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Nr. 225 Gegründet 1826 Montag, den 27. September 1926 Fernsprecher Nr 29 106. Jahrgang
Tagesspiegel
Reichskanzler Dr. Marx hat einen lütägigen Urlaub angetreten.
Die Reichsminister Stresemann. Külz und Reinhold wurden vom Reichskabinekt beauftragt, die Vorfragen für die weiteren deutsch-französischen Verhandlungen zu beraten.
In der Völkerbundsversammlung erklärte der deutsche Vertreter Dr. Schubert. Deutschland halte die Abrüstung für eine der größten Ausgaben des Völkerbunds und der Menschheit. Zn dem gegenwärtigen Zustand könne man keinen Fortschritt sehen. Die zu großen Unterschiede in den Rüstungen der verschiedenen Völkerbundsmitglieder müssen beseitigt werden.
Auch Belgien wünscht besondere Verhandlungen mit Deutschland.
Der preußische Staat hat im Jahr 1826 bis seht für produktive Lrwerbslosenfürsorge. ohne die eigentliche Erwerbs- losenunterstützung. 81 Millionen Mark aufgewendet. Vom Landtag werden demnächst weitere Mittel für produktive Fürsorge angesordert werden.
Die Reichsbahuverwalkung hat einen weiteren Betrag von 5 Millionen Mark für Sicherungsmahnahmen auf den Bahnstrecken bereitgestellt.
Der Sejm (polnischer Reichstag) hat auf Antrag der Christlich-Rationalen den Ministern des Innern und des Unterrichts mit starker Mehrheit das Mißtrauen ausgesprochen. Das Kabinett Bartels ist infolgedessen zurückgetreten. Man glaubt, daß Pilsudski seinen Anhänger Bartels abermals mit der Kabinettsbildung beauftragen werde.
In Persien wurde das Standrecht verhängt. Zahlreiche Polizeioffiziere und Zivilpersonen sollen wegen eines Anschlags gegen den Schah verhaftet worden sein.
Die mexikanische Abgeordnetenkammer hat das Ersuchen der Bischöfe um Abänderung oder Aufhebung gewisser Verfassungsartikel über die Kirche erneut mit großer Mehrheit abgelebnt.
Die Verwelschung Südtirols .
Eine der für uns Deutsche schmerzlichsten Folgen des verlorenen Kriegs ist die Einverleibung der kerndeutschen Teile Südtirols in Italien. Sie bedeutet eine der gröbsten Verletzungen der von Wilson in seinen 14 Punkten gegebenen Versprechungen. In dem Geheimvertrag oder Verrat, den Italien, als es formell noch dem Dreibund angehörte, einige Zeit nach dem Kriegsbeginn mit England und Frankreich abschloß, hat es sich aus militärischen Gründen die Brennsr- grenze versprechen lassen. Selbst damals hat niemend den urdeutschen Charakter des Landes zwischen den Mittelalpen und den Alpenketten, die sich vom Stilfser Joch bis zum Misurinasee hinziehen, in Abrede zu stellen gewagt. Als dann entgegen dem uns von Wilson in seinen 14 Punkten gegebenen Versprechen bei den Pariser Verhandlungen nicht nur der italienische Teil von Südtirol, sondern auch das obere Eisack und der Vintschgau mit ihren Nebentälern zu Italien geschlagen wurden und dadurch nahezu 300000 kerndeutsche Tiroler unter die welsche Fremdherrschaft kamen, da versprachen die italienische Regierung und ihre nach Südtirol gesandten Bevollmächtigten, Militärs und Zivilbeamte, hoch und heilig, das Volkstum nicht antasten zu wollen.
Es ist richtig, daß in dem Oesterreich aufgezwungenen Friedensvertrag Italien keine besondere Verpflichtung bezüglich des Schutzes der völkischen Minderheit übernommen hat. Aber was will das gegenüber den angeführten geschichtlichen Tatsachen und gegenüber den gegebenen Versprechungen bedeuten?
