Nihilismus Auf­trieb zu geben, von denen Professor Nölting sprach. Wirtschaftliche Vernunft und politi­sche Einsicht gebieten, daß hinter das betrüb­liche Kapitel der Demontagen so rasch wie möglich ein Schlußstrich gezogen wird.

Südweststaatfrage vertagt STUTTGART. Auf die Frage, welches Er­gebnis die Besprechungen zwischen der würt- tembergisch-badischen und der südwürttem- bergisch-hohenzollerischen Regierung bei der letzten Ministerratssitzung in Stuttgart gezei­tigt hätten, erklärte Ministerpräsident Maier anläßlich einer Pressekonferenz am Wodien­ende, daß politische Entscheidungen in der Frage des Südweststaates erst nach den Bun­destagswahlen zu erwarten seien. Der erste Schritt werde dann darin bestehen, die kon­krete Haltung Südbadens festzustellen. Es be­stehe wohl bei allen Beteiligten große Neigung, den Zusammenschluß auf dem Wege einer freien Vereinbarung herbeizuführen und es nicht auf eine Aktion der Bundesorgane an­kommen zu lassen.

Rom rüstet fürs Heilige Jahr

Ewige Stadt im Baufieber /Pilgerhotel mit 5000 Betten

A. D. Rom ist in diesen Monaten von einem Baufieber gepackt, das alle Vorstellungen übertrifft. Wenn Papst Pius XII. am 24. De­zember dieses Jahres die heilige Pforte von St. Peter feierlich öffnet, vermag die ewige Stadt täglich über 50 000 Fremde in ihre» Mauern zu beherbergen. Unweit von San Pietro mit Bück auf die gewaltige Kuppel und die Kolonnaden entsteht ein achtstöcki­ges Pilger-Hotel mit 5000 Betten in einem Bautempo, das seine rechtzeitige Fertigstel­lung gewährleistet. Hotels und Pensionen werden erweitert und neu eingerichtet, aber auch die großen Klöster und Hospize sorgen für zusätzliche Unterkünfte, so daß jeweils ganze Pilgerzüge geschlossen untergebracht werden können.

Am Rande der Stadt entstehen Gruppen von Camping-Hotels, die teilweise von öster­reichischen Firmen geliefert werden, sowie Zeltstädte für die Jugend. Für die Modemi-

Sie suchen eine neue Heimat

Die ersten Umsiedlertransporte aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen eingetroffen

TÜBINGEN. Nachdem vor einigen Tagen die große Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Bizone nach Württemberg-Hohenzollem mit Transporten aus Bayern angelaufen war, tra­fen am Sonntag die ersten Transporte aus Schleswig-Holstein und aus Niedersachsen in mehreren Kreisen unseres Landes ein. Schon in den nächsten Tagen werden weitere Tau­sende von Flüchtlingen aus dem Norden bei uns ankommen.

Den für den Kreis Tübingen bestimmten ersten Transport mit 826 Umsiedlern aus Schleswig-Holstein empfing in Bad Niedemau der Staatskommissar für die Umsiedlung, Dr. Schäfer, mit den für diese Menschen hoff­nungsvollen Worten:Ich begrüße Sie hier als Mitbürger und nicht als Flüchtlinge. Der Mi­nisterpräsident von Schleswig-Holstein, L äde­rn a n n , der gleichfalls bei der Ankunft dieses ersten Transportes zugegen war, wies auf die Leistung unseres Landes bei der Lösung des Flüehtlingaproblemes hin, und der Aufbau­minister von Schleswig-Holstein, Damm, wünschte den Heimatvertriebenen, die bislang unter seiner Obhut standen, daß ihnen das neue Land auch Heimat werde.

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L. H. Nun rollen wieder'die Transportzüge mit ihrer heimatlosen menschlichen Fracht durch Westdeutschland. Noch immer können die Menschen, die durch Krieg und hohe Politik ihre Heimat verloren haben, nicht zur Ruhe

SPD formuliert ihre Ziele

HANNOVER. Sorgfältige Planung mit dem Ziel der Bedarfsdeckung, Hilfe für die wirt­schaftlich Schwachen, Gleichberechtigung für die Vertriebenen und Förderung des sozialen Wohnungsbaus sind die Leitgedanken des Ende letzter Woche in Hannover veröffentlichten ersten Wahlaufrufes der SPD für die am 14. August stattflndenden Bundestagswahlen.

