Erklärung im Unterhaus über die Genfer Ergebnisse
London, 22. Zum. Zm Anterhause erklärte Lccker- Lampso-n auf eine Anfrage Kenworthys, daß im Verlauf des freimütigen Gedankenaustausches Zwischen den Vertretern Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Japans und Belgiens auf der Genfer Ratstagung keine neuen Verpflichtungen emgegangen oder verlangt worden seien, doch hätten alle Teilnehmer ihren besten Willen zum Ausdruck gebracht, die Politik von Locarno fortzusetzen. Ehamberlain hege die feste Zuver- sicht, daß eines der Ergebnisse der Besprechungen sein werde, die beiderseitige Erfüllung derjenigen Maßnahmen zu erleichtern, die noch ergriffen werden müßten, um den Be- schlüssen der Mächte, wie sie in der Entschließung der Bokschafterkonferenz bezüglich der Besatzungskruppen im Rheinland und der verschiedenen noch aus- stehendm Punkte über die Entwaffnung zum Ausdruck kämen, volle Wirksamkeit zu verleihen-
Amerikanische Stimmen gegen Poincare Neuyork, 22. Juni. Die gesamte amerikanische Presse verurteilt die Sonntagsrede Poincares sehr scharf- Die ..Neuyork Times" schreiben, es sei außerordentlich bedauerlich, daß Poincare in allen seinen sonntäglichen Reden immer wieder von der angeblichen Verstocktheit und dem schlechten Willen Deutschlands spreche, zu einer Zeit, wo sich die Beziehungen zwischen dem Reich und Frankreich bedeutend gebessert hätten. Poincare wolle mit seinen Reden anscheinend die Herstellung des endgültigen Friedens zwischen Frankreich und Deutschland verhindern. Die „Newyork World" meint, Poincare sei kein Narr. Cr wisse sehr wohl, daß Deutschland durch den Locarnovertrag hinsichtlich seiner Grenzen gebunden sei, und daß die Ausführung des Dawesplanes überwacht werde. Er greife nach allen möglichen Argumenten, um die Zustimmung Briands zu einer baldigen Räumung des Rheinlands s u verhindern. Poincares Argumente seien schlecht. Seit ?ocarno und dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund csiehe logischerweise kein Bedürfnis mehr fürdie Anwesenheit französischer Truppen auf deutschem Boden.
Boykott gegen Engländer und Japaner in Amerika London, 22. Juni. Die Chinesen haben die vertragswidrige Verstärkung japanischer Garnisonen in Tsingtau mit 2er Wiederaufnahme ihrer alten Waffe des Wirtschaftsboykotts beantwortet, der sich bereits stark fühlbar gemacht haben muß. Chinesische Kaufleute, die im Widerspruch zu der Volksstimmung weiterhin mit Japanern Handel reiben, sollen nach altem Brauch in Käfige gesteckt und am Rande der Niederlassungen von Schanghai öffentlich« n- geprangert werden. Ob die japanische Beschuldigung, daß der Befehl zu diesem Vorgehen von der Nankinger Regierung ausgegangen sei, richtig ist, fei dahingestellt; jedenfalls hat aber der japanischen Generalkonsul in Schanghai ich gezwungen gesehen, eine Eingabe an die Nankinger Regierung zu richten, in der gegen Aeußerungen der chine- sichen Regierungspresse, die die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Völkern ernstlich gefährdeten, Einspruch erhoben wird. Auch Reuter berichtet von einer Zunahme des englandfeindlichen Boykotts der Gewerkschaften in den Tschiankaischek unterstehenden Gebieten, der in dem Vertragshasen Ningpo besonders scharfe Formen angenommen haben soll. Ohne dadurch an Glaubwürdigkeit zu gewinnen, wird übereinstimmend mit den japanischen Vorwürfen auch von britischer Seite behauptet, oaß die Nankinger Regierung die seit kurzem neu aus geflammte Boykottbewegung ange,zettest habe und schüre.
