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Aus den Erinnerungen eines ehemaligen belgi­schen LegionairS in Mexiko.

Nachdruck verboten.

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Juarez der unermüdlichste und energischste Gegner des mexicanischen Kaiserthums, die­ser unglücklichen Schöpfung des dritten Na­poleons, hatte sich mit seinen wilden und fanatischen Schaaren vom Norden Mexikos her wieder einmal bedrohlich der Mitte des Landes genähert, und zwar im Herbste des Jahres 1865. Ein Teil der französischen Expcditionstruppen wurde daher bei Guana- juato eiligst zusammcngezogen und unter Ge­neral Lorencez den Republikanern entgegen- gesandi; unsere belgische Legion, die damals etwa noch 1000 Mann stark sein mochte, diente dem französischen Corps als linke Flankendeckung. Die Vorhut der Mexikaner sollte schon bei San Luis Potost stehen, doch als wir diesen wichtigen Platz erreichten, er­fuhren wir von der daselbst als Besatzung liegenden französischen Abteilung, daß in der Umgegend trotz sorgfältiger R-cognoScierung noch nichts vom Feinde zu spüren gewesen sei und wohlgemüi zog das Expeditioncorps weiter, in die Berge der Sierra Madre hin­ein.

Hier kam es am fünften Tage seit dem Abmarsche von Potosi zu einem erstmaligen und ziemlich heftigen Zusammenstöße zwi­schen den Franzosen und Mexikanern bei laS Nevas, während wir Legionaire, die wir in Reserve standen, zu unserm großen Leid­wesen nur zuschauen durften. Nun, die Mexikaner, welche von Morejo, vielleicht dem grausamsten und wildesten der Untcrg'-neräle Juarer', befehligt wurden, bekamen tüchtige Haue und retirierten so nachdrücklich, daß d>e Sieger mit dem geschlagenen Feinde kaum Fühlung zu halten vermochten. Noch ein­mal hielt derselbe im offenen Felde Stand, in der Gegend von Cerrogordo, wo Juarez selbst das Oberkommando führte; aber wie­derum wurden die republikanischen Heer- Haufen in wilde Flucht geschlagen u. unserem ungehinderten Weitcrmarsche nach Chihuahua, dem eigentlichen Stütz- und Sammelpunkte der Juaristen, schien nichts mehr im Wege zu stehen. Aber wenn sie sich uns nicht mehr offen entgegenzustellcn wagten, so be­lästigten sie uns jetzt dafür um so mehr durch ihre Gucrrilla-Banden, deren erfolg­reiche Kriegführung durch die ganze Natur der Verhältnisse so sehr begünstigt wurde und die auf allen Seiten austauchenden Ban­den machten uns mehr und mehr zu schaffen. Nur die Bevölkerung war in diesem Teile Mexikos im Allgemeinen nicht von so fana­tischem Hasse gegen die Kaiserlichen erfüllt, wie dies in anderen Gegenden des Landes der Fall war, ja, sie erwies sich uns hie und da sogar freundlich gesinnt und dieser Ge­sinnung verdanke ich ebenso wie eine An­zahl meiner damaligen Kameraden die glückliche Rettung bei nachfolgender Affaire.

Eines Tages cs war, glaube ich, ge­gen Ausgang Oktober erhielt Lieutenant Chsumetle, zu dessen Zug ich gehörte, vom Commandanten unserer Legion den Befehl, mit seinen Leuten einen Streifzug nach einigen seitwärts unserer Marschroute liegenden Ort­schaften zu unternehmen, teils um Vorrat an frischem Fleisch zu beschaffen, teils um

nach etwaigen Bewegungen der Republikaner auszuspähen. Wir hatten bald ein kleines, hübsch in einem fruchtbaren Eeitenthale ge­legenes Dorf erreicht, dessen Bewohner uns nicht unfreundlich aufnahmen und mit einer Anzahl Hühner und Enten, sowie einem ge­schlachteten halben Rind versorgten. Mit dem Geflügel und den Rindsstücken beluden wir die Maultiere, die wir mit uns führten und zogen dann thalaufwärtS weiter, wo in einer Entfernung von zwei Stunden ein an­deres, größeres Dorf liegen sollte. Lustig singend, da in der soeben verlassenen Ort­schaft kein Mensch etwas von GuerrillaS be­merkt haben wollte, zog unsere, etwa 80 Mann starke Schaar in dem allmälich enger werdenden Thale dahin, welches auf beiden Seiten von hohem dichtem Gebüsch bestanden war, als plötzlich aus demselben eine Kugel- salvc in unsere Reihen prasselte, während zugleich wilde Gestalten unter wütendem Ge­schrei hervorbrachcn und auf uns einstürm­ten. Der Ueberfall geschah so plötzlich, daß wir uns nur unvollkommen zur Wehr zu sehen vermochten, zumal die Mexikaner weit stärker waren und nach kaum zehn Minuten bedeckte mindestens die Hälfte von uns tot oder verwundet den Boden ; unter den Toten befand sich auch Lieutenant Chaunette, der gleich zu Anfang des Gefechts eine Kugel in die Stirn getroffen hatte. Die übrigen wur­den teils zersprengt, teils zu Gefangenen ge­macht, zu welch' letzteren auch ich gehörte, aber in was für Hände wir gefallen waren, das bewies schon das Schicksal unserer un­glücklichen Verwundeten Kameraden, denn sie wurden von den grausamen Gegnern ohne weitere Umstände kaltblütig abgeschlachtet. Wir klebrigen, noch sechzehn Mann wurden paar­weise zusammengefessclt und dann ging es westlich in die Berge hinein, die hier selt­sam zerrissenen Formen mit meist kahlen Gipfeln aufsticgen. Von einem der uns cs- cortiercnden GuerrillaS erfuhr ich, daß seine Kameraden durch einen verkleideten Späher unsere Annäherung erfahren hatten und da konnten die braunen Kerle, begünstigt durch die Oertlichkeit, ihre Dispositionen freilich sehr gut treffen. Außerdem teilte mir der Guerrilla, daß seine Bande mit zu der Ab­teilung des berüchtigten Morejo gehörte und daß man uns nach dessen Hauptquartiere transportierte, welches sich in dem Städtchen Jimenca befand.

