Vor 122 Jahren feierte der nachmalige König Ludwig I-, dem die bayerische Hauptstadt unendlich viele hervorragende Baudenkmäler verdankt, damals noch als Kronprinz seine Hochzeit mit der Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Dieses Hochzeitsfest wurde auf einem weiten Wiesenplan vor den Toren der Stadt begangen. Die bäuerliche Bevölkerung des Landes zog mit den Produkten des Ackerbaues und der Viehzucht auf, und die Bewohner der Landeshauptstadt fanden sich zusammen in einem großen Huldigungsakt. Seit dem Jahre 1810 wird dieses größte deutsche Volksfest alljährlich auf derselben Festwiese, die den Namen Theresienwiese erhielt, abgehalten, anfangs unter dem Namen „Zentral-Landwirtschaftsfest", bis es zu einer alljährlich wiederkehrenden bayerischen Nationalfeier wurde. Um den Kern der landwirtschaftlichen Schau entwickelte sich nach und nach das Treffen der bäuerlichen Bevölkerung mit der Einwohnerschaft der Landeshauptstadt zu echt bayerischem fröhlichem Treiben
Heute ist das Oktoberfest, von dem Münchner kurz ,,d' Wies'n" genannt, das bayerische Volksfest überhaupt geworden; man merkt die Oktoberfestzeit schon im s Straßenbild. Mit Zügen, Autos, ja mit alten Vauernwa- gen kommt die Landbevölkerung in die Stadt. Die Bauern und Bäuerinnen in ihren schönen Trachten, die Bewohner der Ebene mit ihren schwarzen engen Hosen, die Westen mit blanken Knöpfen und den flachen Hüten; die Aelpler dagegen mit der kurzen Lederhose, den Nagelschuhen, dem rot paspelierten Janker und dem lustigen grünen Hut mit dem Adlerflaum oder dem Gamsbart geziert Ströme von Menschen ziehen hinaus auf das weite Feld. Schon von weitem kündigt sich das Fest durch eine unbeschreibliche „Symphonie" an, gespielt von Musikinstrumenten aller Art, und wenn der Abend sich über die Stadt breitet, kommt zum Jubel der Musik auch noch der Jubel des Lichts, denn aus Millionen elektrischer Lampen erstrahlt der weite Platz zu Füßen der Bavaria, dem ehernen bayerischen Nationaldenkmal.
Da erstehen massive Holzbauten der Eroßbrauereien, daneben Riesenzelte, die Tausende von Personen fassen. Hier trinkt der Münchner, in naher Brüderlichkeit auf einer und derselben Bank mit den Fremden und den Bauern sitzend, seine „Wies'n-Maß". Meistens bleibt es nicht bei einem Liter des köstlichen bayerischen Bieres, zwei und drei sind das Oktoberfestquantum. Daneben gibt es alle Spezialitäten der bayerischen Küche. Ein ganzer Ochse brät langsam am Spieß, die Schweinswürstchen duften durch die Hallen und abseits drehen sich die Brathühner über der offenen Flamme. Inmitten der Hallen schmettert die 50 Mann starke Kapelle die alten Weisen bayerischer Märsche und lustige Melodien, und durch die langen Reihen der fröhlichen Zecher ziehen die Münchner Kellnerinnen, die Rettiche, gebratene Fische und sonstige kulinarische Genüsse feil bieten. Tritt der Besucher heraus aus einer der Bierhallen, so umbrandet ihn der ohrenbetäubende Lärm der unzähligen Vergnügungsbuden, Karussells, Schiffsschaukeln, Berg- und Talbahnen, Russische Räder stehen an allen Ecken und an den Seiten der breiten Wiesenstraßen. Durch das Megaphon brüllt der Ansager einer Spezialitäten-Schau seine nicht immer sehr wohltönenden Anpreisungen über die Köpfe der Menschenmenge hinweg. Alle Abnormitäten der Welt sind auf dem Oktoberfest in München zu sehen. Das Volk steht staunend vor den großen Anschlagplakaten und folgt den Sirenenklängen. Aus den Schießbuden tönt das lustige Knallen der Windbüchsen.
Mit dem Elockenschlag 12 am 22. September setzt das große Volksfest ein mit dem feierlichen Aufzug der Brauereien, die auf sechsspännig von stattlichen Pferden gezogenen Wagen ihre Fässer zur Wiese fahren, gefolgt vom Heer der Kellnerinnen in bunter Tracht. Die Schützen begleiten den Zug, und wenn er auf der Wiese angelangt ist, dann ist wieder einmal wie jedes Jahr die Stunde gekommen, in der der Münchner und alle anderen Bayern, mit ihnen aber auch die Fremden, keinen sehnlicheren Wunsch kennen, als einen Nachmittag und einen Abend im Trubel des größten deutschen Volksfestes zu verbringen — beim Oktoberfest auf der Therienwiese in München.
