arbekt gehen, an der sich auch sämtliche Feuerwehrett der Umgegend beteiligten. Die Gehöfte und Felder sind bis nach Heidenau und Pirna verschlammt. In Berggießhübel sind sämtliche Brücken weggerissen und 20 Häuser glatt vom Bo­den wegrasiert. Die Apotheke wurde mitten entzwei geris­sen. An vielen Häusern sind ganze Wände oder große Mauerstücke ausgerissen. In einem Haus haben sich die Wassermassen mitten durch das Erdgeschoß einen Tunnel ge- brachen. Der Schienenweg der Eisenbahn ist völlig unter­spült, die Gleise sind stellenweise gebogen wie Bindfäden. Die Zugangsstraßen zu Berggießhübel sind mit meterhohen Barrikaden von Trümmern, Höusergebälk, Möbelresten, Leichensteinen (der Friedhof wurde ganz zerstört, nur das Gefallenendenkmal reicht unversehrt hervor) verstaut. Das Städtchen, das dieses Jahr schon zwei Hochwasser zu über­stehen hatte, ist wirtschaftlich zugrunde gerich- t e t. Ganze Familien, die hilferufend auf den Dächern sich zusammengeklammert hatten, haben gemeinsam den Tod ge­funden. Der Festplatz für das Schützenfest, das am Sonntag in Berggießhübel stattfinden /sollte, ist in eine Wüste ver­wandelt, der Unternehmer ist ertrunken.

In Gottleuba, das talaufwärts liegt, sind ebenfalls einige Häuser eingestürzt, die Zerstörung ist kaum weniger grauenvoll als in Berggießhübel. Schlimm sieht es auch in den Ortschaften Rottwerndorf und Neundorf aus, wo 18 Häuser weggerissen und alle Brücken weggerissen sind. Alle Häuser am Ufer der Gottleuba sind auseinander­gerissen.

Die Polizei hak das Gelände und die Straßen gesperrt, es werden nur die Lastautos der Feuerwehr und die Kraft­wagen der Pressevertreter durchgelassen, gegen die andern Autos zeigt die Bevölkerung eine begreifliche Feindseligkeit: es sei nicht Ort noch Zeit, zugaffen, sondern zuhelfen. Auf dem Weg nach Berggießhübel sieht man ein Auto, das der Flutwelle zu entrinnen suchte und von ihr eingeholt wurde. Die vier Insassen sind darin, eingeklemmt, ertrunken, dem Wagenführer fehlt der Kops. An einem Baum hängt eine halbe Kuh. lieber dem ganzen Ort liegt der Geruch von Chlorkalk, mit dem die Leichen der Ertrunkenen bestreut wurden. Man schätzt die Zahl der Todesopfer auf über 100; 13 liegen in der Kirche, 42 sind in der Turnhalle niedergelegk.

Sehr schlimm lauten die Nachrichten auch aus dem Müg- litztal, wo besonders das lieblich gelegene Städtchen Glas­hütte schwer gelitten hat. Die Brücken sind zerstört, die Wege und Straßen mit Schlamm und Trümmern bedeckt. Im Bahnhof Glashütte geriet eine Wasserwoge zwischen zwei Eisenbahnzüge und sie warf den einen nach rechts, den andern nach links um,' drei Magen stürzten in die Müglitz, zwei Wagen wurden forkgeschwemmt und sie rannten 200 Meter rückwärts ein Haus ein, ein Wagen liegt 500 Meter abwärts im Bach. Die eiserne Eisenbahnbrücke ist zerdrückt und 40 Meter weit verschoben. Der Eisen­bahnbetrieb wird erst in Monaten wieder auf- genommen werden können. In der Ahrenfabrik von Skü b- ner in Glashütte sind Mauern von ^ Meter Stärke ge­borsten. In einer Konditorei sind alle Bewohner des Erd­geschosses ertrunken, in einem andern Haus wurde eine ganze Familie vom Schlamm erstickt.

