Die ZeitungAsahi" in Tokio veröffentlicht ein Tele­gramm aus Dalny, wonach Tschangtsolin die Verhaftung des Sowjetdirektors der Ostchinesischen Eisenbahn, Iwanow, angeordnet habe. Ein Telegramm aus Charbin besagt, daß die Lage sich verschlimmert habe- Chinesische Truppen sam­meln sich in Charbin. Der Sowietbotschafter in Tokio soll erklärt haben, daß die russische Regierung entschlossen sei, ihre Forderungen durch Machtmittel zu unterstützen.

Zurzeit ist die Verbindung Ostasiens über Sibirien unter­brochen, weil chinesische Truppen die ostchinesischen Eisen­bahnen mit Beschlag belegt haben. Der russische Botschafter Karachan hat scharfen Einspruch dagegen erhoben. Eine Kriegsgefahr zwischen Japan und Rußland ist ausgeschlossen, weil Rußland in Sibirien darauf nicht vorbereitet ist.

Die Fürstenabfindung

Berlin, 22. Jan. Im Reichsausschuß des Reichstags er­klärte der bayerische Gesandte v. Preger, die bayerische Regierung stehe auf dem Standpunkt, daß die Ordnung des Verhältnisses zwischen den Einzelstaaten und ihren Fürsten­häusern eine staatsrechtliche Angelegenheit sei, für die es keines Reichsgesetzes bedürfe. Eine Verpflichtung der baye­rischen Staatsregierung, dem Reichstag über rein bayerische Angelegenheiten Auskunft zu geben, könne von bayerischer Seite nicht anerkannt werden. Aus Höflichkeit habe sich die bayerische Regierung die Auskunft jedoch nicht verweigert. Ministerialrat Neumayer teilte darauf mit, auf Grund gütlichen Uebereinkommens und durch Landesgesetz sei ein Wittelsbacher Ausgleichsgrundstock" errichtet worden, neben den beweglichen und unbeweglichen Gütern ein Kapital von 40 Millionen Papiermark. Außerdem erhielten die Mitglieder des Königshauses, die aus ihre Ansprüche aus Bestandteile öffentlicher Sammlungen verzichteten, 20 Mil­lionen Papiermark. Das Haus Wittelsbach verzichtet auf alle Rechte an dem ausgedehnten Eigentum des Hausfidei­kommisses, Abg. Rosen selb (Soz.) fragte, ob die Rente an die Witwe Eisner-Kusmanowskis aufgewertet worden sei. Ministerialrat Neumayer erwiderte, er sei nur zur Be­sprechung der Auseinandersetzung Bayerns mit dem Königs­haus erschienen und könne über die Frage Rosenfelds keine Auskunft geben. Hierauf vertagte sich der Ausschuß.

Die Regierungsparteien beabsichtigen einen Vermittlungs­antrag einzubringen, wonach alle noch nicht prozeßmäßig erledigten Fälle der Fürstenabfindung nach dem Gesetz und unter Berücksichtigung der finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von einem Reichssondergesetz entschieden werden sollen. Wenn beide Parteien es wünschen, sollen auch bereits erledigte Fälle diesem Gericht überwiesen wer­den können.

Antrag auf Aussetzung der Anmeldung zum Völkerbund

Berlin, 22. Jan. Die Deutschnationale Fraktion hat im Reichstag den Antrag eingebracht, den Antrag auf Auf­nahme in den Völkerbund nicht zu stellen, bevor die Auslegung der deutschen Regierung über den Locarno-Vertrag (kein Verzicht auf deutsches Land und Volk), freies Kündigungsrecht usw. anerkannt, die Be­schränkungen der Luftfahrt aufgehoben und die einseitige Militärüberwachung ausgeschlossen sind; bevor ferner die Abrüstungskonferenz mit einem befriedigenden Ergebnis abgeschlossen und der amtliche Widerruf des abgezwungenen Schuldbekenntnisses allen Vertragsmächten bekanntgegeben, das deutsche Recht auf Kolonien anerkannt und der Schutz der deutschen Minderheiten in allen Staaten sichergestellt ist; bevor endlich die Kölner Zone vollständig geräumt, die Besetzungsfristen der 2. und 3. Zone wesentlich abgekürzt, die Abstimmungsfrist für das Saargebiet bindend gesichert und für die Zwischenzeit die Besatzungsstärke auf den deutschen Friedensstand verringert sind.

