H i e s i h e s.
M Wildbad. Die allbekannte Berliner Bank- und Handeiszeiiung bringt in ihrem Morgenblatt Nr. 403 einen für unser schönes Wildbad hochinteressanten Artikel, den wir mit Erlaubnis des Verfassers in unserem Blatte nach seinem ganzen Inhalt wiedergebcn.
Er lautet:
Freiherr von Rothschild aus Paris und der Wildbader Glockenschlag.
„Im Auslegen seid hübsch frech u. munter, Legt ihr's nicht aus, so legt was unter I"
Seit einigen Tagen geht, wie uns aus Wildbad in Württemberg geschrieben wird, durch einen Teil der antisemitischen Presse eine — wie es scheint — ebensowenig von Wohlwollen für Wildbad und seine Gemeindevertretung wie für den Baron von Rothschild diktierte tendenziöse Mitteilung, nach welcher das nunmehrige allnächtliche Verstummen unserer im groben Baß träge dahin dröhnenden schweren Stadtkirchenglockcn als eine Art Liebedienerei gegen den Frcihcrrn von Rothschild hingestellt und in einer unsere Stadtverwaltung verletzende» Weise gebrandmarkt oder verhöhnt wird. Um diesem durchsichtigen, im toleranten 19. Jahrhundert recht sonderbar schimmernden antisemitischen Beginnen die Larve vom Gesicht zu reißen, sehen wir uns bemüßigt, die aktenmäßig verbriefte Thatsache anzukühren, daß der auch die gesunden Schläfer belästigenden Kirchenglocke während der Saison für die Nachtstunden von 10—5 seitens des Gemeinderats in der That Schweigen aufcrlegt wurde, daß aber diese Maßregel nicht erst neuesten Datums ist, sondern laut Gemeinderatsprolokoll S. 509 vom 26. Mai 1888 herrührt also volle drei Jahre alt ist 11 Bereits unterm 27. April 1888 reichten die Vertreter der ersten Hotels eine — wie die Eingabe besagt — „alte, seit Jahren bestehende Beschwerde ein", dahingehend, daß das die Nacht durchschüt- ternde, für jeden Schläfer überflüssige, die Kranken geradezu erschreckende Glockendröhncn der Stadtkirchenuhr, deren brummend summende Schlagwiederholung kein Ende nehmen wollte, wenigstens zwischen 10 bis 5 Uhr während der so kurze» Kursaison abgestellt werden möge.
Diesem Gesuch hatten sich sämtliche Aerzte Wildbads „aufs Wärmste" angeschlossen, indem sie in besonderer Eingabe betonten, daß scksnsverschicdenc Badegäste infolge desGlockcn- getöses verzogen seien, und daß hochnervöse Kranke, die in Wilbbad jedes Jahr reichlich vertreten seien, durch dieses aufschrcckende Glockenrumoren eine wesentliche Beeinträchtigung ihres KurerfolgeS erleiden. Von anderer Seite aus der Bürgerschaft wurde vorgebracht, wie vornehme Herrschaften nicht selten ihre Bedienung in den vorderen Zimmern der gegen die Kirche gelegene Häuser Nachts schlafen lassen, um in den geringeren Hinterräumen weniger vom Glockendröhncn alteriert zu werden, und daß andere Fremde Wildbad wegen des Glockcngetöses ganz und gar meiden. Der Gemeinderat in Gemeinschaft mit dem Bürgerausjchuß glaubte sich einer von sämtlichen ärztlichen Autoritäten verlangten und von hervorragenden Vertretern der Bürgerschaft gewünschten Maßregel um so weniger verschließen zu sollen, als ihm zudem bekannt war, wie es den ausgesprochenen Intentionen Sr. Majestät unseres Königs von Württemberg entspricht, „daß der Gemeinde- Vorstand Alles ausbiete, um Wildbad als