Der „Wasa" — das Fest der Schwaben
NDV. Die Münchner haben ihre „Wies'n", die Schwaben haben ihren „Wasa", das „ Cannstatter Volks- f est". Hier wie dort ein wirklich volkstümliches königliches Geschenk, das ursprünglich mehr landwirtschaftlicher Art
war. Wilhelm l. von Württemberg, der „König unter den Landwirten und der aLndwirt unter den Königen", stiftete das Fest in Cannstatt im Jahre 1818, um der durch lange Kriegszeit und Mißwachs dainiederliegenden Land- und Volkswirtschaft auch durch eine landwirtschaftliche Jahresveranstaltung mit Ausstellung und Preisstiftung aufzuhelfen. Damit es sich zu einem richtigen Volksfest gestalten konnte, verband er es mit Pferderennen, Schifferstechen und Jahrmarkt. Viele Jahre ging das Fest am Tage nach dem Geburtstag des königlichen Stifters, zum ersten Male am 28. September 1818, vor sich, später wurde es einige Tage vorverlegt, Heuer geht der Jubel und Trubel schon am 22. September los und dauert zum erstenmal statt der traditionellen vier Tage zehn Tage bis zum 1. Oktober.
Das Cannstatter Volksfest hat unter seinen Gästen hohe Persönlichkeiten gesehen. Im Jahre 1867 wurde aller Flitter und Glanz des Festes überstrahlt von den bunten ordenbesäten Uniformen der hohen Eöste König Wilhelms. Nicht nur die Bauern in ihrem blauen Spenzer, in ihrer gelben Lederhose und ihrem Dreispitz, auch die befrackten Stadtherren haben, wie man sh im Schwaben zu sagen pflegt, „Maul und Augen aufgesperrt", als ihr geliebter Landesvater mit Napoleon dem Dritten, Zar Alexander dem Zweiten, mit der Zarin, den Königinnen von Holland und Griechenland und wohl zweihundert Generalen, Diplomaten und Würdenträgern durch die Ehrenpforte auf dem Cannstatter Wasen einzog. Auch Kaiser Wilhelm der Erste, Kaiserin Auausta. Kronvrim Friedrich Wilhelm und der
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Großherzog von Baden besuchten im Fahre 1876 das Fest. Wie schwitzten und schnauften die Stadtreiter, die Herren Metzger und Bäcker auf ihren schweren Gäulen, wenn sie in königlichen Zeiten in sausendem Galopp vor dem Viererzug des Landesherrn als Ehreneskorte zum Festplatz sprengten!
Nun am Neckar wieder die Maiskolben, protzig in ihrem Reichtum, stehen, die Aepfel zwischen die Herbstzeitlosen auf das feuchte Gras poltern, in den Wirtschaften süßer Apfel- und Bratbirnenmost ausgeschenkt wird und die Trauben an den Hängen der Hügel auf die letzte Segnung durch die Sonne warten, beginnt dieses schwäbische Fest. Die Leitungsstangen der Straßenbahnen tragen wieder die bunten Wimpelketten auf der roten König-Karls-Brücke flattern wieder die Fahnen und an den Enden der Brücke grüßen aus den goldenen Schildern die Hirsche Württembergs und die Stute der Stadt Stuttgart, blinkt die Kanne Cannstatts. Drunten auf dem lärmenden Wasen steht Bude an Bude. Große Zelte sind gespannt über Tische und Bänke, an denen Tausende von frohen Mneschen bei Schnädderä- tegnmusik, beim Maßkrug und bei dampfendem Sauerkraut und Ripple sitzen. In den Straßen der Zeltstadt drängen sich dichte Scharen von staunenden und lachenden Männern, Frauen und Kindern. Karusselle kreischen, die Orgeln drehen gellend ganze Ouvertüren ab, Sirenen schreien, Autos' hupen und auf der Rutschbahn poltert die ausgelassene Jugend. Hier brotzelt und dort brodelt es. Es riecht nach frischen Aepfeln, Tabak und Bier und aus den Wurströste- reien sticht beizender Rauch in die Nase. Männer laden in Superlativen zum Besuch der Attraktionen ein und schreien sich heißer. Zuckerzeug, Waffeln, unter Tand werden in den Ständen feilgeboten. Flugveranstaltungen und sportliche Darbietungen werden das Fest bereichern, aber die Hauptsache wird der feucht-fröhliche Rummel bleiben, auf den der rote Mammugasturm von Eaisburg, die grünen Treppen der Weinberge, in denen Schwabens Stolz, die Traube reift, und die Erabkapelle auf dem Württemberg herabschauen, in dem der Stifter dieses Schwabenfestes ruht.
