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Nummer 170 i?s
Die passive deutsche Handelsbilanz
Der ungünstige Bericht über den deutschen Außenhandel im Juni hat den'Kursstand an der Berliner Börse ungünstig beeinflußt. Diese Wirkung ist durchaus berechtigt. Der hohe Passivsaldo unsrer Handelsbilanz, der sich für die ersten sechs Monate des laufenden Kalenderjahrs auf 1988 Millionen Mark beläuft, beweist, daß die deutsche Wirtschaftszukunft alles andere als rosig ist, daß also eine weitere Steigerung des Kursstands unserer Wirtschaftspapiere nicht berechtigt wäre. Die Hartnäckigkeit, mit der Monat für Monat unsere Außenhandelsbilanz passiv bleibt, kann nicht mehr mit der Redensart abgetan werden, es handle sich um eine im Grunde ganz normale Erscheinung, die verschwinden werhe, so bald die Konjunktur weiter fortgeschritten sein werde. Wir müssen uns vielmehr zweierlei überlegen: erstens, was eine dauernde Passivität unserer Handelsbilanz finanziell und nationalwirtschaftlich bedeutet, und zweitens, ob und wie eine gründliche Aenderung dieses unerwünschten Zustands zu erreichen ist.
Es hat wenig Zweck, die verhältnismäßig kleinen Schwankungen, die der deutsche Außenhandel von einem Monat zum andern zeigt, festzustellen und mit Gründen zu belegen. Wichtig dagegen sind die großen Schwankungen innerhalb längerer Zeiträume. Wir müssen feststellen, daß die bisherigen Zahlen des Jahrs 1927 große Aehnlichkeit mit den Zahlen von 1925 haben. In den ersten sechs Monaten von 1925 hatten wir einen Passiosaldo von 2200 Millionen, in den ersten sechs Monaten 1927 von fast 2000 Millionen. Beide Zeiträume zeigten infolge knapper deutscher Ernten überdurchschnittlich hohe Einfuhrüberschüsse für Nahrungsmittel, und zwar für Januar bis Juni 1925 1600 Millionen und für Januar bis Juni 1927 sogar 1893 Milanen. Im ersten Halbjahr 1926 nach der befriedigenden deutschen Ernte von 192S belief sich der Einfuhrüberschuß an Nahrungsmitteln nur auf 1249 Millionen Mark. Immerhin betrug der Unterschied zwischen den Jahren 1925 und 1927 einerseits und 1926 anderseits nur 350 bezw. 650 Millionen Mark. Eine ausreichende Erklärung dafür, daß die ersten Halbjahre 1925 und 1927 Passivsalden der Handelsbilanz von 2000 Millionen Mark und darüber, das erste Halbjahr 1926 dagegen einen Aktivsaldo von 520 Millionen ergeben haben, liegt darin aber nicht. Den Ausschlag haben vielmehr die Rohstoffeinfuhren gegeben, deren Ueberschüsse (abzüglich Ausfuhren) sich in den ersten Halbjahren wie folgt stellten: 1925 : 2600 Millionen, 1927: 2380 Millionen, 1926 dagegen nur 1110 Millionen Mark. Bei dieser Betrachtung sind die Ausfuhrzahlen unberücksichtigt geblieben, und sie werden auch unberücksichtigt bleiben, denn die deutsche Ausfuhr stockt seit zwei Jahren fa st völlig. Die Gesamtausfuhrzahlen in den Halbjahren seit Anfang 1925 stellten sich wie folgt: 1925 erstes Halbjahr: 4120 Millionen, zweites Halbjahr: 4678 Millionen: 1926 erstes Halbjahr: 4767 Millionen, zweites Halbjahr: 5046 Millionen: 1927 erstes Halbjahr: 4774 Millionen. Betrachtet man nur die Fertigwarenausfuhr, so ergibt sich folgendes Bild: 1925 erstes Halbjahr: 3120 Millionen, zweites Halbjahr: 3505 Millionen; 1926 erstes Halbjahr: 3515 Millionen, zweites Halbjahr 3480 Millionen; 1927 erstes Halbjahr: 3483 Millionen Mark. Der Ueber- schuß der Fertigwarenausfuhr über die Fertigwareneinfuhr belief sich in den fünf Halbjahren auf 2060, 2560, 2940, 2790 und 2390 Millionen Mark.
