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Nr. 24

Segrüncket 1828

Samstag den 3V. Januar 1926

Fernsprecher Nr. 29

100. Jahrgang

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TageSfPiegel

Der frühere österreichische Bundeskanzler Dr. Seipel wird zu einer Besprechung mik der Zenkrumspartei und mit den amtlichen Stellen Anfang Januar nach Berlin kommen.

Frankreich wünscht eine Verschiebung der Abrüstungs­konferenz bis Mtte April glatt 15. Februar).

Die australische Regierung beabsichtigt, dem Parlament eia Ausnahmegesetz zur Bekämpfung des Kommunismus vorzutegen.

Politische Wochenschau.

Das neue Kabinett, das zweite Dr. Luthers und idas dreizehnte seit der Revolution, hat sich am 26. Januar idem Reichstag vorgestellt. Es ist Herkommen, daß der «eue Reichskanzler vor dem Reichstag die Grundsätze und Richtlinien darlegt, nach denen das von ihm gebildete Kabi­nett seine Innen- und Außenpolitik zu führen gedenkt. Gleich­seitig verpflichtet ihn das parlamentarische Gesetz, für diese Richtlinien eine Mehrheit ,zu werben. Dasneutrale Kabi­nett der Mitte", das trotz seiner Minderheit nach dem Aus­scheiden der Deutschnationalen und dem Scheitern der Großen Koalition immer noch als die verhältnismäßig einfachste Lösung der verworrenen Krise von allen Parteien anerkannt wird, ist auf die Unterstützung von rechts und links an­gewiesen, was ihm naturgemäß eine gewisse Unsicherheit gibt. Und dieses Gefühl der Unsicherheit mußte auch auf die Regierungserklärung zurückwirken.

An dem Programm sollen alle vier Regierungsparteien «ütgewirkt haben. Aber viele Köche verderben den Brei. Es ist nicht immer so, - wer vieles bringt, auch allen etwas bringt. Die Regierungserklärung, so kurz sie ist, ent­hält «ine Fülle wichtiger Fragen, aber ohne sich im ein­zelnen aus eine bestimmte Lösung festzulegen; der Reichs­kanzler beschränkte sich im allgemeinen daraus, Hoffnungen «ttd Erwartungen auszusprechen, die die Reichsregierung Hegt, und im übrigen aus seine Erklärung von 19. Januar 1925 im Reichstag, als er sein erstes Kabinett umstellte, »> verweisen. So kam es, daß das Programm weder aus der Rechten noch auf der Linken Entgegenkommen fand. Der so^aldemokratischeVorwärts" meinte, es enthalte genug, um die Rechte in die Opposition zu treiben, und nicht genug, MN die Sozialdemokratie zu befriedigen.

Der größte Teil der Regierungserklärung war den wirt­schaftlichen Fragen gewidmet, die ja auch im Vorder­grund der Zukunftsarbeit des neuen Kabinetts stehen werden. Mit dem Hinweis auf den Zwang zur Sparsamkeit mit öffentlichen Geldern lehnte Dr. Luther den Ausbau der Er - werbslosenfürsorge um einige Hauptpunkte seiner Darlegungen anzuführen über die Grenze der produktiven Erwerbslosenfürsorge ab. An der gebotenen Sparsamkeit soll auch die Bereitstellung von Krediten für die Wirtschaft ihre Grenzen finden. Dagegen wurde versprochen, daß die wirtschaftshemmenden und preis­verteuernden Steuern herabgesetzt werden sollen. Das Änternehmen der Preissenkung soll mit Nachdruck fortgesetzt werden womit das Vorgehen gegen die Hand­werkerinnungen verbunden ist. Besondere Sorge wird das Kabinett der notleidenden Landwirtschaft zuwenden; Maßnahmen wie der Zwischenkredit der Golddiskontbank «. a. sind in Vorbereitung, vor allem aber soll die Er­zeugungsfähigkeit der Landwirtschaft gehoben werden. Be­sondere Aufmerksamkeit soll auch der industriellen Ausfuhr durch gute Handelsverträge und, wie sich der Kanter geheimnisvoll ausdrückte, aufneuartigemWeg .zuteil werden. Ein Arbeiterschutzgesetz wird in Aus­sicht gestellt, das auch die Arbeitslosigkeit regelt, ebenso wird die Kurzarbeiterfrage als dringend be­handelt werden. Die Regierung ist aber gegen den Volks- entscheid in der Frage der Fürstenabfindung, weil er neue Unruhe ins Volk hineintragen würde.

