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Nummer 116 Fernruf 179 Samstag, den 19. Mai 1928 -

I Oie Krauen und die Wahl.

Von Ännagrele Lehmann, M.d. L.

! Die Revoluiivn hat uns deuijche Frauen zuerst zur

Wahl gerufen, und eine uderrafchend groge Zahl von uns I Hai sich damals >m Januar 1919 mu ihrem Anjchlutz an die Leuifchnanvnale Voltsparlei zu dem Willen velannl, j Aewahrerin und ErhaUerin der christlichen und nalionalen ^ Eurer und Förderin der daraus sich ergebenden jozialen Auf- gaben zu fein. Fehl nach 9 Fahren mutz der gleiche Gedanke uns keilen; denn die revolutionären Bestrebungen sind keines- ! Wegs erloschen, sie erstrecken sich jetzi nur weniger auf äutzere Umwälzungen, als vielmehr auf eine Umwertung der Ideen­welt. Das beweijen uns zahlreiche Erfahrungen auch gerade der jüngsten Zeit.

Wir kämpfen für die Erhaltung der christlichen Familie, die man vielfach als überlebte Gemeinjchaslssvrm hinstellk und nach wirtschaftlichen Zweckmäßigkeiten umwandeln möchte.

Wir wenden uns gegen die Bestrebungen, eine leichtere Lösbarkeit der Ehe herbeizusühren, wie die Parteien sie er­streben, die noch in letzter Stunde in dem stch jchon aus­lösenden Reichstag die Ehejcheiduiigsresorm durchbringen ! wollten.

! Wir treten ein für das Elternrecht in der Jugend­

erziehung, das zwar in der Berjafjung gewährleistet, in ^ Wirklichkeit aber stark bedroht ist, wie das Scheitern des Reichsschulgejetzes gezeigt hat.

Wir wehren uns dagegen, daß Väter und Mütter mit christlicher Gesinnung sich gefallen lassen müssen sollen, üatz das, was ihnen heilig ist, vor ihren Kindern m der Schule herabgesetzt werden darf.

Wir sordern, datz das Gesetz zurBewahrung der Jugend vor Schmutz und Schund" endlich so durchgesührt wird, datz der Zügellosigkeit, die man häufig alsneue Sittlichkeit" Preist, nicht durch ösjenilich feilgebotene an- s stößige Bilder und Schriften fernerhin Vorschub geleistet

1 wird.

j Wir ringen auch bei dieser Wahl um die Erhaltung

l und Stärkung der seelischen Kräsle in unserem Volk; denn wir wissen, daß nur ein starker innerer Hall die Möglichkeit ! in sich birgt zu dem Eiiiporklimmen aus einer so abgrund- t'-sen Not wie der unseren.

Drum fort mit Eigenbrödeleien und Splitterparteien!

Ihr Frauen alle in Haus und Berus, wer von Euch eine freie deutsche Zukunft will,

Wählt deutschnationall ^

i.-

. !

Ein Mann, ein Demokrat, ein Mhrer

Erich Koch-Weser, der erwählte Führer der-deutschen Demokraten, ist ein Kind der Wasserkante. Der jetzt 53jährige ist geboren am 26. Februar 1875 in Bremerhaven. Nach Abschluß seiner juristischen Studien lag sein Wirkungs­kreis zuerst in seiner nordwestdeutschen Heimat: bis 1909 war er Bürgermeister in Delmenhorst, bis 1913 Stadt­direktor in seiner Vaterstadt. Schon früh kam er in die Politik. Taktvolles Maßhalten, kluge Einsicht in das Ge- schichtlich-Eewordene wußte er mit den Forderungen der vorwärtsdrängenden Zeit zu verbinden so wie es das Ideal freiheitlich gesinnten-Bürgertums immer gewesen ist.

Als Mitglied des Oldenburger Landtages und später der Bremer Bürgerschaft vertrat er schon frühe die Eedanken- günge, die den Wesenszug der Demokratie ausmachten.