kritische Lage der Reichsbahn

Berlin, 22. Jan. Nach amtlicher Mitteilung ist die Reichs­bahngesellschaft nicht mehr in der Lage, die er­forderlichen Erneuerungsarbeiten an den Gleisanlagen vorzunehmen. Diese Fahrbahn macht etwa 21 v. H. des gesamten Anlagekapitals aus. Die stete Erneuerung ist im Interesse des Verkehrs nötig. Die Beschleunigung des Verkehrs hängt von dem Zustand des Oberbaus ab. Vor dem Krieg wurden jährlich 5F3 o. H. (das sind rund 4000 Kilometer) der durchgehenden Haupt­gleise erneuert. In den Jahren 1915 bis 1924 war es nach der wirtschaftlichen Lage nur möglich, etwa 2,5 v. H. (rund 2100 Kilometer) zu erneuern, trotzdem mindestens 4 v. H.

Sein erster Erfolg

Kriminal-Roman von Walter Kabel / . 32 (Nachdruck verboten.)

Werres schritt den Korridor entlang. Ein eigenartiges Gefühl überkam ihn, a's er in diesem stillen Gebäude über den jeden Schall dämpfenden Läufer ging. Die Ruhe in dem großen Hause wirkte auf seine Nerven aufreizender als draußen der Straßenlärm. Er dachte zurück an jenen Vormittag, als er zum erstenmal diese Räume betreten, dachte daran, wie er sie nach wenigen Stunden verlassen hatte. Den Kopf voll wirrer, widerstreitender Gedanken, voll Wünsche und Pläne. Und jetzt? Wie war er heute Wiedergekommen als Siegerl

^ Als er an der ihm bezeichnten Tür im ersten Stock ange­klopft hatte, ertönte ein lautesHerein".

^ Der Prokurist empfing ihn sehr höfliS, wenn man ihm auch das leichte Erstaunen über diesen Besuch etwas an­merkte. Er bot Werres einen der bequemen, lederüberzo­genen Sessel an und drehte dann das elektrische Licht über dem großen Mitteltische auf, da es im Zimmer schon stark dunkelte. Werres hatte schnell den Raum mit seiner ein­fachen aber gediegenen Einrichtung überschaut und wandte sich nun an den Prokuristen, der sich ihm gegenübergesetzt ha^e.

Herr Westfal, ich komme mit einer Bitte zu Ihnen. Die Untersuchung in der Sache Friedrichs will absolut nicht vor­wärtsgehen. Ueberall wird man ungeduldig, weil sich so gar nichts Herausstellen will. Ter Staatsanwalt wünscht eine nochmalige genaue Untersuchung an Ort und Stelle. Ich weiß nicht, ob man sich davon etwas versprechen darf, aber ich möchte damit eine Lokalbesichtigung verbinden, und ich bitte Sie daher, uns das Privatkontor Ihres ermorde­ten Chefs zu dieser Besichtigung zur Verfügung zu stellen. Mir ist immer, als müßte ich gerade dort noch Beweise fin­den. Wollen Sie also so liebenswürdig sein und die beiden Herren Kassierer verständigen, sowie den Portier und den Laufburschen, daß sie all? sich morgen um 11 Uhr bereit zu

(3000 Kilometer) hätten erneuert werden müssen. Die Reichsbahn Ist also mit 9600 Kilometer im Rückstand und kann deshalb nicht niehr die im Interesse der Wirtschaft gewünschte Verkehrsbeschleunigung durchführen. In Wirklichkeit ist also die Reichsbahn gezwungen, aus der Substanz zu leben. Zehrt doch die Nichtdurchsührung des notwendigen Oberbauprogramms an dem Material, zumal 520 Millionen Mark jährlich aufgewendet werden müssen für die planmäßige Umänderung, Erneuerung und Nach­holung der Rückstände.

Russische Uebergriffe gegen Deutsche Berlin, 22. Jan. Im Dezember v. I. wurde der deutsche Konsularaqent in Batum, Cornelsen und der Konsular­agent in Pari, Schmitz, sowie die Reichsangehörigen C ck in Baku und Vogelerz in Batum wegen angeblicker Spionage von der Sowjetrepublik verhaftet und unter brutalster Behandlung ins Gefängnis nach Tiflis und später nach Moskau verbracht. Private und amtliche Schriftstücke wurden beschlagnahmt. Vom Auswärtigen Amt wird nun mitgeteilt, daß die Reichsregierung bei der Sowjetregierung Einspruch erhoben und Genugtuung verlangt habe; der deutsche Botschafter sei im Interesse der Verhafteten tätig und um Aufklärung bemüht. Die Sowjetregierung habe sich bereit erklärt, über das rücksichtslose Vorgehen der Sowjetbehörden ihr Bedauern auszusprechen und die amt­lichen Schriftstücke herauszugeben. Die Deutschen bleiben aber, wie es scheint, in Haft.

