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Nummer 237 Fernruf17S
Dienstag den 9. Oktober 1928 Fernruf 179 63. Jahrgang
Wir stehen fetzt kurz vor dem Abschluß der deutschen „Saison der Kongresse". Nachdem die Bankiers und die Großhändler, die Gewerkschaftler und die Genossenschaftler, die Juristen und die Naturforscher gesprochen haben, meldet sich jetzt auch der Mittelstand zum Wort. Vom 5. bis 9. Oktober findet in Braunschweig der „Reichsdeutsche Mittelstandstag 1928" statt, getragen durch den Reichsschutzverband für Handel und Gewerbe.
Die Handel- und Gewerbetreibenden sind zweifellos die wirtschaftspolitisch aktivste Gruppe des deutschen Mittelstandes'. ihre Bestrebungen sind wärmster Förderung wert. Man muß sich aber dabei stets dessen bewußt sein, daß die Begriffe „Mittelstand" und „Mittelstandspolitik" noch weit über diese Erwerbsschicht und ihre speziellen Interessen hinausgehen. Der Mittelstand umfaßt neben diesen Kreisen auch die freien Berufe, die Beamtenschaft, die Angestellten und den Bauernstand Begreiflicherweise können für diesen Mittelstand !m weitesten Sinn bestimmte engumschriebene Richtlinien einer wirtschaftlichen Jnteressenpolitik kaum gefunden werden, so leicht sie auch für seine einzelnen Gruppen sich aufstellen lassen mögen. Bei der Vielseitigkeit seiner Zusammensetzung ist der deutsche Mittelstand in der Tat, seiner ganzen Zusammensetzung nach, auch weniger ein wirtschaftliches als vielmehr ein soziales und kulturelles Gebilde. In dieser Beziehung aber charakterisiert er sich scharf und deutlich, ist er beispielsweise auch wesentlich verschieden von der „Mittelklasse" Englands und der „Bourgeoisie" Frankreichs. In England und in Frankreich hat sich die Mittelschicht früher zu Wohlstand aufgeschwungen als in Deutschland, wo erst in den letzten vier Jahrzehnten vor dem Kriege die " Lebenshaltung des Bürgertums sich kräftig zu heben begann. Was den deutschen Mittelstand vornehmlich als innere Einheit kennzeichnet, das war seit jeher weniger eine gleichmäßige Wohlhabenheit als vielmehr eine starke Bildungsfreudigkeit und ein ausgeprägtes Persönlich k e i t s g e fühl. Aus beiden ergab sich der Drang nach Wissen und nach Selbständigkeit. Bemerkenswert war das Verhältnis zu den sozialen Nackbargruppen. Bei der Arbeiterschaft herrschte deutlich das Streben, sich dem Kleinbürgertum einzugliedern. Und im Großunternehmertum wußte noch mancher bedeutende Mann die Fühlung mit den Kreisen zu bewahren, in deren Mitte er einst als Handwerker oder kleiner Kaufmann die Grundlage seines Betriebes geschaffen hatte.
Daß sich die Zeiten seitdem bedeutend geändert und für den Mittelstand erheblich verschlechtert haben, bedarf kaum der Schilderung im einzelnen. Nicht nur die Inflation hat den Mittelstand unbarmherzig mitgenommen, sondern auch die gesamte Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre überhaupt. Schon die Kriegswirtschaft förderte die zentralistischen Großunternehmungen und setzte den Klein- und Mittelbetrieb allenthalben zurück, und die Nachkriegszeit fuhr erst recht in dieser Richtung fort. Der Mittelstand wurde mehr und mehr in der Richtung zum Proletariat abgedrängt,
. und vieles in der gegenwärtigen Sozialpolitik bestätigt deutlich diese Tendenz. Wenn letzthin Pläne erörtert wurden, die gesamte Sozialversicherung zu „nivellieren" durch Verschmelzung der Ängestelltenversicherung mit der Alters- und Invalidenversicherung und den gesamten Mittelstand der öffentlichen Zwangs-Krankenversicherung zu unterstellen, so zeigt sich klar, wohin die Reise gehen soll. Es scheint alles fast planmäßig darauf angelegt, die immer noch in ansehnlichem Maß vorhandene und immer noch von' kräftigem Selbstbewußtsein erfüllte Mittelschicht des deutschen Volkes aufzuteilen in eine kleine Gruppe derer, die noch den Anschluß an das Großunternehmertum zu finden wissen, und in die überwältigende Mehrheit solcher, die endgültig der Proletarisierung anheimfallen. Cs finden sich auch Theoretiker genug, die diese Entwicklung mit schönen Worten zu empfehlen wissen, mit Lehrsätzen von der „Ueberlebtheit" der kleineren und mittleren selbständigen, von 'der Einheitsfront aller Arbeitnehmer, von der Unhaltbarkeit der Bauernwirtschaft.