Auf dem Gebiet der äußeren Politik hat sich der Reichskanzler sehr kurz gefaßt. Aus seinen Worten klang eine gewisse Enttäuschung, daß die Rückwirkungen des Ver­trags von Locarno nicht in dem Maß eingetreten sind, wie man es von der Ehrlichkeit der Vertragsgegner erwartet hatte, daß insbesondere die Frage der Besatzungs­stärke und der Dauer der Besetzung noch schwierige Ver­handlungen erforderlich macht. Darüber, ob ein Nachgeben der Gegenseite Voraussetzung für die Anmeldung Deutsch­lands zum Völkerbund sein solle, äußerte sich Dr. Luther sehr unbestimmt. Er verstimmte die Rechte dadurch, daß er diese außenpolitischen Fragen, sowie die dazu ge­stellten Anfragen aus der Aussprache über die Regierungs­erklärung ausgeschlossen wissen wollte; sie sollten, wie der Reichskanzler verlangte, erst bei der Beratung über den Haushalt des Auswärtigen Amts zur Sprache kommen. Es ist verwunderlich, daß dem sonst so bewährten Taktiker Dr. Luther dieser handgreifliche Fehler unterlaufen konnte. Die Verschiebung wäre nämlich nur angängig gewesen, wenn der Reichskanzler hätte erklären können, daß die Anmeldung zum Völkerbund nicht vor der Aussprache über den Haus­halt des Auswärtigen Amts abgehen werde. Da der Kanzler diese Erklärung aber nicht abgab, wäre es selbstverständ ich gewesen, daß die wichtigste Frage der Außenpolitik zur Aus- wrache gestellt wurde, ehe über die Vertrauensfrage für das Kabinett abgestimmt wurde, da ja sonst der Sinn der Aus­sprache verloren ging. Die Quittung für diesen parlamen- tarilcbcn Fedlarin erntete der Kanzler sofort, als,, die

Rem rHslher WerM Mw DeutsWni»

Räumung Kölns am 31. Januar um Mitternacht

Berlin. 29. Jan. Wie amtlich mitgeteilt wird, wurde einem deutschen Reisenden, dem von der Reichsregierung ein amtliches Schreiben nach Moskau mitgegeben war, auf dem Wege dorthin der Koffer, den er auf der russischen Bahn aufgegeben hatte, abhanden gekommen. Auf seine Beschwerde in Moskau erhielt er den Koffer dort zurück, auch den Umschlag des amtlichen Schreibens, das Schreiben selbst aber war gestohlen und statt seiner Papierstücke in den Umschlag gelegt worden. Die Reichsregiernng hat bei der Sowjetregierung Einspruch erhoben, diese behauptet aber, sie müsse von nichts.

Köln befreik.

Köln. 29. Jan. Nach einer Mitteilung des Pariser Bot­schafterrats wird die Besetzung der Stadt Köln und Um­gebung am 31. Januar um Mitternacht ihr Ende erreichen. In der Stadt wird nachts aus dem Domplatz eine Be­freiungsfeier stattfinden. Mit dem Schlag 12 Uhr beginnt die »Deutsche Glocke am Rbein", die Petrusalocke des Doms.

zu läuten. Sämtliche Glocken der Stadt werden dann el»- stimmen. Vor dem Haupttor des Doms wird Oberbürger­meister Dr. Adenauer eine Ansprache halten, die durch Rundfunk verbreitet wird. Der 1. Februar ist schulfrei.

Empfänge beim Reichspräsidenten.

Berk«. 29. Jan. Der Herr Reichspräsident empstn» gestern eine Abordnung der Stadt Marienburg, de­ren Ehrenbürger er ist. Die Abordnung überreichte eine Einladung zur Teilnahme an der 550-Iahrfeier der Stadt. Ferner empfing der Herr Reichspräsident eine Abordnung des Reichsbunds vaterländischer Arbeiter- und Werkoereine, sowie des Reichsbunds deutscher Angestellten-Berufsoer- bände, die u. a. die Bedenken vortrugen, die in der Werk­gemeinschaftsbewegung gegenüber den zur Beratung ste­henden Gesetzentwürfen zum Reichswirtschaftsrat, zum Arbeitsgericht und zur Arbeitslosenversicherung Vorhand«» sind und Vorschläge zur Frage der Arbeitslosenkrise '»*»»» breiteten.

D''t s chn a t'i o n a l e n forderten, ih-"n bekannten "An­trag mit den Vorbehalten für den Eintritt in den Völkerbund mit der Aussprache über die Regierungserklä­rung zu verbinden. Dies wurde von allen Oppositions­parteien, auch der Sozialdemokratie, gegen die Stimmen der Regierungsparteien mit großer Mehrheit angenommen.