Die Bekämpfung dreier großer Lügen, heißt es in dem Aufruf, stehe in der kommenden Wahlschlacht im Vordergrund: Der Kampf ge­gen die Lüge von dem Segen derfreien Wirt­schaft, gegen die Lüge von dem Gegensatz derchristlichen und derunchristlichen Par­teien, und gegen die Lüge von der Möglichkeit der nationalen Einheit durch Entscheidung für die Unfreiheit.

Herausgeber: Will Hanns Hehsacker, Dr. Ernst Müller und Karl Kirn

Mitglied» der Reduktion. Gudrun Boden, Dr. Wil­helm Gail Dr Otto Hsendle, Dr. Helmut Klecza. Joseph Klingelhöfer und Franz Josef Mayer Verlag und SchrlfUeitung:

Tübingen Uhlanditraße 2, Fernsprecher 21 4142'4S Erscheinungsrage. Montag, Mittwoch- Samstag

kommen, noch immer haben sie, drei, vier Jahre nach ihrer Austreibung oder nach ihrer Flucht aus dem Osten keine Wurzeln schlagen können. In den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen herrscht seit Jahren ein ausgesprochenes Flüchtlingselend, das diese Länder aus eigener Kraft nicht zu mildem ver-" mögen.

In dieser Situation hat sich unser Land als bisher einziges der französischen Zone bereit erklärt, Flüchtlinge aus den übervölkerten Ge­bieten aufzunehmen. Die Vorbereitungen für diese Aktion sind im Zusammenwirken zwi­schen dem Staatskommissar für die Umsied­lung und den Arbeitsämtern mit größter Sorg­falt getroffen worden.

Es wird nun sowohl an unseren neuen Mit­bürgern als auch an uns liegen, daß die Wan-, derung dieser Menschen ein Ende hat und sie seßhafte Bürger werden.

sierung und Ausweitung der Verkehrsmittel wird ungeheuer viel getan. Die italienischen Eisenbahnen befinden sich in einem Zustand, der die Vorkriegszeit weit hinter sich läßt. Die zerstörten Bahnhöfe erstanden schöner und großzügiger als zuvor, Die Züge verfügen wieder über einen einwandfreien Wagenpark und verkehren rasch und pünktlich auf die Minute.

Den Pilgern wird Gelegenheit geboten, au­ßerhalb des rein religiösen Programms rasch und bequem zu berühmten Denkstätten in Rom und seiner Umgebung zu gelangen. Liberty-Schiffe werden für Pilgerfahrten umgebaut und die Luftverkehrsgesellschaften treffen umfassende Vorbereitungen zur Be­wältigung des anspruchsvolleren ausländi­schen Besucherverkehrs. Eine eigene italie­nische Gesellschaft wurde gegründet, die mit vier modernen amerikanischen Maschinen in das römische Programm zweitägige Pilger­flüge nach Oberammergau, unter Benutzung des Flugplatzes Riem einschalten. Der Pilger fliegt am Nachmittag von Rom weg und ist am nächsten Abend nach Besuch des Pas­sionsspieles wieder in Rom.

Ganz Italien steht im Dienst des Heiligen Jahres. Millionen von Pilgertaschen, enthal­tend Gesang- und Gebetbuch sowie Führer zu den berühmten Stätten der Stadt werden hergestellt und Tausende von vielsprachigen Reiseleitern und Betreuern bereiten sich jetzt schon auf die Ankunft der über drei Mil­lionen Gäste aus fünf Erdteilen und die drei Millionen Pilger aus Italien vor.

US-Leutnant erschoß Russen

FRANKFURT. Bei einer Schießerei ln der Nähe des Ortes Rothenbach an der Zonen­grenze nördlich von Coburg tötete ein ameri­kanischer Offizier einen russischen Soldaten, der sich auf dem Gebiet der US-Zone befand. Es kam zu einem Kugelwechsel aus nächster Entfernung, nachdem sowjetische Wachen eine amerikanische Patrouille unter Feuer genom­men hatten.

Nachrichten aus aller Welt

Druck:

Tübinger Chronik, Druckerei- und Verlags­genossenschaft eGmbH.

MÜNCHEN. Der schwedische Journalist. Dr. Rudolf Philipp, der gegenwärtig im Auftrag schwedischer Gewerkschaften Westdeutschland bereist, berichtete am Freitag Pressevertretern, daß Polizisten, die ihn während einer Schwarz­marktrazzia festnahmen, ihm mehrere Zähne ausgeschlagen hätten. Man habe ihnirrtümli­cherweise für einen Deutschen gehalten. Dr. Philipp kritisierte die Methoden der Münchener Polizei als undemokratisch und sprach von Ueberschreitung desangebrachten Maßes von Gewaltanwendung.