Die Schärfe des Angriffs festigt indessen den Widerstand, weckt schlummernde Kräfte im deutschen Mittelstand, im deutschen Bürgertum. Die Gegenwehr zeigt sich naturgemäß zunächst auf wirtschaftspolitischem ^biet, aber auch im Bereich der Sozialpolitik und der Kulturpolitik. Der Mittelstand weiß dabei genau, daß es sich nicht nur um sein eigenes Wohl handelt, sondern auch um das gesamte Gleichgewicht der Gesellschaftsschichten und Erwerbsstände im deutschen Staat, um den allein für kulturellen Fortschritt bürgenden Mittelweg zwischen großkapitalistischer Uebersättigung und proletarischer Dürftigkeit. Nicht Proletarisierung ist das erwünschte Ziel, sondern Schaffung einer möglichst breiten bürgerlichen Külturschicht, die sich ständig aus dem Proletariat her ergänzt, an Stelle des umgekehrten von falschen Propheten heute zum Ueberdruß verkündeten Wegs. Wenn man ein kühnes Wort prägen darf, dann wohl das von einer unbedingt erstrebenswerten Verbürgerlichung der Arbeiterschaft, die ja dadurch erleichtert wird, daß die fortschreitende Technisierung ständig wachsende Ansprüche an yre Ausbildung und an dis geistige ^Selbständigkeit des Ar?
ragesspiegel
Line große Versammlung des Mrkschafksverbands Schwaben-Vorarlberg in Konstanz am Sonnkag sprach sich ln einer Entschließung entschieden für den Anschluß Oesterreichs aus.
Die Gemeindewohlen in Geesthacht bei Hamburg, die wegen der blutigen Kämpfe am 30. September aufgehoben und erneut am 7. Oktober vorgenommen werden mußten, sind nun ungestört verlaufen.
beiters stellt. Mittelstandsfragen sind also nicht nur die Probleme der Verdingungsordnung, der Steuer- und der Verwaltungsreform, der Kreditversorgung und andere Wirtschaftsangelegenheiten mehr, son-ern in nicht geringerer Bedeutung auch Fragen der deutschen Kulturpolitik und der gesellschaftlichen Entwicklung im weitesten Sinn, um dem Jdealzustande näherzukommen, den der große Soziologe Albert Schäffle in seinem berühmten Werk „Bau und Leben des sozialen Körpers" mit folgenden Worten vorgezeichnet hat: „Ein Gesellschaftszustand mit überwiegendem und steigend wohlhabendem Mittelstand vermag das Maximum materieller Glückseligkeit zu gewähren."
Tie ErössiMig der „As"
Am Sonntag vormittag wurde in Berlin die 7. Internationale Luftfahrt-Ausstellung (Jla) eröfsnet.
Als die erste in Deutschland abgehaltene „Jla" in Frankfurt a. M. im Oktober 1909 ihre Tore schloß, glaubte wohl niemand, daß 19 Jahre bis zu Eröffnung der zweiten deutschen Jla vergehen würden. So ist es aber auch kein Wunder, daß die Jla 1928 ein wesentlich anderes Gesicht erhalten hat als jene. Damals war die Ausstellung beherrscht durch das Prinzip „Leichter als Luft". Ein gefüllter Freiballon, „Preußen", mit dem der Höhenweltrekord von 10 800 Meter aufgestellt worden war (der übrigens auch heute noch unüberboten besteht), bildete sozusagen den Mittelpunkt der eigentlichen Ausstellung. Nicht weniger vorherrschend waren Ballone und Luftschiffe bei den Vorführungen vertreten, die neben der Ila-Ausstellung gezeigt wurden und ihr den Namen der „fliegenden lÖOtägigen Ausstellung" einbrachten. Dabei wurden viele Hunderte Freiballonausstiege, der Ausstieg eines Drachensesselballons und zahlreiche Fahrten fünf verschiedener Luftschifftypen ausgeführt. Das Flugzeug war dagegen äußerst schwach vertreten. Während der Ausstellungszeit zeigten nur der belgische Baron de Caters und August Euler ihre Voi- stn-Apparate, mit denen sie auch mehrere Flüge ausführ- ken. Bei dieser Gelegenheit vollbrachte Euler, wie es in einem Bericht von damals heißt, „den ersten längeren Flug eines deutschen Fliegers, seitdem er in 10 Meter Höhe sich 4 Minuten 54 Sekunden in der Luft hielt".
