Weiße Kclccve.
Novelle von H. von Ziegler.
Nachdruck verboten.
6 .
Auf dem Bette lag friedlich schlummernd der kleine Kurt mit rosigangchauchten Wangen und dunklen in die Stirn fallenden Härchen. Die Wahnsinnige erblickte jetzt das Kind, sie stutzte, dann schritt tzsie auf dasselbe zu und fließ plötzlich einen gellenden, markerschütternden Schrei aus:
„Leopold — es sind seine Augen!"
Drunten im Salon stuzte Lilli als sie den seltsamen Ton vernahm und stand unruhig auf: „Ich will doch nach dem Kleinen sehen, Mama; die Wärterin ist vielleicht Unten und er könnte erwacht sein."
„Wie Du willst, Ki»d, aber geschehen kann ihm doch nichts ; Kurl liegt auf meinem Bette."
Von uneeklärlichcr Angst gefoltert, eilte Lilli nach dem Schlafzimmer der Mutter- Sie fand die Thüre geschlossen und von innen erklang ein unheimliches Kichern zwischen das Weinen des erwachten Kindes. Lillis Blut schien in den Adern zu erstarren, denn sie wußte nun, was sic gestern geahnt u. gefürchtet — daß Julie drinnen bei ihrem Liebling sei. Lautlos streckte Lilli die gefalteten Hände gen Himmel, die blassen bebenden Lippen flüsterten seltsame Töne, dann knieete sie auf der Thürschwellc nieder und rief bittend :
„Jul'e, willst Du nicht aufmachen? Ich bin es — Lilli."
„Lilli?" schrie die Wahnsinnige, „wer ist das? So hieß einst meine Schwester, aber ich habe keine mehr; sie floh, als ich sie hinderte, Leopold von Nordeck sich antrauen zu lassen, welcher doch mich liebte."
»Julie — wenn Du ihn liebst, so schone sein Kindl"
„Sein Kind? Ja, es sind seine Augen und ich will die Hochzcitsfackel anzünden, damit ich sie besser sehen kann. Seine Augen — haha."
„Julie! Bei der Barmherzigkeit Gottes, offne die Thür, laß mich zu meinem Kinde."
„Hei, wie die Flamme auflodert, wie es hell wird! Leopolds Augen, ich will sie küssen, denn ich habe sie geliebt von Anbeginn bis zu dieser Stunde."
„Mama, Mama," flehte in dem Zimmer ein weinendes Stimmchen und die unglückliche Lilli schrie laut auf in nnermeßlichem Jammer.
„Leopold, ach, wo bleibt er! Rette, rette unser Kind!"
„Sieh wie die Flamme emporzüngelt," kreischte die Wahnsinnige, es ist die Hoch- zeitssackel, er kommt mich zu holen Leopold."
Und wirklich! Feste Männertritle erschollen vom Corridor her; durch die bleich und ratlos umherstehenden Leute drängte sich Herr von Nordeck, totenblaß und dennoch voll männlicher Selbstbeherrschung. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er sein bebendes Weib liebevoll in die Arme, küßte sie zärtlich auf die Stirn und drückte sie dann in ein Fauteuil. Erst jetzt schritt er entschlossen auf die Thür zu und versuchte mit über- natürlicher Kostenanstrengung sie zu öffnen. Aber vergebens! Sie wich und wankte nicht und von drinnen erscholl nach wie vor der Gesang der Wahnsinnigen, vermischt mit dem
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Weinen des Kindes und dem immer deutlicher werdenden Prasseln der Flamme.
„Julie," rief er endlich mit lauter drohender Stimme, „Julie mache auf, ich bin es, Leopold von Nordeck."
„Du, Leopold," klang es zurück, „kommst Du endlich, mich zu holen! Aber wo ist sie, Lilli, von der man sagte, sie sei Dein Weib ? Siehst Du wie unsere Hochzeitsfackel leuchtet !"
„Du mußt öffnen," entgegnete er mit unnatürlicher Ruhe, „ich kann cs sonst nicht sehen."
„Papa," weinte der Kleine von drinnen, „will zu meiner Mama."
„Wer ist Deine Mutter, Kindfrug die Wahnsinnige, „Du hast seine Augen und ich will Dich lieb haben deswegen —"
„Oeffne, Julie, ich will es," rief Nordeck nochmals gebieterisch, ein Blick auf Lilli ließ ihn erkennen, daß die unglückliche Frau bewußtlos zurückgesunkcn war.
„Du willst es, Leopold — willst mich wudersehen!" ertönte Juliens Stimme.
Der Riegel war zurückgeschoben, die Thür flog auf und umzüngelt von den Flammen stand die Wahnsinnige vor Nordeck, den Knaben in ihren Armen.
Eine lautlose Stille herrschte, es war allen als müsse der nächste Atemzug eine grausige Lösung der Situation bringen; Nordcck war cs wiederum welcher vorwärts trat. Sein fester Blick ruhte auf Julie, seine Hand griff ohne zu beben nach dem Kleinen, welcher sogleich hell aufjauchzre.
„Papa, oh Papa, ich fürchte mich I lallte er."
Ein flüchtiger Kuß, ein Blick zärtlichster Baterliebe, dann reichte Leopold das Kind an Frau von Wehlen und wandte sich wieder der Geisteskranken zu.
