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SCHWÄBISCHES TAGBLATT

14. Februar 1949

V

Erste Spuren der britisdien Parlaments wählen

Von unserem Londoner Sonderberichterstatter Horst Flügge

So unsicher weiterhin der Ausgang der bri­tischen Parlamentswahlen des Jahres 1950 bleibt, so fest steht, daß es ein ungleich här­terer Kampf um die Mehrheit werden wird als 1945. Parteiprogramme werden dabei nicht immer im Vordergrund stehen, sondern bis­weilen zurücktreten hinter dem persönlichen Kontakt der einzelnen Kandidaten mit den Wählern ihres Bezirkes und hinter den psy­chologischen Wirkungen der Propaganda, die von allen Parteien, hauptsächlich mit sozialen Argumenten, betrieben wird. Will man mit allen Vorbehalten das gegenwärtige Kräfte­verhältnis der beiden Seiten des Unterhauses kennzeichnen, so kann man sagen, daß die La- bourpartei politisch ihre Positionen im glei­chen Maße noch behauptet, wie die Konserva­tiven der Regierung kein eigenes Programm entgegenstellen können, daß auf der anderen Seite jedoch die Tories es verständen haben, einen besseren Kontakt zu den Wählern her­zustellen. was die letzten Nachwahlen bestä­tigten, und darüber hinaus die besseren Pro­pagandisten sind.

Das ganze Bemühen der Konservativen zur Vorbereitung des Wahlkampfes zielt mehr darauf ab, Schwächen der Regierungsseite auszunutzen, Gesetze und Verordnungen zu verhindern, zu verzögern, als mit konstrukti­ven Vorschlägen der Politik der Sozialisten entgegenzutreten. Mag sein, däß sich das noch rechtzeitig vor den Wahlen ändern wird, doch vorerst begnügt man sich damit, gegen Worte in Gesetzesvorlagen der Regierung erfolg­reich zu debattieren und nach schwachen Punkten in der Labour-Propaganda ebenso erfolgreich Ausschau zu halten. Die Labour- Leute tun dabei das ihre, um der Opposition behilflich zu sein.

Im April vorigen Jahres vor den Nachwah­len in South Gate passierte der Regierungspar­tei die erste Panne. Die Labour-Partei ver­öffentlichte eine Broschüre, die den großen Fortschritt im Wohnungsbau seit 1945 bewei­sen sollte. In dieser Schrift war eine Straße abgebildet, einmal nach der völligen Zerstö­rung während des Krieges und daneben voll­kommen aufgebaut mit der Unterschrift: drei Jahre nach Kriegsende. Nun, die Konservati­ven stellten fest, das zweite Bild war 1938 auf­genommen worden und die Straße war in

Wirklichkeit noch immer ein Trümmerhaufefi. Die Labour-Führung entschuldigte den Fehler mit der Nachlässigkeit einerunpolitischen Bildagentur, die falsche Bilder herausgesucht hätte.

Londons Zeitungsleser schmunzelten, wäh­rend dieLabour-Propagandisten meinten:nun, passiert ist passiert, doch wir werden uns re­vanchieren. Weit gefehlt, sie taten das Gegen­teil. In Vorbereitung neuer Nachwahlen zur Ersetzung eines verstorbenen Unterhausmit­gliedes in Hammersmith, einem Londoner Stadtteil, in dem die Sozialisten 1945 zum er­stenmal die Mehrheit errungen hatten, ver­öffentlichten sie eine neue Broschüre. Diesmal sollte gezeigt werden, was fürbonny babies unter dem sozialistischen Regime geboren wur­den. Die Photographie eines kleinen Kindes wurde veröffentlicht, kurz bevor die Auflocke- rung der. Bewirtschaftung bekanntgegeben wurde. Die konservativen und sozialistischen Mütter von Hammersmith waren von beidem beeindruckt, d. h. von der Broschüre nur zwei Tage. Dann stellten die Konservativen auf den Frontseiten ihrer Zeitungen, lakonisch fest, es täte ihnen zwar außerordentlich leid, aber das fragliche Kind sei keinsozialistisches Baby, sondern eine Aufnahme aus dem Jahre 1936, die Prinz Edward, den jetzigen Herzog von Kent, wiedergebe.