wirkliches Krankenbad zu erhalten, indem er den Kranken jene Rücksichtnahme entgegen bringt." Somit beschloß der Gemeindcrat bereits unterm 26. Mai 1888 „vorerst den 2. Glockenschlag während der Saisondauer einzustellen." Das bezügliche Protokoll läßt ersehen, daß jeneömal schon auch der erste Glockenschlag in Wegfall kommen sollte, wenn nicht die Kosten und die besonderen Umstände dies für den Augenblick noch vertagt hätten. Nun richtete vor Kurzem ein hiesiger renommierter Kurarzt einen erneuten Stoßseufzer des Inhalts an den Gemcinderat, einer seiner Patienten befinde sich in einem solch erregten nervösen Zustande, daß für die Nachtstunden die Abstellung der entsetzlich beunruhigenden großen Kirchenuhr im Interesse der Gesundung „absolut notwendig" sei, wie denn auch die Gewährung dieser Bitte im Interesse unseres Kurorts liege". Da der Patient des genannten Arztes sich ohne Weiteres verpflichtete, alle erwachsenden Kosten allein zu tragen und somit der hindernden Bedingung vom Jahre 1888 Genüge geleistet war, so glaubte der Gemcinderat seinen Beschluß vom 26. Mai 1888 voll ausführen zu sollen. Dies der Sachverhalt der Abstellung nächtlicher Glockenunruhe. Die ganze Stadt atmete auf, als zum ersten Male die nächtliche Ruhe nicht mehr durch das für Schlafende mehr als überflüssige tieftonige Glockengetöse, das um 12 Uhr nicht weniger als 28 Schläge bot, gestört wurde; dem Ge- meinderat wurde von allen Seiten Dank und Anerkennung ausgesprochen; ja, von Patienten wurden Hunderte von Mark zu Wohl« thätigkeitszwccken als Dankeszoll für sein Eingreifen gestiftet und in Aussicht gestellt.
Wie befremdend mußte eS nach Diesem wirken, daß einzelne antisemitische Blätter, wahrscheinlich nur um den Freiherrn v. Rothschild, dem Jsraeliter, an den Leib zu können, die als verdienstlich bezeichnet- Maßnahme des Gemeinderats begeiferten oder verhöhnten, ja, daß sogar ein Wildbader Wirt, der allerdings den berühmten Hotels ebenso entfernt liegt als den schweren Kirchenglocken, eine Denunziation bei der Behörde cinreichte, die übrigens mit den schneidigen Worten ab- gewiesen wurde, daß die im Interesse des Kurorts getroffene Maßregel bestehen bleibe".
Wenn man bedenkt, daß der Staat Württemberg, die Stadt und einzelne Einwohner Millionen für unsere Krankenstadt ausgege- ben haben, wenn man ferner ins Auge faßt, wie unser König sein Wildbad als Kranken- Heilort entwickelt wissen will, so könnte man entrüstet werden darüber, daß eine WirtS- stimmc oder die eines intoleranten Menschenhassers eine dem Aufblühen unseres Kurortes gewidmete Maßregel nicht begreifen oder übel deuten will. Glauben denn die Nörgeler, daß ohne die gewaltig dröhnende Hauptuhr die Zeit in Wildbad stille stehen werde? Oder meinen sie, daß die kleinere Uhr auf dem Volksschulgebäudc mit ihrer Hellen Sopranstimme den Zeitstreifen von 10 bis 5 nicht genügend einzuteilen und zu markieren vermöge, und daß hierzu das Mitgc- brülle der großen WiederholunqSuhr unserer Statkirche unbedingt nötig sei? Oder halten sie endlich dafür, daß man den zwei oder vier im Schlaf gestörten Glücklichen oder Unglücklichen zu Liebe eine den Tod weckende Kirchenuhr als Unterhaltungsmittel halten soll, ohne sich um die Nachtruhe von tausend Schlasbedürjtigen ju kümmern. E« wäre
doch gar zu naiv, wenn — wie beantragt'— für den Unzufriedenen auf Kosten'der Stadt ein langatmiger Wecker angeschaft würde, nicht um ihn zu beruhigen, vielmehr um ihn in seiner Entfernung von der evangelischen Kirchenuhr derart zu beunruhigen und zu belästigen, daß er die Berechtigung der Kranken und ihrer Aerzte für Verstummen ärgerlicher Vorlautheil an sich selbst anerkennen muß mit dem Geständnis: „Dem Glücklichen schlägt keine Stunde!"
Rundschau.
Conweiler, OA. Neuenbürg, 1. Septbr. In dem von Metzger Schraft uad Goldarbeiter Klink gemeinschaftlich bewohnten Hause brach heute früh Feuer aus, welches leider nicht mehr bewältigt werden konnte u. binnen kurzer Zeit das Wohnhaus nebst Scheuer vollständig einäscherte. Der Feuerwehr !ge- lang es, von den Mobilien ziemlich viel zu flüchten und die sehr bedrohten Nachbargebäude zu retten.
Aus dem Oberamt Hall, 3. September. In Jlshofen hatte sich der 59 Jahre alle ehemalige Bäckercibesitzer und Landwirt Johann Knrr eine Verletzung an einer Hand zugezogcn; er beachtete sie nicht gehörig, eS trat Blutvergiftung hinzu,iwelcher der Mann nach wenigen Tagen erlag. — In dem Weiler Steinbächle ließ gestern ein Bauer einen Wagen mit Gras, auf welchem zuoberst 6 Stück zusammengebundenc Sensen lagen, nach Hause führen. Während der Fahrt wurde eine derselben durch icincn herabhängenden Baumzweig in die Höhe gezogen ; sie durch- schnilt dem 16jährigen Knecht Karl Fischer von Crailsheim, welcher auf dem Wagen saß, die Kopfhaut, so daß sie der Arzt mit 56 Nähten wieder zusammennähen mußte.
Ludwigshasen, 1. Scpt. In jäher Weise verunglückte heute der erst vor Kurzem von Kaiserslautern hierher versetzte Lokomotivführer Widemann. Genannter war am Rhein mit Rangieren beschäftigt; während er nun mit einer Anzahl Wagen aufwärts fuhr, kamen an einer Kreuzungsstelle von einer anderen Maschine abgestoßene Wagen ihm entgegen. Der erste dieser Wagen fuhr in die Maschine, auf der Widemann sstand; diesem wurde der linke Arm und das linke Bein total abgequetscht, so daß beide Gliedmaßen nur noch an Fetzen hingen. Der Verletzte wurde in's Spital verbracht, wo die Amputation sofort vorgenommen wurde. Die gerichtliche Untersuchung ist im Gang.
— Aus verschiedenen preußischen Provinzen kommen Klagen über die augenblickliche ungünstige Lage der Sparkassen. Die Abnahmr der Einlagen geht Hand in Hand mit einer starken Zunahme der Kündigungen, während sich die Anmeldungen auf Geldbewilligungen mehren. Die Kassen sind dadurch genötigt, zu geringem Kurse Wertpapiere zu Verkäufen, deren Ankauf ihnen ja übcrhanpt nur unter erheblichen Einschränkungen gestattet ist. Man erblickt in diesen Vorgängen eine Folge der Verteuerung der Lebensmittel und ist mit Erwägungen auf Unterstützung der Sparkassen beschäftigt.
-- Das Schöffengericht in Berlin verurteilte die Kaufmannsehesrau Marianne Silberstcin dort wegen Mißhandlung, Beleidigung und Bedrohung ihres Dienstmädchens zu 100 ^ Geldstrafe evcnt. 10 Tagen Gefängnis. Die Verhandlung ergab, daß Frau Eilbrrstein innerhalb 13 Monate nicht weni