Aus Stadt und Land
Calw, den 1. Mai 1930
Mai.
Heute tritt der Monat Mat seine Herrschaft an «nd mit Freude sehen wir den kommenden Tagen entgegen. Hat uns schon der April für seine paar launische», unfreundlichen Tage reichlich durch ein lenzliches Gesicht entschädigt und uns zuguterletzt sommerliche Milbe und strahlende Tage beschert, so wird der Mai, der erklärte Wonnemonat, sicher diesen Frühltngstraum um uns fo'rtsctzcn und vollenden. Das Erwachen der Natur wird er mit Anmut und Milde krönen. So wenigstens glauben wir: immerhin vergessen wir nicht, baß nach alter Bauernregel erst in der Mitte des Mat der Winter vorbei ist, daß auch der Mai oft enttäuscht hat und regnerisch war, außerdem recht kühl zur Zeit der Eismänner Pankratius, Servatius und Bonifazius. Aber wir sind heute, wo die Erde uns ihre Frühlingswonne entgegenlacht, keine Pessimisten.
Mit Ski und Hundeschlitten über die Eisfelder des Nordpols.
Im Georgenäum sprach am letzten Dienstag der als Sportsmann, Alpinist und Polarforscher bekannte Freiburger Arzt Dr. Bernhard Villtnger über seine Fahrten in die Arktis. Das überfüllte Haus folgte mit Spannung den lebensvollen, ungemein fesselnden, durch wundervolle Lichtbilder illustrierten Schilderungen des Vortragenden, die zu hören einen wirklichen Genuß bedeutete. Sie waren der gedrängte Auszug aus der Fülle eines reichen Erlebens in den Regionen des Polareises, umfassender niedergelegt in dem vortrefflichen Buch Dr. Villiugers „Die Arktis ruft". Vor 17 Jahren sah der Forscher die Arktis zum ersten Male, und seither haben ihr« machtvollen Wunder ihn nicht mehr ruhen lassen. Als junger Student nahm er 1018 an der deutschen Expedition zur Rettung von Schröder- Schrantz teil, die von Tromsö aus nach Nordostland vorstteß. Das Expeditionsschiff kämpfte sich durch das Eismeer, bis es glücklich am Ziele, von Packeis umschlossen, seine Fahrt einstellen müßte. Mit Skt und Hundeschlitten unternahmen die Expedttionsteilnehmer nun weite Fahrten in das Innere Nordostlands, wo sie seststellen konnten, daß die Mitglieder der Schrantz-Expebition umgekommen waren,' nur drei Teilnehmer hatten sich retten können. Sehr schwierig und mühevoll gestaltete sich die Rückfahrt der Rettungsexpe- dition. Das Expeditionsschiff war von Eismassen -erpreßt und völlig vernichtet worden, so daß nur übrig blieb, Boote und Proviant auf Hundeschlitten durch die unwegsame Eis- wüste 20 Kilometer wett an das offene Meer zu schaffen, um yon hier aus in abenteuerlicher 100 Kilometer langer Fahrt mit dem Ruderboot festes, rettendes Land zu erreichen. Von den ungeheuren Strapazen einer solchen Expedition gaben zahlreiche Lichtbilder, welche die wildzerklüfteten Etsgebiete Wiedergaben, eine» anschaulichen Eindruck. Mit großer Liebe schilderte dann Dr. Villinger eine Filmexpedition in die Arktis, die 1920 unter seiner Leitung burchgeführt wurde. Prächtige Bilder aus Spitzbergen zeigten die majestätische Schönheit der arktischen Eisgebirge. An riesigen Gletscherabstürzen in der Adventbat ließ sich das Kalben der Gletscher, das Abstößen von Eismassen, die in das offene Meer treiben und die Schiffahrt gefährden, beobachten. Der Vortragende plauderte in humorvoller Weise von ausgedehnten, oft gefahrvollen Fahrten auf Skiern und in Hundeschlitten, von Polarhundon und Eisbären. Wundervolle Naturaufnahmen gaben seinen Worten einen wirkungsvollen Hintergrund. Aber nicht allein Spitzbergen, auch Island und Grönland wurden von dem kleinen Expeditionsschiff angelaufen und aus diesen Ländern wußte Dr. Villinger nicht weniger zu erzählen. Besonders seine Schilderungen und