Aus der unbefriedigenden Entwicklung unserer Handelsbilanz ergibt sich folgendes: Wir haben' auf dem Weg zu einer aktiven Handelsbilanz, die allgemein als Voraussetzung für eine wirkliche deutsche Zahlungsfähigkeit anerkannt wird, kaum die allerersten Schritte getan. Die Deckung des Fehlbetrags in. unserer Handelsbilanz erfolgt durch Aufnahme immer neuer Darlehen. Die nachweisbare Verschuldung der deutschen Wirtschaft (Anleihen und Aktienausgaben im Ausland) ergeben kein vollständiges Bild der tatsächlichen Verschuldung. Hinzu kommt nämlich der zahlenmäßig nicht festzulegende freihändige Aktienaufkauf' durch Ausländer. Tritt nicht in der deutschen Außenhandelspolitik bald eine entscheidende Wendung zum Bessern ein, so muß sich der fremde Kapitaleinfluß in nicht ferner Zeit entscheidend in der deutschen Industrie geltend machen Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, wir könnten jetzt daran gehen, wirtschaftliche Erträge so zu verteilen, daß die Verbrauchstraft aller Schichten des deutschen Volks über das bisherige Maß hinaus gesteigert wird. Hoffentlich merken wir nicht zu spät, daß das, was wir neu zu verteilen suchen, gar keine rechten Wirtschaftserträge, sondern zufällige und vorübergehend verfügbare Barbeträg, waren.
Neue Nachrichten
Die Gebührenerhöhung der Reichspost Berlin, 24. Juli. Der Verwaltungsrat der Reichspos beschloß, das Briefporto im Ortsverkehr aus 8 Pfennig festzusetzen. Der Brief im Fernver- kehr soll entsprechend dem Antrag des Arbeitsausschussei 15 Pfennig, über 20 bis 250 Gramm 30 Pfennig und über 250 bis 500 Gramm 40 Pfennig kosten. Drucksachen-
Montag den 25. Juli 1S27
Tagesspiegel
Der Reichsschulgesehenkwurf ist dem Reichsrak zugegangen und von diesem dem Ausschuß überwiesen worden.
Die belgische Regierung hat dem deutschen Gesandten in Brüssel eine Antwort auf die letzte deutsche Denkschrift überreicht. In dieser sehr kurzen Antwortnote hält die belgische Regierung ihre Behauptungen aufrecht.
karten auch mit anliegender Antwortkarte sollen einer ermäßigten Gebühr von 3 Pfennig unterliegen. Im übrigen bleibt es für das Drucksachenporto bei den Vorschlägen des Arbeitsausschusses, nämlich 5 Pfennig bis 50 Gramm. Auch die anderen Portoveränderungen wurden entsprechend den Vorschlägen des Arbeitsausschusses beschlossen..
Auch die Gebühren für Paketbeförderung wurden nach den Beschlüssen des Arbeitsausschusses angenommen. Die Gebühren betragen danach bis 5 Kilogramm sür die erste Zone 0.50 für die zweite Zone 0.60 für die dritte Zone 0.80 °K, für die vierte Zone 0.80 für die fünfte Zone 1.00 für jedes weitere Kilogramm beträgt die Gebühr 10 F bezw. 20 Z, bezw. 30 Pfennig, bezw. 35 Z, bezw. 40 Z. Angenommen wurde ferner ein Antrag, wonach im Paketverkehr zwischen Ostpreußen und dem übrigen Reich zum Ausgleich der in Polen liegenden Strecken die Gebühr der jeweilig nächstniedrigeren Zone in Ansatz gebracht wird.
Zu bemerken ist ferner, daß das eingeschriebene Paket in Zukunft ab geschafft wird. Eine Reihe weiterer Bestimmungen wird gleichfalls nach den Vorschlägen des Arbeitsausschusses angenommen. So betragt in Zukunft die Eilzu stell gebühr für B r i e f sendungen im Ortszustellbezirk 40 -Z, im Landesbestellbezirk 80 F, für Pakete im Ortszustellbezirk 60 im Landzustellbezirk 1.20 -K. Die Gebühr für Bahnhofsbriefe beträgt für den Kalendermonat 18 -K, für die Kalenderwoche 6 die Gebühr für dringende Pakete 1 -K, die Gebühr für Einlieferung von Einschreibsendungen usw. außerhalb der Olastschal- terstunden 30 ^. Für Postanweisungen beträgt die Gebühr für 10 20 Z, bis 25 30 -Z, bis 100 -4l 40 -Z, bis 250 -4t 60 Z, bis 500 -K 80 F, bis 750 -4t 1 -4t, bis Beschlüssen des Arbeitsausschusses ebenfaqs 7umdmdummm 1000 -4t 1.20 -4t. Die Zeikungsgebühren wurden nach den Beschlüssen des Arbeitsausschusses ebensalls an. genommen.