In Lauenstein, oberhalb Glashütte, ist der Bahnhof zerstört: ein Güterzug wurde viele Meter weit auf die Straße gedrückt, dis eisernen Brücken, die Dämme und me Gleisanlagen sind völlig zerstört und weggeschwemmt. Aber als ob des Unglücks noch nicht genug wäre, brach am S a m s- tag nachmittag nach gräßlicher Hitze über Berggieß­hübel ein neues Gewitter los, das eine volle Stunde lang tobte und die Gottleuba von neuem anschwellen ließ. Alle Straßen wurden wieder unter Wasser gesetzt. Da in Berg­gießhübel alle drei Bäckermeister ums Leben gekommen sind, droht Mangel an Brot, auch fehlt es vielfach an Trinkwasser, da verschiedene Wasserleitungen zerstört worden sind. Die Reichswehr in Dresden hat eine Anzahl Feldküchen her­beigebracht, durch die die Armen gespeist werden, auch Le­bensmittel usw. sind in größeren Mengen eingetroffen.

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Am Samstag hat auch in West - Sachsen, im mitt­leren Erzgebirge und im nördlichen Oberfranken ein Wolkenbruch verheerend gehaust. Chemnitz stand einige Zeit unter Wasser. Leipzig und Umgebung wur­den von einem furchtbaren Hagelwetter betroffen, Felder und Gärten sind verwüstet. Die Bahnstrecke LeipzigHof war durch einen Dammbruch hinter Altenburg mehrere Stunden gesperrt. In Königshofen bei Altenburg wurde ein Gutshof durch Blitzschlag eingeäschert. Auch im böh­mischen Grenzgebiet traten schwere Ueberschwemmungen ein. In Bodenbach z. B. standen die Häuser 2 Meter hoch im Wasser.

Der Verlust an Menschenleben

Die ersten von den Gemeindebehörden aufgestellten Ver­lustlisten verzeichnen folgende Ovfer an Menschenleben: Berg­

gießhübel 96, Wesenstein 6, Rottwernsdorf 12, Gottleuba 8, Lauenstein 10, Glashütte 12. Es ist aber leider wahrschein­lich mit weiteren Verlusten, insgesamt wohl über 150, zu rechnen.

Veileidskundgebungen

Reichspräsident von Hindenbura und Reichskanzler Dr. Marx haben an den sächsischen Ministerpräsidenten Heldt Beileidstelegramme gesandt.

Der ReichsfinanzminU^r hat im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern zunächst eineMillionMark zur Verfügung gestellt. Die sächsische Regierung hat vorerst 125 000 Mark angewiesen.

Württemberg

Stuttgart, 11. Juli. Die Einäscherung des Staatspräsidenten a. D. Blos fand am Sonntag vormittag auf dem Pragfriedhof unter außerordentlich star­ker Beteiligung statt. Unter der Trauerversammlung be­fand sich die gesamte württ. Regierung mit Staatspräsident Bazille, den Ministern Dehlinger, Beyerle.und Bolz, Wehrkreiskommandeur Generalleutnant R e i ni cke, Polizeioberst R e i ch, Oberbürgermeister Dr. Lauten- schlager, sämtliche Mitglieder der württ. soz. Landtags­fraktion und zahlreiche Vertreter der anderen Parteien. Die Leiche wurde von Reichsbannerleuten von der Leichenhalle zum Krematorium getragen. Der hessische Staatspräsident Ulrich, ein Freund des Verstorbenen, hielt die Gedenk- Namen der württ. Staatsregierung sprach Staats­präsident V a z i l l e. Dann folgten zahlreiche Nachrufe und Kranzniederlegungen.

Stuttgart, 11. Juli. Ernennungen. Der Staats­präsident hat die Vorstandsstelle an der Friedrich-Eugens- Realschule in Stuttgart dem Oberstudiendirektor Müller an der Oberrealschule in Ravensburg, die Borstandsstelle an dem Gymnasium in Cannstatt dem Studienrat a. g. St. Ostertag am Karlsgymnasium in Stuttgart, ferner eine Besorderungsstelle der Gruppe 12 dem Ländtagsabg Stu­diendirektor Dr. Schermann an dem Progymnasium und der Realschule in Riedlingen mit der Dienststellung eines Studiendirektors i. b. w. St. übertragen.

Im Bereich des Landesfinanzamts Stuttgart wurden die Regierungsräte Friz und Schneider bei dem Landes­finanzamt, G u o t h, Vorsteher des Finanzamts Hall, Dek - ker, Vorsteher des Finanzamts Tübingen, Hepp, Vor­steher des Finanzamts Weingarten, Engelmann bei dem Finanzamt Stuttgart-Amt Oberregie'rungsräten ernannt.

Investitur bei Sk. Eberhard. Am Sonntag wurde der neue Stadtpfarrer der St. Eberhaidskirche feierlich in sein Amt eingeführt. Unter den Festgästen befanden sich die Mi- "'ster B ° ^ und Beyerle. Präsident Spitznagelund die Mitglieder des Kirchenstiftungsrats und des Kirchenqe- memdesteuerrats. Die Investitur nahm Dekan Rau vor. der sie mit der Festpredigt einleitete.

, Ruhestand. Mit Ablaus dieses Monats tritt Ober-

sorstmeisttr Dr. Schinzinger in Hohenheim in den blei­benden Ruhestand. Professor a. g. St. Weitbrecht an der höheren Bauschule in Stuttgart tritt mit dem Ablauf des Monats Juli d. I. in den bleibenden Ruhestand.

Besuch amerikanischer Apotheker. Mit dem Hapaq- dampfer ..Westfalia", der am 12. Juli, von Neuyork kom- "^nd. m Ouxhafen eintrifft, fahren u. a. eine Anzahl ameri- konischer Apotheker, die unter Führung von Hugo Kantoro- witz, dem Herausgebr derApotheker-Zeitung" m Neuyork, Deutschland unternehmen. Unter anderen Städten wird auch Stuttgart von ihnen besucht werden.

Vezirksrakssihung vom 6. Juli. Nach einer Mitteilung des Vorsitzenden hat das seitherige stellv. Mitglied Wolf seine Mitgliedschaft im Bezirksrat niedergelegt. Der Ge­meinderat Stuttgart hat daraufhin auf den Rest der laufen- den Amtsdauer des Vezirksrats an Stelle Wolfs als zweiten Stellvertreter der Mitglieder des Bezirksrats Baurat und Gemeinderat Karl Heim, seith. 6. Stellvetrreter, und an dessen Stelle Pflasterermeister Friedrich Bach gewählt. In Verhandlung wurde 3 Kraftwagenführern, eichen durch gerichtliches Urteil die Schuld an schweren Z<rastwagenunfatten zugesprochen worden war, der Führer- schein auf Zeit entzogen. Von 12 Wirtschastskonzessions- gesuchen wurden 6 abgelehnt, 4 genehmigt, 1 zurückgezogen und 1 vertagt. In nichtöffentlicher Sitzung wurden noch zahlreiche Wirtschaftssachen und Beschwerden in Fürsorge­sachen erledigt. Letztere wurden sämtlich zurückgewiesen.

Stuttgarter Eau-Liederfest. Am Samstag und Sonntag feierten die zum Gau Stuttgart des Schwab. Sängerbunds gehörenden Gesangvereine in der Stadkhalle ihr zweites Gau- liederfesi. Am Samstag begann die Hauptprobe, an der 10 000 Kinder teilnabmen. Am Sonnkaa vormittag war