MÜNCHEN. Nachdem der amerikanische Mi­litärgouverneur McCloy in Bonn hauptsächlich die Möglichkeiten einer Beschaffung von Wohn- und Diensträumen für das amerikanische Per­sonal überprüft batte, traf er am Samstag in München ein.

ANSBACH. Der Landesausschuß der Bayern­partei wählte mit 98 von hundert Stimmen den Parteivorsitzenden Dr. Josef Baumgartner zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahlen.

ERLANGEN. Die Besatzungsgeschädigten von Erlangen richteten an den künftigen amerika­nischen Hochkommissar McCloy einen telegra­fischen Hilferuf, in dem um Freigabe der von amerikanischen Familien bewohnten Häuser ge­beten wurde. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß in der ganzen US-Zone hiervon 2 Millionen Menschen, in Bayern allein 600 000, betroffen würden.

DÜSSELDORF Der Vorsitzende der japani­schen Sozialisten und erste japanische Minister­präsident der Nachkriegszeit, Tetsu Katayama, sprach sich am Samstag in Düsseldorf auf einer Pressekonferenz für eine baldige Wiederherstel­lung der freundschaftlichen Beziehungen zwi­schen Japan und Deutschland aus. Katayama, der die japanische Delegation für die Konferenz für moralische Aufrüstung in Caux anführt, wurde von Ministerpräsident Karl Arnold emp­fangen und will am Dienstag Dr. Kurt Schu­macher besuchen.

RECKLINGHAUSEN. Am Samstagnachmittag ist der erste Vorsitzende der deutschen Zen­trumspartei, Dr. Fritz Stricker, an den Folgen des vor einer Woche erlittenen schweren Auto­unfalls gestorben.

WUPPERTAL. Ein deutsches Gericht verur­teilte am Freitag den ehemaligen Wehrmachts- Unteroffizier Otto Schmitz, der von 1945 bis zu seiner Entlassung im Frühjahr d. J. alsFüh­rer eines Arbeitsbataillons in einem russischen Kriegsgefangenenlager deutsche Kriegsgefan­gene mißhandelt hatte, wegen Körperverlet­zung in sieben Fällen zu 10 Jahren Zuchthaus.

HAMBURG. Der frühere braunschweigische Ministerpräsident und SS-Obergruppenführer Klagges wurde von einem Bielefelder Gericht wegen Verfolgung von Gegnern des NS-Regi- mes zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt. Klagges hatte seinerzeit als Ministerpräsident von Braunschweig Hitler zum Regierungsrat er­nannt und ihm damit die Möglichkeit gegeben, 'die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben.

PRAG. Der Generaldirektor der Ernährungs­und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO), Norris Dodd, bezelehnete die europäischen Ernteaussichten für dieses Jahr als im allge­meinen gut, in den nördlichen Ländern sogar als ausgezeichnet.

PRAG. Seit Kriegsende wurden über 185 000 im Ausland lebende Tschechen und Slowaken repatriiert.

MOSKAU. In Moskau wird zurzeit von so­wjetischen Wissenschaftlern, Schriftstellern und Musikern eine internationale Friedenskonfe­renzzur Fösderung der Weltfriedensbestrebun­gen vorbereitet.

ISTANBUL. Durch eine Explosion an Bord des 4QO0 Bruttoregi3ter großen Schwarzmeer­dampfersChorum fanden am Samstag über 50 Personen den Tod.

BUENOS AIRES. Die argentinische Regierung hat alle illegal nach Argentinien eingewander­ten Ausländer begnadigt und ihnen ein weiteres Verbleiben in Argentinien gestattet.

Faule Ausreden

o. h. Sowohl der Intendant von Radio Stutt­gart als auch die Herausgeber derStuttgar­ter Zeitung haben sich zu dem gegen sie er­hobenen Vorwurf des Eingreifens in ein schwe­bendes Verfahren (siehe auch den Leitartikel desSchwäbischen Tagblatts in der Aus­gabe vom 9. Juli) Stellung genommen. Der Intendant von Radio Stuttgart erklärt, es stehe doch wohl unter der Würde des Ge­richts und der Geschworenen, sich von Presse, Rundfunk oder sonstigen Umwelteinflüssen ln ihrer Urteilsbildung beeinflussen zu lassen, da sie nur dem Gesetz und ihrem Gewissen verpflichtet seien. Außerdem müsse es einer Rundfunkstation grundsätzlich Vorbehalten sein, schon vor der Urteilsverkündung aktuelle Sendungen zu bringen. Schließlich sei festzu­stellen, daß die Auffassung einer Rundfunk­station sich keineswegs mit dem Inhalt der Sendung decken müsse.

