Auch die hohe Auszeichnung, welche dem Reichskanzler v. Caprivi zu leil wurde, kann als Beweis gelten, daß der Zar mit dem Resultat der Eutrevue zufrieden ist.

Zwischen den Fabrikanten vonTaschen- und Federmessern in Solingen und den Schleifern derselben ist ein Streit ausge- Krochen, welcher zu einer völligen Arbeits­einstellung geführt hat. Die Taschen- und Federmesserfabrikation ist der Hauptzweig der Solinger Industrie und beschäftigt jahr­ein jahraus Tausende von Arbeitern, welche, da von den Fabrikanten keine Arbeit an die Schleifer mehr ausgegeben wird, bei einer ArbeitSruhe der Schleifer aber auch die an­deren Zweige dieser Industrie lahmgelegt werden müssen, demnächst wohl unthäiig und ohne Verdienst sein werden.

Zufolge der ersten Anwendung des neuen ArmeegesetzeS werden dieses Jahr in Frankreich 184 922 Rekruten eingestellt ge­gen 130 453 in den vorigen Jahren.

Königin Natalie von Serbien ge­denkt behuss Geltendmachung der aus der Scheidung hervorgehendcn privatrcchtlichen Ansprüche auf gerichtlichem Wege eine Klage gegen König Milan anzustrengen.

New-Aork, 15. Aug. In Louisville ist eine Branntwein-Fabrik abgebrannt. 25000 Fässer Whisky wurden vernichtet. Der Schaden beträgt 800 000 Dollars.

Newysrk, 20. Aug. Ein gräßliches Un­glück ereignete sich gestern auf dem Wood's Holl-Zweigc der Old Colony Eisenbahn. Der Schnellzug, welchem der Unfall zustieß, bestand aus 8 Passagier-Waggons und ging am Dienstag nachmittag 12 Uhr 30 Min. von Boston nach Wood's Holl ab. Als er Quinccy 8 Meilen von Woods-Holl, passierte, lief er mit einer Geschwindigkeit von 45 Meile» in der Stunde, um verlorene Zeit einzuholen. 200 in hinter der Station Quinzey krümmt sich das Geleise und läuft zwischen steilen Dämmen- Eine An­zahl Arbeiter hatte die Schienen ansgebessert und wahrscheinlich ermangelt, die äußeren Schienen gehörig festzumachen. Aus dieser oder einer anderen Ursache entgleisten dort die Lokomotive und 3 Wagen, bestehend aus dem Rauch-, Gepäck- und Salonwagen, und rannten mit fürchterlicher Gewalt den Damm hinaus. Die Lokomotive rollte zurück und siel quer über das Geleise. Der 4. Wagen mit 75 Passagieren rannte in den Kessel

der Lokomotive und durchborte denselben, in­folge dessen strömte Dampf und siedendes Wüster massenhaft aus »nd ergoß sich über die Passagiere der Wagen, welche in den Trümmern feslstakcn und durch Dampf und heißes Wasser buchstäblich bei lebendigem Leib gekocht wurden. Die 4 übrige» Wagen, welche entgleisten, enthielten 300 Passagiere, die größtenteils schwere Verletzungen davon- trugen. Diejenigen welche unversehrt ge­blieben waren, machten sich sofort an die Rettung der übrigen. Mit Beilen und Brechstangen zerschmetterten sie den Boden des 4. Wagens und zogen die Toten und Sterbenden aus den Trümmern hervor. 14 wurden als Leichen und 40 in schwerver­letztem Zustande hervorgezogen. Viele der letzteren können nicht am Leben bleiben. Die Leiche des Heizers wurde unter d. Kessel gefun­den. Fast alle Passagiere waren Personen, die aus Seebadeortcn znrückkehrtrn.

Ein gräßlicher Fall von Kannibalis­mus wird aus dem Kreise Quebeck gemeldet. Zwei irrsinnige Taubstumme, die mit einem Kinde allein gelassen wurden, töteten das­selbe und verzehrten Teile seines Fleisches.

Schickscetswege.

Novelle von Th. Hempel

Nachdruck verboten.

1 .

Si- wollen also wirklich zur Jagd gehen, Herr Graf, trotz dem heulenden Sturme, der um das Schloß braust, so daß man erleichtert aufathmete bei Tagesg^auen. Diese Nacht hätte man noch lernen können, an die Sage vom wilden Jäger zu glauben. Noch schneit es unaufhörlich, jedenfalls sind alle Wege verweht. O, gehen Sie heute nicht hinaus, wenigstens nicht allein."

Die bittenden Worte wurden von einer älteren Dame gesprochen, welche von einem Fenster aus sorgenvoll das unfreundliche Wetter beobachtete. Ihr schmales, blasses Gesicht und ein schmerzlicher Zug darin sprachen von schweren Stunden, welche ihr das Leben gebracht. Bittend richteten sich ihre Auge» auf einen jungen Herrn von hoher, schlanker Gestalt, in dessen blühendem Gesicht sich ein Zug von Mutwillen kaum noch verbergen ließ, trotz der Güte, welche aus snnen Augen strahlte.

Leicht auf die Schulter der alten Dame klopfend beugte der junge Herr sich jetzt zu ihr herab und sagte lachend tAber liebe Frau Walther, wollen Sie mich immer noch verzärteln und verwöhnen wie einen kleinen Knaben, sehen Sie mick doch an," und er richtete sich in seiner ganzen stattlichen Höhe aus,ich steige schon durch den Schnee, ohne darin zu versinken. Im Walde bin ich wie zu Haus, weiß jeden Weg und Steg, mich da zu verirren, wäre geradezu unmöglich. Ich befinde mich auch gerade recht wohl draußen, wenn das Wetter ein bischen tobt, ein Gefühl der Freiheit kommt über mich, welches mich begeistert. Tausend Fesseln engen uns ein im Leben, davon weiß ich ein Lied zu singen, deshalb verkürzen Sie mir, liebes Mütterchen, nicht die Stunden der Freiheit," fügte er seufzend hinzu.

Ich möchte mich gern noch ein wenig erfrischen, ehe ich nach dem Schloß der Großmama fahre, zu der Gesellschaft, welche

sie ihrer Behauptung nach mir zu Ehren giebt. Ich denke, es geschieht mehr den vie­len Gästen zu Ehren, welche sie das ganze Jahr über bei sich hat; ich gebe den Namen dazu und wäre doch recht herzlich froh, wenn ich der gesellschaftlichen Verpflichtungen über­hoben bliebe."

Denen Sie sich aber keinesfalls ent­ziehen dürfen," fiel Frau Walther hastig ein. Warum wollen Sie auch nicht fröhlich sein mit der Jugend, dieses sich Abwendcn von den Freuden der Geselligkeit scheint mir eine gewisse Blossiertheit von Ihnen zu sein."

Bitte Mütterchen, schelten Sie nicht," entgegnete er lächelnd die alte Dame an­schauend, deren mildes, freundliches Gesicht nichts vvn der Strenge ahnen ließ, deren er sie beschuldigte,Sie wissen, daß ich eine Ausnahmestellung einnehme. Früh v>rwaist vermochten alle äußern Glücksgüter mich nicht für den Kummer zu entschädigen, wel­chen mir dies Alleinstehen bereitet. Wie oft habe ich mit heimlichen Thränen meine Freunde nach ihrer Heimat zu fröhlichem Ferienge­nuß abreisen sehen. Oft luden mich Freunde ein, mit ihnen zu gehen, aber das Herz that mir weh, wenn ich den Jubel sah, mit dem mau sie daheim begrüßte; ich war eben über­all ein Fremder, oder ich reiste mit meinem Gouverneur zur Großmama und wagte dort, stets beaufsichtigt, stets in meine gesellschaft­liche Stellung gemahnt, nie meine Glieder frei zu bewegen. Am liebsten kam ich hier­her, und mein Lehrer, zugleich mein treuester Freund, teilte stets meine Ansichten. Hier bin ich zu HauS, und Sie allein sorgten mit ihrem gute» Herzen mit Ihrem guten Herzen mütterlich dafür, dem armen, ver­waisten Knaben das Heimatszesühl zu er­hallen. Hier war ich stets willkommen und glücklich und bin es noch heute."

Es ist meine größte Freude," entgeg­nete Frau Walther, die Thränen trocknend, die aus ihre» Augen flössen,für Sie zu sorgen, wie ich es einst ihrer Mutter auf ihrem Sterbebette versprach. Ahnungslos schlummerten Sie in der Wiege, als das Schicksal Ihnen das Teuerste raubte. Schwe­

ren Herzens schied die edle Frau von Gat­ten und Kind. Kaum acht Jahre spä­ter nahm Ihnen Gott auch den Vater. Nie­mand vermag Ihnen die Verlornen zu er­setzen, aber denken Sie, daß Ihnen auch vie­les geblieben ist."

Vor allem Sie, meine liebe, treue Pflegmutter. Nun aber lassen Sie uns diese ernste Unterhaltung beenden, wir wollen Frühstücken, und dann gehe ich hinaus in meinen lieben Wald. Sie haben mir be­reits listig die Zeit zu verkürzen gewußt, um drei Uhr erbitte ich mir das Mittages­sen, länger darf mein Ausflug nicht dauern, wenn ich zur rechten in der Gesellschaft ein- treffen will."

Er nahm mit Frau Walther im Speise­zimmer an der Tafel Platz. Ein Diener stand bereits wartend daselbst, um etwaige Befehle in Empfang zu nehmen.

Knrze Zeit darauf ging der junge Graf raschen Schrittes in voller Jagdausrüstung über den Schloßhof.

Oben, an einem der hohe» Fenster lehn­end, blickte Frau Walther ihm sorgenvoll nach.

Warum ihr das Herz nur heute gerade so schwer war, ging er doch oft schon bei ähnlichem Wetter zur Zagd, und die alte Dame hatte sich über seine» frischen Mut gewöhnlich gefreut.Möge Gott in glück­lich wieder heimführe» I" fl-hte sie.

Er war das Einzige, was ihr Herz noch besaß, nachdem so vieles von ihr genommen worden war. Als junges Mädchen war sie die Erzieherin von des Grafen Mutter. Ein inniges Band knüpfte Lehrerin n. Schülerin aneinander. Die Liebe zu einem bedeut »den Gelehrten führte jene in das eigene Heim, aber nur wenige Jahre ungetrübten Glückes durfte Frau Walther sich an seiner Seite erfreuen, ihr Gatte starb schon »ach kurzer Dauer ihrer Ehe. Aus ihrem stillen Wit­wenstübchen heraus rief sie ein Brief ihrer früheren Schülerin, der jetzigen Gräfin Sal­ten, nach deren Landsitz.

(Fortsetzung folgt.)

Verantwortlicher Redakteur: Bernhard Hofmann.) Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildbad.