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Nummer 58
Fernruf 179
Nestle, Las Land Ler Revslulisnen
Nach Obregon — Portes Gil
Mexiko, das Land ewiger Revolutionen, steht wieder im Feuer des Aufruhrs. Eine Reihe von Statuen und Städten, darunter der wichtigste mexikanische Hafen Veracruz, sind in den Händen der Rebellen. Die Hauptstadt Mexiko City ist in Gefahr und mit ihr die Negierung und der neue Präsident Portes Gil. Daß das Leben des mexikanischen Staatsoberhauptes bedroht ist, darin liegt nichts Neues. Dies gehört gewissermaßen zur mexikanischen Tradition. Seit dem Tage, wo Mexiko sich von der spanischen Herrschaft befreite, also seit dem 16. September 1810, sind nur zwei natürlichen Todes in ihrer Heimat gestorben: Iuarez, der Bezwinger des Kaisers Maximilian l-, und Gonzaies, der Anhänger des berühmten mexikanischen Staatsmannes Diaz. Was die übrigen mexikanischen Herrscher betrifft, so entsteht, rückblickend betrachtet, folgendes unerfreuliches Bild: Obregon (1928) — erschossen: Carranza (1920) — erschossen: Madero (1911) — nach 35jähnger Präsidentschaft (mit einmaliger vierjähriger Unterbrechung) — abgesetzt und verbannt; Lerdo de Tejada (1876) gestürzt und des Landes verwiesen; Kaiser Maximilian I. (19 Juni 1867) — standrechtlich erschossen; Guerrero (1831) — standrechtlich erschossen. Die Karriere des Expräsidentrn Calles, der gerade jetzt an der Spitze der Armee und des Heeres steht, um die Aufständischen zu bezwingen, ist noch nicht beendet. Er ist übrigens nur deswegen von seinem Präsidentschaftsposten zurückgetreten, weil die mexikanische Verfassung eine unmittelbar aufeinanderfolgende Wiederwahl nicht zuläßt. Es würde nichts Außergewöhnliches bedeuten, wenn Portes Gil und Calles den Weg ihrer Vorgänger gehen würden.
Den Mexikanern liegt das Aufrührerisch« im Blut. Vielleicht keinem anderen Volk der Erde ist soviel zuzumuten wie dieser Rasse, die ja keine Rasse, sondern ein Nassenkonglomerat ist. Die Weißen bilden nur 10 Proz. der Bevölkerung, die Indianer dagegen 30 Proz., und Mischlinge, in erster Linien Mestizen, sogar 60 Proz. Die Mestizen, deren es verschiedene Schattierungen gibt, und die in Mexiko eine immer hervorragendere Rolle spielen, stehen im Rufe, die treulosesten und tückischsten Menschenwesen unseres Erdballes zu sein. Sie zeichnen sich durch einen absolut unzuverlässigen, dabei äußerst entzündbaren Charakter aus, durch Mangel an Besinnung und Selbstkritik und durch Unberechenbarkeit ihrer Handlungen. Die Neigung zum Aufruhr ist in Mexiko sozusagen biologisch begründet. Darüber hinaus gibt es aber in Mexiko zwei treibende Kräfte, die die politische Lage völlig bestimmen: das Erdöl und oas Kirchengeletz.
Was das Erdöl betrifft, so verfügt Mexiko über dis wohl reichsten Quellen des Kontinents. Um diese Erdölquellen herrscht seit langem ein erbitterter Kampf zwischen den beiden mächtigsten Großkonzernen, der amerikanischen Standard Oil Company und der englisch-holländischen Noyal-Dutch-Shell. Die Widerspiegelung dieser Kämpfe ist nicht schwer in den politischen Ereignissen Mexikos zu finden. So wurde Obregon nicht in letzter Linie deswegen ermordet, weil er den Erdölaspirationen der Amerikaner allzuweit entgegenging, und der jetzige Aufstand riecht auch nach Naphtha, wenn auch nicht mit voller Sicherheit gesagt werden kann, zugunsten welcher Gruppe diese Revolte entfacht wurde. Iedensalls ist es in der mexikanischen Geschichte der letzten Jahrzehnte noch nicht vorgekommen, daß irgendeine politische Kampagna ohne Hinzutun der Erdölmagnaten durchgeführt wurde.
Eine vielleicht noch größere Rolle spielt im politischen Leben Mexikos der R e l i g i o n s k a m p f, durch die mexikanische Verfassung des Jahres 1917, die bekanntlich die Trennung von Staat und Kirche fordert. Die Folge war die Enteignung des kirchlichen Besitzes und, als der Widerstand der katholischen Geistlichen immer stärker wurde, Schließung zahlreicher Kirchen und rücksichtslose Religionsverfolgung. Präsident Calles war es, der in einer ganz radikalen Weise die Durchführung des Kirchengesetzes erzwang. Der jetzige Präsident Port Gil scheint durchaus in derselben Richtung zu handeln wie Calles. Nicht zufällig steht an der Spitze der Aufständischen Gilberto Valenzuela, der die Religionsverfolgungen der Regierung mißbilligt und zu den gefährlichsten Gegnern der Calles-Gruppe gezählt wird. Balenzuela ist einer der befähigtsten Politiker des heutigen Mexiko und er wird heute von der regierenden Partei nicht weniger gefürchtet als vor kurzem de la Huerta. Es ist nicht abzusehen, wann nun endlich in Mexiko eine dauerhafte Befriedung eintreten wird.
Genfer Silanz
Adakschis Vorschlag vom Rat einstimmig angenommen
Genf. 7. März. In der Nachmittagssitzung des Völker, bundsrates am Donnerstag legte Adatschi den von ihm aus. gearbeiteten Vorschlag für die Weiterbehandlung der Min. berheitenfrage dem Rat vor. Der Vorschlag bewegt sich in der bereit» mitgeteilten Richtung; er enthält folgend» fünf IliMr
Samstag den 9. März 1929
Fernruf 179
64. Jahrgang.
1. Der Rat beauftragt seinen Berichterstatter, den Botschafter Adatschi, ihm für die Iunitagung einen Bericht Über die Vorschläge vorzulegen, die dem Rat von den Vertretern Deutschlands und Kanadas emgereichl
2 ^Der"Völkerbundsrat ersucht die Vertreter von Eng - land (Lhamberlain) und Spanien (Quinones de Leon), ihre Mitarbeit dem Berichterstatter bei der Ausarbeitung des Berichtes zu gewähren.
3. Der Berichterstatter und seine beiden Mitarbeiter können von den Regierungen, die Minderheitenvertrage eingegangen sind. Bemerkungen der Art erhalten, wie sie diese Regierungen für notwendig erachten. Jedes Mit-»' glied des Rates kann gleichfalls seinerseits Bemerkungen dem Berichterstatter übermitteln, jedoch müssen diese von den Regierungen bis zum 15. April d. I. dem Generalsekretär des Völkerbundes übermittelt sein.
4. Der Rat, der sich als ein besonderes Komitee konsti- tuiert, wird zu seiner ersten Prüfung des Berichtes des Dreierkomitees schreiten. Er wird sich zu diesem Zweck zu gemeinsamer Arbeit vorBeginndernächstenRats- tagung versammeln.
5. Der Generalsekretär des Völkerbunds wird den Regierungen der Staaten, die Minderheitenverträge abgeschlossen haben, sowie den Regierungen sämtlicher Mitgliedstaaten des Völkerbundes diesen Beschluß übermitteln unter Beifügung der Protokolle der Sitzung des Rates vom 6. März.
Adatschis Vorschlag wurde vom Rat ohne jede Aussprache einstimmig (!) angenommen.
Verhandlungen hinter verschlossenen Türen
- Genf, 8. März. In der heutigen streng geheimen Ratssitzung wurde die Frage der Abhaltung der nächsten Ratstagung in Madrid und die neuen amerikanischen Anregungen wegen Beitritts der Vereinigten Staaken zum internationalen Gerichtshof im Haag besprochen. Zu dieser letzteren Frage wurde beschlossen, daß das am nächsten Montag zusammentretende Iuristenkomitee für die Revision des Haager Statuts die in Form einer Note gemachten amerikanischen Anregungen berücksichtigen soll. Cham- berlain wird morgen in öffentlicher Sitzung eine Erklärung zu dieser Frage abgeben. In der morgigen Schlußsitzung wird ferner die von der Saarregierung beantragte Genehmigung zur Auflage einer internationalen Anleihe in Höhe von 250 Millionen Franken im Sinne einer Vertagung auf Juni behandelt werden.
Neue Unterredung Skresemann Lhamberlain
Genf, 8. März. Der englische Außenminister Chamber l a i n wird im Laufe des Freitag abend Dr. Stresein a n n n erneut aufsuchen. Dr. Stresem"nn hatte eine längere Unterredung mit dem polnischen Gesandten in Berlin, Knoll, in deren Verlaus die Verhandlungen des Rates in der Minderheitenfrage, sowie auch der Fall Ulitz eingehend behandelt wurden. Cs besteht der Eindruck, daß non deutscher Seite der polnische Gesandte darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß für die S^wierigkeiten, die sich in der letzten Zeit in wachsendem Maße zwischen Polen und Deutschland ersehen haben, die Ursachen nicht m -er Haltung der deutschen Regierung zu suchen seien.
Sie Vell-Kompensalionskaffe
Von Paris erfahren wir genaueres über die geplante neue Reparationsorganisation:
Der Bericht über die geplante Neuorganisation der Re- parationen ist von jenem Redaktionskomitee, bestehend aus Dr. Schacht. Morgan, Stamp, Parmentier, Pirelli und Gutt, ausgearbeitet worden. Nach den erreichbaren Jnfor- mationen scheint man sich auf die Schaffung einer Welt- Kompensationskasse in Form einer internationalen Holdinggesellschaft von bankmäßigem Charakter geeinigt zu haben. Dieses Institut soll ein dreiköpfiges Direktorium und einen neungliedriaen Aufsichtsrat erhalten und auf absolut privatwirtschaftlicher Grundlage arbeiten. An dieser Uebergesell- schast sollen Deutschland und die Reparationsgläubiger als Aktionäre beteiligt sein. Das Unternehmen soll sich aus leinen Transaktionen finanziell selbst erhalten und etwaige Ueberschüsse an Deutschland und die Gläubigernationen ab- fichren.
Es soll ihm die wirtschaftliche Auswertung des gesamten Reparationsproblems auf der Basis rationellster Geschäftsführung übertragen werden, wobei dem Anreger dieses hochkapitalistischen Planes, dem Bankier Morgan, das Ziel vorschwebt, eine internationale Mitarbeit an der Steigerung der Leistungsfähigkeit Deutsch- öu schaffen, um den Gläubigernanonen eine erhöhte Sicherheit des Eingangs der Reparationsquoten zu gewährleisten, die sie auf Grund ihrer eigenen Schuldverpflichtungen und ihrer Wiederaufbaukosten beanspruchen.
Die geplante Welt-Kompensationskasse soll nachstehende Aufgaben übertragen erhalten:
Die deutsch?!, Barzahlungen all, dem trän»'
ferierbaren Teil der Annuität entgegenzunehmen und auf die Reparationsgläubiger quotenmäßig zu verteilen;
2. die Privatisierung der Reparations-Bonds nach Maßgabe der Aufnahmefähigkeit der internationalen Geldmärkte;
3. die Durchführung von Transaktionen zum Umtausch von Reparationsbonds gegen Staatsschuldscheine der silierten Länder. Deutschland würde für diese Zwecke der zu schaffenden Welt-Kompensationskasse Reparationsbonds in noch zu bestimmender Höhe zu treuen Händen übergeben. Sie würde auch die Transaktionen des deutschen Zinsendienstes für die Reparations-Bonds leiten.
4. Die unter dem Transferschutz bleibenden Beträge würde das Zentralinstitut verwalten und die Anlage des nicht transferierbaren Teiles der deutschen Jahresleistungen durchführen, wobei der internationalen Kompensationskasse die Verpflichtung auferlegt wird, die deutsche Währung zu schützen:
5. die finanzielle Abwicklung der Sachlieftrungsgeschäfte durchzuführen, die Lieferungen nach Studium der Aufnahmefähigkeit der Märkte der für die Abnahme in Betracht kommenden Länder zu verteilen:
6. durch Erschließung von Absatzmöglichkeiten, durch gewisse Konsumsteigerungen auf dem Weltmarkt und durch Mobilisierung neuer Kreditquellen die Leistungsfähigkeit verdeutschen Wirtschaft zu erhöhen.