Wir haben bereits die Vermutung ausge­sprochen, daß Radio Stuttgart gar nicht er­faßt hat, was es mit Mostars Ausführungen angerichtet hat. pie Erklärung des Intendan­ten beweist die Richtigkeit dieser Vermutung. Allerdings rechtfertigt die mangelnde Er­kenntnisfähigkeit keineswegs ein solches Han­deln. Sie könnte es höchstens entschuldigen, denn daß es sich bei den Ausführungen Mo­stars nicht um eine der üblichen aktuellen Sendungen, sondern ausschließlich um den Versuch handelte, das Urteil in einem be­stimmten Sinne zu beeinflussen, scheint der Intendant von Radio Stuttgart auch jetzt noch nicht begriffen zu haben. Selbstverständlich soll der Rundfunk aktuelle Sendungen brin­gen, auch aus Prozessen wie den um Gra­feneck. Er soll aber nicht versuchen, durch seine Darstellung das Urteil zu beeinflussen. Das aber bezweckte die Aktion Mostars ein­zig und allein.

Die Berufung auf die Gewissenspflicht der Richter heißt auch die Wirkung des In­strumentes, das man mit der Intendanz von Radio Stuttgart offenbar allzu leichtfertig in die Hahd genommen hat, sehr gering einschät­zen. Schließlich handelt es sich bei den Ge­schworenen meist um einfache Menschen. Von ihnen zu erwarten, daß sie sich durch gar keineUmwelteinflüsse in ihrer Urteilsbil­dung bestimmen ließen, bedeutet mehr zu fordern, als billigerweise erwartet werden kann. Letztlich geht es ja nicht um diesen Prozeß allein, sondern um das Grundsätzliche, und das ist der Verstoß gegen den wohlange­brachten Brauch, in ein schwebendes Verfah­ren unter keinen Umständen einzugreifen Nach dem Vorausgegangenen wundert es uns nicht, daß man in Stuttgart auch jetzt noch nicht bis zu dieser Erkenntnis vorgedrungen ist.

Wenn die Herausgeber derStuttgarter Zei­tung" behaupten, daß es sich bei Mostars Ausführungen um eine Darlegung der mensch­lichen und rechtlichen Probleme gehandelt habe, so muß man ihnen den gleichen Vor­wurf wie Radio Stuttgart machen: Sie traben nämlich das eigentliche Ziel Mostars auch nicht erkannt. Die Herausgeber behaupten dann noch, sie hättendie Befürchtung nicht unter­drücken können, daß Mostars Kritik an der Justiz des Dritten Reiches bei heute amtie­renden Juristen Empfindungen einer Solidari­tät wachgerufen habe, die sie für durchaus unangebracht halten. Sie schlossen: hinc illae lacrimae. Eine solche Vermutung ist nicht nur dumm, sondern auch noch infam.

Wenn iraij die Unterzeichner der Anfrage im südwürttembergischen Landtag glaubt, als Nazis verdächtigen zu können, vielleicht weil man sie nicht kennt, so wird tnan das bei einem Mann wie dem Staatspräsidenten Dr. Gebhard Müller kaum tun können. Dieser hat­sich über das Vorgehen in der Stuttgarter Zeitung aber in der gleichen Weise geäußert wie die Anfragenden. Oder sollte man sich in Stuttgart einbilden, den Antifaschismus al­lein gepachtet zu haben? Die Rechthaberei, in die man sich dort manchmal flüchtet, wenn die eigene Sache faul ist, läßt mindestens dar­auf schließen.

Vorfahrtsrecht

Von Walter Floote

Die Hupe des Lastkraftwagens brüllt zor­nig auf Bremsen quietschen die Limou­sine, die aus der Nebenstraße auf die Fahr­bahn geglitten ist, kann gerade noch halten haarscharf, mit einem gefährlich kurzen Bogen, rutscht der schwere 334-Tonner vor­bei.

Im Vorbeifahren beugt sich der Fahrer des Lastkraftwagens aus dem Fenster und schreit ein unflätiges Schimpfwort.Ich habe das Vorfahrtsrecht... ! hört man noch, während er weiterjagt...