das Preis- und Werb'esingen, an dem sickFsechzehn Vereine beteiligten. In der Marien- und Sophienstraße versam­melten sich gegen 2 Uhr nachmittags mehr als siebzig Ver­eine mit Fahnen und Standarten, die durch die dicht mit Zuschauern umsäumke König-, Schiller- und Neckarstraße im Festzug zur Stadkhalle marschierten. Dort wurde das Fest­konzert mit dem Sängergruß eingeleitet, vom zweiten Gau­chormeister Eugen Schneider dirigiert. Gauvorstand Kuhnle bewilikommnete die Gäste. Er richtete an die Negierung, Stadl und Schulbehörde die Bitte, dem Lied und seiner Pflege die gleiche Beachtung zu schenken wie dem Spork. Der Präsident des Schwäbischen Sängerbunds, Oberbürgermeister I ä k l e - Heidenheim sprach weitere Be- grüßungsworke. Der «Sängerwahlspruch" von Jüngst, Sil- chersLorelei" und ArnoldsIn dunkler Nacht" wirkten als Riesenchor von 4000 Sängern ausgezeichnet. Leider ist die Konstruktion der Skadthalle nicht derart, daß eine ein­wandfreie Tonverbreikung gewährleistet wird. Durch die Mitwirkung des Orchesters der Württ. Staatsoper wurde das Programm erweitert. Gegen 7 Ahr abends fand dann die Preisverkeilung statt. Es wurden folgende Preise zuerkannt: EinfacherBolksgesang:Ieein2. Preis: Bezirksverein Ellwangen und Postgesangverein Stuttgart. GehobenerBolksgesang: Erste Preise: Liederkranz Ankertürkheim, Liederkranz Wangen, Harmonie Cannstatt und Kath. Gesellenverein: zweite Preise: Krieger- und Sängerbund Herzogin Wera von Württemberg, Eintracht, Frohsinn Münster, Sängerkranz Edelweiß, Silcherchor. E i n- facher Kunstgesang: Erster Preis: Liederkranz Karls­vorstadt: zweite Preise: Konkordia Degerloch und Singchor des Kath. Familienvereins Kasino. Erschwerter Kunst­gesang: Erste Preise: Liederkranz Boknang und Eintracht Harmonie Zuffenhausen.

Vom Kraftfahrverkehr. Nach einer Zusammenstellung des Polizeipräsidiums Stuttgart waren in seinem Geschäftsbe­reich am 15. Januar 1927 2892 Personenkraftwagen, 1615 Lastkraftwagen, 1720 Krafträder und 150 Kleinkrafträder, zusammen 6377 zugelassen. Im Geschäftsjahr 1926 wurden 2367 Führerscheine neu ausgestellt, 11 versagt und 20 wie­der entzogen. Die Unfälle im Kraftfahrverkehr betrugen im Jahr 1926 zusammen (Sach- und Personenschaden) 1488, darunter 28 Tote. Die Zahl der Uebertretungen im Kraft-» fahrverkehr erreichte im Jahr 1926 die Höhe von 15 639. Die Hauptübertretungen waren Geschwindigkeitsüberschrei­tung (1676), Nichtbeleuchtung des Hinteren Kennzeichens (1394), Befahren verbotener Straßen (1262), Rauchbelästi­gung (906), Aufstellen des Fahrzeugs aus der linken Fahr­bahnseite (884) und Nichteinhalten der rechten Fahrbahn­bahnseite <884) und Nichteinhalten der rechten Fahrbahnseite.

Selbstmorde und Selbstmordversuche. Nach einer Anlage des Jahresberichts 1926 des Polizeipräsidiums Stuttgart be­trug im Jahr 1926 die Zahl der vollendeten Selbstmorde 107 (gegenüber 111 i. I. 1925 und 109 1924) und die Zahl der versuchten Selbstmorde 100, zusammen 207, darunter 138 Männer und 69 Frauen. Die meisten Selbstmorde ent­fallen aus die Monate März mit 28, April mit 25 und Sep­tember mit 20. Der Art nach verteilen sie sich auf Erhängen mit 24, Erschießen 25, Ertränken 31, Vergiften 17, Gasver­giftung 85, Herunterstürzen 5, sonstige Arten (Oeffnen der Pulsader, Ueberfahrenlassen, Erstechen) 20. Der Beweg­grund war in der Hauptsache Lebensüberdruß 54, verschmähte Liebe 25, zerrüttete Familienverhältnisse 23, Nervosität 26. Von den Selbstmördern standen die meisten (44) in einem Alter von nur 2530 Jahren, 3 standen im Alter von 14 bis 16 Jahren und 12 waren über 70 Jahre alt.