Reichspostminister Dr. Schätze! erklärte, die Meldung des Berl. Tageblatts, der Reichswirtschaftsminister sei gegen die Gebührenvorlage, sei eine reine Erfindung.
Gemeinsame Manöver von Heer und Marine Berlin, 24. Juli. Mitte September werden den Blättern zufolge auf der Insel Rügen und in dem dazu gehörigen Seegebiet gemeinsame Hebungen der Reichswehr und der Flotte stattfinden. Der Reichspräsident und der Reichswehrminister Geßler werden an den Veranstaltungen teilnehmen. Im Rahmen der Uebungen wird am 14. September vor Rügen eine Flottenparade stattfinden.
Auch ein deutches Strafverfahren gegen Pieck Berlin, 24. Juli. Nach der Tägl. Rundschau wird sich auch die deutsche Strafbehörde mit der Wiener Reise des Abg. Pieck zu befassen haben. Mit Zustimmung des preußischen Landtags befindet sich Pieck seit einiger Zeit in Unter? suchung wegen Hochverrats; er hat ohne Genehmigung der zuständigen Gerichtsstelle Deutschland verlassen, was einen weiteren Strafgrund darstellt.
Revision Dr. Müllers
Plauen, 23. Juli. Rechtsanwalt Dr. Müller hat gegen das Urteil des Landgerichts Plauen im Prozeß Stresemann- Müller Revision beim Reichsgericht, eingelegt.
Der Wiener Aufruhr war vorbereikek Wien, 24. Juli. Die weitere Untersuchung hat ergeben, daß der Aufruhr vom 15. Juli sorgfältig vorberei- t e t war. Als gleich zu Anfang der Sturm auf den stustiz- palast, die Polizeiwache und die verschiedenen Zeitungsstellen gemacht wurde, brachten bestimmte Gruppen das nötige Benzin zur Brandlegung schon mit. Es ist unbegreiflich, daß die Feuerwehr und der mit ihr erschienene General Römer (der bekanntlich zur Sozialdemokratischen Partei Lbergegangen ist) nicht auf den Gedanken kamen, den Löschzügen dadurch freie Bahn zu schaffen, daß man die Menge mit Wasser übergoß. Dadurch hätte viel Unheil vermieden werden können. Auch die im Zuskizpalast eingedrungenen Schutzbündler haben von den Wasserleitungen innerhalb des Gebäudes keinen Gebrauch geinacht.
Die sozialistische Mehrheit des Wiener Gemeinderaks lehnte einen Antrag der christlich-sozialen Fraktion auf Auflösung der Gemeindeschuhwache ab, ebenso den Antrag auf Auflösung des Gemeinderaks.
Es wurde festgcstellt. daß fast die Hälfte der verhafteten Teilnehmer am Aufruhr schwerbestrafke Verbrecher sind. Die Untersuchung erstreckt sich auch auf die Hintermänner der Äufreizer, die sich vorsichtig im Hintergrund gehalten
Fernruf 178 62. JührgllUg
haben. Am Freitag früh war schon ein vollständiger Rachrichtendienst für den Aufruhr eingeleitek. '
Die Heimatwehren gegen eine Linkskoalition
Wien, 24. Juli. Gegenüber den Gerüchten, die Sozialdemokraten sollen in die Regierungskoalition ausgenommen werden (an Stelle der Großdentschen und des Landbunds, die dafür austreten muhten), hat die Bundesleitung der nationalen Heimatwehren an den Bundeskanzler Dr. Seipel folgendes Telegramm gesandt: „3m Namen sämtlicher alpenländischen Heimakwehren ersuche ich, allen etwaigen Versuchen, die Schuldigen der Ereignisse vom 15. Juli in die Regierung zu nehmen, unbeugsamen Widerstand entgegenzusetzen. Die Heimatwehren müßten sonst MaßnahmenfchärfsterArk ergreifen, gez. Skeidle."