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Fort mit den tschechischen Aufschriften!

Im Verlauf der letzten zwei Jahre wurden alle Gast­häuser in den deutschen Kurorten, Sommerfrischen und Aus­flugsorten Böhmens, Mährens und Schlesiens von den tschechischen Gewerbebehördsn gezwungen, alle Aufschriften an der Außenseite sowie im Innern dieser Häuser und die Speisekarten zweisprachig zu halten, und zwar tschechische an erster Stelle. Diese Verfügung wurde mit einer Be­stimmung des Gewerbegesetzes begründet, die das Recht der gewerbepolizeilichen Aufsicht über die den Gemeindegewerben zugehörigen Unternehmungen den politischen Behörden ein­räume. Gegen diese Beifügung wurden von den betroffenen Gewerbetreibenden sowie von den Gemeinden und Genossen­schaften nicht weniger als 389 Beschwerden beim Äer- waltungsgerichtshof eingereicht. Dieser hat heute in letzter Instanz dahin entschieden, daß die erwähnte Verfügung gesetzwidrig sei, da die Sprachenfrage mit der Gewerbe­polizei nichts zu tun habe. Diese Entscheidung hat zur Folge, daß die erzwungenen tschechischen Aufschriften nunmehr wieder beseitigt werden können.

Württemberg

Stuttgart, 22. Jan. Vom Landtag. Wie bereits bekanntgegeben, nimmt der Landtag am Dienstag, den 26. Januar, nachmittags, seine Beratungen wieder aus. Auf der Tagesordnung stehen außer 11 Kleinen und 3 Großen Anfragen, unter letzteren eine über die Auseinandersetzung mit dem Haus Württemberg, das Gesetz über «ine Bürg­schaft für das Deutsche Auslandsinstitut, das Gesetz über Auszahlung der Lehrerbezüge, ferner Gesetzentwürfe über die Vereinfachung der Staatsverwaltung, über das Staats. Ministerium und die Ministerien. Vor der Plenarsitzung treten die Fraktionen zu Beratungen zusammen.

Der Finanzausschuß ersuchte den Vorsitzenden, die Be­sprechung der Verhältnisse an den Württ. Landestheatern in tunlichster Bälde herbeizuführen.

Landwirtschaftskammerwahlen. Da der Vorsitzende der Landeswahlkommission erkrankt ist, wurde vom Ernährungs- Ministerium in Abänderung der Bekanntmachung vom 24. Dezember 1925 bestimmt, daß die Wahlvarschläge spätestens am Samstag, den 30. Januar 1926, abends 6 Uhr, die Erklärungen über die Verbindung von Wahlvorschlägen spätestens am Freitag, den 5. Januar 1926, beim stell­vertretenden Vorsitzenden der Landesmohlkommission, Mini­sterialrat Dr. Springer, Arbeits- und Ernährungsmini­sterium, Stuttgart, abzugeben sind.

Winkersporkzüge. Anläßlich der Schneeschuhwettläufe des Schwäb. Schneelaufbunds auf dem Kalten Feld und des Schwab. Albvereins bei Kleinengstingen/Lichtenstein wird am Sonntag, 24. Januar 1926, je ein Wintersportsonderzug von Stuttgart Hbf. nach Weißenstein und nach Klein- engstingen ausgesihrt.

Sonderunkerstühung der Tabakarbelker. Zum Bezug der Sonderunterstützung für Tabakarbeiter sind nach einer Ver­ordnung des Ärbeitsministeriums Jugendliche in gleichem Umfang berechtigt wie in der allgemeinen Erwerbslosen­fürsorge.

Aus dem Lande

Ludwlgsburg. 22. Jan. Festnahme von Wik. derern. Vor einigen Tagen gelang es dem Jagdaufseher Alfons Baur in Tamm in der Nähe des Staatswaldes Rottenacker, vier Wilderer, junge Burschen aus Markgrö­ningen, festzunehmen. Das Wildererunwesen nimmt in der dortigen Gegend derart überhand, daß von Seiten des Land- iäger-Kommandos Ludwigsburg von jetzt ab ein scharfes Auge auf diese Frevler gehalten wird. Es wäre nur noch im Interesse der Jagd zu wünschen, daß gegen frei umher- streifende Hunde gesetzlich schärfer wie bisher vorgegangen werden könnte. Der Jadgaufseher Daur wurde dem Jagd­schutz-Verein zur Auszeichnung vorgeschlagen.