Mr. Morgan Phillips, als verantwortlicher Labour-Mann, meint, die Ausnutzung des peinlichen Fehlers durch die Konservativen, sei unfair, dieunpolitische Bildagentur sei schuld usw. Möglicherweise ist die Bildagentur gar- nicht so unpolitisch, wie Labours Propagandi­sten meinen. Die Konservativen hoffen jedoch zuversichtlich, daß auch die nächsten Broschü­ren von der gleichen Quelle illustriert werden.

Das Ganze bleibt, so erheiternd es ist, letzt­lich eine Episode am Rande der parteipoliti­schen Auseinandersetzung, die auf dieser Ebene nicht entschieden wird. Doch es ist ein Symptom für die Oberflächlichkeit der Propa­ganda der Labourpartei, die der Gegenseite zu billig die Pointen des Streitgespräches überläßt. Sicher bleibt es nicht ohne Einfluß auf die Wähler, die letztlich jedoch zu un­mittelbar die soziale Umbildung spüren, die 1945 begonnen hat, um Pointen auf dem Stimmzettel zu prämiieren.

Nachrichten aus aller Welt

schaftsbund überprüft und seine Berechtigung anerkannt hat, eine Schlichtungskammer, der neben Vertretern des Staates sowie der Ar­beitgeber und der Arbeitnehmer auch ein öf­fentlich bestellter Wirtschaftsprüfer angehört. Diese sachverständige Schlichtungskammer kann, falls sie die Berechtigung des Einspruchs anerkennt, dem Arbeitgeber bestimmte Auf­lagen hinsichtlich der Leitung des Betriebes machen, wenn dies erforderlich ist, um die ernste Gefahr der Stillegung oder Teilstille­gung abzuwenden. Eine Reihe weiterer Vor­schriften gibt die Gewähr dafür, daß die Auf­lagen der Schlichtungskammer nicht nur auf dem Papier stehen bleiben, sondern auch wirk­lich durchgeführt werden.

Allerdings ist zu erwarten, daß die Schlich­tungskammer nur in verhältnismäßig wenigen Fällen tätig zu werden braucht, Betriebsrat und Arbeitgeber arbeiten nach den bisherigen Erfahrungen in der Regel reibungslos zum Wohle des Betriebes zusammen. Ein Teil der Bedeutung dieser Vorschriften wird daher auch darin liegen, daß die Möglichkeit eines solchen Verfahrens überhaupt besteht. Schon diese Tatsache dürfte wichtige erzieherische Auswirkungen in solchen Fällen haben, in de­nen die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat noch zu wünschen läßt.

Auf der anderen Seite muß zugegeben wer­den, daß das Betriebsrätegesetz hier verhält­nismäßig weitgehende Möglichkeiten eines Eingriffs in die Geschäftsleitung besonders dann vorsieht,, wenn der betroffene Arbeit­geber die im Interesse des Betriebes getroffene Entscheidung der Schlichtungskammer zu miß­achten versucht. Es wäre deshalb falsch, die Vorschriften zu bagatellisieren und die Ge­fahr verkennen zu wollen, die das Betreten von unerprobtem Neuland hier zweifellos mit sich bringen kann. Trotzdem muß jenen, die gerade in letzter Zeit wiederholt warnend ihre Stimme gegen die neuen Formulierungen des Entwurfs erhoben haben und schädliche Auswirkungen Vorhersagen zu müssen glaub­ten, entgegengehalten werden, daß ausrei­chende Sicherungen gegen einen gefährlichen Mißbrauch der Bestimmungen eingebaut sind und daß das Interesse der Belegschaft an der Erhaltung des Betriebes und der Stärkung sei­ner wirtschaftlichen Lage einen wirksamen Schutz gegen die befürchteten Nachteile be­deutet. %

Ein weiterer nicht unwichtiger Punkt soll hier noch berührt werden, auf den auch bei den Beratungen des Landtags hingewiesen wurde. Es kam die Befürchtung zum Aus­druck, ob die Betriebsratsmitglieder in der Lage sein werden, die ihnen nunmehr über­tragenen umfangreichen und teilweise ein er­hebliches Wissen voraussetzenden Aufgaben zu erfüllen. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Menschen an ihren Aufgaben wachsen. Auch bei den Betriebsräten wird dieser Satz Gültig­keit haben, insbesondere dann, wenn eine in­tensive Schulung und die Freude an der Mit­arbeit im Betriebe hinzukommt. Der Arbeit­geber wird, wenn er den Geist des Betriebs­rätegesetzes wirklich verstanden hat, bemüht sein, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit her­beizuführen und es als seine Pflicht ansehen, den Betriebsratsmitgliedern seines Betriebes die notwendige Unterrichtung zu geben, um dadurch die Voraussetzungen zu schaffen, daß in gemeinsamer Arbeit ein möglichst hoher Stand der Wirtschaftlichkeit und beste Lei­stung erreicht wird, wie es die Präambel zum Ausdruck bringt. Die bei weitem wichtigste Aufgabe bei der Durchführung des Gesetzes müssen jedoch die Gewerkschaften überneh­men, denen als dem entscheidenden Träger un­serer Sozialverfassung eine große'Verantwor­tung auferlegt wurde.' Denn darüber wird es keinen Zweifel geben können, nur in engster Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft wird der Betriebsrat seine schwierigen Aufgaben erfüllen und wirklich fruchtbare Arbeit leisten können.

Herausgeber und Chefredakteure: W. H. Hebsacker. Dr. Ernst Müller und Alfred schwenger Mitglieder der Redaktion: Gudrun Boden, Dr. Wil- beim Gail Dr. Otto Haendle, Dr. Helmut Klecza. Joseph Klingelhöfer und Franz Jose{ Mayer

Verlag und Schrtftleitung: Tübingen. Uhlandstrade 3 Monatlicher Bezugspreis elnschl. Trägerlohn DM. durch die Post 2.27 DM. Einzelverkaufspreis 20 Pf.

WÜRZBURG. Oberbürgermeister Dr. K. Grü­newald ist seines Amtes enthoben worden, wäh­rend gleichzeitig eine Anzeigen wegen Frage­bogenfälschung erstattet worden ist.

WIESBADEN. Durch die Verhaftung eines 24- jährigen JEIA-Angestellten in Wiesbaden wurde eine weitverzweigte Schmugglerorganisation auf­gedeckt, die mit Hilfe gefälschter Importpapiere der JEIA Lebensmittel im Werte von rund einer Million DM nach Westdeutschland gebracht hat, die dann dem Schwarzen Markt zugeführt wor­den sind.

ESSEN. Durch eine Ueberprüfung wurde fest­gestellt, daß rund 30 000 Berfsreisende die Ar­beiterwochenkarte unberechtigt in Anspruch ge­nommen haben, weil ihr Bruttoeinkommen mo­natlich 300 DM übersteigt. Da für Reisen ohne gültigen Fahrausweis der doppelte Fahrpreis zu zahlen ist, müssen die Sünder zum Teil Nachzah­lungen bis zu 3000 DM leisten.

HANNOVER. Der Suchdienst der Anstalt Be­thel, dem die Sucharbeit nach vermißten Frauen und Mädchen übertragen worden ist, hat fest- gestellt, daß es in der Sowjetunion noch rund 200 Frauenlager gibt, in denen etwa 25 000 frü­here Wehrmachtshelferinnen und weibliche An­gehörige des Roten Kreuzes, sowie rund 150 000 zwangsverschleppte Frauen festgehalten werden.

LONDON. Der frühere Luftfahrtminister und Pionier der Zivilluftfahrt, Lord Londonderry, ist in Nordirland verstorben.

LONDON. Der türkische Außenminister Sadak ist in London eingetroffen, um mit der britischen Regierung Besprechungen über Sicherheitsmaß­nahmen im Mittelmeergebiet zu führen.

LONDON. An Stelle von Sir Peterson ist der bisherige britische Botschafter in Ankara, Sir David Kelly, zum britischen Botschafter in Mos­kau ernannt worden, an dessen Stelle in Zu­kunft Noel Charles als britischer Botschafter in Ankara tätig sein wird.

MADRID. Durch einen amtlichen Erlaß sind alle spanischen Diplomaten einschließlich des Außenministers der himmlischen Schutzherrschaft des Erzengels Gabriel unterstellt worden. Der Vatikan ist um die kanonische Anerkennung die­ser Maßnahme ersucht worden.