Am nächsten Tage erreichten wir das Nest, über dem ein halbverfallenes Castell thronte, und wurden wir Gefangenen durch die zusammcnströmende, uns neugierig be­trachtende Nolksmasse nach dem Hause ge­führt, in welchem General Morejo wohnte. Morejo schien bereits von den Resultaten des Ueberfalles und unserer Ankunft benachrich­tigt zu sein, denn als wir an dem Hause an­langten, trat aus demselben ein hochgewach- sener, finster blickender Mann heraus, in dem ich nach den Bildern, die ich schon mehr­fach von Morejo gesehen, sofort den blut­dürstigen Bandenführer erkannte. Morejo musterte uns einige Augenblicke schweigend, dann befahl er, uns die Fesseln von den Händen zu nehmen, dafür uns aber mit Ket­ten an den Füßen zu versehen und uns dann paarweise wieder ancinadcr zu schließen, als ob wir gemeine Verbrecher gewesen wären, worauf uns eine Abteilung GuerrillaS nach dem alten Gastcll brachte. Beim Einmaschiren

in den ziemlich engen Hof fielen meine Blicke auf ein junges, bildhübsches Mädchen, wel­ches, einige Hühner und Tauben fütternd, uns mit sichtlichem Interesse betrachtete. For­schend blitzten die tiefdunklen Augen von einem der Gefangenen zum andern und cs wollte mich bedünken, als ob die prachtvollen Augensterne auf meinem Antlitze einen Mo­ment länger hafteten, doch konnte dies auch Täuschung gewesen sein und in den nächsten Minuten befand ich mich )nit meinen Un­glücksgefährten in einem ziemlich geräumige», mit stark vergitterten Fensteröffnungen ver­sehenen Gemache es war unser Gefäng­nis I

(Fortsetzung folgt.)

Aus dem heiligen Rußland. Aus St. PeterSberg wird der Franks. Ztg." unt. dem 14. ds. geschrieben : Gestern feierte Prof. W. D. Spassowitsch, einer der bedeutendsten Rechtsanwälte Petersburg, ein ausgezeichneter Jurist und überaus glänzender Redner das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seiner An- gehörikeit zur Korporation der Petersburger verdeitigten Rechtsanwälte. Spassowitsch, der sich politisch zurückhält, dessen Gesinnungen aber bekannt sind, hat in zahlreichen Nihi- listenprozessen die Verteidigung der Angeklag­ten mit großem Freimut geführt. Für einen der ersten Attentäter auf Alexander II. fand sich absolud kein Anwalt, der das Wagnis auf sich nehmen wollte, für den Verbrecher einzutretcn. Der Kaiser begriff die Angst der Juristen, wollte aber durchaus, daß der Angeklagte einen tüchtigen Rechtschutz erhielte. Man erzählt, daß der Zar Spassowitsch, der sich damals eines großen Rufes erfreute, zu sich ins Palais kommen ließ.Spasso­witsch," sagte der Zar,Sie werden die Vcrteigung übernehmen, ich befehle cs Ihnen ... ich bitte Sie darum. Was fürchten Sic denn ? Sie stehen unter meinem persön­lichen Schutz!"Majestät," antwortete Spassowitsch ruhig,ich fürchte mich nicht für mich. Lassen Sie mich zuvor mit dem Gefangenen sprechen. ES steht dann bei Ihnen, mir das Amt zu übertragen, oder zu ersparen." Der Zar stutzte einen Augen­blick, dann sagte er:Nun gut, hier haben Sic die Ordre für den Kommandanten der Festung. Er wird Sie zu dem Gefangenen lassen.Spassowitsch nahm das Papier, ver­beugte sich und ging. Er wußte aufs Be­stimmteste, daß der Verbrecher gefoltert sei I Er begab sich auf die Festung, und verlangte sofortigen Zutritt zu dem Gefangenen. Der Kommandant war betroffen und zögerte, konnte sich doch aber dem direkten Befehl des Zaren nicht widersetzen. Spassowitsch wurde in die Zelle geführt und dort bot sich ihm ein fürchterlicher Anblick. Der Verbrecher lag halb todt auf der Matratze und war nicht im Stande, vor Schmerzen und Schwäche zu sprechen. Der Anwalt verließ schleunigst die Zelle und eilte zurück zum Zaren.Nun?" fragte Alexander. Spasso­witsch sagte ihm in wenigen Worten, was er gesehen. Der Zar prallte entsetzt zurück. Welcher Hund hat das gewagt?" Der An­walt zuckte mit den Achseln. Der Zar ent­ließ ihn und Spassowitsch verteidigte nicht. Die Hochverratsprozesse jagten dann einander, und Spassowitsch und andere Jurist-m, wie Fürst Urussow rc,, übernahmen die Verteidi­gung. Es war anders geworden.

rnhard Hofmann in Wildbad.

Verantwortlicher Redakteur: Bernhard Hofmann.) Druck und Verlag von B r