Wohl wehrten sich die Helden bis zum Aeußersten, aber der Uebermacht gelang es, die innere Befestigungslinie zu durchbrechen, und damit war Tsingtau verloren. Schwersten Herzens mutzte sich der tapfere Gouverneur dazu entschließen, die Festung zu übergeben. Am 9. November zogen die Japaner in Tsingtau ein. . .
Die schönste Trophäe aber fiel ihnen doch nicht in die Hände, die Fahne des 3. See-Bataillons. In Giwerem Kampf hatte sie dem wackeren Bataillon vorangerveht, doch als man sah, daß es zu Ende ging, da wollte das Bataillon lieber sein Heiligtum dem Flammentod weihen, als das vom Krieasherrn anvertraute Ehrenzeichen in Feindeshand fallen lassen. Nur einige Teile, nämlich die Spitze, der Fahnenring und das vom Prinzen Heinrich geschenkte Ehrenband konnten gerettet werden. Oberstleutnant zur See Müschow, der Flieger von Tsingtau, war der Held, der dies vollbrachte. Diese Reste bilden heute eines der schönsten Schmuckstücke an der Ehrenwand im Museum für Meereskunde in Berlin.
Rittmeister a. D. E. FieLig.
WIW MMg in öNndimien
Der Besuch Edens in Stockholm — Wirtschaftliche und politische Bestrebungen und das nordische Berteidigungsprodlem Von Dr. Friedrich Meltzer.
Der englische Lordsiegelbewahrer Kapitän Anthony Eden wurde kürzlich in der schwedischen Hauptstadt mit offenen Armen empfangen. Er kam als Abgesandter seines Landes, um die Möglichkeit einer engeren Fühlungnahme politischer und wirtschaftlicher Art zwischen England und den drei skandinavischen Ländern mit schwedischen Regierungsvertretern näher zu untersuchen. Schon anläßlich seines jüngsten Besuches in Kopenhagen hatte Lord Eden das Gemeinsame zwischen seinem Vaterlande und den nordischen Ländern in der „insularen Lage" gekennzeichnet und damit der skandinavischen Presse sozusagen das Stichwort für die Würdigung seiner Nordlandreise gegeben. Denn es handelte es sich bei seinem Besuch der dänisch n und norwegischen Hauptstadt nicht um eine reine Höflichkeitsvisite, sondern in erster Linie um den Ausbau der englisch-skandinavischen Handelsbeziehungen. Gewohnt, im Trüben zu fischen, hält die britische Wirtschaftspolitik es auch jetzt für angebracht, ihre Ersatzrolle für den durch Devisenschwierigkeiten in seiner Entfaltung im Auslande gehemmten deutschen Skandinavien-Exporteur zu spielen.
Verfolgt man die englische Tagespresse, so erhellt aus ihren Bemerkungen zur Edenreise nach den skandinavischen Ländern vor allem die wirtschaftliche Seite dieser Diplomatenfahrt. Sie läßt sich kurz auf die FormLl bringen: Schaffung einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft zwischen England und den nordischen Ländern. Mag man es im Foreign Office zur Zeit auch für richtig halten, nach außen hin den Eindruck zu erwecken, als handelte es sich bei dieser Reife des Lordsiegelbewahrers nur um eine rein privater Natur, so weiß doch die Öffentlichkeit Englands so gut wie die der skandinavischen Länder, daß Lord Eden, der vielbeschäftigte britische Unterhändler bei schwierigen diplomatischen Verhandlungen, nicht nach Kopenhagen oder Stockholm kam, um etwa verspätet der berühmten dänischen Hosschauspielerin Vodil Jpsen zu ihrer Jubelfeier oder dem Professor Olallo Morales zu seinem 60. Geburtstag Artigkeiten zu sagen.