Deutscher Reichstag
Reichstag und Strafgesehenlwurf
Berlin, 22. Juni. Der Reichstag beschließt heute zunächst gemäß einem Antrag seines Geschäftsordnungsausschusses, daß das gegen den völkischen Abgeordneten Henning wegen anzeblicher Steuersabotage eingeleitete Verfahren bis auf weiteres einzustellen ist und setzt dann die erste Beratung des neuen Strafgesetzbuches fort. Abg. Dr. Bell (Ztr.) betont, als Ergänzung des einheitlichen Strafrechts brauchten wir das noch der Verabschiedung harrende Reichsgesetz über "den einheitlichen Strafvollzug. Auf Einzelheiten eingehend äußert der Redner Bedenken gegen eine zu weitgehende Freiheit des richterlichen Ermessens. Der Schutz der Gesellschaft gegen Gewohnheitsverbrecher müsse verstärkt werden. Aber andererseits müsse die Sicherungsverwahrung mit Kautelen versehen werden, die eine zu weitgehende Anwendung ausschlöhen. Schwere Strafen für Landesverrat seien notwendig, ebenso die Strafbarkeit der Abtreibung. — Abg. Dr. H a a s (Dmn.)
ob jetzt schon der Zeitpunkt fllr eine -Verabschiedung des Entwurfs gekommen ist. In der jetzigen Zeit hochgespannten politischen Fanatismus sei die Entscheidung schwer, ob man Ueberzeugungsverbrecher so behandeln könne, ob man Beleidigungen unter Umständen straflos lassen könne und ob man dem Richterstand, wie er jetzt vor uns stehe, die große Souveränität geben könne, die ihm der Entwurf gewähren solle. Sehr bedenklich seien auch die Bestimmungen über den Landesverrat. — Abg. Koenen (Komm.) bekämpft den Entwurf. Er wendet sich besonders gegen die Todesstrafe und fordert die Auf- /hebung des Abtreibungsparagraphen. — Abg. Dr. Emmin ger (BVpt.) erklärt, daß die allgemeine Zulassung mildernder Umstände einen großen Fortschritt darstelle, ebenso die Aufhebung des Zustandes, daß gefährliche Verbrecher frei herumlaufen könnten, weil sie wegen geistiger 'Unzurechnungsfähigkeit freigcksprochen worden seien. Auf die Todesstrafe als letztes Schutzmittel könne man nicht verzichten. Bezüglich des Duells und der Abtreibung teile er die Bedenken des Abg. Dr. Bell. — Abg. Frick (NS ) erkennt an, daß der Entwurf wesentliche Verbesserungen gegenüber dem geltenden Recht bringt, bezweifelt aber, ob die Jetztzeit mit ibren inneren Gegensätzen für das Reformwerk geeignet sei. — Abg. vonGräfe (Völk.) schließt sich im wesentlichen dem Abg. Dr. Frick an, während Abg. Scholem (linker Komm.) den Entwurf entschieden bekämpft. Darauf wird die Vorlage einem besonderen Ausschuß von 28 Mitgliedern überwiesen.
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Stuttgart. 22. Juni. Erhöhung der Gebäude- e n t s ch u l d u n g s st e u e r. Die Gemeindebehörden werden in einem Erlaß auf das vom Landtag am 15. Juni beschlossene, demnächst im Regierungsblatt erscheinende Aenderungsgesetz zum Gesetz über die Gebäudeentschuldungs- steuer zur Beachtung hingewiesen. Hienach wird der zur Förderung des Wohnungsbaus einschließlich der Erhaltung von Altwohnungen bestimmte Teil der Gebäudeentschuldungssteuer mit Wirkung vom 1. April 1927 von 20 auf 26 Prozent des staatssteuerpflichtigen Gebäudekatasters erhöht. Die volle Gebäudeentschuldungssteuer beträgt daher ab 1. April 1927 jährlich statt 47 53 Prozent.
Vom Landtag. Auf der Tagesordnung der am kommenden Dienstag stattfinden-den Sitzung des Landtags steht der Vierte Nachtrag zum Staatshaushaltgesetz, der Lotteriestaatsvertrag, der Entwurf eines Gesetzes zur Aenderung des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung w«zen öffentlich rechtlicher Ansprüche, die zweite Beratung des Vertrags über die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem württ. Staat und dem vormals landesherrlichen Haus Württemberg, das dritte Aenderungsgesetz zum Polizeiverwaltungsgesetz und die dritte Beratung des Entwurfs eines dritten Nachtrags zum Staatshaushaltsgesetz für 1926 und 1927.
Ernennung. Der in Stuttgark geborene Honorarprofessor in der philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt a. M., v- Dr. phil. h. c. Richard Wilhelm, ist zum vrdentl. Professor daselbst ernannt worden.