Auf einem Schulausflug ertrunken. In voriger Woche machten die Schüler der 8. Klasse der Friedrich-Eugen-Ober- realschule einen geologischen Ausflug in die Steinbrüche bei Münster a. N. Zum Schluß wurde noch im Neckar ein Bad genommen; beim Abmarsch wurde entdeckt, daß der Schü­ler Ebinger aus Vaihingen a. F. fehlte. Er hatte anschei­nend durch Herzschlag den Tod gefunden. Die Leiche konnte erst am Tag später geborgen werden.

Frecher Diebstahl. Ein junger Mann, der am Samstag an der Stiftskirche ein Auto mit Obst ablud, stahl dem Auto­besitzer die Brieftasche. Der freche Dieb wurde von mehreren Personen verfolgt und festgenommen.

Vom Tage. Belm Spielen am oberen Anlagensee stürzte am Sonntag mittag ein unbeaufsichtigter fünfjähriger Knabe aus Gablenberg ins Wasser. Das Kind konnte nur noch als Leiche geborgen werden.

Samstag mittag wurde die Leiche einer Frau und ihres 6jährigen Kindes bei der Ankerttirkheimer Brücke geländek. Bei Nacharbeiten in der Alrichskraße in Ankertürkheim stürzte ein Flaschner ab: er war sofort kok.

Anterturkheim, 11. Juli. Ertrunken. Beim Baden im Neckar ist ein 17jähriger junger Mann vor den Augen seiner Kameraden ertrunken. Trotzdem sofort nach ihm ge-

Jch Hab dich lieb.

44 Roman von -

Urheberschutz durch Stuttgarter Romanzenirale C. Ackermann, Stuttgart.

Bernd sah ernst vor sich hin. Ganz leise fühlte er mit­ten in der freudig gehobenen Stimmung, in die ihn der Mutter versöhnliche Worte versetzt hatten, eine Unruhe in sich aufsteigen.

Ich verstehe dich nicht ganz, Mama. Was uns trennte, weißt du ja! Es liegt nur an dir, es durch ein klares Wort aus der Welt zu schaffen. Ich brauche nichts als dein Versprechen, die Beziehungen, die siebzehn Jahre tot waren, jetzt nicht wieder zum Leben erwecken zu wollen, dann ist alles gut."

Die alte Frau blickte eine Weile still vor sich hin. Dann begann sie mit fester Stimme:

Sie waren aber nicht tot, Bernd! Still unter­brich mich jetzt nicht. Laß mich ruhig zu Ende reden, und dann erst, wenn ich dir alles gesagt habe, antworte. Nein, jene Beziehungen waren nie tot, wenn du auch mit harter Hand einen Grustdeckel darüber legtest. Tu weißt nicht, wie es zwischen zwei Menschen ist, die sich einst liebten, die jahrelang glücklich waren und nicht nur durch tausend gemeinsame Erinnerungen, sondern auch durch Kinder ewig verbunden bleiben, trotz Raum und Feit! Ich habe namenlos gelitten unter dem Unglück, das mich traf. Ich habe jene Frau, die mein Glück zerstörte, namenlos gehaßt und hasse sie noch heute im Tode. Aber ich habe nie auf­gehört, euren Vater zu lieben, wenn ich mich auch schämte, dir, der du ihn so unerbittlich verdammtest, dies je einzu- gestehen. Und was ich dir schon neulich sagte: nicht ihn, sondern mich sah ich als die Hauptschuldige an ..."