Gehört Mister Eden auch noch zu den britischen „Ministern ohne Portefeuille", so zählt er dennoch zu den maßgeblichen Männern der heutigen Londoner Regierung. So ist es nicht weiter abwegig, wen man annimmt, daß der Reise des Lordsiegelbewahrers auch noch eine politische Absicht zugrunde lag. Wie man weiß, ergaben sich bereits vor einiger Zeit gewisse übereinstimmende Auffassungen des schwedischen Außenministers Sandler und Lord Edens in der leidigen Abrüstungsfrage. Man geht deshalb wohl nicht fehl in der Annahme, daß zum mindesten in Stockholm eingehend über Englands Haltung zum skandinavischen Verteidigungsproblem der Gegenwart gesprochen worden und hier von der machtpolitischen Seite aus die natürliche Verbindung zwischen Deutschland und den nordischen Ländern unter eine englische Lupe genommen worden ist. Wer die Weitsichtigkeit der britischen Außenpolitik berücksichtigt, kommt unweigerlich zum Schluß, daß sowohl in Kopenhagen als auch in Stockholm die Frage erörtert worden sein muß. wie es möglich sein wird, das Ostseegebiet in bestimmte englische Zukunftskombinationen miteinzubeziehen. Ob beispielsweise in Anwesenheit Lord Edens auch die sehr delikate Jsland- frage, die neuerdings für die britische Admiralität ein besonderes Interesse erhalten hat, in Kopenhagen berührt worden ist, entzieht sich der Kenntnis der dänischen Öffentlichkeit. Daß jedenfalls über skandinavische Verteidigungs- fragen anläßlich des Besuches Lord Edens ausführlich verhandelt worden ist, geht unter anderem aus den lebhaften Diskussionen der dänischen, schwedischen und finnischen Tageszeitungen hervor, die sich besonders eifrig mit der Frage der Wiederbefestigung der Alandsinseln und der Möglichkeit, den Sund militärisch zu sperren, beschäftigten.
Soweit bisher verlautet, hat angeblich die schwedische Regierung die Gelegenheit noch nicht wahrgenommen, amtlich zu dieser Frage Stellung zu nehmen und ihren Standpunkt m der Öffentlichkeit des Landes zu vertreten. Was insbesondere die Streitfrage der Wiederbefestigung der Alandsinseln betrifft, die seinerzeit von den Russen gegen etwaige deutsche Flottenangriffe verhältnismäßig stark befestigt, später aber planmäßig zerstört wurden (auf Grund eines internationalen Abkommens vom Jahre 1921), so wird heute das Fehlen jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten auf dieser Inselgruppe sowohl von Schweden als auch dem sich ständig von der Sowjetunion bedroht fühlenden Finnland sehr offenherzig bedauert. Hinzu kommt die für gesamtskandinavische Interessen abträgliche Stellung der marxistisch geführten dänischen Staatsregierung, die bisher der Bildung einer gemeinsamen skandinavischen Verteidigungsfront hindernd im Wege gestanden hat.
Alles in allem gewinnt man den Eindruck, daß die Reise des Lordsiegelbewahrers Eden vom Standpunkt bru:scher Außenpolitik nicht vergeblich gewesen zu sein scheint, i -
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Ein Herzogtum als Hochzeitsgeschenk — Mehr als 2VVV Hochzeitsgäste
Von Wilhelm Ackermann
Nur wenige Wochen noch, und England wird im Festes- istbel schwimmen. Fiihrt doch danfl drr vierte Sohn des
Herrscherpaares, heute noch einfach als Prinz Georg bekannt, die griechische Königstochter heim, und im ganzen Lande rüstet man schon jetzt zu dieser Feier.
Schon werden in der Kanzlei des Erzbischofs von Canter- bury, der die Trauung in der altehrwllrdigen Westminster- abtei vornehmen wird, die Gänsekiele gespitzt, mit denen der Trauschein unterzeichnet werden wird, eine Urkunde, genau nach historischen Vorbildern kalligraphisch schön ausgeführt. Dem Erzbischof werden die Bischöfe von London, Oxford und Winchester zur Hand gehen, während zwei Brüder des Bräutigams, der Prinz von Wales — wer weiß übrigens, daß er auf den schönen Namen David hört — und der Herzog von York, als Trauzeugen auftreten.