Todesfall. Nach kurzer, schwerer Krankheit ist heute früh der Abgeordnete !m Württ. Landtag Dr. phil. Theodor Wolfs gestorben. Seit 1906 gehörte Dr. Wolfs als Vertreter des württembergischen Bauernstands dem Landtag an. Dr. Wolfs, der ursprünglich Pfarrer war, stand an der Spitze der Gründer des heutigen Württ. Bauern- und Weingärtnerbunds. Sekt 1924 war Dr. Wolfs vom Landtag gewähltes Mitglied des Staatsgerichtshofs. Sein Ableben wird in den ihm nahestehenden politischen Kreisen eine schwer auszufüllende Lücke bilden.
Ueber seinen Nachfolger im württ. Landtag ist noch nich! entschieden, da Dr. Wolfs auf der Bszirksliste gewählt war und die Entscheidung des Bauernbunds noch aussteht. Ver-, mutlich wird aber der Landwirt Tobias Hege aus Hausen a. d. Zaber den Sitz Dr. Wolffs auszufüllen haben.
Der Dank des Württ. Kriegerbunds. Der Präsident de- Württ. Kriegerbunds. Generalleutnant Dr. v. Mau r, und der Vorsitzende des Festausschusses, Staatsrat Dr. Hegelmayer, erlasse» eine Kundgebung, in der allen denen wärmster Dank ausgesprochen wird, die sich um das Gelingen des glänzend verlaufenen Bundesjubiläums und der mit ihm verbundenen Veranstaltungen verdient gemacht haben.
Forderungen der Beamtenschaft. Der Württ. Beamtenbund hat an die württembergische Regierung und den Landtag eine Eingabe gerichtet, in der eine sofortige Gehaltserhöhung und keine langwierige Besoldungsreform gefordert wird. Die von der Beamtenschaft gewünschte, in einer Beseitigung b?r Mängel des jetzigen Systems bestehende Reform kann nach einer vorausgegangenen Gehaltserhöhung
in aller Nutze beraten uns ourcygefuyrt weroen. <rs vezreyr neuerdings wieder die Gefahr, daß die Gehaltserhöhung den Gegenstand einer Auseinandersetzung bei den Verhandlungen über den Finanzausgleich zwischen dem Reich und den Ländern bildet. Aus diesem Grund bittet der Württ. Veamtenbund die württembergische Regierung — in Verfolg des ihr vom Landtag erteilten Auftrags — bei den in den nächsten Tagen stattfindenden Besprechungen mit dem Reichsfinanzminister für eine sofortige Erhöhung der Gehälter ein- zntreten und diese Erhöhung nicht von der Gewährung de, Mittel durch das Reich abhängig zu machen.
Sonnwendfeier. Die Stuttgarter Studentenschrft veranstaltete gestern abend eine eindrucksvolle Sonnwendfeier unter großer Beteiligung der Bevölkerung. Nachdem eine Musikkapelle das niederländische Dankgebet gespielt hatte, hielt der Rektor Schmoll vonEisenwerthdie Weibe- rede. Weiter sprach noch der Vorsitzende der Asta. Da- Deutschlandlied beendigte die Feier.
Vom Kovsulatwesen. Dem Kgl. Spanischen Konsul in Stuttgart Zose Maria Daussinaguey Tcixidor ist mit Zustimmung der württembergische» Skaaksregierung namens des Reichs das Exequatur erteilt worden.
Vom Tage. Beim Aufspringen auf einen Straßenbahnwagen während der Fahrt kam auf der Planie ein 20 I. a. junger Mann zu Fall. Er zog sich eine starke Kopfverletzun z zu und wurde in das Katharinenhospital überführt. — Am Montag früh sprang ein Fahrgast der Straßenbahn von einem in voller Fahrt befindlichen Zug der Linie 15 in der Nähe der Vordernbergitraße nach der Haltestelle Türlen- straße ab, kam zu Fall und verletzte sich an beiden Füßen
Aus dem Lande
Metzingen. 22. Juni. Baumfrevel. Unter dem Verdacht, den Frevel an den städtischen und privaten Ob - bäumen begangen zu staben, wurde ein früher zeitweil ! in städtischen Diensten gewesener verheirateter Mann verhaftet und an das Amtsgericht Urach eingeliefert.
Enzweihingen, OA. Vaihingen, 22. Juni. Vermißt. Der Landwirt und frühere Totengräber Karl Hees von hier wird seit einer Woche vermißt. Seine Angehörigen sind in großer Sorge.