Für ihre seit etwa zwei Jahren betriebene Verwel- schungspolitik führen die Italiener zwei Gründe an. Einmal berufen sie sich darauf, daß die deutsche Bevölkerung die in den ersten Jahren nach dem Krieg ihr gegenüber bewiesene Duldsamkeit mißbraucht und sich nicht innerlich als ein Teil des großen italienischen Volks eingefügt habe. Aber irgendwelche wirklich greifbare Tatsachen, durch die die deutsche Bevölkerung sich gegen ihre Einverleibung in den italienischen Staat aufgelehnt hätte, haben sie nicht vorzubringen vermocht. Im Herzen sind die Südtiroler Deutsche geblieben, das wird kein Kenner von Land und Leuten leugnen, und begeisterte Anhänger Italiens sind sie natürlich nicht geworden; aber sie fügen sich in ihr Schicksal ge- ouldig — ja mit einer Geduld, die manchen Besucher des Landes mit Erstaunen erfüllt, die aber doch durch di« ganze Lage geboten ist. Auch die Italiener sollten für diese schweig- 'EE Einordnung in die neuen Verhältnisse Verständnis §"bem Gerade sie haben doch am wenigsten Anlaß, sich über oas Festhalten am angestammten Volkstum und über ein treues Gedenken an alte staatliche Zusammengehörigkeit auf- zuregen. Wie können gerade sie ein sofortiges inneres Gemeinschaftsgefühl mit dem wesens- und artfremden neuen Herrscheroolk verlangen, die selbst ihre eigenen Volksgenossen immer und immer wieder gegen die österreichische Herrschaft aufgehetzt und zu schweren hochverräterischen Ver- brechen veranlaßt haben. Die Irredenta-Bewegung richtete Nch nicht nur gegen den österreichischen Staat, sie richtete ncb auch gegen die deutsche Mitbevölkerung Tirols, der sie
mit §)aß begegnete. Und nun verlangen rueieiven Leute, die diesen Haß gesät haben, sofort Liebe und Anhänglichkeit!
Nun bringen die Italiener aber einen zweiten Grund. Sie sagen, es ist ja alles italienisches Land, das wieder zu Italien gekommen ist, es ist altitalienische Pevölkerung, die nur später oberbflächlich germanisiert worden ist. Sie berufen sich dabei auf die Namen vieler Ortschaften, sie berufen sich auf viele Familiennamen, bei denen noch ein romanischer Stamm erkennbar ist, der nur durch Ende oder andere kleinere Abänderungen einen deutschen Anklang erhalten hat.
Nichts ist geschichtlich irriger als das. Die Bevölkerung war teils rätoromanisch, teils keltisch. Aber die Rätoromanen waren keine Lateiner, sie unterschieden sich von den Bewohnern der italienischen Halbinsel sehr wesentlich. Durch die römische Eroberung ist der Charakter der Bevölkerung nicht beeinflußt, es sind nur wenige Römer in diesem Land seßhaft geworden und geblieben. Aber der Grund der Eroberung des Landes durch die Römer war doch gerade der, daß schon lange vor Beginn unseres Zeitalters die germanischen Volksstämme in die Alpenlande vorgedrungen waren und von da aus den römischen Staat bedrohten. Als die Römer hier ihre Herrschaft aufrichteten, fanden sie eine gemischte, aber schon sehr stark germanisch durchsetzte Bevölkerung vor, die rätoromanische und keltische Urbevölkerung war sehr, und namentlich auch wirtschaftlich, zurückgedrängt. In den ersten Jahrhunderten hat sich dann eine völlige Germanisierung vollzogen, die auch von Len Römern nicht hat gehindert werden können. Nur auf einem Gebiet (in den Dolomiten) hat sich ein Teil der Urbevölkerung erhalten, der es aber auch ablehnt, sich zu den Italienern zu rechnen. Seit der Völkerwanderung hat sich die Sprachgrenze zwischen Italienern und Deutschen nur ganz unwesentlich verschoben. Die Behauptung, daß altitalienisches Land zu seinem Stammland zurückgekehrt ist, ist somit mit der Geschichte nicht vereinbar.
Die neuerdings mit immer größerer Wucht einsetzenden Verwelschungsversuche, namentlich auch die auf Italienisie- rung der deutschen Namen gerichteten Bestrebungen sind deshalb unberechtigt, sie stellen Willkürakte gegen eine friedliche und fleißige Bevölkerung dar, die einer wirklich großen Nation unwürdig sind.