Da das Haus Sachsen-Koburg, von dem ja auch die englische Königsfamilie einen Teil bildet, eine weit verzweigte Verwandtschaft besitzt, wird allein die Zahl der zur Hochzeit geladenen Angehörigen außerordentlich groß sein, zumal ja auch Prinzessin Marina — die übrigens keinen Tropfen griechischen Blutes in ihren Adern fließen hat — mit zahlreichen Fürstenhäusern verwandt ist. Dazu kommen die zahlreichen Mitglieder des englischen Hochadels. Es kann also damit gerechnet werden, daß der Festzug, der sich nach der Trauung zum Buckingham-Palast bewegen wird, rund 2000 Personen umfaßen wird.
Eine derartige Feier dürfte den König von England, der die Kosten für die ganzen Hochzeitsfestlichkeiten aufzubringen hat, ein schönes Stück Geld kosten, und seine geschäftstüchtigen Landeskinder sind denn auch schon eifrig dabei, auszurechnen, auf wie viel ihrem teuren Landesvater die Sache wohl kommen wird. Hunderttausend Marl gelten dabei noch als mäßige Schätzung, die weder die Hochzeitsgeschenke des Königspaares noch die kostbaren Roben enthält, die Königin Mary bei der Hochzeit selbst und bei den drei sich daran anfchließenden Empfängen tragen wird.
Daß die Geschenke sehr kostbar sein werden, steht natürlich fest, wenn auch die Verleihung der Herzogswürde von Kent an den Prinzen Georg, die der König kürzlich schon vorweg als Hochzeitsgeschenk ausgesprochen hat, weiter keine Unkosten mit sich bringt. Im übrigen erhält das junge Paar eine vollständige Ausstattung in Tafelsilber und -kristall, sowie wertvolle Juwelen, die Prinzessin Marina auf den Hoffestlichkeiten tragen wird.
Dies alles fällt, wie gesagt, nicht unter die erwähnten Hunderttausend, die gehen für ganz andere Dinge drauf. So z. B. ein recht beträchtlicher Teil, 150 000 Mark, allein für Rum, Genever und anderen Schnaps für die Flotte, die am Abend des Hochzeitstages natürlich auf das Wohl des jungen Paares trinken muß. Die Besatzungen der „Queen Elizabeth", „Jron Duke" und „Hawkins", auf denen Prinz Georg seinerzeit Dienst getan, werden noch durch eine Extraration erfreut werden.
Natürlich wird man auch das Landheer und die Luftflotte nicht vergessen. In den Offizierskasinos und in den Kantinen aller Regimenter werden Sekt, Wein und Bier in Strömen fließen, alles natürlich zu Lasten des großzügigen Königs Georg, der dafür, daß er eine so nette Schwiegertochter bekommt, nach aller Ansicht gern einmal tief in den Säckel greifen kann.
Einen nicht unerheblichen Betrag verschlingt auch die Errichtung der Tribünen für die Ehrengäste bei der West- minsterabtei, wofür 20 000 Mark ausgeworfen sind. Demgegenüber können die sonst häufig recht beträchtlichen Aufwendungen für Blumenschmuck innerhalb der Kirche als erstaunlich niedrig gelten, denn abgesehen von zwei Vasen mit Lilien werden keine Blumen zu sehen sein. Da wir gerade bei der Kirche sind, so sei erwähnt, daß für das Läuten der Glocken vor, während und nach der Trauung 250 Mark vorgesehen sind.