Die „Kriegsgefahr"
Paris, 24. Juli. Wohl im Einverständnis mit Poincare und Brianü weist der Schriftsteller Sauerwein im „Matin" darauf hin, daß der Locarno-Vertrag den gehegten Erwartungen „nicht ganz entsprochen" habe. Tatsächlich sei der Friede in Europa um nichts besser gesichert worden. Der Ursachen, die überall den Frieden gefährden, gebe es noch eine ganze Menge, und nicht die geringste sei der nach dem Wiener Aufruhr wieder stärker betonte Gedanke des Anschlusses Oesterreichs an Deutschland. Würde dies eine Tatsache werden, so wäre damit sofort für eine ganze Reihe von Staaten der Kriegsfall gegeben. Daher sollen die Locarno-Mächte nochmals zusammentreten und unter Beiziehung weiterer Staaten alle Fragen prüfen, die in Europa eine Kriegsgefahr bilden (z. V. den Anschluß). Deutschland beklage sich häufig, daß Frankreich nicht alle Folgerungen aus dem Locarno- Vertrag ziehe. Ein hauptsächlicher Grund für diese „Zurückhaltung" (!) Frankreichs sei eben, daß Frankreich die Haltung Deutschlands in der Anschluß frage nich^ kenne, und deshalb könne es die Truppen aus dem Rheinland nicht zurückziehen. — Eine erbärmlichere Begründung des französischen Vertragsbruchs von Locarno ist wohl noch nicht ersonnen worden.
Diebstahl englischer Marineakken
London, 24. Juli. In London ist aus dem Auto eines Marineoffiziers ein Koffer gestohlen worden, in dem sich wichtige Papiere des Mmmeamts befanden.
Württemberg
Stuttgart, 24. Juli.
70. Geburtstag. Der bekannte Chemiker und Forscher Dr. Franz Hundeshagen, der aus Apolda stammt, aber feit 1890 in Stuttgart lebt, feierte am 23. Juli den 70. Geburtstag. Die Technische Hochschule ernannte den Jubilar zum Dr. Ing. ehrenhalber.
In körperlicher und geistiger Frische feierte am Sonntag Kommerzienrat Adolf Bader, Teilhaber der weitbekannten Briefumschlag- und Papieraussiattungsfabrik Eugen Lemppenau in Stuttgart, den 70. Geburtstag. Der Jubilar hat nicht nur durch seinen geschäftlichen Weitblick an dem Emporblühen dieser Fabrik, deren Teilhaber er seit 1884 ist, hervorragenden Anteil, sondern er hat sich auch in der Geschäftswelt Stuttgarts und Württembergs die größte Hochschähung durch seine vortrefflichen Charaktereigenschaften gesichert. Seit vielen Jahren ist Kommerzienrat Bader Handelsrichter, Handelsschulrak, Ausschußmitglied des Eisen- bahnraks und Mitglied vermiedener Gesellschaften und namentlich von Mohltätigkeiksvereinigungen, für die er stets ein warmes Herz und eine offene Hand gehabt hat.
Die nächsten Bohnbauken in Württemberg. Bei der gestrigen Eröffnungsfeier des zweiten Bauteils des Stuttgarter Hauptbahnhofs machte Präsident Dr. Sigel Mitteilungen über die weiterhin in Angriff zu nehmenden größeren Bahnbauten in Württemberg. Die beiden noch rückständigen Gleishallen 1 und 2 des Hauptbahnhofs sollen noch im laufenden Jahr fertiggestellt werden; mit dem Güterbahnhof hofft man bis 1931, mit dem viergleisigen Ausbau bis Ludwigsburg bis 1929 und mit dem Umbau des Bahnhofs Ludwigsburg bis 1930 fertig zu werden. Die Strecke Cannstatt—Obertürkheim soll bis Ende 1928, die Strecke Oberkürkheim—Eßlingen bis 1930 fertig sein. Dann kommt noch der Umbau des Güterbahnhofs Eßlingen, der bis 1932 fertig werden soll. Die Gesamtkosten des Baus des Bahnhofs Stuttgart und Umgebung belaufen sich dann einschließlich der noch fehlenden Arbeiten auf rund 200 Millionen Reichsmark. Das weitere Programm für die Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes in Württemberg enthält außer den Nebenbahnbauten 3 große Bauaufgaben:
1. der volle Ausbau des Bahnhofs Stuttgart und Umgebung:
2. die Nord—Südlinie, Osterburken—Jmmendingen; -3. di< Elektrifizierung, die sämtlich in den nächsten Jahren teil-/ fertiggestellt, teils in Angriff genommen werden. Nach den letzten Erklärungen des Generaldirektors Dr. Dorp- müller in Karlsruhe wird es bei dem Plan verbleiben, daß als erüe Strecke für die Elektrifizierung in Süddeutschland die Strecke München—Ut:n— Stuttgart—Karlsruhe— Kehl mit den Seitenlinien nach Tübingen und Heilbronn drankommen wird.