Wenn man damit die jüngste deutsche Höchstleistung im Dauerfluge, den Weltrekord eines Junkersflugzeuges unter Ristiez und Zimmermann, von 65 Stunden 25 Minuten vergleicht, so wird man verstehen, daß auf der diesjährigen Jla das Motorflugzeug einen aanz anderen Platz als in Frankfurt a. M. einnimmt, einen Platz, den sich bas Prinzip „S ch w e r e r a l s L u f t" in den letzten 19 Jah.-cn mit gutem Recht erobert hat.
Die früheren Luftfahrtausstellunaen hatten durchweg vorherrschend militärischen Charakter. Diesmal ist alles Militärische ausg-eschaltet. Daker war Deutschland, das keine Militärluftfahrt halten darf, und sein Interesse für das Flugwesen ausschließlich der Zioillustfakrt zürnenden konnte, das berufene Land, um zum erstenmal in einer rein zivilen Ausstellung den Ländern der Welt Gelegenheit zu geben, ihre Fortschritte auf dem Gebiet der friedlichen Luftfahrt zu zeigen.
Die Ausstellung zeigt, daß die Technik soweit fortgeschritten ist, um die Luftfahrt zum Allgemeingut des Volks zu machen. So werben die schnittigen deutschen Leichtflugzeuge (deren Anschaftungsvreis dem eines mittleren Autos entivricht) für den Privatflualport, wobei unter dem Wort „Flugsport" nicht nur eine sportliche Betätigung um ibrer selbst willen, sondern auch die praktische Verwendung der Leichtflugzeuge für Reisezwecke verstanden werden muß. Hat doch erst vor kurzem ein W-BS.-Klemm-Daimler-Flug- zeua durch einen Flug von Berlin nach Teheran in eindrucksvoller Weise seine Eignung als Reiseflugzeug er- wielen.
Abe-- die Jla weckt nicht nur den Wunsch zum nrakti- schen Fliegen, sie zelgk auch den Weg, wie man dahin- aelanak. Die Fülle der ausgestellten Schul-Flugzeuge beweist, welch grokm Wert man gerade heute aus die A u s- bildung der Flieger legt, sei es, daß diese nun Sport- flieoey oder Berkehrsflieaer werden wollen.
Die Ausmaße der Riesen-Lcmdflnazeuge und Flugboote geben ferner ein Zeugnis von der Richtung des modernen Flugeen-chaus, das Fassungsvermögen und die -Tragkraft der Maschinen ftnmer mehr zu vergrößern, um dadurch zu her ersehnten Wirtschaftlichkeit des LkftvLrMrs W
aelanoen. Daneben ist die zweite wesentliche Forderung des Luftverkehrs, die Bequemlichkeit, nicht vergessen. Die dritte und wesentlichste Forderung des Luftverkehrs, die Sicherheit, wird auf der Jla in sinnfälliger Weise durch eine Sonderousstellung der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt erläutert, wo die verschiedenen Brüfmetboden und Belastungsproben ein Bild von der sorgfältigen Arbeit neben, die geleistet wird, bevor ein Flugzeug dem Verkehr übergeben wird.
