Schick lal's woge.

Novelle von Th. Hemßel.

Nachdruck verboten.

8 .

Das muß war sein, das Mädchen ver­steht es, mit den Kindern zu verkehren, man möchte selbst zum Kinde werden und sich an den heileren Spielen beteiligen. Es ist mir oft unbegreiflich, ans der einen Seile die harmlose Fröhlichkeit, das sich Hinein- lcben in die Jntrissrn der Kleinen, ans der andern der über ihre Jahre hinausgehendc Ernst, die schroffe Abgeschlossenheit, welche jedes freundliche Nähertreten znrückweist, jedem vertraulichem Verkehr entflieht, nur ein Ziel vor Augen Freiheit und Selbständig­keit zu erlangen," sagte der Gymasiallehrer Doctor Brand, der frühere Erzieher dcö Grafen Salten, zu seiner Frau.

Der Gegenstand ihrer Unterhaltung war Rose Matthias des Grafen Mündel. Seit zwei Jahren Pensionärin im Hause Brands erhielt sie ihre Bildung in einer Lehranstalt und nahm außerdem bei Doctor Brand Privatunterricht, um ein Examen abzulegen und dann eine Stellung als Lehrerin zu suchen.

Nur ihren hervorragenden Gcistesgaben, und ihrem enormen Fleiß war es möglich, alles Versäumte nachzuholen, nachdem sie völlig in der Wildnis heranfgewachsen war, bis Graf Salten sich ihrer annahm. Daß sie die Prüfung vorzüglich bestehen werde, daran war nicht zu zweifeln, ebenso daß sie die Herzen der Kinder zu gewinnen wußte, wie man hier im Hause Gelegenheit halte zu deoabachten.

Auch mir," antwortete Frau Brand, ist Rosa oft ein Rätsel, ich habe sie wirk­lich lieb gewonnen und schätze sie hoch, aber an ihre Vergangenheit darf man nie rühren. Einmal unternahm ich es, ihr eindringlich klar zu machen, wieviel sie ihren, Wohlthäter, dem Grafen Salten, verdankt, welcher sic von des Vaters Leiche in sein Haus führte."

Das ist mein Unglück und zerstört meinen Frieden," rief sic da beinah i» Ver­zweiflung aus,daß gerade er cs sein inuß, der mir die große Wohlthat erweist." Ver­gebens suchte ich sie zu beruhigen.

Sie ahnen nicht," fuhr damals Rosa erregt fort,was mich so unglücklich macht, aber hören Siel Mein armer Vater erzählte es mir oft mir Thränen: Aus der Heimat vertrieben, lebten meine Elter» in bitterster Armut, die Mutter kränkelte und war nicht im Stande, etwas zu verdienen, der Vater Vermochte kaum das trockene Brot zu erwer­ben , da man ihm überall mit Mißwauen entgegentrat. Die Not zwang ihn, das Mit­leid anderer Menschen auzurusen. In dem nahen Dorfe wagte er es nicht, zu Vetteln, er ging ein Stück über die Grenze. An demselben Tage fand man den Grafen Sal­ten , den Vater meines Wohlthäters im Walde erschossen und sah kurzer Zeit dar­nach meinen Vater wankenden Schrittes nach seiner Hütte gehen. Die Herzlosigkeit der Menschen, die seine Bitten nicht erhört, hatte ihn tief erschüttert, der Hunger ließ seine Glieder erzittern, man beschuldigte ihn, den Fremden, des Mordes an dem reichen Gra­fen, dessen Zorn mein Vater oft dadurch er­regt hatte, daß er in der Not einige Stücke Wild getötet. Mehrere Monate mußte mein

unglücklicher Vater in Untersuchungshaft ver­bringen. Dann gab man ihm wegen Mangel an Beweisen die Freiheit zurück, ereilte heim, fand meine Mutter im Sterben, mich erst wenige Monat alt, dem Verhungern preis- gegeben. Damals verfluchte er die Bewoh­ner des Schlosses, von denen ihm noch grö­ßeres Elend gekommen, er hat diesen Fluch oft wiederholt und mich im Hasse erzogen. Er selbst liebte mich zärtlich; um meinet­willen nahm er den Kampf mit dem Leben wieder auf, aber seine Kraft war gebrochen, schon krank schleppte er sich an einem rauhen Wintertage noch hinaus in den Wald, um Hvlz zu fällen. Elend sank er zusammen, ich konnte nichts für ihn thun, da stand plötz­lich der junge Graf neben dem Sterbenden, er beugte sich zu ihm herab und sprach mit ihm, die Worte verstand ich nicht, denn ich selbst war vor Kälte und Entsetzen beinahe erstarrt. Als ich aus meiner Besinnungs­losigkeit erwachte, befand ich mich in einem prächtigen Zimmer des Schlosses. Der Graf teilte mir den Tod meines Vaters mit, daß er ihm gelobt, für mich zu sorgen, undfdaß dem Sterbenden die Zusage das Ende er­leichtert habe. Noch heute kann ich mir die Ueberzeugung nicht nehmen, daß der Graf mich nur deshalb in das Schloß brachte, um den Fluch von seinem Haupte zu lösen. Ich bat vergebens um meine Freiheit, in allem Wohlleben hatte) ich nur die eine Sehn­sucht, von dort hinweg lieber in mein Elend zurückzukehren. Mir war zu Mute, als müßten die Wände über mir zusammcnstür- zen. Etwas athmete ich erleichtert auf, als der Graf für lange Zeit verreiste. Frau Walther nahm sich meiner in der liebevoll­sten Weise an. Sie unterrichtete mich selbst, versuchte mich zu erheitern, brachte mir Spiel- fachen und schöne Bücher mit allerhand Er­zählungen. In einem anderen Hause hätte ich mich vielleicht an den herrlichen Gabe» erfreut, in dem Schlosse beherrschte mich nur ein Wunsch, fort so bald als möglich. Er ward mir erfüllt, aber wie ein Gefangener nach langer Kerkerhaft werde ich erst dann vollständig erleichtert aufathmen, wenn ich mir selbst erwerben kann, was mir nötig ist, und sicher bin, diesem Mann nicht mehr in den Weg treten zu müssen, dem ich Dank schulde, und gegen den ich doch ein Gefühl des Hasses nicht bewältigen kann."