„Du siehst, Julie; die Hochzeitsfackel brennt" sprach er scheinbar gelassen, während er der inneren Erregung kaum noch Herr zu werden vermochte, „so komm und laß Dich festlich schmücken—um meinetwillen."
Da neigte Julie das Haupt, es war als gleite ein Beben und Zittern durch ihren Körper, ein halb schluchzender Laut entrang sich ihren blutlosen Lippen dann reichte sie Nordcck willig die Hand.
„Führe mich fort, ich gehe mit Dir Leopold ; wohin immer Du willst —" sagte sie.
Ruhig, als sei nichts vorgefallen, ergriff Nordeck die Hand seiner Schwägerin legte sie auf seinen Arm und führte sie in ihr Zimmer, wo eine erfahrene Wärterin die Kranke in Empfang nahm.
Die Flammen in Frau von Wehlens Schlafzimmer wurden nun sogleich gelöscht. Man trug die ohnmächtige Lilli in ein Zimmer und sandte sogleich nach dem Arzt; Kurt nahm die Großmutter zu sich, um ihn zu beruhigen und endlich erschien auch Norr- eck, tovenbleich, aber voller ernster Fassung.
„Das war das Ende, Mama," sagte er ruhig, „Du darfst die arme Julie nicht mehr bei Dir behalten, sie ist sehe krank und muß in dauernde ärztliche Behandlung kommen."
„O, Leopold, welch' ein grausiger Auftritt ! Ich fürchte für meine arme Lilli!"
Der Arzt kam endlich und konstatierte bei der jungen Frau den Ausbruch eines heftigen Ncrvenftcbers. Es war zu viel des Enlsitzens für Lillis zarten Körper gewesen, sie Hörle immer.wieder die irren Reden der
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Schwester, das Weinen des Kindes und flehte unaufhörlich: „Oeffne die Thür, Leopold, es gilt das Leben unsres Kleinen!"
Julie war längst in eine berühmte Irrenanstalt überführt worden wo sie bis an ihr Lebensende blieb.
Die Augustsonne fiel schräg über den großen Rasenplatz von Schloß Wehlen, als Lilli zum ersten Male vom Arme des Gatten unterstützt hinaus in die freie Eottes- naturZtrat. Ein feines Spitzenhäubchen umschloß ihr zartgerötetes Gesichtcheu eng und die junge Frau sagte sitzt, wehmütig das Band desselben lockernd: „Leopold, ich habe ein Geheimnis vor Dir, aber noch heute will ich es Dir mitteilen, aber wirst Du mich auch dann noch lieb haben?"
Tief und innig blickte er in ihre schönen Auge», dann zog er sie fest an sich u. küßte ihre weiße Stirn:
„Könnte ich jemals aufhören, Dich lieb zu haben, mein Weid ? Jene schwere Stunde hat unsre Herzen noch inniger denn zuvor verbunden."
„Aber jene nämliche Stunde hat auch eine alte Frau aus mir gemacht — sich her —"
Das Häubchen glitt zu Boden und Nordcck erkannte, daß die schimmernden blonden Locken weiß geworden waren, die furchtbar qualvolle Minute, welche Lilli auf der Thürschwelle liegend, durchlebt und durchrungen, halten sie gebleicht!
Beinah ehrfurchtsvoll neigte sich Leopold zu seinem armen, jungen Weibe und küßte die weißen Haare: „Gott behüte Dich, mein Liebling, und lasse Dich und mich nie mehr eine solche Stunde erleben."
Jauchzend kam soeben Kurt daher gesprungen, um den geliebten Eltern eine selbst- gcpflückte Traube zu bringen, die er auch selbst zu essen verlangte.
„Weiße Haare," lächelte Lilli selig, „aber ein frohes dankbares Herz in der Brust. Gott hat uns geholfen, er wird cs auch ferner thun!"
— Ende. —
Vermischtes.
(Ein verhängnisvoller Aprilscherz ) In Szeghalom hatte, wie man dem ung. Blatte „Egyetcrtes" meldet, ein Aprilscherz erschütternde Folgen. Einen Tag nach Ostern erhielt die dortige Bäuerin Johanna Bere von Budapest einen Brief. Freudig öffnet sie denselben, wird bald blaß, zittert und stürzt, vom Herzschlag getroffen, tot zusammen. Die dreizehnjährige Tochter bekommt vor Schreck Krämpfe und stirbt gleichfalls. Im Briete stand, baß der Sohn der Bäuerin, welcher Soldat und Kompagnieschuster war, erschossen wurde, weil er auf die Bakancsen sSchuhe) deS Regiments schiefe Absätze machte. Der Brief war nicht unterschrieben. Man telegraphierte nach Budapest, worauf der unversehrte Sohn zur — Bahre der Mutter und Schwester kam. Der Veranstalter des unglücklichen Kasernenfcherzes wird gesucht.
(Ein glücklicher Vater.) „Ist es wahr, lieber Schulze, Ihre Frau hat Sie zu Ihrem Geburtstage mit Zwillingen beschenkt?" — „Ja, das glaubte ich gestern Abend — als ich mir aber heute Morgen die Sache in nüchternem Lichte besah, da war's, Gott sei Dank, bloß noch einer!"
rnhard Hofmann in Wiidbaü.