Uns Deutsche müssen diese Willkürakte mit großer Betrübnis erfüllen. Unsere Gefühle sind ungeteilt und ungeschmälert auf seiten der leidenden Bevölkerung. Aber wir sollten meinen, daß sie auch vom rein italienischen Standpunkte aus ein Fehler sind. Glaubt die italienische Regierung wirklich, eine Verwelschung durchführen, glaubt sie, durch solche Maßregeln Liebe und Anhänglichkeit gewinnen zu können? Und dann: Ist nicht bei der geaenwärtigen Lage Italiens ein freundschaftliches Verhältnis^ zu den Deutschen von allergrößtem Wert? Nicht nur wirtschaftlich, auch politisch ist die Pflege guter Beziehungen eine Lebensfrage für beide Völker.
Neuestes vom Tage
Regierungsenveiterung in Preußen?
Berlin, 26. Sept. Die Deutsche Volkspartei in Preußen, die bisher im preußischen Landtag in der Opposition war, wünscht sich an der Regierung zu beteiligen und ist in diesem Sinn an die Zentrumsfraktion herangetreten. Zwischen Ver. tretern beider Parteien findet am Montag eine Vorbesprechung statt, von deren Ergebnis es abhängt, inwieweit auch die Demokraten und Sozialdemokraten sich an etwaigen weiteren Verhandlungen beteiligen.
Chinesische Beschwerden gegen England im Völkerbund
Genf, 26. Sept. In der gestrigen Völkerbundsversammlung führte der Vertreter Chinas Klage gegen England, durch dessen Rücksichtslosigkeiten der Frieden im fernen Osten gefährdet werde. Er führte u. a. an, durch übermäßig schnelles Fahren auf dem Tangtsefluß seien durch englische Handelsschiffe öfters chinesische Schiffe überrannt und versenkt worden, die Bemannungen seien zum Teil ertrunken. Solche englische Schiffe haben von den chinesischen Behörden zurückbehalten werden müssen; dem englischen Konsul in Tschungking ist von chinesischer Seite Meldung gemacht worden. Am 5. September habe bei Wandsin ein englisches Kanonenboot auf chinesische Polizei geschossen und gegen 200 Mann getötet. Später haben englische Kreuzer die Stadt schwer beschossen und über 1000 Häuser vernichtet; gegen 1000 Chinesen seien ums Leben gekommen. Die chinesischen Truppen seien genötigt gewesen, das Feuer zu erwidern. Der englische Vertreter Lord Cecil erwiderte, er sei durch die Worte des chinesischen Vertreters aufs höchste überrascht, die Mitteilungen der englischen Regierung lauten ganz anders. Die chinesische Erklärung sei nicht geeignet die zwischen England und China schwebenden Verhandlungen zu fördern.
England und Italien
London. 26. Sept. Der „Daily Telegraph" läßt sich aus Rom berichten, dort empfinde man ein lebhaftes Bedürf- nis für eine Zusammenkunft Mussolinis mit Chamberlain, bzw. für den Abschluß eines Freundschaftsvertrags mitEngland. Durch die Beprechung von Thoiry könnte sich möglicherweise eine Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland anbahnen, und dann würden vielleicht auch die Trabanten Frankreichs. Polen und die Tschechoslowakei.
sich nicht mehr so entschieden dem Anschluß Oesterreichs an Deutschland widersetzen. Italien hätte nicht mehr 7 Millionen Deutsch-Oesterreicher, sondern 72 Millionen Deutsche zu Nachbarn. Dagegen müsse sich Italien durch engeren Zusammenschluß von Italien und England unter gleichzeitiger Regelung der Mittelmeerfrage schützen. — Die Meldung des „Daily Telegraph" macht stark den Eindruck einer bestellten Arbeit.
Die Lage in China
Schanabai. 26. Sevt. Ein Schiff der amerikanischen Erdöl-Gesellschaft, das die Beförderung chinesischer Truppen ablehnte, soll noch englischer Meldung von den Chinesen darauf beschossen worden sein. Auch andere fremde Schiffe seien beschossen xvorden. Kantonesische Soldaten sollen in Juntschau (Provinz Kiangsi) zwei englische Missionarsfrauen mißhandelt und ihre Häuser geplündert baden-
Der Generalrat der englischen Gewerkscbasten bat gegen kriegerische Unternehmungen Englands in China Einspruch erhoben.
Die englische „Strafexpedition" aus dem Jangtse sestgehaiten Der „Daily Expreß" meldet, die britischen Kriegsschiffe, die zur Bestrafung der Chinesen und zur gewaltsamen Ve- freiung der beschlagnahmten englischen Kriegsschiffe (vgl. die Meldung aus Genf) auf dem Jangtse fuhren, seien unerwartet bei Jtschang aufgehalten worden, die die chinesischen Lotsen sich weigern, weiterzufahren. Da der Fluß rasch falle, sei es fraglich, ob die Kriegsschiffe noch durch die Iangtse- Stromschnellen fahren können.