Ein Jahr vor Kriegsbeginn wurde Erich Koch nach Kassel berufen, wo er als Oberbürgermeister dieser auf­strebenden Stadt eine überaus fruchtbringende kommunale Tätigkeit entfaltete. Beiläufig erwähnt, gehörte er in dieser Eigenschaft auch dem preußischen Herrenhause an. Nach dem Umsturz wurde Koch von seiner neuen Heimat zur Aufbauarbeit in die Nationalversammlung gewählt. Im Oktober 1919 wurde er mit dem Amte des Reichsinnen­ministers betraut. Die Bedeutung dieses Amtes in jener Zeit wird klar, wenn man an die Kämpfe im Ruhrgebiet und an den Kapp-Putsch denkt. Das energische Auftreten gegen die Rebelten von rechts und links einVer­handeln" wurde von ihm abgelehnt schuf Kalo die Ordnung, auf deren Grundlage der Weiterausbau und die Befestigung des neuen Staates erst möglich waren. Als Führer der Demokraten (Nachfolger Petersens) sorgte er für die klare Linie der Mitte, die der freiheitliche Wähler der Republik gegenüber allen Bürgerblockssehnsuchten sehen wollte. Das Experiment der Rechtsregierung das ! mit dem letzten Reichstag außen- wie innenpolitisch kläglich zusammengebrochen ist zeigte, daß der Weg der Demo­kraten unter Kochs Führung der einzig richtige gewesen ist.

Kochs Führernatur und Führerwille zeigt sich auch in diesem Wahlkampfe. Aus Erfahrung und Wissen, aus Studium der deutschen Geschichte und aus Erkenntnis der großen politischen Zusammenhänge wurde er zum Rufer im Kampf für den Einheitsstaat. Seine Kenntnis des Länder­parlamentarismus, dessen Hemmnisse für die Gegenwart und Gefahren für die deutsche Ziikunftsentwicklung, zu­gleich aber Koch-Wesers Eintreten für die Kommune ab eigentliche Zellen der Selbstverwaltung, ließen ihn das Losungswort vom dezentralisierten gegliederten Einheits- staat schon im Jahre 1920 prägen. llm dieses Losungswort und die anderen Hochziele der Demokratie als Erfordernis baldiger Zukunft schart stch der deuische Wähler, wenn er am 20. Mai der List« 6 seine Stimme gibt!

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Fernruf 179 63. Jahrgang

Kern unö Stern des! Wahlkampfes

Gedanken und Aussprüche

Von Erich Koch-Weser.

Gegen die Länderbürokratien.

Unter den ersten Maßnahmen ist es das Wichtigste, die Köpfe für den Einheitsstaat zu gewinnen. Die hauptsäch­liche Hemmung, weswegen wir nicht zu einer Festigung des Reiches und einer Rationalisierung unseres Staats­lebens gelangen, ist das Souverän itätsgefühl der Länderbürokratien, die sich keinen Stein aus ihrer Krone Herausbrechen lassen wollen, auch wo es im Interesse des Ganzen liegt. Es ist deshalb bedauerlich, daß der Reichsinnenminister von Keudell diesen Bestrebun­gen Vorschub geleistet hat, indem er seine Tätigkeit damit begonnen hat, den Ländern die Souveränität zuzusprechen,, während seine Aufgabe gewesen wäre, erst einmal di« Souveränität des Reiches zu stabilisieren.

Falscher Parlamentarismus in den Ländern.

Für das Reich ist das parlamentarische System un­entbehrlich. Ein Reichsminister kann sich nicht halten, wenn die Mehrheit des Parlaments sich gegen seine Außenpolitik oder Finanzpolitik erklärt. Denn es bedarf im Ausland und Inland des sichtbaren Zeichens, daß das Volk hinter ihm steht. Seiner Gefolgschaft darf nicht erlaubt werden, ihn bei einer unpopulären Maßnahme im Stich zu lassen. Das würde seine Politik dem Volke entfremden und ihn auf die Dauer völlig isolieren. Aber für die Länder mit ihren Verwaltung^ anfgaben wäre es ein großes Glück, wenn sie sich von einem falschen Parlamen­tarismus lösen würden. Es ist nicht nötig, daß die Hälfte der Tagesordnungen der Landesparlamente gefüllt wird mit Anträgen, die die Landesregierung ersuchen, auf die Politik der Reichsregierung einzuwirken.

Das Volk, nicht die Fürsten!

Das neue Reich ist nicht hervorgegangen aus einem Fürstenbündnis, es hat nicht, wie Delbrück es in der Nationalversammlung ausgedrückt hat, den Zweck des alten Reichs, eine Versicherung der Fürsten und der Dynastien gegenüber der demokratischen Flut zu bilden, sondern es ist ein Reich, das aus dem Willen des Volkes zur Einheit her­vorgegangen ist. Das deutsche Volk einschließlich seiner Volksgenossen an seinen gefährdeten Grenzen hat ! nach dem unglücklichen Kriegsausgang treuer und fester an der deutschen Einheit gehalten, als es jemals die Fürsten nach einem unglücklichen Kriege getan haben.

