Rundschau.

Niedlingen, 23 April. Alles schon da­gewesen, lautet gewöhnlich die Parole. Ein Handel jedoch, wie er diejer Tage hier im Rosengarten von Bauersleuten der Nochbar­gemeinde G. abgeschlossen wurde, dürfte wohl zu den äußersten Seltenheiten gehören. Das Verkanfsodjekt war kein geringeres als eine Partie zwölf Tage alter Gänschen, welche zu 70 das Stück angeboren wurden. Dem Käufer war das Angebot zu hoch, und nach langem Hin- und Herreden einigten sich die Parteien, die kleinen schnatternden Viecher­chen nach dein Obenden Gewicht und zwar das Pfund zu 5 -/A auszuhandeln! Einer jedoch ist gewöhnlich der Geprellte. Reim Wägen ergab sich ein Durchschnittsgewicht von 174 Gramm, so daß also das Stück ans 1 ^ 70 zu stehen kam. Rechnet man ten eigenen stillen Aergcr, den nie fehl­enden Spott und das lange Gesicht der ge­strengen, wird alle« getröstet sein, wenn am Feste des hl. Martinius eine lieblich duf­tende Kachel den prachiigen Gänsebraten bietet.

Tuttlingen, 28. April. Die Enthüllung des Max Schneckenburgcr-Denkmals ist nun endgültig auf de» 19. Juni festgesetzt. Die Einladungen zu. dieser Feier werden dem­nächst erfolgen.

Gruppiert man die deutschen Städte von 10,000 und mehr Einwohnern nach der Höhe der auf den Kopf der im Jahre 1890 ermittelten Bewohner entfallenden städtischen Schulden, so steht Berlin mit 123 erst an 37stcr Stelle. Die meisten Schulden mir 450 ^ kommen in Bremen auf den Kopf der Bevölkerung, dann in Hamburg mit 381 r/A Es folgt die Stadt Baden mit 357 Konstanz mit 335 Mainz mit 301 r/L; zwischen 300 und 200 ^ Schulden pro Kopf hatten 5 Städte, 200 bis 100 52 Städte. Unter 10 ^

Schulden pro Kopf halten u. a. von den süddeutschen Stätten Erlangen und Eßlingen.

Eine sehr interessante Trauung fand dieser Tage in Berlin statt. Ein Chinese heiratete ein Berliner Mädchen. Die Trau­ung fand in der Kapelle auf dem Johannis- tisch statt, nachdem der Bräutigam vorher zum Christentum übergetrelen war. Mit dem alten Glauben hat er allerdings die alle Tracht nicht abgelegt. Er schritt zum Traualtar in blauen seidenen Beinkleidern, einem gelben Oberkleide und dem lang herab­hängenden, glänzend schwarzen Zopf. Es ist unseres Wissens die erste mongolisch­berlinisch gemischte Ehe, aber einige Braut­paare dieser Ar! sieh! man noch an schönen Sonntagnachmitlagen in Berlin umherwan- dern. Das junge Paar wird eine Wäscherei eröffnen.

In Silberburg (Reg.-Bez. Breslau) stießen der Uhrmacher Werner und sein« Frau bei der Gartenarbeit ans einem neu angekauften Grundstück auf einen wahrschein­lich aus der Zeit der Kriegsübungen her­rührenden vergrabenen ExpiosionSstoff. Die­ser explodiert, und als die in der Nähe Weilendenden auf den Knall herbeieilten, fanden sie beide Eheleute in schauderhafter Weise in Stücke zerrissen. Die Schuld wird dem früheren Besitzer des Gartens beige­messen, der den Sprengstoff angeblich vor einem Jahre im Garten vergraben hat.

(Ein scheußliches Verbrechen) ist im herzoglichen Forste bei Heinzendors (schl-s. Krel« Wohls») verübt worden. Die

Jahre alte Wittwe Breuer befand sich "am 22. M. daselbst mit Holzlesen beschäftigt, als sie von einem gut gekleideteu Manne mittels eine- in ein Taschentuch gewickelten Steines zu Boden geschlagen wurde. Der Unhold verübte sodann an seinem Opfer ein StttlichkeilSverbrechen u. schnitt ihm mit einem scharfen Messer mehrfach den Leib auf. Als die Halbtode gleichwohl wieder zu sich kam, packte er sie von neuem, hieb M't einem schweren Prügel auf sie ein, wodurch mehrere Schädel- und.Armbrüche verursacht wurden, schleppte sie ein großes Slück Wege« fort, verübte neue bestialische Verbrechen an ihr und warf schließlich sein Opfer in eine rings­um mit Dorngebüfch bewachsene Grube. Hier wurde die Acrmstc durch Zufall noch lebend ausgcfunden, und konnte noch einige Hin­weise auf die Person des ThäterS machen, so daß seine Ergeifung möglichst ist.

Warschauer Blätter berichten, daß die unlängst in Warschau verstorbene Gräfin Potocki ihre Dienerschaft mit 218 000 Rubel bedacht habe. Noch bei Lebzeiten hatte sie die einem jeden bestimmte Summe eigenhändig couvertiert, den Umschlag mit der Adresse versehen und versiegelt. Die Zuwendungen sind bereits zu Verteilung gelangt.

Au- Löbau (Sachsen), 26. April, wird gemeldet: Eine Feuersbrunst verheerte den größten Teil der Brauerei im nahen Ottenhain. Bei den AbräumungSarbciten wurden die zerschmetterten Leichen zweier Feuerwehrleute vorgefunden.

In Wien brannte in der Mittwochs- Nacht das große Panorama in der Prater- siraße ab. Piglhcins KvlossalbildDie Kreuzigung Christi" ist vollständig zerstört, das ganze Panorama ist vernichtet. Die Ur­sache des Brande« ist unbekannt.

Bei dem Zahnarzt D'ham in Soest (Westfalen) wollte sich kürzlich der 14jährige Sohn de- Gutsbesitzer« Schulze-Bergede einen Zahn ziehen lassen. Der Knabe, der Furcht zeigic, wurde chloroformiert, das Zahnziehen ging dann gut von statten, der Patient selbst wachte jedoch nicht mehr auf; er war in der Chloroformnarkose gestorben. Der Fall ist um so betrübender, als der junge Schulze der einzige Sohn seiner Eltern war.

Der Letter deS Sängcrchors in der Privatkspelle beim Kaiserlichen Palaste in Peterhof hat im Delirium seine Frau er­mordet, die Leiche in Stücke zerschnitten und diese in einem Ofen verbrannt. Dann Hst er seine drei Kinder in einen Fluß geworfen.

In Neapel wurden 70 Anarchisten verhaftet, in deren Besitz Dynamit gefunden wurde. In Palermo, Catania, sowie in den meisten Städten Sizilien« wurden zahlreiche Anarchistenverhaftungen vorgenommen.

Der russische Minister Giers reist Mitte Mai zu mehrmonatlichem Kurgebrauch nach Wiesbaden. Alle Nachrichten vom Rück­tritt des Minister« werden entschieden in Abrede gestellt.

Die Stadt Woronesch (Rußland) ist überschwemmt; viele Menschen sind ertrunken.

(Panik in einer Kirche.) Am 24. April Morgens entstand eine fürchter­liche Panik in der katholischen Marienkirche zu Fortwaync im nordamerikanischen Unions­staate Indiana. Die Kirche war gedrängt voll, der Altar und das ganze Innere der Kirche mit künstlichenBlumen reich geschmückt, da eine große Menge von Kindern da« erste Abendmahl nahm. Ein Windstoß lockerte

plötzlich einige Papierrosen, welche gegen eine brennende Kerze geweht wurden. Die Vor­derseite der Kirche war urplötzlich in ein Flammenmeer nmgewandelt. Es entstand eine furchtbare Panik. Die Anwesenden eilten den Au-gängen zu, wo ein verzweifel­tes Ringen statifand. Die Kinder kreischten, Frauen wurden ohnmächtig, viele Personen zu Boden gerissen, todgetreten oder schwer­verletzt. Durch die Geistesgegenwart der Priester wurde endlich die Ordnung wieder hcrgestellt und die Flammen gelöscht. Mehrere Personen trugen Brandwunden davon. Ein ähnlicher, aber nicht so folgenschwerer Verfall wird aus Temesvar berichtet: In der Pfarrkirche der Vorstadt Josephstadt ent­zündete sich am Sonntag während der Kom­munion der Schleier eines weißgekleideten Mädchens, wodurch in der überfüllten Kirche eine unbeschreibliche Panik entstand. Weiber und Kinder drängten schreiend in die Sacri- stci und zu den Ausgängen, und mehrere Personen wurden ohnmächtig. Als die Si­tuation bedrohlich wurde, unterbrach der Pfarrer das Hochamt, verließ im vollen Or­nate den Altar, riß den brennenden Schleier vom Kopfe des bewußtlos gewordenen Mäd­chens und erstickte das Feuer. Nach längerer Pause konnte die Messe fortgesetzt werden.

Paris, 29. April. Der Kricgsminister zog 3 Husaren-, 3 Jäger- und 3 Kürassier- regimcnter aus den Provinzstädlen heran. Sämtliche Truppen bleiben bis zum 2. Mai konsigniert und werden in Feldrüstung und marschbereit in den Kasernenhöfen kampieren. JederMann erhält 13 Pakete scharfe Patronen.

Die gesamte belgisch-französ. Grenze ist mit Gendarmerie besetzt. Sämtliche ans Frankreich kommende Bahnzüge werden schärf­sten- untersucht. Alle Reisende werden an- gehalten, die ihren Zivilstand nicht genügend Nachweisen.

Alle Bahnzüge in Paris sind über­füllt, da die wohlhabende Bourgeoisie, die Aristokratie, die Fremden sämtlich Paris verlassen. Die Hotels stehen fast leer. Die Truppen sind ringsum konzentriert, und fortwährend folgen neue Truppenzüge. Die Aufregung der Armee und besonders beim Ofsiziercorp« ist groß, zumal häufig passier­endes Militär provoziert und gehänselt wird. In vergangener Nacht wurde massenweise eine anarchistische Proklamation in den Ka­sernen eingeschmuggelt und passierenden Sol­daten zugcstcllt, oder angeklcdt. In dieser Proklamation wurde aufgefordert, die Bour­geoisherrschaft zu vernichten und die Offi­ziere »iederzuschießen.

Philadelphia, 28. April. Vor dem Be­ginn der gestrigen Vorstellung im Grand- Centraltheater brach auf der Bühne eine Feuersbrunst au«. ES entstand ein großer Schrecken bei den nach den Ausgängen drängen­den Schauspielern und Theaterbesuchern. 6 Schauspieler wurden getötet, 70 Männer und Knaben aus der Zuschauermenge ver­letzt. Der Brandschaden wird auf nahezu 4'ir Millionen Mark (mehr als eine Mill. Dollar«) geschätzt.

.'. (Heimgezahlt.) AeltereS Fräulein: Herr Müller, Sie sollten eigentlichge­mischter Zug heißen!" Herr:WcShalb?" Fräulein:Weil Sie überall anhalten." Herr:Dann müßten Sie aber auch Orient- Expreßzug heißen I" Fräulein (betroffen): Warum denn?" Herr:Weil bei Ihnen gar nie angrhaUen wird!