^Mamal"

Laß nur. Es ist doch so. Aber wir wollen darüber nicht mehr streiten. Vielleicht hast du ein Recht, deinen Vater zu richten. Du bist sein Sohn, und er hat dir viel zerstört im Leben. Obwohl . . . aber auch darüber will ich mit dir nicht mehr rechten. Du bist ein Mann und kannst handeln, wie du willst. Ich aber bin sein Weib. Ich darf ihn nicht richten und noch weniger von mir stoßen, seitdem ich weiß, daß auch in ihm das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit mir nie erloschen ist und er sich krank sehnt nach uns."

Bernd fuhr auf und starrte seine Mütter angstvoll an.

Was soll das heißen? Was willst du tun? Du kannst doch nicht im Ernste glauben, daß ich zugeben würde . . . Dr. Riemer se wieder hier in unseren vier Wänden zu sehen?"

Nein, Bernd, den Gedanken habe ich aufgegeben, ob­wohl ich sa anfangs hoffte, dich mit der Zeit soweit zu bringen, daß du wenigstens in ein'Wiedersehen einwilligst."

Nie! Niemals, so lange noch ein Atemzug in mir ist!"

Sie nickte traurig.

Ich weiß. Du brauchst es nicht so wild herauszu- schreien. Du hörst ja: ich habe den Gedanken aufgegeben. Vielleicht ist es auch besser so, auch Jellas wegen, die Rück­sichten auf ihren Mann zu nehmen hat. Und für den alten Mann wäre es auf alle Fälle eine bittere Demütigung, so ... als ein um Verzeihung Flehender vor seine Kinder hmtreten zu müssen. Ich habe mich deshalb bemüht, ihm den Gedanken, eines Tages hierher zu kommen, auszu­reden, und dies ist mir auch gelungen: und. wie ich hoffe, ohne daß ich ihn allzu tief damit gekränkt habe."

Bernd atmete auf.

Nun also! Dann"

Warte nur. Ich bin noch nicht am Ende. Was für euch gilt, gilt nicht für mich. Und wenn mein Mann schon

nicht zu mir zurückkehren darf, so könnte doch ich zu ihm . . . für einige Zeit wenigstens . .. und das, Bernd, siehst du, ist der versöhnende Ausweg, den ich meinte."

Sie umschlang seinen Arm und blickte bewegt in hei­ßem Flehen zu ihm auf.

Lieber Bernd, wenn du mich je nur ein bißchen lieb hattest, so erlaube mir das! Gönne mir das Restchen Glück, das sich in meinen alten Tagen nun noch vor mir austut laß mich hinüber zu ihm, und wäre es nur, daß ich mich mit ihm versöhnen und einst in Frieden sterben könnte! Sieh, wenn ich es nicht täte, würde es ewig auf mir lasten, und ich hätte keine Ruhe mehr bei Tag und Nacht. Und wenn ich wiederkomme, will ich dich tausend­fach lieben oafür, daß du ein einziges Mal im Leben dei- m Hutter zuliebe 5 est'-meri machtest ..."

Bernd, der anfangs wie erstarrt zugehört hatte, machte durch eine jähe Bewegung seinen Arm frei und sprang auf.

Nein! Um keinen Preisl Wie kannst du mir so etwas zumuten, Mama? Du die du meine Mutter bist die ich achte diesem Meineidigen nachlaufen?, Es ist unerhört!"

Er war außer sich. Totenblaß wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil vernimmt, stand sie da und sah ihn starr an. Da trat er dicht an sie heran, und die Worte kamen wie zerbissen aus seinem Munde.

Und höre noch das: wenn du es trotzdem tätest gegen meinen Willen, dann gibt es für dich kein Zurück mehr unter dieses Dach! Dann bist du für mich, was er ist: eine Augestoßene, die ich nicht mehr kenne! Nun wähle zwischen diesem Mann und deinem Sohn!"

Er wandte sich ab und trat schwer atmend ans Fenster, vor dem die Nacht ihren lichtergestickten Mantel aus­breitete.

(Lortsetzupa folgt.) ^