Laut aufschluchzend verließ Rosa nach diesem Geständnis des Zimmer. Sie hat a sehr Unrecht," bemerkte Frau Brand, aber ich empfinde trotzdem tiefes Mitleid mit ihr, denn sie hat allzu Schweres erlebt in ihrer Jugend."

Wir wollen aber die Hoffnung nicht aufgeben," antwortete ihr Gatte,daß es uns noch gelingt, Roscns harten Sinn zu mildern, ein so reich begabter Geist wieder ihrige muß endlich doch klar sehen, daß der Graf unschuldig ist an all den grauenhaften Vorgängen und nur das beste für seinen Schützling will."

Du bist gewiß mit mir einverstanden," bemerkte Frau Brand,wenn wir sie bitten, unser Haus stets als ihre Heimat anzusehen. Noch ahnt die alleinstehende nicht, wie schwer es ist, sich ohne Stütze, ohne Freunde in der Welt zu behaupten. Wenn ihr fester Mut, ihr Selbstvertrauen durch Stürme des Le­bens erschüttert werden, dann soll sie bei uns eine Zuflucht, eine Heimat finden."

Während dieser Unttcrrediing herrschte noch immer große Munterkeit im Neben­zimmer. Eine schöne, reine Frauenstimme begann ein Lied zu singen und mit richtigen und falschen Tönen fielen verschiedene Sümm­chen ein.

Nun aber ist es genug," erklärte die Vorsängerin,nun muß ich arbeiten."

Ach immer arbeiten, weiter weißt Du nichts, ein einziges Lied nur noch, liebe Her­zensrose, dann lassen wir Dich frei."

Ach, nur noch das schöne Waldlied mußt Du uns singen," bat eins der Kinder.

Tiefe Stille beherrschte den kleinen Kreis, bis Rosa mit ihrer znm Herzen sprechenden Stimme das Lied anstimmte:

Bist Du im Wald gewandelt, wcnn's drin so heimlich rauscht."

Doktor Brand und seine Frau lauschten und beobachteten durch die Thür das lieb­liche Bild. Die Sängerin hatte auf einem niedrigen Sessel Platz genommen, die Kinder saßen und standen als aufmerksame Zuhörer um sie herum. Durch das Fenster leuchtete der letzte Strahl des Abendrotes und warf einen rosigen Schein auf die Gruppe. Wäh­rend des Singens war noch ein Zuhörer eingetreten.

Herr Graf," rief Doktor Brand ans, ihn herzlich begrüßend. Dieser aber reichte seinem früheren Lehrer und dessen Gattin nur schweigend die Hand, um sich ungestört dem Zuhören zu widmen und mit Bewun­derung das anziehende Bild zu betrachten. Nun waren die letzten Töne erklungen, die Kinder eilten ins Freie und Rosa erschien im Rahmen der Thür. Ihr Gesicht war ge­rötet, ihre Augen schauten lächelnd nach ihren lieben Pflegecltcrn, da erblickte sie den Frem­den, einen Augenblick sah sic ihn fragend an, dann durchzuckte sie ein jäher Schrecken. Sie erbleichte tötlich und wollte sich schnell wieder zurückziehen.

Aber Frau Brand führte sie in das Zimmer und flüsterte ihr leise zu:Rosa, es ist ihr Wohlthäter vergessen Sie das nicht;"

Nun erst erwiderte sie den freundlichen Gruß des Grafen mit einer steifen Verbeug­ung, die Hand aber, welche er ihr cntgegen- strcckte, schien sie nicht zu bemerken. Wie ein Kind, welches eine Lektion hersag-n soll und dazu zu schüchtern ist, hob sie an :Ich danke Ihnen, Herr Gras, ich hoffe zuver­sichtlich, daß ich Ihre Wohlthaten nicht lange mehr in Anspruch nehmen muß."

Sie sind noch immer meine entschiedene Feindin und weigern sich, das anznnehmcn, was Ihnen der Vormund bietet."

Eingedenk der Ermahnungen von Frau Brand fuhr Roso, >mmer verlegener werdend, fort:Ach nein, ich bin Ihnen gewiß dank­bar, aber ich freue mich der Aussicht, nun bald selbst mein Brod zu verdienen."

(Fortsetzung folgt.)

Merk's.

Wenn Einer bei dir über Anwesende schimpft, sagt er dir: nur deine Anwesen­heit hält mich ab, auch über dich loszuziehen.

Mancher will wie ein Fürst bedient sein und wie ein Handwerker bezahlen.

Erzieh' dein erstes Kind gut, und es er­zieht dir die übrigen.

Verantwortlicher Redakteur: Bernhard Hosmann.) Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wldbad.