MADRID. Der Expreßzug Madrid-Barcelona ist 60 km westlich von Tarragona entgleist, wobei etwa 40 Personen ums Leben gekommen sind.

GENF. In der Nähe des Genfer Sees stürzte ein Lastwagen von einer Eisenbahnbrücke auf die Lokomotive des in diesem -Augenblick vor­beifahrenden Simplon-Orientexpresses. Während ein Insasse des Lastwagens getötet worden ist, kam von den Reisenden des Zuges niemand zu Schaden.

PRAG. Zwölf Jugendliche wurden wegen an­geblicher umstürzlerischer Tätigkeit zu Gefäng­nis von sechs Monaten bis zu 25 Jahren verur­teilt. Gegen einen der Angeklagten wurde in Abwesenheit auf Todesstrafe erkannt. Am 17. Fe­bruar beginnt der Prozeß gegen den wegen Spionage verhafteten General Kuttelwasser.

KAIRO. Der Führer der vor kurzem aufge­lösten Moslembrüderschaft, el Banna, wurde von einem jugendlichen Aegypter durch Revol­verschüsse getötet.

WASHINGTON. Anläßlich einer Feier des Technologischen Instituts in Cambridge in der Nähe von Boston werden Präsident Truman und Winston Churchill am 31. März oder 1. April Reden halten.

WASHINGTON. Ein Düsenjäger stellte mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 1136 stkm einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf.

WASHINGTON. General Eisenhower wurde von Präsident Truman in den aktiven Militär­dienst zurückberufen, um als Vorsitzender des gemeinsamen Generalstabes der drei Waffen­gattungen tätig zu sein.

Vereinfachte Wahl

LISSABON. Am Sonntag hat die Bevölke­rung Portugals den Staatspräsidenten ge­wählt. Die Wahl hatte sich dadurch verein­facht, daß der Präsidentschaftskandidat der liberal-demokratischen Opposition, der 80jäh- rige General Norton de Matos, im letz­ten Augenblick seine Kandidatur zurückgezo­gen hat. Der Oberste Gerichtshof von Portu­gal hat allerdings diese Zurückziehung nicht anerkannt, um wenigstens den Anschein eines Wahl zu wahren. Der bisherige Staatspräsi­dent Carmona, für den sich die Nationale Unionspartei des Ministerpräsidenten Dr. Sa- lazar eingesetzt hat, konnte so mit überwälti­gender Mehrheit wiedergewählt werden.

cz. Bei den am gestrigen Sonntag in Por­tugal durchgeführtenfreien Wahlen, die der Bestimmung des portugiesischen Staatspräsi­denten dienen sollten, Gerüchte besagen, Großbritannien und die USA hätten den Wunsch geäußert, man möge demokratische Gepflogenheiten demonstrieren braucht der Diktator mit den Samthandschuhen, Mini­sterpräsident Dr. Antonio de Oliveara Salazar, für den Kandidaten derNationalen Union, den bisherigen Staatspräsidenten Marseball Antonio de Fragoso Carmona, nichts zu be­fürchten. Sonst hätte man Carmona, seit dem Staatsstreich von 1926 Staatsoberhaupt, nicht in dieser Form nach drei siebenjährigen Amts­perioden exponiert.

Schließlich hat Salazar, von 192632 Finanz- minister, seit 1932 Ministerpräsident, in Er­klärungen zu den Wahlen keinen Zweifel dar­über gelassen, daß ein seinem Regime unlieb­samer Wahlausgang ignoriert würde. Salazar warf der stark im Wachsen begriffenen Oppo­sition vor, sie hätten in den Jahren 191026 mit ihren 52 Kabinetten Portugal bis an den Rand des Staatsbankerotts geführt. Salazar muß ziemlich weit zurückgreifen. Doch da seit 1926 sein autoritäres Regime fürRuhe und Ordnung sorgt, finden sich, von Militärput­schen abgesehen, innerhalb dervergessenen, diskreten odersamtenen Diktatur diese Adjektive kennzeichnen ihren Charakter keine zeitlich näherliegenden Argumente.

