Dr. Stresemann zur Alaggenverordnung

Einem Vertreter des WTB. gegenüber äußerte sich Reichsminister Dr. Stresemann: Die Flaggenfrage Mt i Jahren immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den amt­lichen deutschen Vertretungen, Gesandtschaften, I°wuwten usw. und den im Ausland lebenden Deutschen geführt. Die sind die schwarz-weiß-rote Flagge gewöhnt und ^huen schmarz-rot-gelbe ab. Das ging so weit, daß die Deutschen im Ausland bei gegebenen Anlässen lieber die fremde Flaggt des betreffenden Landes hissen als die neue Reichsslagg So besteht die Gefahr, daß die deutsche Flagge in vielen Ländern überhaupt verschwindet. Wenn man sich darüber ausregen will, daß in den Gesandtschaften nach der Flaggen­verordnung nunmehr beide Flaggen aufgezogen werden sollen, so vergegenwärtige man sich, welchen Eindruck es machte, daß die amtliche deutsche Vertretung in der fremden Hafenstadt die schwarz-rot-gelbe Fahne hißte, während die im Hafen liegenden deutschen Schisse die schwarz-weiß-rote Flagge zeigten. Eine Verfassungsoerletzung wäre nicht me Sache des Reichspräsidenten von Hindenburg, aber ebenso­wenig wird er sich die ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte nehmen lassen.

Der Wirkschasksuntersuchungsausschuß Berlin. 7. Mai. Die Wahl der Reichsregierung für den Untersuchungsausschuß ist aus folgende Herren gefallen: Graf Keyserling (Landwirtschaftsbeirat), Reichsmim- ster a. D. Dr. Hermes (Mitglied des preuß. Landtags), Staatssekretär Prof. Dr. Warmbold (Stickstoffsyndikat), Prof. Dr. Harms von der Universität Kiel, Reichsmimster a. D. Dr. Hamm (geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Industrie- und Handelstags), Staatssekretär a. D. Bergmann (Mitinhaber der Bank Firma Speyer, Ellison u. Co.), Prof. Dr. Brauer (ehemaliges Mitglied der Christlichen Gewerkschaftsorganisation, jetzt Professor an der Universität Münster), Prof. Dr. Heyde (Herausgeber der Sozialen Praxis) -und Prof. Dr. C a h n. Der Aus­schuß soll in der 2. Hälfte des Mai einberufen werden. Wahrscheinlich wird er mehrere Gelehrte hinzuwühlen.

Die Landwirtschaft die Grundlage dee Gesamtwirtschaft

-r. Haslindes Agrarprogramm

Darmstadt, 7. Mai.

Auf der gestern eröffneten 56. Vollversammlung des Deutschen Landwirtschaftsrats führte Reichsminister für Er­nährung und Landwirtschaft Dr. Haslinde über die Lage und Zukunft der deutschen Landwirtschaft u. a. aus: Unsere schnellebige Zeit hat all die schweren Erschütterungen, die auf ernährungswirtschaftlichem Gebiet unser Volk bis vor 23 Jahren durchmachen mußte, beinahe wieder völlig vergessen. Da ist es Aufgabe des Staates, zu warnen und an jene ernsten Zei-ten zu erinnern, die hoffentlich nicht wiederkommen, die zu vermeiden aber gar nicht in unserer eigenen Kraft steht, wenn irgendwo in der weiten Welt der Welthandel erneut gestört wird. Deshalb sind in der Nachkriegszeit fast in allen Ländern große Agrarprogramme aufgestellt und es ist mit allem Nachdruck daran gearbeitet worden, die eigene Wirtschaft hinsichtlich der Haupt­nahrungsmittel möglichst unabhängig zu machen. Unzweifelhaft bleibt als eine unserer dringend­sten Aufgaben, die Industrie wieder in Gang zu bringen und ihr bei dem Streben nach Wiedergewinnung der ausländischen Märkte weitgehend zu helfen. Aber es muß zu einem Allgemeingut staatsbürger­lichen Denkens werden, daß die Landwirt­schaft die Grundlage der Gesamtwirtschaft ist und daß Handel und Industrie sich nur dann zur höch­sten Blüte entfalten können, wenn sie in einer gesunden und blühenden Landwirtschaft ihren stärksten Absatz und Rück­halt finden. Zu dieser Erkenntnis wird es auch gehören, daß wir in Deutschland unserer Landwirtschaft durch einen ausreichenden Zollschutz einen Ausgleich für die un­günstigeren klimatischen Bedingungen, die geringere Bo- aenbeschaffenheit Und die höhere Belastung durch Steuern, oziale Abgaben usw zu gewähren haben.