Gmünd. 23. Juni. CtatderAmtskörperschaft. Eine böse Ueberraschung bringt den Steuerzahlern der Stadt und des Bezirks der Voranschlag der Amkskörper- schaft für 1927 in einem Abmangel von 794 700 -R, die nach Beschluß des Bezirksrats durch eine Umlage von 753 884 -R, durch eine Sonderumlage (an der nur die Bezirksorte nicht aber die Stadt beteiligt sind) von 36116 -stt und durch Einsparungen von 6900 -R gedeckt werden soll. Im Vorjahr hat die Amtskörperschuftsumlage 580 000 ^ betragen, es ergibt sich also eine Erhöhung gegenüber t n 1926 von 210 000 Zt. Diese geradezu katastrophale Steigerung der Amlage ist mit über 70 v. H. allein auf das Konto der Erwerbslosen- und Krisenfürsorge zu sehen, für die im Voranschlag 1626 nur 59 000 stt eingestellt waren, während der tatsächliche Aufwand 180 000 -R beträgt.
Erlenbach OA. Neckarsulm, 22. Juni. Hohe Auszeichnung. Der von hier gebürtige Pater Dr. Otto Keicher, Exprovinzial der bayrischen Franziskanerprovinz in München, wurde beim Generalkapitel der Franziskaner zu Assissi zum Generaldefinitor, d. h. in den obersten Ordensrat gewählt. Pater Otto wird seinen Wohnsitz nach Rom verlegen.
Mergentheim, 22. Juni. Besuch des Stuttgarter Liederkranzes. Ein voller Erfolg war die Sängerfahrt des Stuttgarter Liederkranzes, einer der ersten Gesangvereine Deutschlands, nach Bad Mergentheim am letzten Samstag und Sonntag. 300 Sänger nahmen daran teil. Die Konzerte, die teils im Kursaal, teils bei schönstem Wetter im Kurpark stattfanden, waren außerordentlich stark besucht und fanden großen Beifall.
Steinheim, OA. Heidenheim, 22. Juni. Unwetterschaden. Fast die ganze Markung Irmannsweiler wurde von schwerem Hagelschaden heimgesucht. Der Schaden beträgt, soweit sich bis heute übersehen läßt, bis 90 v. H. Noch verheerender war ein Wirbelsturm in den Gemeinde- und Staatswaldungen in den Distrikten Gschwein, Kerbenhau Abt. 5 und Kronenwirts Mahd. Die Menge des Baumschadens dürfte in den Staatswaldungen etwa 1000 Festmeter und in den Gemeindewaldungen etwa 350 Festmeter betragen.
Reichenbach OA. Geislingen, 22. Juni. Bissiger H u n d. In einem Bäckerladen im benachbarten Hausen lFils) wurde dem 10jährigen Söhnchen des hiesigen Bahn- 'mfoorstands von einem bösartigen Hund die Wade so zer-
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Ich Hab dich lieb.
2S Roman vo«-
Urheberschutz durch Stuttgarter Roman-Zenirale C. Ackermann. Stuttgart.
In Wahrheit wirtschafteten der alte Großknecht Michl «und die Kuhmagd Lina, die zwar viel Erfahrung besaßen und deren Treue seit Jahren bewährt war. die aber den Mangel an wirklicher Autorität selbst bitter empfanden.
„Der Herr Verwalter versteht sich ja nur aus die Forstwirtschaft", klagte Michl Jella.
„Den ganzen Tag steigt er in den Wäldern herum, und alles andere ist ihm schnuppe. Und eins sollte doch daheim sein, an den man sich halten könnte. Da gibt's doch immer was nachzusehe» und anzuordnen. F. B. die Milchwirtschaft und die Gartenproduktei Ueberall kann ich auch nicht sein und Lina noch weniger. Tie hat im Stall genug Arbeit."
„Versuchen Sie es mit mir", hatte da Jella eines Tages zu des Knechtes Erstaunen erklärt. „Wenn ich auch noch nicht viel verstehe, so bin ich doch immer da und habe den Willen, zu lernen."
Es zeigte sich in der Folge, daß Jella nicht nur den guten Willen mitbrachte, sondern auch Geschick und Ausdauer. Dabei imponierte den Leuten ihr freundliches, ruhiges Wesen, das nie schalt oder heftig wurde, sondern mit einem stillen Blick gleichsam Gehorsam erbat.