So lieb und teuer ist dem Schwaben sein Volksfest geworden, daß er es darußen in der Fremde mit feinen Landsleuten feiert, wie es in einigen nordamerikanischen Städten die schwäbischen Volkssestvereine tun. W. Heimer.
Italiens Streben
zvm Tschad-See
Französisch-italienische Verständigung in Nord-Afrika in Sicht!
In der zweiten Oktoberhälfte will sich der französische Au- i ßenminister Barthou nach Nom begeben. Die Zusammen- t kunft mit Mussolini wird bereits jetzt durch Verhandlun- ! gen zwischen dem französischen Botschafter in Rom und dem italienischen Unterstaatssekretär Suvich sorgfältig vorbereitet. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß sich in der französischen Presse Tag für Tag neue Programmpunkte finden, die in Rom behandelt werden sollen. Es sind aber nicht nur die europäischen Probleme allein, die Barthou und Mussolini beschäftigen werden, das „Echo de Paris" lüftet bereits den Schleier von den Forderungen, die Italien als Grundlagen einer VerständigunginNord- afrika aufstellt. Dahin gehört in erster Linie die Regelung des Schutzes der italienischen Minderheit in Tunesien.
Der zweite afrikanische Kolonialwunsch Italiens betrifft einen Zugang zum Tschad-See. Schon vor einigen Monaten haben zwischen Italien und Frankreich Vorverhandlungen über eine neue Grenzziehung begonnen. Freilich ist der Begriff „Grenze" in diesen Gebieten von Tunis, Libyen und der Kyrenaika nur sehr hypothetisch auszufaf- sen. Mangels natürlicher Abgrenzungen, wie sie Berge oder Gewässer darstellen, sind die Grenzen wie mit dem Lineal über die Landkarte gezogen. Erenzpfähle oder Grenzsteine gibt es natürlich nicht. Zum größten Teil wissen die Europäer nicht einmal, wie es an diesen Grenzen aussieht. Man orientiert sich nach Oasen oder Brunnen. Im übrigen besteht das Land aus einer hoffnungslosen Sandwüste. '
Zu ernsten Differenzen ist es bisher zwischen Frankreich und Italien nicht gekommen, wenn auch das Hin und Her der Verhandlungen schon zehn Jahre anhält. Neuerdings' stellt sich nun die italienische Außenpolitik auf den Stand- ^ Punkt, daß Italien in Libyen und in der Kyrenaika der Nachfolger des alten osmanischen Reiches sei. Nun waren f aber zur Türkenreit die ._Grelr.zen genau so vage wie auch ^
Q/r
Ein Roman vom neuen Deutschland
von Paul Hain.
7 Nachdruck «erbat»"
Jeder quittiert über den Empfang, dann gehts in die Stuben zurück. Höchste Zeit, denn gleich darauf schmettert ein Signal über den Hof — die Trompete kiekst ein bißchen — aber Krause hat ganz recht, wenn er es so versteht: „Essen fassen!"
Da klapperts und trappelts auch schon über den Flur, in den Stuben überall. Truppweise sammeln sich draußen die Leute, soweit sie im Arbeitslager und nicht draußen auf Arbeit sind. Hinzelmann holt die Neuen. Morgen sollen sie zu Trupps formiert und einem besonderen Führer unterstellt werden.
Es gibt Erbsen mit Speck. Herrliche Duftwolken strömen aus der Küche, die zum Hof hinausgeht. Eben rasselt eine Gulaschkanone davon, um den Kameraden draußen ihr Essen zu bringen.
Der Koch betrachtet kritisch die „Neuen".
„Wer nicht genug hat, jeniert sich nicht und holt sich noch 'n Schwung nach, verstanden? Bei uns hat keiner nötig, zu verhungern".
Die Portionen klatschen in die Ehgeschirre. Schulze und Lemke, die Kinder, haben leuchtende Augen. Krause läßr sich gleich aus einmal zwei Portionen geben. Rüdnitz murmelt:
„Nicht zuviel!"
Ein schiefer Blick vom Koch.
„Na, Kamerad?" sagt er. Er ist schon ein Menschenkenner. „Noch nicht ganz los von Mutters Schürze? Wird schon werden".
Dann sitzen sie mit ihrem Essen im Freien, auf den Bänken, im Gras.
Heinz von Bergholt löffelt mit Vergnügen die Erbsen. Donnerwetter — es schmeckt, schmeckt ausgezeichnet! Er schielt Rübnitz an. Der stochert so herum mit dem blecher
nen Besteck und hat ein Gesicht, als nehme er eine Henkersmahlzeit ein. Heinz lacht laut auf.