Neueste NsWchlrn
Die deutsche Stellung in den Verhandlungen mit Frankreich
Berlin, 8. Okt. Pressenachrichten aus London und Paris lassen erkennen, daß man dort mit der Absendung deutscher Noten rechnet, durch die die Einsetzung der beiden Ausschüsse für die Räumungs- und die Entschädigungsverhandlungen in die Wege geleitet werden soll. In eingeweihten Kreisen wird versichert, daß die Reichsregierung grundsätzlich an der scharfen Trennung zwischen der Räumungs- und der Entschädigung sfrage festhält. Die deutschen Sachverständigen für die Entschädigungsverhandlungen werden demnächst ernannt, die weiteren Schritte sollen aber wahrscheinlich nicht durch eine Note, sondern auf dem Weg mündlicher diplomatischer Besprechungen behandelt werden. Die Zusammensetzung des in Genf beschlossenen Ausschusses ist in einigen Wochen zu erwarten. Seine Aufgaben sind indessen so schwierig, daß vor Ablauf einiger Monate mit irgendwelchen praktischen Ergebnissen nicht zu rechnen ist. In der Räumungsfrage haben Frankreich, England und Belgien in Genf den rechtlichen und moralischen Anspruch Deutschlands bestritten. Hier bleibt Deutschland nichts anderes übrig, als eine Wartestellung einzunehmen. Irgendwelche Noten der Reichsregierung in dieser Angelegenheit wird man also in Paris und London vergebens erwarten.
Deutschland soll noch mehr bluten
Paris, 8. Oktober. Der Hauptberichterstatter der Finanz- Kommission der französischen Kammer, Lhappadelaine, schreibt im „Matin": Deutschland hat nun zum ersten Mc 2500 Millionen Goldmark Dawesleistungen zu bezahlen, wo- von auf Frankreich 1300 Millionen entfallen, was ungefähr dem siebenten Teil der Gesamtsahresausgabe des französischen Staates entspricht. Vom sechsten Dawesjahr aber kann auf Grund des Dawesgesetzes die deutsche Iahres- ahlung im Verhältnis zur Meßzahl des eutschen Wirtschaftslebens erhöht werden. Die Wirtschaftslage Deutschland offenbart eine solche Besserung, daß sie in einer weiteren Steigerung der deutschen Zahlungen um mehrere 100 Millionen Mark zum Ausdruck kommen muß.
Es ist kaum anzunehmen, daß der Vorsitzende der Finanzkommission solche Wünsche und Anschauungen ohne Wissen und Willen des Finanzministers und Ministerpräsidenten Poincarä zum Ausdruck bringt.
Ein unglaubliches Vorkommnis
Söpenickiade im Rundfunk
Berlin, 8. Oktober. Am Samstag abend sollte ein Schriftleiter des sozialdemokratischen „Vorwärts" namens Schwarz am Berliner Rundfunksender einen Borkrag über „Fragen der Friedenssicherung" halten. Schwarz wurde in einem Personenkraftwagen, in dem noch drei Männer saßen, angeblich zum Vortrag abgeholt, das Auto sauste aber weiter und die drei Männer bedrohten Schwarz mit Revolvern, falls er Lärm mache. Als angeblicher Schwarz hielt dagegen ein Kommunist am Sender eine Brandrede gegen den Bau des Panzerkreuzers und forderte in der Rundfunkrede auf, das kommunistische Volksbegehren gegen das Panzerschiff zu unterzeichnen. Zum Schluß drohte er mit der kommunistischen Revolution. Schwarz wurde nach ständiger Autofahrt auf der Landstraße bei dem Dorf Groß-Ziethen, Kreis Teltow, abgesetzt, das Auto fuhr davon.
Der Redner am Rundfunk war der kommunistische Landtagsabgeordnete Schulz. Als er seine Rede gehalten hatte, verschwand er schleunigst und hielt sich bis zum Sonntag morgen bei Gesinnungsgenossen in Neukölln, dann über den Sonntag im Reichstagsgebäude verborgen. Die parlamentarische Unbestrafbarkeit ruht nämlich während der nächsten 24 Stunden nach Begehung der Straftat. Auf der Fahrt nach dem Vorort Neukölln war Schulz aber aon dem soz. Schriftleiter Schiff vom „Vorwärts" erkannt und in der Untergrundbahn mit der Faust bearbeitet worden. Nachdem die „Freizeit" abgelaufen war, hat Schulz am Montag gegen Schiff einen Strafantrag wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung gestellt.
Entschuldigung des Rundfunkkommissars
Der Rundfunkkommissar des Reichspostministeriums teilt Vst: Der Angestellte des UiLdfunks« der di.« Verträge M