„Wenn sie einen so anschaut mit ihren traurigen blauen Guckerin, dann möchte eins ihr schon gern alles zuliebe tun", sagte die alte Lina. „Sie hat eh' kein frohes Sein mehr, seit der Herr nie daheim ist und sich um sie so wenig kümmert wie um die Wirtschaft. Meiner Lebtag hätt' ich's nicht gedacht, daß der sich so nach der leichten Seit' hin wenden könnte! War sonst doch immer recht
schaffen örav, und die Eltern, die ihn streng genug erzo- gen haben, täten sich im Grab umdrehen, wenn sie wüßten .. . Na, ich sag schon nichts weiter", unterbrach sie sich ärgerlich, als ihr Michl einen warnenden Blick zuwars. „Das weiß ich schon selber: Herr bleibt Herr. Aber ich halte zu der Frau, das steht fest!"
Jella merkte es bald: Sie hielten im stillen alle zu ihr und waren ihr zugetan. Das tat ihrem vereinsamten Herzen wohl. Und den Segen der Arbeit spürte sie von Tag zu Tag mehr.
Sie hatte viel zu denken und zu schaffen, daß sie nicht mehr viel Feit fand, über ihr Unglück nachzugrübeln. Die Neuerungen, die sie in aller Stille da und dort einführte, interessierten sie, die Harmonie eines Lebens, das. durch nützliche Tätigkeit ausgefüllt, dabei in ständigem Kontakt mit der Natur verblieb, beruhigte ihre Nerven, und die strenge Beherrschung, welche sie der eigenen leidenschaftlichen Natur auferlegte, gab ihr ein Gefühl ruhiger Ueber- legenheit auch dem Gatten gegenüber.
Es gab keine Szenen mehr mit Flamm. Weder Vor- würfe noch Fragen oder Tränen quälten ihn, wenn er ging oder kam.
In sanfter Gelassenheit erfüllte Jella ihre Pflichten als Hausfrau ihm gegenüber, im übrigen aber — er fühlte das abwechselnd mit Genugtuung und mit Unruhe — war er ausgeschaltet aus dem häuslichen Leben.
Zuweilen, wenn Frau Jella abends allein war. schrieb sie lange Priese an ihre Mutter, die zu förmlichen Berichten über ihre neue Tätigkeit anwuchsen.
Und imiuer bildete tiefempfundene Dankbarkeit das Leitmotiv dieser Briefe.
„Mein Glück kanntest du mir ja nicht wiedergcben, du Gutei Aber dein Rat hat mich wenigstens vor der Ver
zweiflung bewahrt. Ich bin wieder im Einklang mit mir selber, denn ich fühle, daß ich alles tue, was eine Frau in meiner Lage noch tun kann. Habe ich auch Gustavs Liebe verloren, so erzwinge ich mir doch nun seine Achtung; das merke ich auch an tausend Kleinigkeiten und am meisten an dem veränderten Ton. in dem er zu mir spricht. Nur eines schmerzt mich: daß ich dich nicht zuweilen bei mir haben und dir zeigen kann, was ich leiste! Meine Milchkammer würde dir Freude machen, und mein Gemüsegarten fängt an. eine kleine Goldgrube zu werden. Weißt du, daß ich den Ertrag beider durch neue Absatzquellen um ein gutes Drittel gesteigert habe? Ich finde es abscheulich von Bernd, daß er dir verbot, mich in Eberswalde aufzusuchen, und. ich so auch den einzigen Menschen entbehren muß, mit dem ich mich von Herzen aussprechen könnte und — so gern möchte! Denn sieh — alles in sich verschließen zu müssen, ist doch manchmal recht schwer!"
Dies dachte Jella auch heute an diesem stillen, lachenden Maitag, als sie allein in ihrer Milchkammer stand und die Butterwürfel abwog, die nachmittag der Händler abholen lassen wollte.
Fast das ganze Gesinde war draußen auf der großen Teichwiese, wo man heute mit der ersten Mahd begann. Lina weilte im Kuhstall, denn in der Nacht war ein Kälbchen angekommen, das ihre ganze Sorgfalt erheischte. Flamms Reitknecht war zur Stadt gefahren, um Einkäufe zu machen, und das Stubenmädchen hatte ihn begleitet, da Jella gleichfalls verschiedenes brauchte.
So weilten drüben im Herrenhaus nur die Köchin in ihrer Souterrainküche und Markwardt, der alte Portier^ der im kühlen Vestibül eben ein kurzes Vormittagsschläfchen hielt, als draußen am Parstor eben ein Automobil
stoppte, das Besuch brachte. ....
(Fortsetzung folgt.)