Hohenstein OA. Besigheim, 22. Jan. Ungültige Gemeinderatswahl. Dem Vernehmen nach wurden vom Bezirksamt die Ergebnisse der hiesigen Gemeinderats- i wähl für unültig erklärt. Es muß eine Neuwahl stattfinden.

Crailsheim, 22. Jan. Abgestürzt. Der 15 Jahre alte Dienstknecht Georg Weidner bei Landwirt Friedrich Schümm im Auhof fiel so unglücklich vom Scheuernboden, daß er neben anderen Verletzungen einen Vorderarmbruch erlitt und ins Bezirkskrankenhaus verbracht werden mußte.

Bopfingen, 22. Jan. Zugsentgleisung. Vor­gestern früh entgleiste bei einer Rangierbewegung im hiesigen Bahnhof infolge starker Verschneiung der Weichen die Maschine des Lokalzugs BopfingenNördlingen. Nach Ein- treffen einer Ersatzmaschine von Nördlingen konnte der Lokalzug mit einer einstündigen Verspätung nach Nörd­lingen weiterfahren.

kirchheim u. T 22. Jan- Diebstähle. In einem hiesigen Warenhaus sind umfangreiche Diebstähle aufgedeckt worden. Zwei Dienstmädchen konnten überführt werden, die schon seit mehreren Jahren Herren- und Damenkleider» Weißzeug, Steppdecken u. a. entwendet hatten. Eine Frau, die im Hause wohnt, war ihnen bei der Tat behilflich. Die Hauptschuldigen wurden festgenommen.

Laichingen, 22. Jan. Höhlenvereinigung. Im Laus dieses Sommers soll hier eine Konferenz des deutschen Höhlenvereins stattfinden. Die Laichinger Höhle ist ja weit­hin bekannt. Zudem ist mit Sicherheit festgestellt, daß sich in nächster Nähe noch viel ausgedehntere Hohlräume be­finden. Nun soll hier eine Höhlenvereinigung gegründet werden, die die Aufgabe hat, das Alte wieder aufzubauen und Neues auszuforschen. >

Tübingen, 22. Jan. Mordanklage. Anfangs August v. I. war Freiherr Walter vonTessin auf Schloß Hoch­dorf bei Vaihingen a. E. bei einer Jagd im Schönbuch, an der auch sein Bruder Manfred und der -16jährige Stief­bruder Kurt teilnahm, tödlich verunglückt. Im Verlauf eines Familienstreits ' ezichtigte sich Manfred, der Beziehun­gen zu der Witwe des Verunglückten hat, des Mords an seinem Bruder. Die Kunde wurde der Staatsanwaltschaft hinterbracht, die ein Verfahren gegen Manfred wegen Mords und gegen Kurt wegen Begünstigung einleitete. Manfred zog seine Aussage zurück. "Die Staatsanwaltschaft erhielt aber die Anklage aufrecht, und das Verfahren wird nun am 25. Januar vr dem Schwurgericht in Tübingen zum Austrag kommen.

Rottweil, 22. Jan. Totschlag. Das Schwurgericht hat den Alfons Schmid von Oberslocht wegen Totschlags zu 5 Jahren Gefängnis und 3 Jahren Ehrverlust verurteilt.

Friktlingen OA. Spaichingen, 22. Jan. Freche Bubenhände. Für die einzige Blinde in unserer Ge­meinde wurde von ihren Angehörigen eine kleine Rodio- anlage bestellt. Frech« Burschen zersägten in der Nacht den Masten zur Antennenleitung und machten so die Anlage unbrauchbar.

Ilkkenweiler OA. Riedlingen, 22. Jan. Brand. Vor kaum acht Tagen wurde das Haus des Sattlers Moll ein Raub der Flammen. Diesmal brannte das Haus des Berg­schuhmachers Moll; das Wohnhaus konnte gerettet werden, während Stall und Scheune vollständig niederbrannten. ;

Primisweiler, OA. Tettnang, 22. Jan. Festgenom- men- Der 17 Jahre alte Georg Lanz von Amtzell wurde wegen mehrfacher Diebstähle festgenommen.

halten haben. Aber bitte pünktlich!"

Der Prokurist lächelte zwar etwas ungläubig, aber er sagte doch in höflich kühlem Ton:Gewiß, Herr Doktor, ich werde dafür sorgen."