Für Salazar spricht, daß er die Finanzen des Landes bis heute in Ordnung hielt, nachdem er einst den Staatsbankerott gerade noch ver­hütet hatte, kein starrer Doktrinär, sondern im Grunde nur ein autokratischer Gelehrter ist, dazu ein hervorragender Verwaltungsfach­mann, der von Ideologien nichts, vom gesun­den Menschenverstand alles hält. Seine Par­tei, dieNationale Union, gründete er sich erst, als er bereits im Sattel saß.

Nach dem zweiten Weltkrieg hatte Salazar wie sich herausstellte, recht unvorsichtig Wahlen ausschreiben lassen und . . . erlitt ei­nen heftigen Schock, als er feststellen mußte, daß man ihn gar nicht sehr liebte. Nun, die Geheimpolizei korrigierte das Versehen, Eng­land und die USA vergaßen, gegen die Ver­haftungen zu protestieren und alles war wie­dergut. Jedenfalls verstand es Salazar im letzten Kriege meisterhaft, immer auf der richtigen Seite zu sein: Zu Anfang mit NS- Deutschland, später für die Alliierten.

Diktatoren erregen in der Welt immer nur Aergemis, wenn sie entweder gefährlich wer­den könnten, eine Niederlage erleiden oder zu­viel Staub aufwirbeln und dadurch das ano­nyme moralischeGewissen der Weltbürger zu sehr schrecken. Salazar tat nichts von alle­dem. Kein Grund demnach, die Diktatur in Portugal von den Segnungen des Marshall­plans auszuschließen. Die westlichen Alliierten zögerten daher auch nicht, diesen Teil der iberischen Halbinsel in ihre wirtschaftlichen und politischen Pläne einzubeziehen.

Da Portugal in jedem kommenden Konflikt, seiner geographischen Lage wegen von Be­deutung sein wird, haben es die demokrati­schen Westmächte vermieden, Portugal in ih­rer antitotälitären Kampagne anzugreifen. Salazar, derProfessor des Schweigens, im April 60 Jahre alt, ist seiner Sache sicher. Der Erfolg gab ihm bisher recht.

Und die Präsidentenwahlen am Sonntag? In jedem Falle ohne Bedeutung.

J. P. Sartre:Die schmutzigen Hände

Erstaufführung an den Stuttgarter Staatstheatern

Der französische Philosoph, Romancier und Slückeschreiber J. P. Sartre hat in allem, was er bis jetzt literarisch kundtat, seiner Ueber- zeugung Ausdruck gegeben, daß die Welt, und das ist unsere moderne Kulturwelt, aus den Fu­gen geht, daß die Menschen nichts sind als hilf­lose Flüchtlinge vor einer unergründlichen Da­seinsangst, daß, wo immer sich Situationen ein­stellen, der Mensch mit dem Ausbruch in die Freiheit anwortet. Sartre stellt keine Sinnfragen mehr, ihm ist das konkreteste und das idealste, das alltäglichste und das prinzipienfesteste Tun der Menschen ein und dasselbe, ein Aktivieren .der Freiheit, die vielleicht ein kantischer Idea­list, die willkürliche, die blinde, die leere Frei­heit genannt hätte. Es ist die Freiheit des NietzeschenWovon, dem allesWozu frag­würdig geworden ist. In SartresFliegen hat der Held sich von dem ganzen Götterschwindel befreit und sich zu seinem Verbrechen als der große Reuelose bekannt. Im ersten Band des Sartreschen BekenntnisromanesLes chemins de la libertö scheitert Matthieu Delarue an dem Versuch, die Ehe mit seiner Geliebten ein­zugehen und der Konvention ein Opfer zu brin­gen, er wählt die Leere, die Einsamkeit des Menschen ohne Bindung.