Württemberg
Stuttgart, 26. Sept. Vom Landesgewerbeamt. Vom 1. Oktober 1926 bis 31. März 1927 sind die Besuchsstunden des Landesgewerbemuseums an Wochentagen auf die Zeit von 10—12.30 Uhr vormittags und von 2—4 Uhr nachmittags, an Sonntagen auf die Zeit von 11—1 Uhr festgesetzt. Die Sprechstunde der in der Bibliothek des Landesgewerbeamts untergebrachten Beratungsstelle für gewerblichen Rechtsschutz wird jeden Mittwoch nachmittags von A—5.30 Uhr abgehalten.
Geschäftsjubiläum. Das photographische Atelier von Otto Kienzle in der Breitestraße kann auf ein 60jähriges Bestehen zurückblicken. Gleichzeitig feiert der derzeitige Inhaber das 45jährige Berufsjubiläum.
Kaufmännische und gewerbliche Schulfragen. Der Ausschuß des Württ. Industrie- und Handelstags hat einen von der Handelskammer Stuttgart gestellten Antrag angenommen, daß 1. den Handelskammern das Recht zugestanden werde, unmittelbar von sich aus einen Vertreter in die Ortsschulräte zu entsenden, 2. darüber hinaus für die übrigen vom Gemeinderat zu wählenden Vertreter von Industrie und Handel ein Vorschlagsrecht eingeräumt werde, 3. dem Württ. Industrie- und Handelstag für die vier Vertreter von Industrie 'und Handel im Beirat der Ministerialabteilung für die Fachschulenein Vorschlagsrecht zugestanden werde. Die vom württ. Landesverband der Elternräte gewünschte Angliederung eines Aufbauzugs mit kaufmännischen Unterrichtsfächern an den Mittelschulen wurde abgelehnt, da dies zur Verflachung und Zersplitterung der kaufmännischen Ausbildung führe. Vielmehr sollen die vorhandenen Berufsschulen weiter vervollkommnet werden.
Erträgnis des Blumenkorfos. Bei dem vom Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber am letzten Sonntag veranstalteten Blumenkorso wurde eine Besucherzahl von 14 VOlk festgestellt. Der erzielte Ueberschuß von 3400 Mark ist dein Wohlfahrtsamt zur Verfügung für Kriegsblinde und Kriager- Waisen überwiesen worden.
Vom Tage. In einem Haus der unteren Königstrahe hat sich ein 23 Jahre alter Angestellter, der sich einer Unterschlagung schuldig gemacht hatte, erschossen. — Fast zur gleichen Zeit verübte in einem Zause der Rotenbergstrahe in Ostheim ein 49 I. a. Mann durch Einatmen von Gas Selbstmord. Auch in diesem Fall liegt der Grund zur Tat in der Aufdeckung begangener Unehrlichkeiten. — Bei dar Ausführung von Dachdeckerarbeiten ist ein 14 I. a. Lehrling, anscheinend infolge Selbstverschuldens vom Dach «ine» Hauses der Teckstrahe in Osthelm etwa 12 Meter hoch abgestürzt. Mit schweren inneren Verletzungen wurde der junge Mann bewußtlos ins Karl-Olga-Krankenhaus eingeliefert. — Tin 26jähriger oerh. Arbeiter stürzte sich vom L. Stock eines Magazin-Gebäudes in Zuffenhausen in de« Hof. Er war sofort tot.
In Haus Nr. 23 der Neckarstraß« wurde am Samstag früh ein 26jähriges Dienstmädchen im Bett mit zertrümmertem Schädel tot aufgefunden. Alle Behältnisse waren geöffnet und durchwühlt. Es liegt Raubmord vor. Der Dienstherrschaft (Homöopath. Arzt Dr. Stiegel«) wurde» einige Herrenanzüge gestohlen.
Aus dem Lande
Wendlingen OA. Eßlingen, 26. Sept. Unfall. Ernst Aldinger wollte in der Mittagspause mit seinem Kind am dem Fahrrad den Absatz des unteren Neckarstegs überfahren. Die Radaabel brach und Aldinger mußt« mit schweren