Zeit ist Geld. Die Zeit ist hart wie das Geld. Nur wer selber hart ist, gewinnt beides...

Doch schon vor der nächsten Straßenecke verlangsamt der Wagen plötzlich die Fahrt. Kein Schupo steht dort, der Ihm die Durch­fahrt verwehren könnte. Nur eine Frau ist auf die Fahrbahn getreten und hebt mah­nend die Hand. Wie efei Schutzschild steht sie da, während hinter ihr ein Mädchen «eine lange Reihe kleiner Kinder über die Straße führt. Ein Kindergarten auf dem Spaziergang, mehr nicht .

Die Bremsen bringen den schweren Wagen zum Stehen, dicht vor dem Zug der Kleinen. Sie gehen zu zweit, sie haben sich an den Händchen gefaßt, sie schnattern miteinander und lachen und schubsen sich, Ihre runden Gesichter gehen hin und her und sehen neu­gierig in die Welt. Sie erscheinen einem wie Blumen, so fris-ch und zart und glänzend, und sie sind auch nicht viel größer. Sie reichen kaum bis ans Nummernschild des graugrü­nen Ungetüms, das halb über ihnen hängt, ungeduldig brummend und von zurückgehai- tener Kraft »m ganzen Leibe bebend ...

Es sind sehr viele Kinder, die Reihe. Ist lang. Vpn beiden Seiten schieben sich neue Wagen heran, glänzende Limousinen, ver­staubte Lieferwagen, Motorräder, Hunderte von Pferdekräften, voller Ungeduld, sich vor­

wärtszustürzen alle bleiben stehen, um den Strom der Kleinen passieren zu lassen. Es Ist wie ein Ehrenspalier für das junge, quellende Leben ..

Erst als die Letzten über die Fahrbahn ge­leitet sind und mit ihren kleinen Beinchen auf den Bürgersteig springen, setzen sich die Fahrzeuge wieder in Bewegung...

Vorfahrtsrecht... 1

Vorfahrtsreeht dem kommenden Leben... 1

Amerika und die deutsche Wissenschaft

Gespräch mit Prof. Max von Laue

Prof. Max von Laue, Nobelpreisträger für Physik des Jahres 1914, der Entdecker der Rönt­genspektroskopie, kehrte unlängst von einem neunmonatigen Aufenthalt aus, USA zurück. Eine Rundreise zu den namhaftesten Stätten der Forschung gab ihm, der als Gutachter für Phy­sik in der Notgemeinschaft der deutschen Wis­senschaft den besten Ueberblick über sein Fach gewann, erwünschte Gelegenheit zu Vergleichen. Am auffälligsten, so erzählte er, waren natür­lich die amerikanischen Erfolge in der Atom­physik und im Radarwesen Aber auch in an­deren Zweigen der Physik haben sich die Ame­rikaner Im letzten Jahrzehnt an die Spitze ge­setzt. Nicht allein durch das riesige Ausmaß der Mittel, sondern durch echt wissenschaftliches Streben nach Erkenntnis. Das gilt auch für die anderen Naturwissenschaften, vor allem die Biologie, ja sogar für die Geisteswissenschaften, die bis vor kurzem europäisches Monopol wa­ren. Diese Neigung zur Grundlagenforschung äußert sich vor allem auch darin, daß viele der ln den kriegswissenschaftlichen Laboratorien eingesetzten Forscher sich nach der Stille ihres alten Wahrheitssuchens zurücksehnen, obgleich die Mitarbeit an den großen Aufgaben den fi­nanziell im allgemeinen nicht sehr gut gestell­ten amerikanischen Wissenschaftler natürlich lockt. Allerdings ist mancher dann genötigt, in der zivilen Forschung der Industrie einen Er­satz für die fehlenden Staatszuschüsse zu suchen.

Zahlreiche vertriebene deutsche Wissenschaft­ler haben ln USA einen neuen Wirkungskreis gefunden. Sie sind, auch nach dem Urteil der Amerikaner, ein wesentlicher Zuwachs für die

wissenschaftliche Macht ihrer zweiten Heimat geworden und haben viel zu der lawinenhaften Entwicklung beigetragen: Einstein der sich um eine Verallgemeinerung seiner Feldtheorie bemüht, der Nobelpreisträger Franck, der schwer erkrankt war, Ladenburg, Pringsheim, v. Karman, Wlegner und Werner Jäger, um nur einige der bedeutendsten Deutschen zu nennen. Ihnen allen geht es leidlich. Ueppig sind die Ge­hälter nicht; oft muß auch die Frau beruflich tätig sein, damit die Kinder studieren können. Man ißt Margarine, da die Butter zu teuer ist. Eine Hausgehilfin würde fast soviel kosten, wie der Professor verdient. Recht kümmerlich geht es manchen, die sich 1945 nach den USA ver­kauft haben. Sie leben nicht viel besser als die Gefangenen, erhalten 6 Dollar Sold täglich soviel bekommt auch der ungelernte Arbeiter bei Ford und dürfen nur mit Sondergeneh­migung den zugewiesenen Aufenthaltsort ver­lassen.