In dem StückDie schmutzigen Hände end­lich entscheidet sich der blutjunge intellektuelle Parteigenosse Hugo für die Reinheit der Idee, freilich nur darum, weil ihn sein überlegener Gegenspieler, der realistische Parteiführer Hoe- derer, im Innersten von der Richtigkeit einer Kompromißpolitik überzeugt hatte. Seine Ent­scheidung zeigt gleichsam den Bankrott seines Lebens an, sie geschieht aus Verzweiflung und Angst. Hugo Ist kein Marquis Posa, der an die Unbedingheit des Ideals glaubt und kein Ras- kolnikow, den der Gedanke an die von Gott ge­forderte Sühne letztlich zum Verbrecher macht. Sartres Hugo ist der moderne Haltlose, der nur das Ist, was die Sitiuation ergibt und was die Men­schen, die etwas von ihm erwarten, von ihm denken. Die Partei erwartet, daß er denSozial­verräter Hoederer niederknallt, aber so sagt Ihm Hoederer, der um die Not seines Sekretärs weiß,ein guter Journalist ist ein schlechter Killer. Zwischen dem Vorsatz ued der Tat

steht hemmend die Angst, nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst, die Idee zu be­schmutzen, die undurchführbar und darum falsch ist. Hugo sieht ein, daß Hoederer recht hat, man muß im Schmutz waten, die Menschen belügen, um die Idee zu retten und damit auch die Men­schen.Reinheit ist eine Idee für Fakire und für Mönche. Für den Handelnden ist sie nur Mittel zum Zweck und der Intellektuelle vom Schlag Hugo vergißt über ihr das Tun, auf das es allein ankommt.Was ist schon ein Mord ein Abstraktum? Hoederer gibt Hugo die Ge­legenheit zum Töten. Es geschieht nichts. Der andere siegt als besserer Marxist, er zieht das Hugo vernichtende Fazit:Du willst die Welt nicht ändern, sondern sie vernichten.

Noch eines will Sartre sagen: Bürgersöhnchen taugen nicht zu Revolutionären, die Klasse der Arbeiter und Bauern bedarf ihres noch so gut gemeinten Fanatismus nicht, sie hungern um ihre Ideale, wo die, für die sie hungern, nur satt werden wollen. Hugos Aufbruch in die Frei­heit endet also mit einer Fahrt ins Leere, in das große Nichts das ist das Ergebnis der Sartreschen Fabel:Unverwendbar.

In sieben Bildern rollt, das Schauspiel ab, das fünfte Bild allein enthält die große Diskussion und die dialogische Entscheidung. Mit so guten Gründen Sartre in der Theorie das bewährte klassische Szenarium, die Charakterpsycho­logie und den tragischen Schicksalsbegriff be­kämpft, wenn er praktisch aber an den Bau von Szenen geht, scheint er seine Theorie weithin zu vergessen, denn seineschmutzigen Hände" sind zur Freude des Hörers in großen Partien ein deftiger Kriminalreißer, dessen sich auch ein Alexander Dumas nicht hätte zu schämen brauchen. Die Spannung läßt bis "zum Schluß nicht- nach: Wird Hugo nun knallen oder wird es seine junge Frau für ihn tun? Oder ist am Ende die Partei, vertreten durch einige finstere Praktiker, mit ihrem Sendling unzufrieden und legt den Säumigen vorher um? Im vierten Bild fällt sogar die kaum erwartete anarchisti­sche Bombe in das Zimmer Hoederers, die das Weibchen Olga, die straff gescheitelte Genossin geworfen hat, dio Verkünderin der Parteidiszi- plin aus Mangel an menschlicher Phantasie. Und da ist noch die hübsche Jessica, Hugos junge Frau, das Luxusweibchen, mit den ach so natür­lichen Flirt- und erotischen Bedürfnissen.

Auch sie wird von der Situation zu ihrer Frei­heit geführt wie nett bittet sie den reifen, einsamen Hoederer um Liebe, und im Augen­blick der Gewährung erscheint Hugo, der Mord findet nun doch statt, die Schüsse der unbe­herrschten Eifersucht strecken den einzigen Mann, der weiß, was er will, mitleidlos nieder. Die Freiheit hat auch die Illusion einer Ehe ge­tötet. Glänzend hat Sartre solche Szenen gebaut.

Am Stuttgarter Kammertheater wurde unter Helmut Henrichs Spielleitung Sartres Schauspiel ein klarer Erfolg. Ausgezeichnet, die Dialoge auf die äußere Spannung hin abzutöten, das Abrupte und Krasse als Moment der Behebung scharf zu akzentuieren. Fritz Brand als Hoe­derer, unhöflich allem nichtsnutzigen Weiblichen gegenüber und doch von menschlich tiefer Leiden­schaft für Sache und Person ergriffen, war die beste, die tragende Figur. Hans Caninen- b e r g s Hugo zeichnete mehr das Bild einas Nervöslings, als das eines bourgeoisen Intellek­tuellen, dagegen traf Ortrud B e c h 1 e r in ih­rer noch unreifen Jugendlichkeit vielleicht am genauesten den Sartreschen Realismus.