Um diese Erkenntnis zu vertiefen, wird es aber auch ! öüg sein, daß die Landwirtschaft bei allen wirtschaftlichen Organisationen besser und ausreichender vertreten ist, als es zum Teil bis­her der Fall gewesen ist. Ebenso werde ich mit Nachdruck dafür eintrelen, daß bei allen internationalen wirt­schaftlichen Veranstaltungen die deutsche Landwirtschaft in einer ihrer würdigen und angemessenen Weise beteiligt wird.

Daneben möchte ich freilich auch an die deutsche Land­wirtschaft den Ruf richten, dem deutschen Volk durch die Tat ein eindrucksvolles Bild von der Bedeutung der Land­wirtschaft dadurch zu gewähren, daß mit allen Mitteln daran gearbeitet wird, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ die Ernährung des deutschen Volkes zu befrie­digen. Besondere Bemühungen gelten der immer weiteren Neberführung der kurzfristigen Schuldverbindlichkeiten in langfristigen Nealkredit. Hierfür bietet sich der Weg einer weiteren Ausdehnung der Geschäfte der Gold­diskontkreditbank, sowie der Weg einer weiteren Unter­bringung von Pfandbriefen auf dem Inlandsmarkt zur Fi­nanzierung landwirtschaftlicher Hypotheken. Die Reichs­bank und die Golddiskontbank haben von vornherein daran gedacht, die Kreditgewährung der letzten durch möglichst ausgiebige Heranziehung kurzfristig angelegter inländischer Fonds und durch Verkauf solcher Obligationen ins Aus­land zu erweitern. Aus der Besserung des Pfandbriefkurses ergibt sich eine merkliche Ermäßigung des Zinssatzes gegen­über den Verhältnisse», die noch vor einigen Monaten be­standen. Besondere Vorbereitungen sind im Gang, um zu verhüten, daß der Druck der wirtschaftlichen Lage sich in ' uer Ueberschwemmung des Getreidemark- : s unmittelbar nach der Ernte und einer dabei henden Verschleuderung der Er Nievorräte nswirkt.

Württemberg

Stuttgart, 7- Mai. Vom Landtag. Der Finanzaus­schuß hat gestern den Gesetzentwurf über das Staatsmini- fterium und die Ministerien mit einigen unwesentlichen Än­derungen bis Artikel 11 unter Ablehnung verschiedener Oppo­sitionsauträge angenommen.

Das Volksfest. Der Gemeinderat beschloß mit Mehrheit, daß das Cannstatter Volksfest trotz der Wirtschaftsnot und den oerschiedentlichen Ausartungen auch dieses Jahr abgehal­ten werde. Es soll aber versucht werden, das Fest wieder zu veredeln".

Die amerikanischen Hoteliers treffen am Samstag nach­mittags 1.40 Uhr in Stuttgart ein. Auf dem Bahnhof findet eine amtliche Begrüßung und ein Imbiß statt-

Vom Tage. In einem Haus der Forststraße verübte ein 24 I. a. Kaufmann in der Küche seiner Wohnung durch Einatmen von Gas Selbstmord. Im Rotwildpark wurde die Leiche eines Erhängten aufgefunden. Die Persönlichkeit ist noch nicht festgestellt. In einem Haus der Wagenburg­straße wurde ein 22 I. a. Mann in seiner Wohnung bewußt­los aufgefunden. Es lag ein Selbstmordversuch durch Ein­atmen von Gas vor. Nach erfolgreicher Anwendung des Sauerstoffapparates wurde der Lebensmüde nach dem Ka- tharinenhospital verbracht.

Scharnhausen a. F-, 7. Mai. Ein wütender Far- r e n. Mittwoch abend wurde Farrenhalter Pfeiffer beim Füttern von einem Farren mit den Hörnern angegriffen und in die Höhe gehoben. Geistesgegenwärtig verkroch er sich beim Niedersallen in den Futtertrog und entkam da­durch dem wutentbrannten Tiere. Die erlittenen Verletzun­gen zwingen ihn, das Bett zu hüten.

Lornlal, 7. Mai. Große Fässer. Küfermeister Mayer in Ditzingen hat für das Gemeindegasthaus in Korntal zwei riesige Fässer von 8330 und 7700 Liter In­halt und einer Höhe von 3 und 2,8 Meter, einer mittleren Breite von 1,8 Meter und einer Tiefe von 2,3 Meter gebaut. Holzbildhauer Frech in Ditzingen schnitt die Fässer mit ver­schiedenen Verzierungen und einem passenden Reim.