Man hat von einere r st e n N i e d e r l a g e" des Kabi­netts gesprochen oder geschrieben. Das ist aber doch wobl nicht ganz richtig. Es war eine parlamentarische Ungeschick­lichkeit der Regierungsparteien, daß sie nicht auch dan'ir stimmten, wie sie hätten tun müssen. Freilich mochten sie sich durch den nicht gerade klugen Wunsch des Kanzlers gebunden gefühlt haben. Für die Vertrauensabstimmung im Reichstag war aber doch der Vorgang nickst von guter Vor- bedetung. Von den Deutschnotionalen, den Völkischen und den Kommunisten war je ein Mißtrauensantrag eingebracht morden. In letzter Stunde beschloß die sozialdemokratische Fraktion Stimmenthaltung. Die Entscheidung lag nun, da die vier Regierungsparteien nur über 171 Stimmen ver­fügen. denen 170 Stimmen der Deutschnationalen, Völkischen und Kommunisten gegenüberstanden, bei der W i r t s ch a f l - lichenVereinigung (21 Stimmen). Stundenlang ver- bandelte der Reichskanzler und einige Minister mit deren Vertretern, um sie zu besänftigen und für den Vertrauens­antrag zu gewinnen. Die Wirtsch. Vereinigung war aber durch den erneut kundgegebenen Entschluß der Reichs­regierung, gegen die Handwerkerinnungen vorzugehen, tief verstimmt, und alles, was der Reichskanzler erreichte, war, daß die Vereinigung nicht gegen die Regierung oder für die Mißtrauensanträge stimmte, sondern sich -er Stimme ent­hielt. Die Entscheidung war nun auf einen völlig unberechen­baren Zufall gestellt, und es kam darauf an, welche Seit« ihre Mitglieder am vollzähligsten zusammenbringe. Das ist in einer außerordentlich erregten Sitzung am Montag schließ­lich den Regierungsparteien gelungen: ihrVertrauens- antrag wurde mit 160 gegen 1A) Stimmen bei 130 Enthaltungen angenommen.

Das Kabinett Luther ist damit fürs ersk gerettet, aber es wird dauernd von allen möglichen parlamentarischen Gefahren bedroht sein. Nur wenn es, wie wir wiederholen möchten, zu einer PolitikdesgesundenMenschen- verstands entschlossen ist und seiner Politik ein« etwas kräftigere Farbe gibt, als die Regierungserklärung zeigte, wird es Aussicht haben, sich durchzusetzen: denn am Ende wird man die neue Regierung nicht nach ihren Worten, sondern nach ihren Taten beurteilen.

Dies gilt namentlich auch für die A e n p o l i t i k. Die Richtlinien dafür sind durch den Vertrag von Locarno ge­geben, ja, aber damit ist nicht gesagt, daß Deutschland sich jede willkürliche Auslegung und die Nichtachtung des Ver­trags oder der gegebenen Versprechungen von der Gegenseite gefallen lassen muß. Und ein offensichtlicher Vertrauens­bruch liegt vor, wenn Frankreich versucht, unter dem Vor­wand, die Entwaffnungsvorschriften, die die Reichsregierung, um Köln W befreien, im Herbst v. I. freiwillig gab, seien nicht vollständig durchgeführt worden denn nach dem Ver­sailler Vertrag und feierlichen Versprechungen hätte Köln schon längst geräumt sein müssen, die militärischen Ueberwachungskom Missionen nocb weiter in Deutschland zu unterhalten und ihre Spionage ausüben zu lassen: ein Vertrauensbruch ist es, wenn die Besatzung im zweiten und dritten Bcsetzungsgebiet noch stark vermehrt, statt vermindert wird, und die deutsche Forderung der Abkürzung der Besetzungsdauer alsAnmaßung" abgekanzelt wird. Es fällt Briand gar nicht ein, sich an die Abmachungen und Versprechungen von Locarno zu halten, es würde ihm ja auch sofort das Aemtlein kosten. Und wenn Chamberlain je so etwas wie eine moralische Anwanlstung hoben sollte aus Furcht, die deutsche Reichsregierung könnte sich nun auch nicht mehr für ihr Versprechen des Eintritts in den Völker­bund verpflichtet fühlen nun, Chamberlain war ja nun in Paris, und da wird ihm Briand schon begreiflich gemacht haben, daß die Freundschaft Frankreichs für Eng­land wertvoller sei als die Deutschlands. Von englischer Seite eine nennenswerte Unterstützung der selbstverständlichen und berechtigten deutschen Forderungen zu erbosten, würde