Vesten Dank, und verzeihen Sie die Störung!" Die beiden Herren trennten sich mit leichter Verbeugung. Wer­res atmete auf. Alles ging glatt, so wie er es sich zurecht­gelegt hatte. Als er zu Hause anlangte, fand er auf seinem Schreibtisch einen Brief, der die AufschriftEilbrief" trug. Derselbe war an ihn adressiert, doch nicht nach seiner Woh­nung, sondern nach dem Polizeipräsidium, und der Post­stempel zeigteScherwinden". Werres wog den Brief in der Hand. Er fühlte etwas Hares darin. Das von ihm erbetene Bild des Barons v. Berg, wie er richtig vermutete. Dann rief er seine Wirtin.Wer hat den Brief gebracht?"

Einer der Herren von der Polizei, der schon öfters hier war, der kleine Schwarze." Das war Müller.War sonst noch jemand da?"

Nein, Herr Doktor."

Werres schloß die Vorhänge, zündet« die Lampe an und setzte sich an den Schreibtisch. Er öffnete den Brief und nahm das Bild heraus, dem ein kurzes Schreiben beilag, das Herr o. Berg wahrscheinlich durch seinen Sekretär hatte absassen lassen. Das Bild, Visitformat, war eine Profil­aufnahme und wahrscheinlich in dem letzten Jahre herge­stellt. Werres schaute lange auf dieses aristokratische Män­nergesicht.

Dann breitete er noch einmal seine Aufzeichnungen aus. Er tauchte die Feder ein und füllte auf der letzten Seite die bisher offen gelassene Stelle aus. Die Feder flog über das Papier, knirschte und kratzte und ließ sich nicht aufhal­ten; wie in einem Zuge bedeckte sich die weiße Fläche. Dann warf Werres den Halter hin, daß der Rest der Tinte verspritzte und sich in immer kleiner werdenden schwarzen Pünktchen auf der Schreibunterlage verlor. Werres lehnte sich zurück und überflog das Geschriebene. Ein tiefer Atem­zug hob seine Brust, ein Laut wehte durch das Zimmer wie. ein Seufzer der Erleichterung, oder war es ein Stöhnen?

Werres Mund hatte sich fest zusammengepreßt, und iM sein Gesicht war ein Ausdruck von Seelenpein getreten;! ein weher, schmerzlicher Zug lag um die sonst so spöttisch!

verzogenen Lippen.-Sein Werk war vollbracht,!

vollbracht! Langsam richtete er den Blick empor zu dem)

Bilde, das da oben auf dem Schreibtischaufsatz stand. Und. wie fragend schaute er in das liebe Mädchengesicht. Er war, s als hoffte .r, daß dieses von so vollem Haar umrahmte/ Köpfchen ihm zunicken werde, ermunternd, lächelnd, dank­bar. Nein, nichts, nichts als seine Gedanken. Sein Werk war vollbracht und morgen? Morgen würde da ^ in der Werterstraße ein junges Weib fassungslos schluchzen, ^ würde mit wilden, trostlosen Augen ins Leere starren und! vielleicht verfluchen, was sie heute noch liebte. Und das! würde sein Werk sein!!! Willert» Braut würde auch ihm fluchen. ;

Lange saß er so da. Der Schmerz in seinen Zügen hatte sich verstärkt. Ein Ausdruck voll qualvoller Angst entstellte sein blasses Gesicht, in dem die roten Schmißnarben jetzt brannten wie Kaim Zeichen. Und dann richtete er sich schwerfällig auf. Er hatte ausgekämpft; die Pflicht hatte ^ «esiegt und Werres glaubte für alle Zeit das begraben», was trotz dieses spöttischen Lächelns in seiner Seele gelebtr >

Das warme Mitempfinden fremden Unglücks.

23. Kapitel

Die Flurglocke schellte, lange anhaltend. Dann klopft« es. Werres wandte sich der Türe zu, so müde, so gleich­gültig.

Es war der Sanitätsrat. Die Herren begrüßten sich und Werres nötigte seinen East in einen Sessel. Er hatte die Lampe auf den Mitteltisch gestellt und setzte sich so, daß sein Gesicht im Schatten blieb. Er fürchtete das Licht, doch sein«

Stimme klang ruhig und leidenschaftslos wie immer.Herr^ Sanitäsrat, ich habe Sie hergebeten, um Ihnen an dem heutigen Abend eine Person zu zeigen, die Ihr und mein Interesse jetzt schon länger als acht Tage in Anspruch nimmt. Wen ich meine, wissen Sie wohl." .MkWsA- »

(Fortsetzung folgt.)