„Rübnitz — nu faß doch bloß kräftig zu! Wenn du das im „Rheingold" in Berlin in einer blitzenden Terrine mit drei Tellerchen dazu unter dem Namen „Bauernfrikassee a la Holstein" serviert kriegst und zwo fünfzig ohne Trinkgeld dafür bezahlst, würde es dir ausgezeichnet schmecken".
„Na, Sache!" sagt Krause. „Rübnitz, wenn Sie's nicht schaffen, ick helfe jerne".
Er holt sich den dritten „Schuß". Fast alle sind sich -darin einig, so gut hat's lange, selbst bei Muttern, nicht geschmeckt. Rübnitz hört sich das mit süßsaurem Gesicht an.
Mittagspause bis zwei Uhr.
Man darf ein wenig in der Nähe des Arbeitslagers herumstrolchen. Heinz von Bergholt und Rübnitz gehen zusammen. Fünf Minuten weiter beginnt schon das Dorf. Kleine Bauernhäuser, saubere Gärten, eine Dorfaue mit hohen Eichen und Linden, hundert- und mehrjährig. Wiesen und Felder in grenzenloser Weite. In einiger Entfernung glitzert das breite Band der Warthe.
Sie gehen hinüber. Sonne brütet im Schilf, Rohrdommeln schreien fröhlich ihr „Karre-karre-kiek" in die Stille. Rinder blöken auf einer Weide. Libellen gaukeln mit flirrenden Flügeln.
„Rübnitz, ist das nicht wundervoll hier? Ich bin ja riesig neugierig, wie's werden wird. Ein herrliches Land — nun wird man's einmal richtig kennen lernen".
Rübnitz zuckte die Schultern.
Ich sehe bloß verkrüppelte Weiden, Schilf und Wiesen", knurrt er mißlaunig. Man könnte jetzt in dem netten Kaffee am Wittenbergplatz sitzen und auf die kleine Schauspielerin Olly warten — wenn „der Alte" nicht diese Kateridee gehabt hätte, ihn hierherzustecken. Na 'n Vierteljahr, meinetwegen! Länger nicht!
Da tönt ein Lachen hinter dem Schilf am Ufer. Helles klingendes Mädchenlachen. Wasser spritzt und planscht.
Rübnitz kriegt mit einemmal erwartungsvolle Augen.
„Nanu?" sagt Heinz.
„Gretel, sei nicht so frech! Puhl Also — wo kann man bloß hier ran? Ich muß — pf! — Pf! — mal 'ne Weile ausruhen, bevor wir wiee-der zurückschwimmen".
„Na, Annelies — dann such' mal hier durchs Sch»f durchzukommen — hallo — hier ist Grund —"
Das Schilf knistert und rauscht, biegt sich zur Seite — zwei Wassernixen in hübschen, farbigen Badetrikots tauchen auf. Die Badekappen leuchten rot und gelb. Die Mädels sehen wie Gazellen aus, schlank und biegsam und nett_ - braungebrannt sind sie auch. " -
Natürlich stoßen sie einen kleinen Schreckensruf aus, als sie die beiden jungen Männer da sehen. , -k
„Nur herspaziert auf die Weise, meine Dawenl"-7uf<M Heinz, während Rübnitz sofort an seiner Krawatte ruckt. , „Wir hatten keine Ahnung, daß es hier im Bruch so nette ^ Wasserratten gibt. Wirklich sehr gute Gegend! --
Die beiden Mädels sind ruckst scheu. Sie kichern, blin- ^ zeln, sehen sich die jungen Leute prüfend an.
„Wir sind nämlich von drüben 'rübergeschwommen", fast die eine nicht ohne Stolz. „Nun sind wir 'n bißchen müde".
„Alle Wetter!" schnarrt Rübnitz. „Das ist ja — fabelhaft! Rübnitz, stud. med.," stellt er sich gleich vor.
„So?" kneift -die eine die Augen zusammen. „Und Ich bin Grete — und dies ist Annelies — und das genügt hinreichend. Was machen Sie denn hier?"
Heinz amüsiert sich ausgezeichnet. Die Grete gefällt ihm.
Die Annelies nicht weniger. Sie werfen sich schon beide ; ins Gras, um „Sonne zu schnappen".
„Augenblicklich", sagt Heinz von Bergholt, „schnappe/? mir ebenfalls Sonne. Ansonsten sind wir Arbe-itsfollMn ! feit heute!"
Zwei rote Münder stoßen einen fröhlich-begeisterten Laut aus.
„Ha? Dann sind Sie — von da —?"
Weisender Zeigefigner nach links, wo hinten über We>- dengeftrüpp ein Stück Dach des Gutshauses vom Arbeitslager herüber-guckt. „Und heute angskommen?"
Fortsetzung folgt). .