Hoheneck OA. Ludwigsburg, 7. Mai. Eingemein­dung. Eine Gemeindeversammlung hat mit 150 gegen 10 Stimmen einem früheren Gemeinderatsbeschluß der Ein­gemeindung nach Ludwigsburg zugestimmt. Ludwiasburg hat binnen einem Jahr die Gemeinde mit Gas zu versorgen.

Vaihingen a. E., 7. Mai. B r a n d st i f t u n g. In Ober­riexingen brach in einer Wohnung ein Brand aus, der aber gelöscht werden konnte, ehe er größeren Schaden anrichtete. Unter dem Verdacht, das Feuer gelegt zu haben, wurde dir Frau des Wohnungsinhabers verhaftet.

Heilbronn, 7. Mai. Städtischer H a u p k v o ran­schlag. Der Hauptvoranschlag der'dt für 1926/27 fchließt mit einem Abmangel von 1 822 235 Mk. ib, was gegenüber dem Borjahr eine Herabminderung um 255 150 Mark bedeutet.

Plochingen, 7. Mai. Vom Zug überfahren. Gestern nachmittag geriet der ehemalige Wirt Joseph Deuschle unter einen einfahrenden Zug und wurde auf der Stelle getötet.

Ohmenhausen OA. Reutlingen, 7. Mai. Ortsvor- st e h e r w a h l. Jnsolge Nichtbestätigung ist die viesige Stelle des Orksvorstehers für einen geprüften Verwaltungs­mann ausgeschrieben worden-

Rokkweil, 7. Mai- Erneuerung der Kapcllen- k i r ch e. Dieser Tage wurde die hiesige Kapellenkirche van einer Kommission besichtigt. Das Ergebnis war folgendes: Es soll der Antrag gestellt werden, daß die zur Erhal-ung und stilgemäßen Erneuerung der Kirche dringend notwen­digen Arbeiten sofort eingeleitet werden; von seiten de- Staats sind Zuschüsse in Aussicht gestellt.

Die von Generaldirektor Dukkenhoser erworbene Park­anlage imHimmelreich" soll der Einwohnerschaft für einige Monate des Jahrs zur Benützung freigegeben werden.

Heidenheim. 7. Mai. Nibelungenspiele. Der Beginn der Nibelungenspiele im Naturtheater durch die Volkskunstvereiuignng ist auf Sonntag, den 20. Juni fest­gesetzt.

Dettingen bei Heidenhcim, 7. Mai. Stiftung. Am Z. Mai kann Pfarrer Mayser hier sein 25jähriges-Amts- jubiläum in hiesiger Gemeinde begehen. Am 30. Juni tritt er in den Ruhestand. Zum Andenken an seine erste ver­storbene Frau hat er eine neue Orgel und drei bunte Kirchenfenster gestiftet.

Diekenheim, 6. Mai. B e s i tz w e ch s e l. Bei der Zwangs­versteigerung wurde die hiesige Gastwirtschaft zumHirsch" nebst sämtlichem Zubehör um 23 000 -4t von der Engel- und Bürgerbräu A.-G. in Memmingen käuflich erworben.

Ummendorf OA. Biberach, 7. Mai. Einbruch- Bei Landwirt Müller, dessen neuecbautes Wobn- und Oekono- miegebäude noch nicht ganz fertiggestellt ist, wurde einge­brochen. Der Täter drang mitten in der Nacht in das Ge­bäude ein, trieb das Vieh aus dem Stall, nahm die elek­trischen Birnen fort, Kuhketten und die Farben der Maler waren ebenfalls verschwunden. Der Täter ist noch nicht ermittelt.

Saulgau, 7. Mai. Säurewagen der Reichs- bahnverwalkung. Am Bahnhof waren zwei aus­rangierte Tender älterer Bauart zu sehen. Sie werden mit Säure gefüllt und auf verunkrauteten Schienenwegen zur Vertilgung des Graswuchses verwendet. Das bedeutet eine grcße Ersparnis an Streckenbaupersonal, da die linkrauk- enksernung bisher mit der Hacke erfolgen mußte.

Ravensburg, 7. Mai. Pferdeverlust durch ein A u t o. Von einem auswärtigen Lastkraftwagen wurde durch die Schuld des Wagenführers einem Pferd des Land­wirts Heinrich von Hinzistobel ein Fuß abgefahren.