Bilder über Leben, Sitten und Kultur derEslimos fanden großes Interesse. Abschließend berichtete der Forscher, der mit der organisatorischen Vorbereitung der Zeppelinfahrt der Aero-Arktik tm April 1031 betraut ist, über die Ziele der Zeppelin-Arktts-Expebttion. Es handelt sich dabei nicht darum, neue Siedlungsgebiete am Nordpol zu gewinnen — nach den Forschungen Fritjofs Nansens befindet sich im arktischen Eisbecken, einem mit Packeis durchsetzten Meer, kein Festland — sondern wissenschaftliche Probleme zu lösen, deren Klärung sich für die Weltwirtschaft sehr vorteilhaft auswirken kann. So ist u. a. die wissenschaftliche Erforschung der Polgebiete für die Wettervorhersage in der gemäßigten Zone von großer Bedeutung. Landwirtschaft, See- und Luftfahrt zögen hieraus bedeutende Vorteile. Natürlich läßt sich ein solches Problem nicht während einer Luftschiffexpedition ermöglichen, sondern nur in stetiger,
systematischer Ueberwachungsarbeit auf festen Beobachtungsposten in der Arktis. Die von der Zusammenarbeit von 21 Nationen getragenen Bestrebungen der Aero-Arktik bewege» sich in dieser Richtung. — Begeisterter Beifall dankte dem Vortragenden und man schied mit dem Wunsche, ihn nach der Zeppelin-Arktis-Expedition wieder in unserer Stadt sprechen zu hören.
Generalversammlnng -es Darlehcnskassenvereins Gechiugen.
Im Nathaussaal fand am letzten Sonntag die Generalversammlung des Darlehenskassenvereins Gechingen statt. Schultheiß Schmidt als langjähriger Vorstand begrüßte einleitend die Erschienenen, insbesondere Revisor Hild aus Hirsau, und stellte mit Bebauern den schwachen Besuch der Versammlung fest. Rückblickend auf vergangene Geschäftsjahre bezeichnete der Vorstand den Geschäftsbericht 1029 als zufriedenstellend für heutige Verhältnisse, jedoch hätte der Geschäftsgang ein besserer sein dürfen. Was den Warenumsatz im allgemeinen anbetrifft, ist derselbe befriedigend, da der Landwirt trotz der schlechten, oft schier unmögliche» Verhältnisse mehr zur Kunstdüngerbewirtschaftung übergegangcn ist. Nachdem der Vorstand noch der infolge Todes abgegangenen Mitglieder in ehrender Weise gedacht hatte, gab Flaschnermeister W. H ä r t k o r n als Rechner des Vereins die Bilanz in klaren Umrissen bekannt, wofür ihm wie dem Vorstand Dank und Entlastung vom Vorsitzenden des Aufstchts- rates, Kaufmann G. Schwarz, erteilt wurde. Die Bilanz weist einen Gesamtumsatz für 1029 in Höhe von 033 000 Mark aus (Vorjahr 800 000 Mark). Der Gewinn beziffert sich auf 1710 Mark, von dem 797 Mark auf Neservefond geschrieben werden. Eine am 18. November vorgenommene unvermutete Kassenrevision ergab keinerlei Anstände,- auch Kassenrevisor Karl Wagner sprach dem Rechner Anerkennung und Vertrauen aus. lieber die Verteilung des Reingewinns wurde sodann beschlossen, dem Aufwertungsfond 919 Mark zu überweisen und vorerst auf Ausschüttung einer Dividende zu verzichten, da laut Beschluß vom Jahre 1932 an die Aufwertung zu 12 Prozent zu geschehen hat. Nachdem die Tagesordnung soweit erledigt war, erteilt« Vorstand Schultheiß Schmidt Revisor Hild das Wort, welcher nun tn längeren Ausführungen über Aufgabe und Zweck der Darlehcnskasien- vereine sprach und praktische Raschläge erteilte. Insbesondere empfahl er den bargeldlosen Zahlungsverkehr, mahnte zu Sparsamkeit und zur Ablehnung ausländischer Genußmittel und gab beachtliche Winke für den Wechselverkehr. Der lehrreiche Vortrag fand dankbaren Beifall. Der Vorstand dankte dem Referenten herzlichst und schloß dann die Versammlung mit dem Wunsche, der Darlehenskassenverein möge eine fernere gedeihliche Entwickelung nehmen.
