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Nr. 75
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Zernsprecher Nr. S
verantwort!. Lchriftleitung: Zriedrich Han» Scheele Druck und Verlag der A. Oelschldger'schen Buchdruckerei
rvt 0 n l a g. den Z1. März 1930
Jahrgang 102
Die neue Reichsregierung ernannt
Das Kabinett Brüning
TN. Berlin, S1. März. Amtlich wir- mitgcteilt: Der Reichspräsident hat de« Neichstagsa-gcor-ueten Tr. Brüning zum Reichskanzler ernannt. Auf Borschlag des Reichskanzlers hat -er Reichspräsident Len Ncichsminister Generalleutnant a. D. Tr. h. c. Grüner als Reichswehr- minister, de» Ncichsminister Tr. Curtins als NcichS- mtntster -es Auswärtigen, den Neichsntinisier Tr. Schätze! als Ne-chspostminister und den Ncichsmunster Pros. Dr. Moldenhaucr als Ncichsminister der Finanzen bestätigt; ferner hat der Neichsp'äsid.'nt au? Vorschlag des Reichskanzlers den Ne'chsminister Tr. Wirth zum NeichS- minlstcr des Innern, den Ncichsminister Dietrich zum Neichswirtschaftsminister, den Ncichsminister Tr. Stegcr- wald zum Neichsarbeitsminister, den Ncichsminister von Guerard znm Neichsverkehesm'nister, den Ncichsministsr a. D. Dr. Schiele znm ZieichLmir.ister für Ernährung und Landwirtschaft, das Mitglied Rs Nc'chsiags v. Tr. Tr. Vredt znm Ne'chsminister der Justiz und daS Mitglied des Reichstages Trevixanns zum Ncichsminister für bas besetzte Geb'et ernannt.
Zum Stellvertreter des Reichskanzlers gemäß Z 7 der Geschäftsordnung der Neichsrcgierung hat der Reichspräsident an? Vorschlag des Reichskanzlers den NcichSwirtschasts- nvrn'ster Dietrich bestellt.
Morgen Negiernngserklärung im Reichstag.
Wie die Telegraphen-Union ersähet, wird das neue Neichskabinett heute nachmitag um 5 Uhr zu seiner ersten Kabinettssitzung zusammentreten. In der am Dienstag nachmittag um 4 Uhr beginnenden Vollsitzung des Reichstages wird Reichskanzler Brüning die Regierungserklärung abgeben.
Der Kanzler wird in der Regierungserklärung, die am Montag nachmittag in der ersten KabincttSsitznng besprochen wird, neben der Erledigung der dringenden Steuerfragen vor allem die Ost- und Agrarhilse in den Vordergrund rücken. Zwischen Dr. Moldcnhaner und Schiele hat man sich bereits darüber verständigt, daß das Agrarprogramm aus sich selbst heraus, vor allem also durch höhere Zolleinnahmen, finanziert werden soll.
ES ist zunächst nicht beabsichtigt, mit Hilfe des Art. 48 der Ne'chsperfassnng zu regieren, sondern dir Negierung wird wahrscheinlich die Finanzrcsorm wie auch die neuen Agrar-
TU. PariS, 81. März. D«e französische Kammer hat in einer Nachtsitznng, die sich vom Samstag abend bis in die Morgenstunden des Sonntags hinzog, die Haager Abkommen M d den Nonngpla» mit 545 gegen 48 Stimmen angenommen. Ministerpräsident Tard«e« hatte im Zusammenhang m«t der Ratifizierung die Vertrauensfrage gestellt.
In den Schlußverhandlungen nahm Ministerpräsident Tardieu das Wort zu sehr bemerkenswerten Ausführungen. Nachdem er den Werdegang des Neuen Planes skizziert und den Nachdruck auf die Feststellung gelegt hatte, der Neue Plan bringe eine endgültige Neparationslösung, kam Tar- dieu auf die Kommerzialisierung der deutschen Neparations- schuld zu sprechen. Der Neue Plan als solcher biete keine Garantie für die Kommerzialisierung, doch sei cS der französischen Delegation tm Haag gelungen, eine glückliche Lösung zu erreichen, deren Vorteile darin liegen, baß die vom Reich geschuldeten Rückstände niemals die Jahreszahlungen beeinträchtigen könnten. Starke Beachtung fanden die Auslegungen Tarüieus über die Möglichkeit von Sanktionen. Er unterstrich, baß Frankreich sowie jeder andere Gläubigerstaat freie Hairtz gewinne, wenn der Internationale Gerichtshof eine absichtliche Verletzung der Haager Abmachungen Lurch Deutschland feststelle. Diese Handlungsfreiheit liege in der Möglichkeit, so erläuterte Tardieu, alle Maßnahmen zu ergreifen, die in allen Handbüchern für internationales Recht als Zwangsmittel aufgeführt werde», ausgenommen sei jedoch das Mittel des Krieges.
„Ich selbst habe während der Haager Konferenz z« Dr. Cnrtins gesagt, wir wollen den betreffende» Artikel so fassen, daß sogar die Hypothese eines Krieges ausgeschaltet wird", fügt« Tardien Hinz«. „ES ist mir gelungen, nach achttägigem Kampf den Ausdruck „HandlnngSsreiheit" dnrch eine» Zusatz ,« ergänzen, wonach Dentschland eventuell ,« ergreifende Zwangsmitel als berechtigt anerkennt."
Auf eine Zwischenbemerkung HerriotS, der «in isoliertes Vorgehen Frankreichs skr beunruhigend bezeichnet« und die Ansicht äußerte, es wäre bester, wenn Frankreich sich ver
Maßnahmen zusammen in einem Rahmengesetz dem Reichstag znr schiennigstcn Verabschiedung vorlcge«. Die Notwendigkeit, mit Hilfe LcS Art. 48 die erforderlichen Maßnahmen in Kraft zu setzen, würde sich erst ergeben, wenn die Erledigung der Reform im Reichstag scheitern und dieser dem neuen Kabinett das Mißtrauen aussprcchcn sollte. In diesem Fall würde der Reichstag sofort aufgelöst werden.
Der „Vorwärts" sagt, Re Stellung der sozialdemokratischen Partei zu dieser Negierung sei klar vorgczeich- i:et. Es sei die Stellung der entschiedenen Opposition. Tic Sozialdemokratie werde vom ersten Tage an bestrebt sein, diese Negierung zu beseitigen. Brünt„g werde gezwungen sein, eine Mehrheit nach rechtS hin zu suchen. Mißlinge dieser Versuch, so wüste den verfassungsmäßigen Notwendigkeiten Raum gegeben und eine Lösung der Krise innerhalb des parlamentarischen Systems gesucht werden. Das bedeute, der stärksten Partei des Reichstages den Auftrag zur Regierungsbildung und Neberwiuöung der Krise zu geben.
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Das Programm des neuen Neichsernährnugsministerö.
Zur Ernennung des Lanöbundsührers Schiele zum Neichsernähruiigöministcr schreibt die „Landwirtschaftliche Wochenschau", sie sei zu der Erklärung ermächtigt. Schiele betrachte sich in seiner neuen Eigenschaft als Ernährungs- Minister als der Sachwalter der gesamten deutschen Landwirtschaft, der gegenüber er in der Führung der Grünen Front gemeinsam mit den drei anderen Baucrnsührern die Verpflichtung zur Durchsetzung eines anSreichenben «nd alle Interessen der Landwirtschaft umfassenden Nentabilitätspro- gram-ms übernommen habe, eines Programms, das zugleich das feste Vcrbrancherprogramm darstelle, weil die Wicdcr- ansrichtung der Landwirtschaft auch der ganzen deutschen Volkswirtschaft neuen Auftrieb geben werde. Schiele habe sich erst dann zur Annahme seines neuen Amtes entschlossen, als er alle Bürgschaften gehabt habe, daß seine Bedingungen auch mit aller erdenklichen Beschleunigung erfüllt würden. Soweit die landwirtschaftlichen Frage» im engeren Sinn in Betracht kämen, sei Schickes Programm unverändert daS der Grünen Front. Wenn Schiele in dieser Stunde und in diesem Kabinett das Ernährungsministerium übernommen habe, so bedeute das zugleich, daß der Reichspräsident in seinen Erklärungen bet den landwirtschastlichen Forderungen sich auch selbst die Forderungen der Grünen Front zu eigen gemacht habe.
„Es versteht sich von selbst, daß unsere AktionSfrekheit nur im allgemeinen Nahmen der Völkerbundssatzungcn möglich ist." Diese Acnßernng TarRcnS wurde von der Kammer mit einstimmigem Beifall ausgenommen. Herriot r'ef dem Ministerpräsidenten zn: „Tiefe Erklärung ist autzcr- ordentl'ch bedeutungsvoll. Wir beglückwünschen Sie dazn." Tardieu schloß seine Rede, indem er die Kammer aufforderte, parteipolitische Erwägungen ausznschalten und einstimmig sich für die Ratifizierung *auszusprechcn.
Im weiteren Sitzungsverlauf sah sich Tardieu allerdings veranlaßt, seine Ausführungen zur Sanktionsfrage teilweise znrückznnehmen. Ter Ministerpräsident erklärt«, er warne vor Mißverstürkniffen. Gewiß werde sich Frankreich zunächst a» den Völkerbund wenden, wen« Dentschland seinen Verpflichtungen nicht Nachkomme. Wenn aber die vom Völkerbund verhängte« Maßnahmen u'cht wirksam gcnng seien« so hehalte sich Frankreich noch immer freie Hand vor.
HoffnungsloseLagederSeemächlekonferenz
Das Fünsmächteabkommc» ist tot.
TU. London, 80. März. Am Sonntag fand eine Zusammenkunft zwischen dem Italiener Grandt und Mac - donald in ChequerS statt. Hierbei ist, wie man annimmt, die italienische Abordnung davon unterrichtet worden, daß nur noch geringe Aussicht bestehe, in englisch-französischen politischen Verhandlungen zu einer Einigung zu kommen. Auf französischer Seite wird es als unerläßlich angesehen, daß sich England aus Grund einer gemeinsamen Auslegung des Artikel 16 des VölkerbundSpakteS auch an militärischen und maritimen Sanktionen beteiligt. Von englischer Seite ist dieses Ansinnen endgültig abgelehnt worden. Die Schwierigkeiten sind nunmehr von beiden Seiten alS unüberbrückbar anerkannt worden. Soweit ein Fünfmächteabkommen in Frage kommt- ist die Flottewkonferenz tatsächlich aus dem toten Punkte angelangt.
Tages-Spiezel
Ter Reichspräsident hat Dr. Brüning znm Reichskanzler ernannt und die von Resem vorgcschlagcne» Minister bestätigt. Im neuen Kabinett ist Cnrtins wieder Außenminister, Moldcnhaner behält die Finanzen, Dietrich ist Ncichsur'rtschastsmlnister und zugleich Vizekanzler, und Schiele hat das Ernährungsministerium übernommen.
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Der neue Neichsernährnngsministcr wird die Fordcrirngen der Grünen Front znr Grundlage seiner Politik znr Liu- dernng der Landwirtschaftsnot machen.
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Das Kabinett Brüning wird sich am morgigen DienStag im Reichstag vorstellen. Man rechnet mit einer knappe« Mehrheit für die neue Negierung.
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Die französische Kammer hat den Aoungplan mit 545 gegen 40 Stimmen angenommen. Tardieu machte zuvor sehr bc, dcutsame Ausführungen zur SankttonSsrage.
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Die Lage auf der Londoner Konferenz scheint nnnmchr so hoffnungslos verfahren zu sein, man man einen ergebnislosen Abbruch erwarten mntz.
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Am Sonntag fand in Wie« eine interkonfessionelle Kundgebung gegen Re Religionsvcrfolgnnseu in Sowjetruß- land statt.
Für den Abschluß eines Dreimächteabkommens sind die Aussichten im Augenblick außerordentlich ungünstig. Vvn japanischer Seite wird mit Nachdruck betont, daß weitere Zugeständnisse nicht erwartet werden können, wenn die Amerikaner sich nicht bereit finden, Japan die verlangten Zugeständnisse zu gewähren. Immerhin sind hinsichtlich eines Dreimächteabkommens noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft.
Das unersättliche Frankreich.
Garvin unterzieht im „Observcr" im Nahmen einer ausführlichen Würdigung deS Verlaufs der Flottenkonferenz die Haltung der Franzosen einer vernichtenden Kritik. Deutschland set entwaffnet und die militärische Vorherrschaft Frankreichs errichtet. Großbritannien habe Frankreich die Vorherrschaft in der Luft überlassen, Deutschland habe auf Elsaß-Lothringen verzichtet, Großbritannien habe die Locarnobürgschaften gegeben, aber all das sei Frankreich nicht genug gewesen. Frankreich habe daneben Militärbündnisse »nt Polen und der Kleinen Entente abgeschlossen, die einen Waffenring um Deutschland bildeten. Audi bas genüge den französischen Sichcrhcitsbediirfnissen noch nicht. Großbritannien habe schließlich noch ein für die Franzosen außerordentlich günstiges Schuldenabkommen abgeschlossen, mit dem Ergebnis, daß die Franzosen nun sehr große Mittel für die Durchführung ihrer Rüstungen besäßen. Das Ergebnis der Politik ständiger Zugeständnisse an Frankreich bestehe darin, daß nun die französische Abordnung weitere Bürgschaften im Atlantik und im Mittelmecr verlange. Die britische Antwort auf diese Forderung könne nur in der Feststellung bestehen: Niemals! Großbritannien dürfe keinen Mann und keinen Schilling mehr anfs Spiel setzen. Nach zehnjährigen Erfahrungen sei Großbritannien mit dieser Politik endgültig fertig.
Regierungsbildung in Polen
TN. Warschau, 31. März. Der polnische Staatspräsident hat den Vorsitzenden des NegierungSblockeS, Oberst Slawe!, mit der Kabinettsbildung beauftragt und dessen Mt- nisterllste gebilligt.
Bei der neuen Negierung hat man eS mit einem ansgesprochene« Kurswechsel im Sinne einer Verstärkung der Diktatur zu tun. Am Samstag abend habe« in Warschau regierungsfeindliche Kundgebungen der Sozialisten statt- gesunden. In mehreren Fällen mußte Polizei aufgcbotcn werden, um die Knndgebcr zu zerstreuen.
Katastrophen in Amerika
Schweres Grubenunglück in Kentucky.
TU. London» 81. März. Auf der Pioneer Creek-Kohlen- grübe in der Nähe von Ptncville in Kentucky hat sich eine schwere Erplosion ereignet. 1K Bergarbeiter sind eingcschlos- sen. Die Nettungskolonnen arbeiten fieberhaft, um die Ein- geschfosscncn noch lebend befreien zu können, konnten jedoch bisher noch nicht bis zur Unfallstrlle Vordringen.
Eine brasilianische Stadt durch Unwetter zerstört.
TU. Par'S, 81. März. Die Stadt Vonjarütn in der Nähe von Recif in Brasilien ist durch ein furchtbares Unwetter nahezu zerstört worden. Zehn Todesopfer sind zu beklagen. Außerdem wurden etwa 100 Personen verletzt. 858 Häuser wnrdc» vom Erdboden weggesegt. Die Einwohner haben sich tu die Berg« geflüchtet.
Der Poungplan in Paris angenommen
Bedeutsame Erklärungen Tardieus zur Sanktionsfrage
pflichten würde, Sanktionen nur tm Einverständnis mit dem Völkerbundsrat zu ergreifen, gab Tardieu folgende wichtige Erklärung ab: