Nr. 1

Amis- und Arrzeigeblq.tt iÄr den Oberamtsbezirk

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Dienstag, den 2. Januar 1923

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Neueste Nachrichten.

Die Vorkonferenz der Alliierte« zur Vorberatung des Reparationrprogramms beginnt heute. Sowohl von Paris nie London sind halbamtliche Erklärungen abgegeben wor­den, nach denen zu schlichen ist, daß di« Franzosen aus ihrer Pfänderpolitik beharren und dah England sich de« französischen Anschauungen merklich nähert, wenn man auch «cch gewisse Vorbehalte macht. Auch der amerikanische Staatssekretär des Aeuhern hat sich sehr vorsichtig über die Haltung Amerikas ausgesprochen. Er hat erklärt, dah Amerika keineswegs die gerechten" Ansprache Frankreichs beschneiden wolle, aber man sei gegen Zwangsmaßnahme«, di« doch keine positive« Erfolge hätte«.

Mit einer in dieser Atmosphäre der Phrase« und Heuchelei ge­radezu befreienden Ehrlichkeit hat dagegen die russische Abord. nung in Lausanne den Alliierte» gesagt, was sie von ihren Fricdens"-Plänen hält, und ihrer Politik auch die richtige Bezeichnung gegeben. Allerdings trägt dieser Ton natürlich nicht dazu bei, die Verhandlungen im Sinu« der Alliierten zu beschleunige«, und so haben wir Hinsicht! ch der Orientkonferenz jeden Tag mit lleberraschungen ernstester Natur zu rechnen.

Ammim? AnleihkülMu. Deutsch aiü? SAMI.

Eine grundsätzliche Betrachtung von Hanns Martin Elster.

Welch unklarer politischer Kops der Deutsche, einschließlich der meisten seiner praktischen Berufspolitiker ist, erwies sich wieder in den letzten Wochen, da die Gerüchte über eine amerikanische Anleihe austauchten. Alle Welt badete sofort in rosigstem Opti­mismus. Man setzte zwar vor seinen Optimismus noch eine Warnungstafel, aber diese Warnungstafel wurde geflissentlich übersehen und man gab sich skrupellos den Hoffnungen auf wirt­schaftliche Konjumentenerleichterungcn hin, ohne sich klar zu machen, um was es sich Lei einer Amerikaanleihs für Deutschland eigentlich handelt. Es ist aber unbedingt notwendig, dah jeder Deutsche von Einsicht und Einfluß mit vollem Veraniwortlich- keitsgesühl für Deutschlands Schicksal weiß, um was es in Wahr­heit Lei dieser Amerika-Anleihe geht.

Wer die Meldungen und Berichte aus Amerika mit ruhigem Blut und politischem Wissen liest, wird bald feflstellen, daß der Wrleihrkampf gar nicht darum geht, Deutschland wirtschaftlich oder politisch zu helfen, sonder« daß es sich hier ganz einfach um eine endgültige Durchführung des Versailler Friedenc-diktatcs handelt nnd um eine Wirtschaftshilfe für die unter Deutschlands Verarmung leidende Produktion Amerikas und Englands. Die Quelle der Anleihpeläne ist eine geschäftliche: Amerikas Baum- woll- und Getreideproduzenten können ihr Ware nicht mehr absstzen, Deutschlands industrielle Produktion verurteilt Amerika und noch mehr England zu einer dauernden Arbeitslosigkeit. Dieser Zustand wurde nicht hcrvorgerufen durch das Versailler Friedensdiktat an sich, sondern durch die Unmöglichkeiten des Versailler Friedensdiktates. Beseitigt man die'e Unmöglichkeiten so kalkuliert der ruhig-kalte amerikanische Geschäftsmann so setzt man Deutschland instand, den möglichen Versailler For­derungen (die immer noch höher sein werden, als je ein Deutscher zugeben kann) zu entsprechen. Entspricht Deutschland ihnen aber, so wird Deutschland wieder Abnehmer für Baumwolle, und Ge­treide und hört Deutschlands Preisunterbietung auf dem indu­striellen Warenmärkte auf. Infolgedessen tritt Amerika für eine teilweise Revision des Versailler Werkes ein.

Eine teilweise Revision ist aber von Amerika nur durchzu- setzen durch Macht! Und zwar politische und wirt­schaftliche Macht. Die wirtschaftliche Macht Amerikas ist seine Anleihe, die in bar auch den Franzosen, und indirekt durch Beseitigung der Konkurrenz auch den Engländern zugute kommt und deren Deutschland zugedachte Mittel die Getreide- und Baumwolleankäufe Deutschlands in Amerika decken sollen, also in Amerika verbleiben! Seine politische Macht setzt Amerika nun für die Sicherung der Anleihe ein, diese Anleihe soll die erste praktische Hypothek auf Deutschlands Staatsbesitz darstellen, die bisher als Theorie den Ententeländern laut Versailler Dik­tat gehört. Kein Mensch gibt aber einem andern einen Kredit, wenn dieser andere in der Gewalt eines Dritten ist. Solange Frankreich die Hand auf deutschen Staatsbesitz legen kann, ist eine Amerika-Anleihe unmöglich, denn dann hat Amerika keiner­lei Sicherheiten für sein Leihgeld. Frankreich nun wieder kann die Hand von Deutschlands Gurgel nicht fortnehmen, weil es auf Grund seiner eigenen politischen Psyche stets mit einer deutschen Revanche rechnet und sich also in Gefahr sieht. Den Schutz vor dieser Gefahr müßte also an Stelle Frankreichs

Amerika übernehmen! Das heißt: wenn Amerika eine Anleihe gibt, bindet es sich auch mit seiner politischen Macht in der Rich­tung an Deutschland, daß es Deutschland verpflichtet und zwingt, auf jeden Plan einer Befreiung vom Versailler Diktat zu. ver­zichten, solange die Anleihe nicht amortisiert ist, und zweitens noch in der Richtung, daß es Deutschland vor den Zugriffen Frankreichs aus deutschen Staatsbesitz schützt, nicht um Deutsch­lands, sondern seiner Anleihe willen schützt!

Mit anderen Worten: Deutschlands Schicksal ist als Folge einer Amerika-Anleihe die Erduldung einer Neutralisierung und einer amerikanischen Schutzherrschaft auf unabsehbare Zeit. Dcuischland wird politisch nnd wirtschaftlich endgültig unfrei! Deutschland wird die Türkei Mitteleuropas!

Welcher Deutsche kann solche Pläne fördern, solche Verträge »ach dem Versailler Friedensdiktat nuterschreiben? Wird die jetzige Regierung, wird die jetzt herrschend« Generation die Feigheit be°"tzen, um vorübergehender, im Verhältnis zum deut­schen Schicksal kleiner Wirtschastsvorteile willen die endgültige Versklavung, den Verkauf Deutschlands an Amerika auch wenig­stens für die nächste Generation perfekt zu machen? And sehen all« ehrlichen Deutschen von heute die Tatsachen und Folgen der Amerika-Anleihe für Deutschlands Schicksal wahrheitsgemäß?

Jetzt beginnen die Entscheidungsstunden für unser Land und Volk, für unsere Zukunft, für unsere Freiheit! Jetzt heißt es, un­bedingt dem reinen Verantwortungsgefühl, dem Gewissen für das Schicksal folgen und sich auf keine Weise aus wirtschaftlicher Unruhe: und Not verkaufen. Frankreich wird sich noch einige Mo­nate sträuben, die Hand von der Gurgel Deutschlands zu neh­men: wenn aber die Summe, die cs von Amerika aus der An­leihe erhält, groß genüg ist/ so daß es seine bankrotte Staats­bilanz gewinnreich flott machen kann, und wenn Amerika die Garantie für Deutschlands Fried'ertigleit gegen Frankreich, die Amerika um seiner Anleihe willen selbst braucht, leistet, wird Frankreich eines Tages in die Revision des Versailler Vertrages, in die Anleihe und in die Zurückziehung seines Militarismus willigen und sich dann noch als die menschlichste Nation der Erde feiern lassen, nachdem es sein Geschäft gemacht hat. Deutschland ist dann aber unfrei, ein Vasallenstaat Amerikas in politischer und wirtschaftlicher Hirisicht. Deutschland verfällt dann in die furchtbarsten WrrtschkfflsnLte, weil seine Waren keinen Absatz mehr finden, denn sie müssen durch die Zinsen für die Anleihe und deren Amortisation stets über dem Weltmarktpreise liegen. Deutschlands Niedergang für Eeneraiionen, Deutschlands Schick­sal ist dann besiegelt.

Darum muß sich das deutsche Volk heute rüsten, fest zu bleiben gegen alle Versucher aus Amerika, England und der Welt rings­umher. Die Aufgabe für das Jahr l!>?3 lautet an alle Deutschen: Kampf um Deutschlands Freiheit auch gegenüber Amerikas An- lcihcpläneri!

Z;rr NeparKirorrsfrage.

Der neue deutsche Neparationspsan.

P:ris, 2. Jan. Ter deutsche Bolschaster Dr. scheyer sprach gestern namens der deutschen Reichsregrerung am Quai d'Orsay vor, um die französische Regierung offiziell zu ersuchen, dem heute vormittag hier eintreffenden Staatssekretär a. D. Bergmann Gelegenheit zu geben, den neuen deutschen Rexarationsvorschlag der Alliierten- konserenz zu unterbreiten und vor ihr mündlich zu er­läutern.

Die englischen Vorschläge.

London. 30. Dez. DemDaily Telegraph" zufolge hat das britische Kabinett gestern im Verlauf einer sehr kurzen Sitzüng die Hauptgrundzüge der Politik gebilligt, die Donar Law und die britische Delegation auf der Pariser Konferenz vertreten werken. Die technische Frage dieser Politik scheine gestern nicht mehr erörtert worden zu sein. Man sei der Ansicht, daß auf jeden Fall selbst von der anspruchsvollsten Partei die britischen Vor­schläge nicht summarisch als ungeeignete Grundlage beiseite ge­schoben werden könnten. Was jedoch von den britischen Dele­gierten von Anfang an klar gemacht werden würde, sei, daß die nicht unedelmiitigen Zugeständnisse an die Alliierten Englands in der Frage der Kriegsschulden notwendigerweise und unbe­dingt abhängen würden von der Zustimmung zu der Regelung, die von England nicht nur vorteilhaft, sondern auch praktisch und geschäftsmäßig angesehen werden. Der Gesamtbetrag der Entschädigungen müsse ermäßigt werden aus eine Summe von beispielsweise 40 bis Sll Milliarden Eoldmark, je nachdem, ob die bereits gemachten Zahlungen und Sachleistungen abgezogen werden jollten oder nicht. Auf dieser Grundlage könnte Groß-

bri^annixn»wkglicherweise eistem teilwci'en Erlaß der ihm von seinKi Alliierten geschuldeten Summe zustimmen. Großbritan­nien werde aller Wahrschcinlichieit nach außerdem ein Mora­torium für Deutschland fordern, das zwei bis wer Jahre dauere und vielleicht mit dem Grundsatz einer darauf folgenden aufsiei- gcnden Aahlungsskala und einer gleichen Slala für die Sach­leistungen, sei es während oder nach dem Moratorium. Die Be­dingungen für ein solches Moratorium würden sicher umfassen Maßnahmen interalliierter oder internationaler lleberwachung der Finanzen des Reichs und die baldige Stabilisierung der Mark durch Ausgleichung des deutschen Budgets, eine iorgsältig abgestufte Deflation, die durch die Autonomie der Reicksbank gesichert sei und eine angemessene Anstrengung durch Deutsch­land, selbst eine internationale Anleihe zu erheben Die Alli­ierten «!(Lnntemeii,x»dieALre HU gorst? »Pfandrecht erhalten als sie gegenwärtig besitzen, so die Einkünfte aus der 25prozcntige» Anssahrsteuer «ich die deutsche« Zölle. Was die Fragen der Bar­zahlungen und Sachlieferungen betreffen, so werde die britische Delegation, wie angenommen werde, darauf bestehen, daß in Zukunft keine Sonderabkomme« zwischen Deutschland uns ein­zelnen Personen der Alliierte« abgeschlossen werden würden, sondern daß all« deutschen Verpflichtungen gemeinsam be­stimmt nnd ihr« Durchführung gemeinsam kontrolliert werden soll. England sei vernünftigen, d. hh. wirtschaftlichen Garan­tien wie den oben genannten mit Bezug auf die Stabilst.erring der Mark und die deutsche Finanzreform nicht abgeneigt Auch sei es Strafmaßnahmen nicht abgeneigt, d. h. wirtschaftlichen. Die Vertreter Großbritanniens seien nicht geneigt, zum Voraus die Strafmaßnahmen zu bezeichnen, di« im Falle eines zukünf­tigen vorsätzlichen Verzugs seitens Deutschlands erzwungen wer­den würden. Die britischen Delegierten würden jeooch ein Durch­einanderwerfen von Strafmaßnahmen und produktiven Pfän­dern nicht unterstützen.

Fra kreich besieht auf feiner PfSnderpolitik.

Paris, 30. Dezbr. Nach demPetit Paristsn" fand ge­stern unter dcm Vorsitz des Ministerialdirektors Seydoux eine neue Sachverstündigenberatung über die Pfändersrage am Quai d'Orsay statt. Man wisse, daß tatsächlich außer­halb der besonderen Sanktionen, die für gewisse Verfeh­lungen, wie Lei den Holzlieferungen festgesetzt werden sol len, die französische These die sei, daß ein Moratorium al! Gegenleistung der Besitzergreifung von Pfändern, sei es auf dem linken oder dem rechten Rhsinuser, nach sich ziehen müsse. Nach dem Blatt wird an die Erhebung einer Koh­lensteuer im Ruhrgebiet gedacht, deren Ertrag 468 Millio­nen Eoldmark ausmachcn soll, autzerdcm an die Beschlag­nahme der Zölle im besetzten Gebiet.

Die enge Verbindung zwischen England und Frank-e.ch.

Mw. Paris, 30. Dez. (WB.) Der neuerannte englische Bot­schafter, Lord Lrewe, wurde heute nachmittag zur Ueberreichung seines Beglaubigungsschreibens mit militärischen Ehren im Elysee empfangen. In seiner Begrüßungsansprache sagte der Vertreter Großbritanniens, der König von England habe ihm besonders aufgetragen, dem Präsidenten der französischen Repu­blik sein absolutes Vertrauen in die enge Verbindung Frank­reichs und Großbritanniens zu versichern. Diese Gemeinschaft gestatte mit guten Hoffnungen eine politische Zukunft zu erwar­ten, die aufgebaut sei auf einer moralisch gerechten (?) und ver­nünftigen Grundlage. Daß st« seit vier Jahren sür die Alliierten die Ursache von Illusionen geworden sei, könne man nicht ab­leugnen. Das sei aber ein Grund mehr, die Beziehunzen, die die Leiden Nationen miteinander verbinden, zu befestigen und in der gesamten Welt die Anerkennung jener Idee von Gerech­tigkeit und Freiheit zu suchen, für die so viele Tausende ihr Leben geopfert hätten. In seiner Erwiderung erklärte Präsident Millerand, Gewiß habe der Frieden den Siegern nicht jene volle Befriedigung gebracht, auf die sie ein Anrecht hatten zu hoffen. Der Frieden aber schulde ihnen wenigstens ein Mini­mum, unter das, so gemäßigt sie auch seien, sie nicht herabsteigen könnten. Die Alliierten würden einig sein, um das zu erreichen. Die Widerlichkeit dieser heuchlerischen Phrasen stinkt zum Himmel. Im übrigen bestätigen sie unsere stets vertretene Auf­fassung, daß die beiden Raubstaaten fest zusammenhalten werden, um ihren Raub zu sichern.

Amerika wartet ans Einladung.

London, 30. Dez. Blüttermeldungen aus Washington zufolge wurde nach der gestrigen Sitzung des amerikanischen Kabinetts mitgeteilt, dah die amerikanische Regierung bereit sei, eine Konimission wirtschaftlicher und finanzieller Sachverständige»