Wetter für Freitag und Samstag.
Der nördliche Hochdruck macht sich allmählich mehr geltend. Für Freitag und Samstag ist aber wegen der südöstlichen Depression immer noch zeitweilig bedecktes, wenn auch vorwiegend trockenes Wetter zu erwarten.
Unterjettingen, 80. April. Die von Vezirksfeuerlöschin- spektor Niecker-Herrenberg tn die Wege geleitete Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr wurde von der seitherigen Wehr eingehend beraten und beschlossen. Obwohl anfänglich gegen diese Neuorganisation Bedenke» erhoben wurden, haben von 130 Mann 92 zugestimmt.
Nagold, 30. April. In letzter Woche sind hier mehrmals falsche Zweimarkstücke fcstgestellt worden. Es sind versilberte Münzen mit schlechter Prägung, di« einen dumpfen Klang besitzen und die, wenn man mit ihnen z. B. über eine Marmorplatte fährt, einen dunklen Strich hinterlassen.
SCB. Mühlacker, 30. April. Gestern vormitag ereignete sich am Vau des hiesigen Deutschland-Großsenders ein Unfall. Als die Eisenständer zum Maschinenhaus aufgestellt waren, wurden vier davon infolge ihrer großen Angriffsflächen vom Sturm erfaßt und umgeworfen. Ein auf den Ständern beschäftigter Arbeiter wurde abgeworfen.
wp. Freudeusta-t, 30. April. Vor dem Schöffengericht wurde gegen den 29 Jahre alten Alfons Copier verhandelt, der tn der Nacht vom 11. auf 12. August 1W9 durch ein Fenster in das Kurtheater etngebrochen ist und Geld gestohlen hat. Er ist wegen gleicher Delikte schwer vorbestraft und gehört zu den gewerbsmäßigen Einbrechern. In der Haupt- verhandkung war er in vollem Umfang geständig. Er bat, ihn während seines Aufenthalts im Zuchthaus zu Ludwtgsburg das Schrcinerhandwerk erlernen zu lassen, damit er nach seiner Entlassung zu einer bürgerlichen Existenz zurückkeh- ren könne. Dies wurde ihm zugesagt. Das Gericht erkannte auf eine Zuchthausstrafe von zwei Jahren sieben Monaten.
SCB. Stuttgart, 30. April. Tic öeutsä>e Reichsbahn-Gesellschaft ist ermächtigt worden, für den Umbau des Personenbahnhofs Luüwigsburg, nördlicher Teil, die nach dem genehmigten allgemeinen Plan erforderlichen Grundstücke und Rechte an Grundstücken im Wege der Zwangsenteignung zu erwerben. Nach diesem Plan wird zwischen dem Personenbahnhof Ludwigsburg und der Blockstelle 21 der Strecke Stuttgart-Bretten ein Ueberholungsgleis angelegt. Zu diesem Zweck ist der Bahnkörper um etwa 10 Meter zu verbreitern und ans etwa WO Meter anzuschütten.
SCB. Stuttgart, 30. April. Gestern vormittag erfolgte in der Neckarstraße ein Zusammenstoß zwischen einem Personenkraftwagen und einem Motorrad. Durch den Zusam- menprall geriet das letztere auf den Gehweg, wodurch drei Passanten verletzt wurden. Der 20 Jahre alte Fahrzeug- lenkcr zog sich Verstauchungen und Schürfungen zu.