Eigenart der Stämme?"

Niemand kann an dem Gedanken vorübergehen, daß die Eigenart unserer deutschen Stämme erhalten bleiben muß. Aber sie ist nicht erhalten in den zufälligen Staats­konstruktionen. Ist etwa der Rheinländer dem Ostpreußen ähnlicher geworden als der Mecklenburger oder Thüringer? Und lebt westfälische Eigenart etwa nur in Lippe und Schanmburg-Lippe?

Achtzehn reden dazwischen.

In einem Zeitalter, wo man von der Ralionnlisierung der Wirtschaft spricht, wo der Staat es für seine Aufgabe hält, der Wirtschaft Rationalisierungsmethoden auszu­drängen, ist es eine Pflicht des Staates, auch seiner­seits mit der Rationalisierung voranzugehen. Was von der Verwaltungsresorm geredet wird, bleibt Schaum und Wind, wenn es nicht gelingt, sie an der einzig möglichen Stelle anzupacken, wo zuerst angepackt werden muß, und den Kampf gegen die unerträgliche Viel- und Doppelarbeit aufznnehmen. Diese Vielarbeit entsteht da­durch, daß je> - Reichsangelegenheit an 18 Stellen bearbeitet werden mutz, datz Reibun­gen und ungesunde Wettbewerbsbestrebungen zwischen den einzelnen Ländern einsetzen, datz das parlamentarische Getriebe in Deutschland an 18 Stellen sich auswirkt.

Ei« edles Fraueulebe«.

Roman von Carola Weiß.

Copyright by Greimr k Comp. Berlin W 30 .

Nachdruck verboten.

SO. Fortsetzung.

So nickte sie nur stumm Bejahung, und die Alte rückte sich einen Schemel zu dem Ofen, worauf sie sich niederließ, Ort und Stunde eigneten sich zum Erzählen. Draußen war das Wetter nicht besser geworden, Schnee und Regen schlugen prasselnd an die Fensterscheiben, und von Zeit zu Zeit zog es dumpf und schwül durch die Luft, wie ein langgezogener Pfiff; es war der Wind, der in kurzen Pausen um das Schloß fuhr. Drinnen im Zimmer war es behaglich und warm; das niedergeschlagene Licht der Lampe ließ den oberen Teil des Zimmers im halben Dämmer, während es das Gesicht des Mädchens und das welke, zusammengeschrumpfte der Alten hell beschien.

Was Sie sich heute wohl gedacht haben, liebes Fräu­lein, als Sie uns alle so trübe umherschleichen sahen! Daß etwas schwer auf allen lastete, werden Sie wohl geahnt haben, aber tvas, aber was? Und eigentlich wer­ken Sie sich wohl schon oft im stillen gefragt haben, was eS mit der Mutter unserer Kleinen ist; ob sie noch lebt oder tot ist, und warum nie von ihr gesprochen wird? Nun ich will Ihnen alles erzählen, und der Reihe nach, erst von dem seligen Herrn, dann von ihr . . . von mei­nem Liebling.

Meine Gnädige ist aus dem fürstlichen Hause Clary und hat den seligen Herrn aus Liebe geheiratet. Er war ja auch der schönste Kavalier des Landes, feurig und mutig, daß sein Name nur mit Stolz genannt wurde.

Sie waren ein schönes Paar, meine Gnädige und der Herr Graf, und wenn sie sich auf der Straße zeigten, blieben die Leute stehen und blickten ihnen nach. Sie führ- tenTäber auch ein Leben wie die Engel im Himmel, er iMMden Wunsch an den Augen absehend, sie keine Freude cäußK^ihm kennend. Und erst als Geza geboren wurde uWsechs Jahre später die Irma . . . Gott, dieses Glück, HiM Jubel l Ich glaube nicht, daß es ün ganzen Lande

glücklichere Menschen gegeben hat, als es die beiden waren. Und oh, meine Gnädige, sie war damals ganz anders als jetzt! Fröhlich und glücklich und hatte ein Herz für andere. Nie ging das Unglück ungetröstet von ihr. Stolz war sie immer, und warum sollte sie es nicht sein? So jung, so schön, aus dem fürstlichen Hause, angebetet von den Eltern, deren einziges Kind sie war, und vergöttert von ihrem Manne! Eine Kaiscrstochter hatte es nicht besser als sie.