Wo sind die deutschen Stückeschreiber, die brennende zeitgenössische Probleme mit so viel Mut und philosophischer Leidenschaft wie Sar­tre in blutvolle Figuren unwandeln? Existen­tialismus hin oder her: Sartre ist ein europäi­sches Bühnenereignis. Dr. Ernst Müller

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Im Rowohlt - Verlag sind soeben Sartres Dramen in deutscher Uebersetzung erschie­nen. Der Band enthältDie Fliegen,Bei ge­schlossenen Türen,Tote ohne Begräbnis",Die ehrbare Dirne,Die schmutzigen Hände".

Schongauers Fresken in Breisach gefährdet

Im hochragenden Münster der Stadt Breisach ist zurzeit eine Kunstkommission tätig, um die Rettung eines der wertvollsten Freskobilder des Mittelalters anzubahnen. An der inneren West­wand hat Martin Schongauer ein Bild des Jüng­sten Gerichtes mit lebensgroßen Figuren auf den frischen Putz gemalt, das zu den besten Werken aus dieser Zeit gehört. Abgesehen von einigen Einbußen, die durch spätere bauliche Verände­rungen entstanden sind, ist. dieses Gemälde in ursprünglicher Frische erhalten geblieben, weil es für etwa zweihundert Jahre unter einer Tünche verborgen war. Erst Im Jahre 1920 ist das

Werk Martin Schongauers, der von 1488 bis 1491, bis zu seinem Tode, in Breisach weilte, wieder­entdeckt worden, nachdem es für lange Zeit ver­schollen galt.

Das Breisacher Münster hat durch Kriegsein­wirkungen gelitten. Im Zusammenhangs damit lösten sich Teile des Wandputzes und fielen he -ab. Bisher ist es nicht gelungen, diesen Schaden zu beheben. Durch herabrieselnde Mörtelteile schrei­tet das Unheil weiter fort. Der Putz bildet Bla­sen, dann lösen sich ganze Partien ab und fallen herunter. Weil es sich aber um ein Fresko han­delt, die Farben also auf den damals frischen Putz gemalt wurden, gehen mit der herabbrök- kelnden Putzteilen auch die Bilder verloren. Bis­her hat man, obgleich erstrangige Fachleute am Werke sind, den Schaden noch nicht beheben kön­nen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Kunst­werkes wäre es zu wünschen, daß bald ein Weg zur Rettung gefunden würde. Wienn

Kulturelle Nachrichten

Der Schwenninger Oberbürgermeister, Prof. Dr. Gönnewein, hat sieh-nun doch zur U e ber­nahme eines Lehrstuhls als ordentlicher Professor an der Juristischen Fakultät der Uni­versität Heidelberg entschlossen.

In einer Sitzung des Koblenzer Stad'rates ist geg-.. i die Stimmen der CDU und der KPD die Schließung des Koblenzer Stadt­theaters für den 31. März beschlossen worden.

Der Verlag des Börsenblat*es für den deut­schen Buchhandel in Leipzig gibt ein A d r e ß - b u c h der wissenschaftlichen Bi­bliotheken Deutschlands heraus.

Der Schriftsteller und Arzt Dr. Axei Munlhe ist am Freitag im Alter von 91 Jahren im kö­niglichen Palais in Stockholm gestorben. Dr. Munthe war der letzte Leibarzt der Königin Viktoria. Später lebte er lange Zoff auf Capri, bis er schließlich als Gast König Gustafs V., mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, in den königlichen Palast nach Stockholm über­siedelte. Das bekannteste Werk des Verstorbe­nen. dasBuch von San Michele ist in zahl­reiche Sprachen übersetzt worden.

Wie eine Basler Zeitung meldet, hat Knut Hamsun, der im August seinen 90. Geburtstag feiert, wieder ein Buch fertiggestellt, in dem er seine Erlebnisse in den Kriegs- und Nachkriegs­jahren schildert.

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