Auf Ruhmeshöhen.

Novelle von F. Stöckert.

Nachdruck verboten.

13 .

Der nächste Morgen brachte für Han- nah einen Brief auS der Heimat. Mit zit­ternden Händen öffnete sie das Couvert; Gutes enthielten diese Briefe nie; größten­teils nur bittere Klagen und Schilderungen von Not und Entbehrungen der Eltern und Geschwister. Es leuchtete kein guter Stern mehr über dem einst so glücklichen Heim.

Auch heute enthüllte der Brief ihr die denkbar traurigsten Bilder. Der Vater kränkelte, und feine Bemühungen um irgend eine Stelle waren bis jetzt erfolglos geblie­ben, schrieb ihr die jüngere Schwester.

Gott mag wissen, wie eS noch enden soll! Die Not reißt immer tiefer bei uns ein. Mama und ich besorgen Alles selbst, stopfen und flicken für die Brüder, arbeiten auch noch für ein Geschäft. Aber großer Gott, wie vermögen schwache Frauenhände solcher Not Einhalt zu thun!

Hannah ließ den Brief sinken, und bit­tere Thräncn traten in ihre Augen. Welch ein Contrast bot ihr Leben gegen dasjenige der Eltern und Geschwister zu Haus I Ach, warum konnte sic nicht mehr thun, die Not dort zu lindern. Hätte der Commerzienrat sich etwas väterlicher zu ihr gestellt, dann hätte sie vielleicht die Bitte um Vorausbe­zahlung ihres Gehaltes an ihn gerichket, so aber wagte sie eS nicht, dem galanten alte» Herrn mit solcher Bitte gegenüber zu treten. Sollte sie sich an Elvira wenden ? Auch da­zu fehlte ihr der Mut. Sie gestand es sich wohl selbst kaum, was ihr denselben be­nahm; eS war etwas VerdammenSwerteS, und doch leuchtete eS über all ihren Sorgen mit verklärendem Glanz. DaS Schönste, maS die Erde vielleicht bielek, waS die höchste Seligkeit, aber auch das bitterst Leid in sich schließt; und ihr konnte und würde diese Liebe dock nur Leid bringen, und doch war eS so schön; und doch meinte sie dieses trügerische Glück nicht dahin geben zu kön­nen für eine sorglose gesickerte Lebensstellung, die ihr gestattet hätte auch für die Ihren zu HauS zu sorgen.

Der Commerzienrat hatte am vergangenen Abend schüchterne jAndeutnngcn gemacht, welche Wünsche und Hoffnungen er hegte; doch sie hatte dieselben nicht verstehen wollen und nicht verstehen mögen.

Elviras leichte Schritte ließen sich jetzt draußen vor der Thür vernehmen, beladen mit Stoffproben und flimmerndem Masken- tand trat die junge Dame in das Zimmer.

Unten ist eine Modistin !« rief Hannah entgegen,wir sollen »ns Anzüge zum Mas­kenball auswählen. Ich habe mich schon für ein spannischeS Costüm entschieden. Eine schwarze Lockenperücke, die Augenbrauen et­was gefärbt, die graziöse spaunische Mantilla umgeschlungen und die holde Dame Elvira ist fertig.«

Lachend drehte sie sich bei diesen Wor­ten auf ihren zierlichen Fußspitzen vor Han­nah herum.

Diese faltete langsam den Brief ihrer Schwester zusammen, und folgte dann Elvira hinunter nach deren Zimmer in welchem ein buntes Durcheinander herrschte, Spitzen,

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Stoffe, Gold- und Silberborten, auf Tische» und Stühlen herumlageu.

Nun wähle!« sagte Elvira zu Hannah, hier sind die Costümbilder. Wozu würden sie meiner Freundin raten, Fräulein Mül­ler,« wandte sie sich an die Modistin, welche mit ihren weißen spitzen Fingern die spani­sche Mantilla in zierliche Falten legte.

Die kleine korpulente Dame schaute prüfend in Hqnnahs Gesicht.Sie haben etwas so Seelenvolles in ihren Zügen, ich würde das Costüm einer Undine Vorschlägen,« meinte sie.

Eine Undine ist ja aber eine Wasser­nixe und har ja aber gar keine Seele!« rief Elvira lachend.

Durch die Liebe aber bekommt sie eine Seele,« erwiderte Fräulein Müller mit schwärmerischem Augcnaufschlag.

Die Liebe aber bringt der Undine kein Glück,« sagte Hannah.

O Fräulein, jede Liebe ist Glück,« hauchte Fräulein Müller, indem sie die span­ische Mantilla mit geschickter Hand um El­viras schlanke Gestalt ordnete.

Jede Liebe ist Glück,« wiederholte sich Hannah leise, und ließ sich von dem senti­mentalen alten Fräulein, durch deren Jugend wohl auch einmal der Traum einer ersten Liebe gelächelt, das Undiuencostüm beschreiben.

Liebe ist Glück« dachte sie auch am nächstfolgenden Abend, als sie im meergrünen, mit Korallen garniertem Kleide, in einem Contrctanz neben Hoff stand. Die über­mütigen Klänge der Carmcnmusik tönten lockend an ihr Ohr, und Jugendlust und Uebcrmut leuchtete ihr aus Hoffs dunklen Augen entgegen, dem das malerische Costüm eines Spaniers, das er auf Elviras Wunsch gewählt, ausgezeichnet stand.