Von Haß gegenüber dem einzelnen Deutschen keine Spur. Frau von Laue, die ihren Gatten begleitete, vor allem um ihren in USA als Ge­schichtsprofessor wirkenden Sohn zu besuchen, hat viele Beweise dessen erfahren. Sie wurde in den Läden meist besonders zuvorkommend bedient, wenn sie sich durch ihre Fragen und Wünsche als Deutsche zu erkennen gab. So darf man die Erlebnisse eines Gieseking und ten Hoff keineswegs verallgemeinern.

Schon zeigt sich auch drüben Hilfsbereitschaft für die deutsche Wissenschaft. Die Röekefeller- Stiftung will den früheien Austausch von Stu­denten und Dozenten wieder aufnehmen; auch die Physikalisch-Technische Anstalt in Braun­schweig soll Mittel bekommen. Besonders er­freulich ist das Versprechen der Lieferung von wissenschaftlicher Literatur. Dr. W.

Kulturelle Nachrichten

Der Börsenverein der Buchhändler in der französischen Zone führt einen Wettbewerb an sämtlichen Schulen der Zone durch, bei dem der beste Aufsatz über das ThemaM e i n liebstes Buch prämiiert werden soll. Das Preisausschreiben soll die Jugend zur Beschäf­tigung mit der Literatur anregen und die Liebe zum guten, Buch fördern. Wertvolle Bücher­preise für die Bibliotheken der Schulen und die Schüler selbst sind ausgesetzt.

Die Hauptspruchkammer München reihte den ehemaligen Präsidenten der Reichsschrifttums­kammer und der Dichterakademie Hanns J o h s t in die Gruppe der Mitläufer ein mit einer Sühne von 500 DM. Der Urteilsbe­gründung zufolge habedie Haltung des Be­troffenen gegenüber Verfolgten des Naziregimes vielfach den Stempel der Humanität" getragen. Der Anklagevertreter hat Berufung eingelegt.

Erstmalig trafen sich 80 deutsche und dreißig englische Historiker und Pädagogen in Braunschweig zu einer Tagung.

Thomas Mann hat die ihm angetragene Ehrenbürgerschaft der Stadt Wei­mar angenommen.

Der Hauptkläger der Nürnberger Prozesse, der amerikanische Prot Robert K e m p n e r, hat ln einem Vortrag vor der Züricher Studentenschaft den Vorschlag gemacht, den amerikanischen Richtern Jackson und Taylor den Friedens­nobelpreis zu verleihen. In der Schweizer Oeffentlichkeit fand der Vortrag keinen unge­teilten Beifall. DieNeue Zürcher Zeitung drückte ihre Enttäuschung darüber aus, daß Kempner auf die tiefere Problematik der Nürn­berger Prozesse nicht eingegangen sei.

Das Museum der Stadt Amsterdam hat zwei Bilder des Stuttgarter Malers Prof. Willi Bau­meister angekauft.

Die im Jahre 1946 gegründete Weltorga­nisation der Lehrerverbände hält vom 18. bis 23. Juli ln Bern eine Delegierten­versammlung ab, zu der Schulfaehleuta, aus al­ler Welt erwartet werden.

Der bekannte französische Schriftsteller und Filmregisseur Jean Cocteau beabsichtigt mit Maria Cesares und Jean Marais einen Orpheus- Film zu drehen.

Vom 8. bis zum 17. Juli finden in Locarno die traditionellen Filmfestspiele statt, an denen sich acht Länder mit ihren Spitzen­filmen beteiligen Deutschland ist dabei mit drei Filmen der Nachkriegsproduktion vertre­ten.

Der 89jährige norwegische Dichter Knut Hamsun wird im Herbst einen neuen Roman, den ersten seit Kriegsende herausgeben.

In Prag hat unter Teilnahme von 30 franzö­sischen Aerzten der tschechoslowakisch-französi­sche Aerztekongreß begonnen.