Was das Fest aber so besonders teuer macht, ist der Wunsch des Königspaares, es in einem möglichst großen Kreise feiern zu lassen. So schickt jedes Regiment, das nicht in London in Garnison liegt, eine Abordnung zu den Hochzeitsfestlichkeiten; die Reise bezahlt der König. Die Ehrenwache für den Bräutigam werden voraussichtlich seine alten Kameraden von der Marine stellen. Es läge nahe, für die letztgenannten Posten das englische Schatzamt aufkommen zu lassen, dem steht indessen eine gesetzliche Bestimmung entgegen, wonach die Staatskasse allein die Kosten für die Hochzeit des Königs, des Kronprinzen und der ältesten Tochter des Königs zu tragen hat. Also muß der letztere zahlen, und er zahlt auch wahrhaft königlich. Hat er doch allein für kleine „Nebenausgaben" wie Kerzen und ähnliches 500 Mark vorgesehen.
Einen recht erheblichen Betrag machen dann die Empfänge sowie die Geschenke an die Pächter der königlichen Domänen am Hochzeitstage aus. Man rechnet dafür mit 60 000 Mark. Einer der Empfänge gilt dem Personal der Schlösser Windsor und Sandringham sowie des Buckingham-Palastes. Ein anderer den persönlichen Freunden des Brautpaares und den Inhabern der hohen Hofämter mit ihren Damen. Ein letzter endlich den Mitgliedern der Regierung, des diplomatischen Corps und anderen prominenten Persönlichkeiten des Landes. Hierfür allein rechnet man mit tausend Geladenen. Die Tischkarten dürften sich auf rund 15 000 Mark stellen, noch teurer aber wird der Hochzeitskuchen, der bei dem „Königlichen Frühstück" angeschnitten werden wird. Denn seine oberste, dünn gla- cierte Schicht birgt nach englischer Sitte goldene Erinnerungsstücke für die Gäste.
Der Mann, der Nord- und Südpol sah
Amundsens Hütte in der Tscheljuskin-Bucht entdeckt
Aus Moskau trifft di« Nachricht ein, daß von einer sowjetrussischen Forschergruppe, die im Polarmeer in der Tschel- juskin-Bucht überwinterte, ganz in der Nähe ihrer eigenen Behausung am 7. August dieses Jahres die Hütte Amundsens entdeckt worden ist, die der Norweger mit seiner Maud- Expediton im Jahre 1919 erbaute. Man fand in dieser Hütte noch Konserven-Vorräte, die zum Teil von Eisbären angegriffen waren, einiges Inventar und noch mehrere gut erhaltene Notizbücher. Amundsens Begleiter, die Polarforscher Eessem und Knudson, haben wenige Tags vor ihrem Ende, das in der Nähe der Hütte erfolgt sein muß, am 15. Oktober 1919 die letzten Nachrichten von ihrem Aufbruch eingetragen.
Die zufällige Auffindung der Hütte laßen die Erinnerung wach werden an den norwegischen Nationalhelden, der vor nunmehr acht Jahren den Tod im ewigen Polareis gefunden hat. Er war der erste Mensch, der beide Pole der Erde gesehen hat, und war der letzte, der die Fahrten in die Regionen des ewigen Schweigens noch mit den alten Mitteln, mit Schiff und Schlitten, unternahm und wiederum als erster zu seiner Forschungsreise Flugzeug und Luftschiff benutzte.
Am 16. Juli 1872 wurde er in Borge (Norwegen) ge
boren. Er war 17 Jahre alt, als Fridtjof Nansen im Mai 1889 von seiner Expedition zurllckkehrte, die ihn auf Skiern quer durch Grönland geführt hatte. Sein Wunsch war es, dem berühmten Forscher nachzueifern und als Nansen wiederum eine Expedition ausrustete, meldete sich Amundsen freiwillig dazu. Nur die Bitten seiner weinenden Mutter konnten ihn bewegen, daheim zu bleiben. Doch nun galt sein ganzes Streben der gründlichen körperlichen und geistigen Vorbereitung für die Ziele, die er sich für die Zukunft bereits gesteckt hatte. Jahrelang fährt er mit Seehundsfängern hinauf in die arktischen Gewässer zur Robbenjagd und gewöhnt sich so an die dort herrschenden Witte-, rungsverhältnisse. Er macht sein Examen als Kapitän aus lange Reisen und ist nach dem Tode seiner Mutter frei für sein großes Vorhaben.
Als 25jähriger fuhr er als Steuermann der „Belgien" zum Südpol,, machte später Studien, die sich besonders mit erdmagnetischen Messungen beschäftigten. Er wollte die Lage des magnetischen Nordpols genau ermitteln und unternahm mit der kleinen Yacht „Ejöa" in den Jahren 1903/06 eine Fahrt, die sich zur zweiten Bewältigung der Nordwestpassage auswuchs. Er veröffentlichte darüber im Jahre 1907 sein bekanntes Buch „Die Nordwestpassage".
Einige Jahre später beabsichtigte er, Nansens Treibfahrt mit der „Fram" zu wiederholen und unternahm einen Vorstoß zum Südpol. Er landete im Januar 1911 auf der Roßschen Eisplatte und versuchte, sich auf Hundeschlitten dem Südpol zu nähern. Acht Wochen dauerte der daran anschließende Marsch über das Jnlandseis, und am 14. Dezember 1911 erreichte er den südlichsten Punkt des Erdballs, wo er Norwegens Flagge hißte. Damit war er seinem großen Konkurrenten, dem unglücklichen Kapitän Scott, der einen Monat später als er nach unsäglichen Strapazen den Südpol erreichte, zuvorgekommen. Scott selbst kam mit seinen Begleitern, nur 20 Kilometer von seinem Lager entfernt, ums Leben. In seiner „Eroberung des Südpols" berichtet Amundsen über diese Fahrt.
Durch seine Südpolexpedition glaubte Amundsen sich für die Wiederholung der Nansenschen Treibfahrt genug gerüstet, doch trat durch den Weltkrieg immer wieder eine Verzögerung des Unternehmens ein. Erst im Jahre 1918 trat er mit der „Maud" die große Fahrt an, mußte zweimal überwintern und konnte» erst 1920 von Nome auf Alaska ins Eismeer vorstotzen. Doch unverrichteter Sache mutzte er umkehren, und die jetzt entdeckte Hütte ist der letzte Aufenthaltsort seiner verschollenen Begleiter.
Auch ein neuer Vorstoß, der vom Sommer 1922 bis August 1924 unternommen wurde, schlug fehl. Amundsen selbst nahm an der letzten Expedition allerdings nicht teil, sondern versuchte, den Pol auf dem Luftwege zu erreichen.
Während der erste Versuch im Mai 1923 mißlang, und der zweite, mit Ellsworth am Steuer, bis etwa 250 Kilometer an den Nordpol heranfllhrte (Mai bis Juni 1925), konnte Amundsen mit Nobile und Ellsworth zusammen auf einem Halbstarren italienischen Luftschiff von Spitzbergen über den Pol nach Alaska fliegen, ohne dabei Entdeckungen zu machen.
Als im Juni 1928 die Mannschaft des italienischen Luftschiffes „Jtalia" verunglückte, machte Amundsen in treuer Kameradschaft den Versuch, ihr mit einem Flugzeug zu Hilfe zu kommen. Während die Italiener durch russische Flieger gerettet werden konnten, fand man von Amundsens Flugzeug „Latham" nur noch Trümmer auf. Und seitdem ist Norwegens Nationalheld verschollen. Er ist wie 7SO andere Polforscher vor ihm im ewigen Eis geblieben/
Leibl - Anekdoten
Der Gutmütige
In Aibling, dem Bauerndorf in der Nähe Münchens, hatte sich Leibl eingemietet und arbeitete an seinem Bild „Dorfpolitiker". Als Atelier diente ihm eine geräumige Bauernstube, in der es furchtbar viele Fliegen gab. Leibl beauftragte einen Bauernjungen, die Fliegen wegzufangen; vielleicht hätte es andere Mittel gegeben, die lästigen Insekten loszuwerden, aber es mochte dem Künstler Spaß machen, den kleinen Pfiffikus bei der Fliegenjagd zu beobachten. Für 20 Fliegen gab es einen Pfennig, und eine Papierdüte nach der andern wurde gefüllt. Aber die Fliegen wurden nicht weniger. Tag um Tag kletterte ! der Bub an den Fenstern herum und haschte Fliegen von früh , bis spät. Schon hatte er sich einen harten Taler verdient, doch war immer noch keine Abnahme der Fliegen zu bemerken. Bis ihm Leibl endlich hinter die Schliche kam. Der Junge tötete die Gefangenen nicht, wie ihm befohlen war, sondern er ließ sie abends, wenn Leibl im Wirtshaus bei seinen bäuerlichen Kumpanen saß, in der Malstube einfach wieder fliegen. Leibl sagte: „Ein raffiniertes Vllrschl bist schon; ans Maul hältst was verdient, aber bringst mich zum Lachen!"
Der Maler
Eines Tages ging Wilhelm Leibl mit dem Freiherrn von Perfall am See spazieren, mit dem Gewehr über der Schulter; sie wollten den Hör, den Seevogel schießen. Perfall ging voraus und blieb einen Augenblick stehen. Da rief Leibl ihm zu: „Blecb so stehen, ich will dich malen!" Er raste nach Hause, holte Malgerät und fing an. Nach einiger Zeit bat Persall, sich aus seiner sehr unbequemen Stellung, mit diesem hochgesetzten Bein, dem herumgeworfenen Kopf und den verdrehten Armen, rühren zu dürfen. Aber Leibl bedrohte ihn mit körperlicher Züchtigung, wenn er seine Stellung auch nur um einen Millimeter verändere. Da der Hüne Leibl körperlich weit stärker war als der Baron, blieb das unglückliche Modell noch stehe» .-»»d als Perfall dann nach weiteren Stunden schließlich halb ohnmächtig sein Modellstehen aufgeben mußte und neugierig sehen wollte was nun Leibl in dieser stundenlangen fanatischen Arbeit auf dre Leinwand gebracht hatte, da stand nichts auf der riesigen weißen Kläcke als ein talergrotzes Stück des Lodenhutes. Keine Skizze, keine Kohlestriche, keine Komposition, gar nichts, als ein kleiner Kleck Lodenhut. Dieser aber vollendet bis ins letzte. Das war der Anfang von Leibls berühmtem Gemälde „Der Jäger".
Der Kritiker
Ein Münchener Maler zeigte Leibl die berühmte Lithographie von Daumier, in der ein Maler in der Landschaft vor seiner Staffelei sitzt, hinter ihm ein zweiter, ein dritter und so fort in unendlicher Reihe. Der erste studiert die Natur, der zweite kopiert den ersten, der dritte den zweiten usw. „Sehen Sie", lachte Leibl, „da haben Sie die ganze Münchener Kunst.'"
Der Polterer
Als Leibl während der Arbeiten an seinem bekannten Gemälde „Drei Frauen in der Kirche" den Kopf der jungen Bäuerin beendet hatte, fragte er seinen Freund Spcrl um sem Urteil. „Der Kopf ist gut", meinte Sperl, „er konnte aber noch besser sein". Da kratzte Leibl den Kopf wieder von der Leinwand herunter und malte ihn neu. Am nächsten Tage bat er Sperl wieder um seine Meinung. „Ja, weißt du", bemerkte dieser zögernd, „gestern war er doch besser". Da aber fuhr ihn Leibl wütend an: „Warum hast du das nicht gleich gestern gesagt. d.u 2diM" . . .
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