Dann und wann gestattet uns das launige Schicksal doch einmal alle Erden­sorgen von uns zu werfen, und nur der frohen Gegenwart uns zu erfreuen,« sagte Hoff mit strahlenden Blicken zu seiner Tän­zerin.

Das Leben mit all seinen Sorgen und Kümmernissen wäre auch vielleicht zu schwer zu tragen, wenn es nicht solche Stunden gäbe," erwiderte Hannah,eS ist wunder­bar, wie diese bunten lebensfrohen Bilder und heitere Musik doch auf uns cinwirken.«

Sic vergessen noch ein drittes Moment zu nennen, das schwer wiegendste vielleicht,« erwiderte Hoff,ich meine die Nähe lieber und geliebter Menschen I«

Er hatte mit halblauter Stimme ge­sprochen und schaute nun fast schüchtern und fragend in Hannahs errötendes Gesicht. Diese erschreckte, und nur mit Mühe gelang eS ihr unbefangen zu bleiben.

Natürlich ohne Elvira würde das Ver­gnügen hier keinen Reiz für Sie haben,« warf sie dann leicht hin.

Hoff blickte finster auf.

Sie wollen mich nicht verstehen, und es ist auch wohl so in der Ordnung. El­vira steht ja noch zwischen uns!« Mit fe­stem Druck ergriff er die Hand des geliebten Mädchens, um sich mit ihr der großen Pro­menade anzuschließen, mit welcher der Contrc sein Ende erreicht hatte und damit auch die gehobene Stimmung Hoffs. Derselbe er­nüchterte sich um vollends in dem Cotillon mit Elvira, die als Spanierin, mit ihrer

hart» Hofmann.) Druck und Verlag von Be

schwarzen Lockenperücke, und den gefärbten Augenbrauen, in seinen Augen die denkbar traurigste Figur heute spielte.

Ob er es löste, jetzt, sofort, das Band, das ihn mit Elvira verknüpfte? So fragte er sich, aber als er in das strahlende glück­liche Gesicht Elviras blickte, dünkte eS ihn wieder grausam, während die fröhlichen Tanz­weisen ertönten, solche inhaltschwere Worte, zn sprechen. Es war wohl besser die Worte die Worte der Trennung wurden geschrieben, und so spielte denn Hoff seine traurige Rolle noch weiter, allerdings mit wenig Feuer und mit einer fast beleidigenden Gleichgiltigkeit; aber Elvira schien dergleichen nicht bemerken zu wollen, sie blieb die ärztliche Braut und schien auch keine Eisersuchtsgedanken mehr zu hegen. Ob sie Hoff den Schritt, den er vor hatte, und den sie doch wohl ahnen mußte, auf alle Weise erschweren, oder durch verdoppelte Liebenswürdigkeit davon zurück­halten wollte, das konnte er nicht ergründen.

In Hannahs Innern hatten die Worte: Elvira steht noch zwischen uns, einen wahren Sturm des Schreckens und der Angst her­vorgerufen. Wie soll das enden? So fragte sie sich voll Unruhe und Zweifel, und dann wieder erfaßte sie für kurze flüchtige Augen­blicke eine süße Vergessenheit aller Dinge in dem seligen Glücksgesühl der Liebe. Sie vergaß in solchen Momenten, daß die Ihren daheim mit Not und Entbehrungen zu kämpfen hatten, sie bemerkte kaum noch die immer dringender werdenden Bewerbungen des Commcrzienrats um ihre Hand und ließ sich in den Unterrichtsstunden, zum großen Ergötzen Nanny's und Lilly's alle möglichen Zerstreungen zu schulden kommen.

War sie allein, dann flüchtete sie zur Musik, und wenn sie sich ganz ungestört glaubte, wie heute, wo Elvira ausgefahren und ihre Zöglinge die freie Stunde zum Schlittenfahren benutzten, versuchten sie die Unruhe und Seligkeit, welche die Liebe in ihrem Innern hervorgerusen, in einem Liede ausklingen zu lassen.

Hannah hatte eben mit sympathischer und künstlerisch ausgebildeter Altstimme einige Lieder von Schumann gesungen, und jetzt nahm sie ein Blatt mit geschriebenen Noten, welches in dem Gcsangsheft gelegen, in die Hand. Sinnend hafteten ihre Augen auf den Versen, die unter den Noten standen. Sie erinnerte sich, wie sie vor langen Jah­ren dieses Lied in einem Concert gehört. Es war nur eine einfache Composiiion, aber doch von einer Süßigkeit der Melodie, daß di? Sängerin rauschenden Beifall mit dem Liede geerntet; und sie in dem schönen Ent­husiasmus der siebzehn Jahre für alles Rüh­rende, hatte nicht geruht, bis sie eine Ab­schrift des Liedes, das im Drucke nicht er­schienen war, erlangt halt. Gedankenlos hatte sie eS dann unzähligem«! gesungen, heute erst ging ihr das wahre Verständnis auf für die Worte des Liedes, welches lau­tete :

Und hast Du einmal nur erfahren, Des Lebens ganze Seligkeit,

Laß ruhig nun darüber rauschen,

Die Wogen einer trüben Zeit.«

(.Fortsetzung folgt.)

rnhard Hysmann in Wildbad.