Engelboldshofen OA Leutkirch, 7. Mai. Gasangriff. Eine Frau aus dem Zigeunerwagen ließ in der Spezerei- Handlung Riedle hier Geld wechseln. Während Frau Riedle daran war, das Geld umzuwechjeln, bemerkte sie plötzlich einen eigentümlichen Gasgeruch und beobachtete zugleich, wie die Zigeunerin mit einem Gegenstand in ihrem Täsch­chen eifrig hantierte. Frau Riedle, erschreckt durch den be­täubenden Geruch sie erinnerte sich an eine Narkose bei einer früheren Operation hatte noch die Geistesgegen­wart, die Zigeunerin vor die Türe zu setzen und die Türe hinter ihr zu schließen. Als sie in das Zimmer zurückkehrte, verlor sie das Bewußtsein und kam erst eine halbe Stunde später wieder zu sich.

Lokales

Wi! dbad, den 7. Mai 1928.

Zum deutschen Muttertag am 9. Mai

Achtzig Jahre wirst Du dies Jahr, Mutter. Und Dein Bruder ist 81 und Deine Schwester 85. Ihr habt 246 Jahre zusammen hinter Euch. Ein langlebiges Geschlecht. Und was habt Ihr alles gesehen! Zwei Revolutionen, drei Kriege, Kinder, Enkel und Urenkel. Die erste Eisen­bahn, das erste Fahrrad, den elektrischen Wagen, das Luft­schiff, Flugzeug, den Fernsprecher, Röntgenstrahlen, Bilder­bühne und Rundfunk. Alles in seiner Geburtsstunde, und bis heute. Ihr könnt Euch nicht beklagen, daß Euer Leben nicht ausgefüllt gewesen wäre.

Einiges aber ist unverändert geblieben, treu und gleich. Die Sterne und die Bäume. Sterne können wir nicht an­zünden, sie funkeln ohne uns in Gottes Allmacht. Aber Bäume können wir Euch pflanzen.

Wir wollen Euch in diesem Herbst drei Bäume setzen, eine Linde, einen Nußbaum und ein? Buche. Zwei Mutter­bäume und einen Vaterbaum. Ihr werdet in ihnen weiter­leben, Eure Urenkel werden in ihrem Schatten sitzen, und sie werden von Euch erzählen. Und sie werden Euer Leben messen mit dem ihrigen, und vielleicht gibt es bei ihnen ebensolche Wunderdinge wie in Eurem, und auch ihr Leben

Schwere Ketten.

Erzählung von F. Arneseldt.

H Autorisierte Uebeisetzung.

'Damil fielen aber alle Folgerungen, welche der sunge Baron an die Person des Musikers knüpfte. Bernini mußte an dein Tage, wo der Mord verübt ward, schon weit von Hallstadt genesen sein; denn er hatte dein Präsident Senden, bei dein er sich am Tage vor seiner Abreise verab­schiedet, gesagt, er reise direkt nach Hamburg, um sich auf dem am nächsten Abend nach Newhork abgeyenden Schiffe Geliert" einzuschiffen.

Er hat seine Nolle in Hallskadi bald ausgespielt", fügte der Präsiden! hinzu, erfreut, bei seinem Kondolenzbesuche in Äendenburg ein Thema gefunden zu haben, das seinen jungen Freund wenigstens sür einige Minuten von seinein Schnurze abzog.Sein nach dem Ungewöhnlichen hassen­des Spiel, seine bizarr sein sollenden Sprw'ge aus dem Klavier konnten anfänglich blenden, aber für die Tauer nicht fesseln. Ich glaube, die Verehrerin, die am längsten an ihm festgehalten hat, war Ihre Schwester, und ich ge­stehe Ihnen, wäre ich an stelle Ibres Vaters gewesen, ich hätte mir seine häufigen Besuche oerbeten."

Helene gab den Unterricht selbst auf", beeilte sich Richard zu sagen.

Ich weiß es, sie hat es Klara mitgeteilt, und Bernini selbst machte kein Hehl daraus", erwiderte der Präsident. Es war in dem Menschen ein wunderliches Gemisch in rückhaltloser Offenheit und berechneter Heimlichkeit, von seltener Begabung und tiefer Verkommenheit."

Richard stimmte lebhaft zu.Sie wissen es gewiß, daß er nach Amerika gegangen ist?" fragte er.