Diese Welt-Kompensationskasse soll mit den internationalen Notenbanken, sowie mit den maßgebenden Großbanken der ganzen Welt Zusammenarbeiten. Durch ihre Tätigkeit würde sie zweifellos über ungeheure Beträge zu verfügen haben. Ihre Kreditdispositionen würden voneinem außerordentlichen Einfluß auf die Weltproduktion und den Welthandel, sowie auf die Gestaltung der internationalen Geldmärkte sein. Der Einfluß dieses neuen Finanzzentrums auf die künftige deutsche Wirtschaftsentwicklung läßt sich im Augenblick gar nicht ab- sehen. Daneben würde dieses internationale Institut durch die außerordentliche Ansammlung von Valuten in seinen Tresors auch eine sehr starke Einwirkungsmöglichkeit auf die Gestaltung der internationalen Wechselkurse erhalten.
Diese Vorschläge Morgans bedürfen von deutscher Seite der schärfsten kritischen Prüfung. Es ist anzunehmen, daß sie zwar zu einer Entpolitisierung des Reparationsproblems führen würden, aber unter Umständen auch zu einer Unterordnung des deutschen Finanz- und Wirtschaftslebens unter die Kontrolle der internationalen Hochfinanz, wie sie in der Geschichte beispiellos wäre. Die Aussicht, daß Deutschland gegebenenfalls zu einer wirtschaftlichen Kolonie der internationalen Hochfinanz, in kühner Bedeutung des Wortes, werden könnte, erfordert sehr ernsthaftes Nachdenken.
Es ist anzunehmen, daß der ganze Plan, nachdem die Vollkonferenz ihm grundsätzlich ihre Zustimmung erteilt hat, einem neuen Ausschuß überweisen wird. Dieser neue Ausschuß, der nach Auflösung der bisherigen drei Unterausschüsse zu bilden wäre, hätte noch eine Anzahl technischer Einzelfragen des Planes näher zu klären. Vor allem auch die Frage, in welcher Form die Anlage des nichttrans- ferierbaren Teiles der deutschen Jahresleistungen geschehen soll. Ob dieser Vorschlag Morgans zur Neuregelung der Reparationsfrage die endgültige Billigung aller Sachverständigen finden wird, hängt von der Höhe der Endsumme und der Höhe des transferablen Teiles der Annuität, über die auch in den letzten Tagen noch keinerlei Beschlüsse gefaßt worden sind, ab.
Es wird geschachert...
Skresemann soll Schacht nachgiebiger machen
Paris, 8. März. Einige Morgenblätter besprechen den Stand der Sachverständigenverhandlungen in einer höchst merkwürdigen Tonart, verbunden mit mehr oder weniger versteckten Drohungen gegen die deutsche Abordnung, der der „Matin" erneut den Vorwurf macht, daß sie nicht mit Angeboten für die Gesamtsumme und für die Iahres- zahlungen herausrücke. Das „Echo de Paris" deutet die bevorstehende Reise Dr. Schachts nach Berlin als einen Versuch, den Sachverständigen klar zu machen, daß die Arbeit der Konferenz unterbrocben oder verzögert werden könne. Bei der gestern in Genf geführten Besprechung über die Rheinlandräumung hätten Briand und Chamberlam ver- sucht, Skresemann zu einem mäßigenden Ein- fluß auf Dr. Schacht zu bewegen (I!). Auch der „Excelsior" kritisiert, daß die deutsche Abordnung zwar zahlreiche Einwände argen die Zahl der normalen Dawesannui- täten von 2.5 Milliarden geltend gemacht, aber keinerlei annehmbare Vorschläge unterbreitet habe. Falls d'e Sachverständigen auseinandergingen, ohne die deutsche Schuld fest- zusetzen, könne von einer Räumung des Rheinlandes keine Rede mehr sein. Die Gläubiger Deutfchlands seien dann berechtigt, die Räumungsfri st sn als aufgrhoben zu betrachten und die Re- parat!an»vf»nd,r zu v»x t»U» p. Ein? Putschs
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