SCB. Schwaigern, O.-A. Vrackenheim, 30. April. Am Montag bezog der Arbeiter Grimm sein am Vrandplatz vom 18. November 1st28 neu erstelltes Wohnhaus. Damit ist der Wiederaufbau im allgemeinen beendet und sämtliche 22 Familien Haben wieder geordneten Wohnraum bezogen. Dem Gasthaus zum „Ochsen" fehlt nur noch die Scheune mit Nebengebäuden, dann wird die letzte Spur vom Brand verwischt sein.
SCB. Heilbronn, 30. April. Nach der endgültigen Abrechnung des Landesturnsestes betragen die Einnahmen 119110,53 Mark, die Ausgaben 141994,43 Mark, somit das Defizit 22 853,90 Mark, zu dessen Deckung die Stadt den früher bewilligten Garantiefond von 10 000 Mark und weitere Nachlässe an Forderungen mit 400 Mark, der Turnkreis Schwaben mit 3200 Mark und die Garantiezeichner 858,90 Mark beitragen. Das Defizit ist in der Hauptsache entstanden durch Mindereinnahmen an Wohnungsgeldern und Eintrittskarte».
wp. Göppingen, 30. April. Der 19 Jahre alte Landwirt Hermann Mühleis, der Sohn des Besitzers deS Mühleisen- Hofes bet Ottenbach, verunglückte gestern nachmittag tödlich. Im Anwesen steht ein 10 Meter tiefer Wasserbrunnen, tn dem tn halber Höhe eine Pumpe angebracht ist. Als der junge Mann gestern Wasser holen wollte, stieg er tn de» Brunnen hinab und wurde dabei von den Grubengasen betäubt, sodaß er kopfüber tn den Brunnen stürzte und ertrank.
Geld-, Volks- und Landwirtschaft
100 holl. Gulden 168,72
100 franz. Franken 16,45
100 schweiz. Franken 81,27
Börsenbericht.
SCB. Stuttgart, 30. April. Die Börse lag schwach bei nachgebenden Kursen.
Ermäßigung -es Berliner PrivatdiSkouts.
An der Berliner Mittwochbörse wurde der Privatdiskontsatz auf Grund -er anhaltenden Geldflüssigkeit und der starken Nachfrage auf 4^ v. H. für beide Sichten ermäßigt. Der bisherige Satz betrug bekanntlich 4'/, v. H.
L. C. Berliner Produktenbörse vom SO. April.
Weizen, märkischer 283—287; Roggen, märkischer 163—106; Gerste 192—203; Hafer, märkischer 163—169; Mais, prompt Berlin 31,25—39,28; Roggenmehl 23,50—26,50; Weizenkleie
9.50— 10,25; Roggenkleie 10—10^0; kleine Speiscerbsen 21 bis 24; Futtererbseu 18—19; Peluschken 17—19; Ackerbohnen
15.50— 17; Wicken 19—22,50; Lupinen, blau« 15—10; dto. gelbe 20—22F0; Serabella, neue 29—31F0; Rapskuchen 13,25 bis 14,60; Leinkuchen 18—18,50; Trockenschnitzel 8,40—8,80; Soya- schrot 14,40-15,40; Kartoffelflocken 15,20—15,70. «llgemciu Tendenz: Unregelmäßig.
Weilderstadter Marktbericht.
Zufuhr 125 Stück Milchschweine. Preis 60—106 Rm. pro Paar. Handel lebhaft, Markt geräumt.
Bie-preise.
Pfullingen: Kühe und Kalbinnen 200—700 Mark, Jungvieh 180—450 Mark. — Wiesenstetg: Kalbeln 610, Jungvieh 221—265, Rinder 280-460 Mark.
Fruchtpresse.
Giengen a. Br.: Kernen 14L0; Gerste 9,50; Haber 7,20 di- 7,50; Wetzen 13^0—13,60; Wicken 12F0 — Tübingen:
Weizen 13,50—14^0; Dinkel 9—11; Gerste 10—11; Haber 8,20-9
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