Auf die große Jagd nach den Dollars", läckelw der Präsident. «Allerdings, er hat mir zum Uebersluß noch

sein bereits gelöstes Billet kür die erste Kasüte gezeigt."

Richard von Wenden beruhigte sich selbst bei dieser Aus- kunft nicht. Er ließ Erkundigungen in Hamburg emziehen. und es ergab sich in der Tat, daß sich unter den Passagieren, die sich an Bord desGeliert" eingeschisst, auch ein Signor Bernini befunden habe.

Er konnte nicht an dem Mord des Barons beteiligt sein, er konnte nicht den Tiebstahl begangen haben.

War ihm Helene gefolgt? Auch dies war sehr, sehr unwahrscheinlich. Das Rätsel ward immer unlöslicher.

IX.

Herta Hedelund war die Tochter eines Gutsbesitzers und hatte die ersten Jahre ihres Lebens auf dem Gute ihres Vaters unweit Gothenburg verlebt. Durch ihre Mutter, die Tochter deutscher Eltern, welche sich in Schweden nieder­gelassen, lernte sie von früheste»Kindhett an deutsch spre- chen, so daß ihr die deutsche wie die schwedische Sprache gleich geläufig waren.

Herta hatte ihren Vater nicht gekannt, sie hatte auch nie sein Grab besuchen können, denn er war. wie ihr die Mutter sagte, auf einer Seereise ums Leben gekommen, und anch die Stätte, wo er gewirkt und wo sie geboren, hatte sie nie wiedergesehen. Cie war ein Kino von vier Jahren gewesen, als die Mutter mit ihr nach Stockholm gezogen war, wo sie von den Zinsen eines bescheidenen Ver­mögens in tiefer Verborgenheit gelebt hatten. Die einzi­gen Menschen, mit welchen Frau Hedeliiud in Verbindung getreten, waren die Lehrer und Lehrerinnen, die sie für Herta annahm. Denn sie sparte nichts, um dem reichbegab- ten Kinde eine iressliche Ausbildung zu geben, und ging später sogar mit ihr nach Deutschland und der französischen Schweiz, damit sie sich dort durch emsige Studien auf den Beruf einer Lehrerin und Erzieherin vorbereite.

Beide standen soeben im Begriffe, nach Schweden

wiriickziikehreii, als ein Plötzlicher Tod die lange schon krän­kelnde Frau dahinraffte. Der Schlag war für Herta ge­radezu vernichtend, sie vermochte fick gar nicht zu faßen. Aller Frohsinn, alle Elastizität der Hugeno schien von ihr gewichen; sie war still und verschlossen geworden und ihre Gefährtinnen behaupteten, sie habe nicht nur das Ansehen einer tief Trauernden, sondern mache den Eindruck, als sei ihr eine schwere Last auf oie Seele gelegt.

Erst die Liebe sollte wieder Frühling und Sonnenschein in ihre Brust zurückbringen, und diese Liebe gerade war eS, durch welche ein giftiger Reis vernichtend auf ihre Zukunft fiel. , - V - ..

Nachdem Herta ein Jahr als Erzieherin in einer denk- schen Familie gelebt, hatte sie in einem englischen Er, ziehungs-Jnstitute in einer der vornehmen Vorstädte Lon­dons eine Stelle als Lehrerin angenommen. Ern deutscher Musiker, namens Berner, der während der Saison in Lon­don aufgetaucht war und Furore gemacht hatte, ward durch die Mutter einer Schülerin in das Institut der Mrs. ElliS eingeführt. Er hatte, wie sie mit selbstgefälliger Bescheiden­heit sagte, ihr die Gunst bewilligt, ihrer Tochter ein paar Stunden zu geben. Erkam, sah und siegte" und war sich des gefeierten Triumphes auch voll und ganz bewußt. Sämtliche Damen der Anstalt, Lehrerinnen wie Schülerin­nen. schwärmten für den schlanken Mann mit den interes­santen. auf den ersten Blick fesselnden Zügen, aus dessen bleichem Gesicht ein Paar schwarze Augen bald tief trau­rig, bald iw glühendem Verlangen hevGorleuchteten, dessen glänzend weiße Stirn von blauschwarzem Lockenhaar um­zogen war. Ein Bärtchen auf der Oberlippe kontrastierte in seiner tiefen Schwärze mit dem roten Munde und den Heißen Zähnen und war zugleich der einzige Bartschmuck im Angesichte des Fremden, der in einer Toilette von sorg­fältig studierter Nachlässigkeit zu erscheinen pflegte.