So gingen die Jahre hin, der Geza war acht, die Irma zwei Jahre alt, da brach die Revolution aus. Der Adel erhob sich und hielt mit dem Volke, um Recht und Freiheit zu retten, und an der Spitze der Bewegung stand unser Herr.

Wie sie ihn liebte, meine Gnädige, ich kann es nicht, sagen! Und doch, wie sprach sie zu ihm, als er Abschied nahm, um zu dem geworbenen Heere nach Preßburg zu stoßen. Die Irma auf dem Arme, den Geza an der Hand, so stand sie vor ihm, und sie glaubte nicht anders, als das Herz breche ihr vor Jammer.

Geh mit Gott," sagte sie,geh mit Gott! Wie kann ich dich von dem zurückhalten, wozu alle deine Standes­genossen Mut und Aufopferungssiun haben? Das Land ruft, geh, und Gott beschütze dich!" Er ging, und sie sah ihn nur noch ein einziges Mal wieder und in welcher Verfassung . . .1"

Die Alte hielt eine Weile inne und fuhr dann fort:

Sie haben studiert und kennen die Geschichte jenes unglückseligen Jahres besser als ich; Sie wissen, wie es begann, und wie es endete.

Unseren armen Herrn ereilte das Verhängnis früh. Er war von den wilden Scharen des Heynan geschlagen und gefangen genommen worden und sollte in Preßburg gehängt werden, gehängt, denken Sie sich, der stolze Graf Cillagi, der edelste Kavalier des Landes, gehängt, wie ein gemeiner Dieb.

Als die Schreckensnachricht aus Preßburg kam, war der Jammer und das Entsetzen groß, ich glaubte nicht anders, als daß unsere Frau wahnsinnig werden würde. Zwei Tage und zwei Nächte verbrachte sie ohne Speise

und Trank in wortlosem Jammer. Am dritten Morgen faßte sie endlich einen Entschluß. Sie ließ anspannen und fuhr nach Preßburg. Doch sie kam nicht weit in der gräflichen Kutsche. Die ganze Gegend .wimmelte von Kaiserlichen. Eine Stunde von hier ließ sie den Wagen zurück und ging als Bäuerin weiter nach Preßburg. Was sie dort wollte? Ihn noch einmal sehen, ihn retten oder wenigstens den schmählichen Tod von ihm abwenden. Es sollte ihr gar nichts gelingen, nicht einmal der Zutritt wurde ihr zu ihm gewährt. Man hatte kein Mitleid mit der Frau des Rebellen. Es mußte ein Beispiel gegeben werden, indem man den stolzesten Edelmann des Landes auf diese Weise enden ließ.

Sie sah ihn erst, als er unter Trommelschlag mit auf den Rücken gebundenen Händen zum Richtplatz ge­führt wurde. Es hat ja damals in den Zeitungen ge­standen und erzählt haben es sich die Leute auf den Straßen und in den Häusern noch jahrelang nachher, wie eine totenblasse Frau nahe der Richtstätte auf den Gefangenen zugestürzt sei und wie der Verurteilte das Weib seines Herzens wegen der gefesselten Hände nicht habe aufrichten können, nur niedergekniet sei er und habe sie auf den blassen, stummen Mund geküßt, und wie er dann der Menge zugcrufen, er lasse seiner Nation, seinem Volke Weib und Kind als letztes Vermächtnis und wie dann ein heftiger Trommelschlag seine weiteren Worte abgeschnitten und. nach einer Viertelstunde alles vor­über war.

Acht Tage später kam die Gräfin zurück und ich, die ich ihre Amme war, die ich mit meinem Herzblut genährt habe, habe sie nicht wieder erkannt. Eine schöne, junge Frau hatte das Schloß verlassen, eine gebrochene, mit starren Gesichtszügen und ergrautem Haare kehrte wieder. Ich schwöre es Ihnen, liebes Fräulein! Ihr schönes, schwarzes Haar, ganz weiß war es geworden und ist auch so geblieben und die Trauerkleider hat sie seit damals auch nicht wieder abgelegt und jedes Jahr, wenn dieser Tag wiederkehrt, schließt sie sich in ihre Zimmer ein, und bleibt ohne Nahrung und ohne ein menschliches Gesicht zu sehen." <'

(Fortsetzung folgt.) ^