wohl nur zu weiteren Enttäuschungen führen. Ebenso müssig wäre es, an die Vorkonferenz des Völkerbunds zur Vor­bereitung einer allgemeinen Abrüstung irgendwelche Erwartungen zu knüpfen. Der französische Kriegsminister P a i n l e v e brüstete sich wohl damit, was Frankreich sch«» allesabgerüstet" habe und mit der neuen Heeresoorlage noch «brüsten werde, daß aber diese Abrüstung durch andere Neueinrichtungen im Heer mehr als ausgewogen wird^ das verschweigt er weislich. M u s s o l i n i hält sich schon gar nicht an die Abüstung. die ihm, nicht ganz mit Unrecht» ein verächtlicher, weil unwahrhaftiger Rummel ist. Es ist doch auch klar, daß die andern Mächte auf das Narrenglück, Deutsckfland so gründlich uniergekrtegt zu hoben, freiwillig nicht mehr verzichten werden, und diese Zufallslage glaube» sie nur mit sehr großer militärischer Ueberlegenheit auch rür die Zukunft durchhalten zu können. Die Reichsregierung Einladung zu den am 13. Februar beginnende» Abrustungsbesprecb'lngen in Genf angenommen: es ist nur zu befürchten, daß der deutsche Vertreter und seine beide» sachverständigen, ein juristischer und ein militärischer, keine beneidenswerte Rolle dort zu spielen haben werden.

Bezeichnend für die Einschätzung derartiger allgemeinen Vereinbarungen ist die Stellungnahme des amerikanische» Senats zmn Weltschiedsgerichtshof im Haag. Ma» E den Vereinigten Staaten keine Ruhe gelassen, bis st« sich endlich bereit erklärten, im Bund der Neunundvierzigste Zu sein. Der Senat in Washington hat den Beitritt ober von Vorbehalten abhängig gemacht, die ein offener Hohn auf die Weltgerichishos G. m. b. H. sind. Durch den Beitritt wollen die Vereinigten Staaten auch von ferne nicht in irgendwelche Berührung mit dem Völkerbund kommen. Sie verlangen für sich alle Rechte, lehnen aber alle h Achten und Verpflichtungen ab in Fragen, die Amerikk angehen. , d nicht zum geringsten die Kostenbeiträge zu ?Ex,)^densaUs st'r kostspieligen Weltgerichtshof bestimmen Sie Amerikaner nach eigenem Ermessen: niemand soll ihnen eine Umlage usw. oorrechnen. Wenn die anderen 48 Mit­glieder der Weltgerichtshofgescllfchast sich dieseVorbehalte" gefallen lassen, dann kann es dem Gerichtshof an der nötigen Weltachtung nicht mehr fehlen.

England ist in seiner Einkreisung der Türkei wieder um einen Schritt weiter gekommen. Die Kriegs- schulden'verhandlun gen der Italiener' in London haben mit einem für Italien außerordentlich gün­stigen Ergebnis geendet. Die ganze Schuld von netto 570 Millionen Pfund Sterling früher wurde eine weit höhere Summe genannt, es scheint also insgeheim auch ein Nachlaß derSubstanz" bewilligt worden zu sein soll in verhält­nismäßig kleinen Jahresbcträgen in 62 Jahren getilgt werden; Italien mußte nur versprechen, die Politik En^ lands gegen die Türkei zu unterstützen, was Mussolini umso bereitwilliger tun kann, als er hofft, ovn Kleinasien eine» Happen für seine Neurömer ab,zubekommen. England, Frank, reich, Italien, Griechenland und dieMandate" in Vorder­asten dieser neue Bund vonAlliierten und Assoziierten" wird gegen die kleine Türkei doch hoffentlich ausreichen. Vorerst fallen einmal wieder die Kurden zu einem Auf- stand gegen die Türkei aufgereizt worden sein.

In China ist die Lage noch so, daß niemand weißß werden soll. Der Streit zwischen Tschangtsolin und den Russen scheint zwar vorerst beigelegt zu sein, die Rei- bungen bleiben aber bestehen. Wo der schlaue General Fen, sich gegenwärtig aufhält und was er im Schilde führt, unbekannt. Dazu kommt, daß noch dem unerwarteten T^ des japanischen Erstministers Kato und den Rücktritt seine» Kabinett ein Anhaltspunkt fehlt, welche Äellung da» neue» noch nicht gebildete Kabinett zur chinesischen Frage ein- nechnen wird. Es gibt in dieser Hinsicht zwei Richtungen die eine, die Kalo vertrat, befolgt die Politik des Abwartens, die andere ist für ein entschiedenes Auftreten m C hina und gegen den russischen Bolschewismus. Je mül> dem das neue Kabinett der einen oder andern Richtung entnommen wird, wird es wenigstens das Tempo der Ent­wicklung der Dinge in China wesentlich beeinflussen können