Nr. 71

Amts, und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang

Ersch-inunaSwcls-: Sinai «öchenü. «lPlg-n-rei«: Die Zeile 120 M., Fmniiienan,eigen

75 M., Reklamen LS0 Mk. «ns Sammclazeigen kommt ein Znlchlag von 100 "/». Fernspr. g.

Montag, den 26. März 1823.

BczugSprei»: In der Stadt mit TrLgeilohn S40V Mk. monatl. PoPbezugiVreis S400Mk.

ohne Bestellgeld. Schluß der Lnzeigenannahm« 8 Uhr »onnitiagl.

Neueste Nachrichten.

Die Verhaftungen in der Angelegenheit der deutschvöttifchen Freiheitspartei in Preußen ziehen immer weitere Kreis». Die Reichstagsabgeordneten der Partei sollen hente, wenn der Reichskanzler sich von seiner Erkältungskrankheit erholt hat, von diesem empfangen werden. Auch die Deutschnationalen haben eine Interpellation angekündigt.

Die Franzosen haben einen neuen Erlaß an die deutschen Eise«, bahner im besetzten Gebiet hrrauvgegeben, in dem sie von ihnen unter Versprechungen aller Art, aber gleichzeitig unter An­drohung schwerer Strafen, die Beibehaltung ihrer Tätigkeit unter dem neuen französischenRegime" verlangen. Das Reichsrerkehrsministerinm weift demgegenüber auf die gelten­den deutschen Erlasse hin.

Der de«tsch« Reichsschatzminister hat im Reichstag die ungeheuer­liche» Lasten der Rheinlandsbesetzung gekennzeichnet, mit deren Aufwand man rasch die zerstörten Gebiete wieder auf» baueu könnte.

Sie französische GeMliPlilik.

Eine erneute Aufforderung an die deutschen Eisenbahner zur Dienstleistung für die Franzosen.

Frankfurt, 2t. März. Eine französische Verordnung, datiert aus Düsseldorf, 20. März, wendet sich an dze deutschen Eisenbah­ner mit der Aufforderung, sich unverziiglich wieder auf ihre Po­sten zn begeben und den früheren Obliegenheiten nachzukom,»«». Zugleich wird bekanntgegeben, daß die Franzosen neben dem Personenverkehr auch den kommerziellen Verkehr im Interesse des Wirtschaftslebens wieder aufnehmen und zu diesem Zwecke die gesamt^Verwaliung der Eisenbahnen in den besetzten Ge­bieten, übernommen, und zwar auch den finanziellen Betrieb. Zu diesem Zwecke sei eineRegie für die Eisenbahnen im be­setzten Gebiet" eingerichtet worden. Das deutsche Personal unter­stehe somit allein dieser Regie und nicht mehr der Reichsregie­rung. Zuwiderhandlungen würden streng bestraft. Den willigen Eisenbahnern werden zu wiederholten Malen die vollen deut­schen Gehälter nebst Zulagen usw. versprochen. Außerdem wird die Versicherung gegeben, daß das Deutsche Reich keinerlei Maß­regeln gegenüber diesen Bediensteten verwirklichen dürfe, weder jetzt noch in Zukunft. Um die Verordnung den Beamten eher schmackhaft zu machen, wird betont, daß die Wiederaufnahme des früheren Bahnbetriebs nur zum Wohle der Bevölkerung in den besetzten Gebieten erfolgen soll. Unterzeichnet ist die Verord­nung:Die Regie". Anscheinend auf Grund dieser Bekannt­machung find in Worms bereits 38 Dienftwohnungsinhaber, die sich den Franzosen nicht gefügig zeigten, innerhalb 21 Stunden aus ihren Dienstwohnungen ausgewiesen worden. Auch in Karthaus sind 11 Ei'enbahnbedienstete, die unter den Fran­zosen nicht arbeiten wollten, ausgewiesen worden. Ferner ist der Vorstand des Betriebsamts Worms H, Regierungsbaurat Jor­dan, verhaftet und ausgewiesen worden. Seine Familie hat ihm innerhalb vier Tagen zu folgen.

Die deutsche Antwort.

Berlin, 24. März. Die Errichtung der franz.-belgischen Elsenbahnregie veranlaßt,: den Reichsverkehrsnrinister zu einer Bekanntmachung an das Eisenbahnpersonal im be­setzten und Einbruchsgebiet, die folgendes bestimmt: 1) Kei­ner Weisung der Regie ist Folge zu leisten, 2) Jedes Zusammenarbeiten mit der Regie wird untersagt, 3) Der Aufforderung der Regie, unverzüglich zu den früheren Po­sten zurllckzukehren und den Dienst wieder aufzunehmen, ist unter keinen Umständen und an keiner Stelle nachzukom­men, 4) Verstöße gegen die bestehenden Weisungen ziehen schwerste Disziplinarbestrasung nach sich, insbesondere Dienstentlassung und strafrechtliche Verfolgung.

Wieder eine Mordtat der Franzose«.

Vorhalle, 26. März. Der Bergmann Karl Pracht wurde gestern auf der militarisierten Bahnstrecke Vorhalle-Voll­merstein von der franz. Vahnhofswache ersthossen. Die Zeu­genvernehmungen haben keinerlei Anhaltspunkte für die von franz. Seite verbreitete Darstellung ergeben, datz von deutscher Seite auf die franz. Wache Schüsse abgegeben worden sind.

Die planmäßige Fortsetzung der Gewalttaten.

Karlsruhe, 24. März. (Wolfs.) Die Franzosen brachten aus Straßburg drei Dampfkranen heran und laden damit

tn Offenburg die Drehbänke aus den Maschinenwerkstätten auf. Die von der Stadt Offenburg nachgesuchte Genehmi­gung um Hergabe von 200 Tonnen Dienstkohle für das Offenburger Gaswerk ist abschlägig Leschieden worden.

Ei« deutscher Heerführer von den Franzosen verhaftet.

Frankfurt, 25. März. DieFrankfurter Zeitung" mel­det aus W i e s b a d e n, daß der bekannte preußische Heer­führer Exzellenz v. Mundra von den Franzosen verhaftet worden ist. Von Mudra war der Führer der Argonnen- truppen.

Kohlenmangel in Nordfrankreich.

Paris, 25. März. DerMatin" meldet aus Lille, die dortige Vereinigung der Kohlenhändler habe festgestellt, daß in Nordfrankreich Kohlenmangel eintrete und verlange von der Handelskammer daß sie sich der Frage annehme. Die meisten Industriellen hegten lebhafte Besorgnisse und wenn nicht in einigen Tagen Kohlen in sehr großer Menge ankämen, müßten sehr viele Fabriken stillgelegt werden und zahlreiche Arbeiter feiern. In einer offiziösen Erklä­rung wird die Richtigkeit der Meldung desMatin" ange- zweifelt, daß wegen ungenügender Transportmittel in den Nordteilen Kohlenmangel eintrete. Vor etwa 14 Tagen seien wegen der Ankunft englischer Kohlentransporte Schwierigkeiten entstanden. Es seien aber Maßnahmen ge­troffen worden und die Lage sei infolge dessen seit einigen Tagen wieder normal geworden.

Die Beeinträchtigung des holländischen Handels durch die Ruhrbesetzung.

London, 25. März. Der Sonderberichterstatter des Daily Telegraph in Rotterdam hebt hervor, daß die Besetzung des Ruhrgebiets Rotterdam, einem der geschäftigsten Häfen der Welt, lahmgelegt habe. Der Verkehr von Rotterdam sei auf 30 Prz. des ursprünglichen Handels zurückgegangen. 30 000 Arbeiter seien erwerbslos geworden.

Der deutsche Neichsschatzminister über die Kosten der Nheiutandbefetzung.

* Berlin, 24. März. Im Reichstag brachte Reichsschatzminister Dr. Albert die vom Reichstag gewünschte Denkschrift über die Kosten der Rheinlandbesetzung ein und stellte daraus fest, daß die Vesatzungskosten bis gegen Ende 1922 rund 4,5 Milliarden Eoldmark betrugen, (Lebh. hört, hört) ohne die Kosten für die Besetzung des sogen. Sanktionsgebiets und die alliierten Kon- treollkommissionen. Der Minister stellt fest, daß diese Summ« viel produktiver zu Gunsten unserer Gläubiger und zum Wieder­aufbau Nordfrankreichs hätte verwendet werden können. Zum Vergleich hob er hervor, daß in den letzten vier Jahren vor dem Kriege die Eesamtaufwendungcn des Reiches für Heer und Flotte 3,75 Milliarden Mark betrugen. Diese Ausgaben werden also jetzt von den Besatzungskosten um X Milliarden überstiegen. Nach dem Friedensvertrag sollte die Besatzungsarmee keinesfalls die frühere deutsche Friedensstärke in diesem Gebiet überschreiten. Anstelle der ehemaligen deutschen Belegung mit 70 000 Köpfen in 28 Orten waren aber im September 1922 rund 220 Orte mit 115 000 Mann besegt, (Lebh. hört, hört!) während offiziell die Stärke der französischen Besatzungsarmee auf 90 000 und der bel­gischen Truppen auf 19 OM Mann festegesetzt war. Dieser starken Belegung entsprechen auch die naturalen Dienstleistungen für die Besatzungsarmee. Der Minister erinnerte an die landwirtschaft­lichen Betriebe, Flugplätze, Exerzierplätze und dergleichen. Außer den vorhandenen 32 Schießständen und Exerzierplätzen sind 51

tlwnr

neue Anlagen dieser Art erzwungen worden, außer den vorhan­denen 7 Flugplätzen weitere 19. Bordelle sind bis in die kleinsten LanLstädtchen gelegt worden. In 61 Orten des altbesetzten Ge­biets find 250 Fabrikanlagen aller Art beschlagnahmt worden. Der Minister schildert die großen wirtschaftlichen Schädigungen, die infolge der Besetzung sich ergaben. Er bespricht weiter die Einquartierungslasten. Außer den Kasernen sind seit 1922 ins­gesamt 15 OM Wohnungen mit 37 OM Zimmern und außerdem noch weitere 10 OM Zimmer zur Unterbringung von Offizieren und Mannschaften beschlagnahmt worden. Das ist nicht verwun­derlich, wenn man bedenkt, daß auch die Angehörigen der Trup­pen auf Kosten Deutschlands untergebracht werde». So hatte in der belgischen Zone ein unverheirateter Offizier für sich zur Bei­fügung 5 herrschaftliche Zimmer mit Küche für ihn selbst, seine Großmutter, seine Mutter, zwei unverheiratete Schwestern, eine verheiratete Schwester und zwei Kinder der verheirateten Schwe­ster. (Stürmische Entrüsstungsrufe.) Der Minister verwies dann auf das Netz von Beamten und französ. Delegierten, mit dem das Rheinland systematisch überzogen wird. Dieses Gesamtperso­nal betrug bereits rm September 1920 1311 Mann; für die französ. Abteilung dieser Art waren im Jahr 1922 bereits 1,9 Milliarden gezahlt worden. Die Besetzung der Rheinlande sei eine einzige, ununterbrochene Kette von Vertragsverletzungen. Ein ehemals blühendes Land ist zu einem Heerlager größten Stils gemacht worden. Der französische Militarismus wird durch­geführt auf Kosten einer anderen Nation, der man dadurch gleich­zeitig die Mittel für finanzielle Leistungen nimmt. Präsident LöLe teilt im Anschluß daran mit, daß in der letzten Zeit beim Reichstag eine große Anzahl von Sympathiekuiidgebungen zur Abwehr im Ruhrgebiet aus Oesterreich und vielen deutsch" Städten eingelaufen seien. (Beifall.)

Der Reichswirtschastsmknister über den Abwehrkampf an der Ruhr.

Hamburg, 21. März. Wolfs.) Auf dem parlamentari­schen Abend der Deutschen Volkspartei im Hotel Atlantic" sprach der Reichswirtschaftsminister Dr. Becker über die Regierungspolitik und über die durch die Ruhrbesetzung ge­schaffene politische Lage-. Dr. Becker sagte, hie Regierung Cuno habe von Anfang an ihr Hauptaugenmerk darauf gerichtet, die Grundlage für den Wiederaufbau zu legen. Der Redner schil­derte die Lage der Bevölkerung im Ruhrgebiet unter der französisch-belgischen Besetzung und betonte, daß der Wider­stand auf der ganzen Linie ungebrochen sei. Sodann wandte er sich den wirtschaftlichen Folgen des Einbruchs zu. Trotz anfäng­licher Bedenken sei bisher alles über Erwarten gut gegangen. Man sei über die Wirtschaftsnöte bester hinweggekommen, als es die größten Optimisten angenommen hätten. Frankreich da­gegen habe in den zweieinhalb Monaten der Besetzung nicht mehr als IM OM Tünnen Kohle und Koks bekommen, soviel, wie es vorher in zwei Tagen erhalten habe. Das deutsche unbesetzte Gebiet verfüge heute über mehr Kohlen als es brauche. Schwer sei auch der Schaden für die Neutralen durch die Ruhr­besetzung. Die Zukunft Deutschlands sei nicht leicht zu übersehen. Nur der feste Wille auszuhalten, gebe die Gewähr für den Sieg, ohne den Deutschland verloren sei. Sodann ließ sich der Minister noch über den Abbau der Außenhandelskontrolle aus und legte seinen Plan hierfür dar. Nach der mit lebhaftem Beifall aus­genommenen Ministerrede nahm die Versammlung eine Ent­schließung an, in der der Regierung Euno volles Vertrauen ausgesprochen wird neben dem Wunsche, daß sie sich der Gewalt Frankreichs nicht beugen werde. ^

PoinearL über das «nationale- Heer Frankreichs.

Paris, 23. März. Ministerpräsident Poincarö hat ge­stern abend bei einem Bankett der Gesellschaft'- (tändele- geographie eine Rede gehalten, deren Inhalt man verbrei­ten muß, damit er in der ganzen Welt bekannt wird. Er erklärte: Als anfangs August 1914 Frankreich odiös an­gegriffen wurde, hat es seinen Boden und seine Freiheit zu verteidigen gehabt. Es hat unmittelbar in allen seinen, überseeischen Besitzungen Unterstützung gesunden. So ist es gekommen, daß ein Reich von 100 Millionen Einwoh­nern dem Angriff der Germanen standgehalten hat. Ano- niten, Hadagassen, Sudanesen, Senelaesen, Algerier, Tune­sier und Marokkaner haben sich mit den Kindern der An­tillen und von Rönien vereinigt, um auf französischem Boden in dem Heere der Metropole zu kämpfen. Niemand in Frankreich wird das vergessen. Der Neid, der den Deu'.- schen durch die nationale Größe und die Kraft Frankreichs eingegeben wurde, hat sie dazu gebracht, in der gesamten Welt eine verabscheuungswürdige Campagne gegen die französischen Solonialgruppen zu veranstalten, als ob ein