Aus Ruhmeshöhen.
Novelle von F. Stöckert-
Nachdruck verboten.
10 .
„Papa ist wirklich ganz vernarrt in Hannah," raunte sie leise Hoff zu, „meinst Du nicht auch, daß sie etwas mit ihm kokettiert? Mir soll cs übrigens gleich sein, wenn er sie zu meiner Stiefmutter macht. Ich habe ja Dich, und wir machen wohl auch längstens in einem halben Jahre Hochzeit."
Hoff hörte kaum, was sic spracv, düster waren seine Blicke Hannah gefolgt, die sich jetzt an den Flügel setzte und eine Sonate von Beethoven zu spielen begann. Seit jenem Abend, wo sie zum ersten Mal zum Tanz gespielt, und dadurch ihr musikalisches Talent verraten, hatte sie sich doch, wohl oder übel öfters dazu verstehen müssen, etwas auf dem Flügel vorzutragen, und an solchen Abenden, wie der heutige, wo die Luft in dem Salon ihr so dumpf u. scbwül erschien, als könne der erlösende Gewitter- sturm nicht mehr fern sein, da dünkte es sie eine Wohlthat, in den hehren Melodien deS großen Meisters Beethoven die ganze Unruhe ihres Herzens ausklinge» zu lassen. Sie schloß mit einem H.änAio, dessen süße traurigen Klänge, wie leiser, wehmutsvoller LiebeSgruß verhauchten.
„Bravo!" rief der Commerzienrat, der hinter Hannahs Stuhl getreten war, und drückte ihr wohl dankbar für das schöne Spiel die Hand.
Auch Hoff war aufgestanden, auch er ergriff fast schüchtern Hannahs Hand, aber auS seinen Augen brach ein solcher Strahl von Leidenschaft und Zärtlichkeit, daß Hannah verwirrt die Blicke senkte und ihm ihre Hand schnell entzog.
„Hans!" erklang da plötzlich leise, aber doch deutlich genug für Hoff Elviras Stimme, denn sie hatte die kleine, so verräterische Scene scharf beobachtet, und jähes Erschrecken spiegelte sich in ihrem erblaßten Gesicht.
„Was wünscht Du? frug Hoff und wandte sich mit einer fast beleidigend nachlässigen Bewegung nach seiner Braut um.
Als er aber in ihr blasses, verstörtes Gesicht sah, erfaßte ihn doch eine mitleidige Regung. Elvira liebte ihn doch wohl warm und aufrichtig, und glaubte sich auch von ihm geliebt. Wie erbärmlich mußte er nun in ihren Augen dostehen, wenn sie, über kurz oder lang, die Wahrheit erfuhr, denn lange konnte er diese Rolle nicht mehr fort- spielcn, das sagte Hoff sich täglich, auch während des Klavierspiels waren solche Gedanken durch sein Hirn gezogen, als er aber dann Hannah gegenüber gestanden, da hatte er solchen Gedanken wieder den Laufpaß gegeben, in dem Glauben, daß er sich doch noch bezwingen werde, und daß er es ja auch niemals werde wagen dürfen, um Hannah zu freien.
Elvira war aufgesprungen, mit einer leidenschaftlichen Bewegung ergriff sie ihnö Bräutigams Hand uud zog ihn in eine Fensternische.
„Hans, so darfst Du Hannah nicht an- sehen, das brauche ich als Deine Braut nicht zu leiden," stieß sie mit bebender Stimme hervor. „Papa mag mit ihr schön thun, mag sie meinetwegen auch heiraten, wenn ich
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aus dem Hause bin, denn darauf hat sie es natürlich abgesehen, aber Du, Du —" ^
„Nun und ich?" entgegnete Hoff und ein finstrer Blick streifte das junge Mädchen.
„O Hans, sieh mich nicht so furchtbar finster an," erwiderte Elvira erregt, „denke nicht, daß ich an Deiner Liebe zweifle, nein gewiß nicht, aber ich kann cs nicht ertragen, daß Du mit dieser abgefeimten Koketten, denn eine solche ist Hannah, Lucie mnnt es auch, in dieser Weise verkehrst."
„Bezähme Dein" Zunge, Elvira!" rief Hoff, die schmale Hand Elviras mit heftigem Druck erfassend.
„O Hans, Du thust mir weh," klagt" diese, ganz verschüchtert zu ihm aufsckawud.
Hoff ließ ihre Hand los, uud jetzt tauchte das joviale Gesicht des Commerzien- rats zwischen den blaujeidenen Vorhängen des Fensters auf.
„Ihr zankt Euch wohl gar, Kinder?" fragte er lächelnd. „Sie sehen ja ganz erhitzt aus, Herr Schwiegersohn. Nun solch ein kleiner Zwist ist ganz gut für Verlobte, die Liebe wird nur inniger danach."
„Gewiß, sie wird nur inniger," sagte Hoff mit beißendem Spotte, dann wandte er sich weg, und seine Blicke irrten zu Hannah herüber, die am Tisch saß und in dem Buche blätterte, aus welchem er vorgelesen.
In dem Zustande der Erregung, in welchem er sich befand, erzürnte ihn fast die Ruhe ihrer Züge. Würde die Liebe sie je aus ihrem Gleichgewicht bringen, wie so viele andere ihres Geschlechts, je aus ihren Bahnen drängen, hin auf die dunklen lauschigen Jrrpfadc, die Liebende so gern wandeln ? Nein Hannah war keine von denen, die der blinden Leidenschaft folgen, sie kannte die Pflichten einer edlen Frauenseele. Es war ihr sogar zuzutrauen, daß, wenn Hoff das Band, welches ihn an Elvira knüpue, lösen würde, sie ihn daraus einen Vorwurf wegen Pflichtverletzung machen, seine Liebe znrückwcisen und die Pfade der strengen Pflicht nach wie vor weiter wandeln würde.
Oder vielleicht erhörte sic den Commerzienrat! Nein! nein! und tausendmal nein ! Das durfte, das konnte nicht geschehen! rief es bei diesem entsetzlichen Gedanken in Hoffs Innern.
Er hatte beinahe die Worte laut gerufen, als er so mit irren Blicken nach Hannah herüber starrte. Gewaltsam mußte er sich zusammen nehmen, um seiner Erregung Herr zu werden, und an der Unterhaltung noch teilzmichmen, welche der Commerzienrat wieder in Gang zu bringen suchte.
Elvira spielte die Zürnende, und als Hoff dann zum Abschied sich mechanisch zu ihr herunter beugte, ihr den RbschicdSkuß zu geben, da bog sie das Köpfchen schmollend zurück.
„Nein, heute bekommst Du keinen Kuß, Hans," sagte st-, Strafe muß sein!"
Hoff fand die Strafe ganz , gerecht und nicht gerade allzu hart und ging mit einer argen Gcmütsvcrstimmung nach Hause.
Der nächste Tag führte Hoff mit Berko zusammen, und diesem schüttelte er sein übervolles Herz aus.
„Nun rate, nun hilf mir!" schloß Hofs seinen Erguß. „Nie, nie hätte ich gedacht, daß Frauenliebe »och einmal in mein Leben so tief eingreifen würde. Nun ist es ge-
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I schchen und ich weiß nicht, wie ich mich aus dem Labyrinthe befreien soll. Wenn ich meine Verlobung mit Elvira auflöse, dann muß ich zunächst darauf verzichten, Hannah zu sehen, das kann ich nicht, denn die Unruhe, bei dem Gedanken an den Commerzienrat und seinen Bewerbungen um Hannah, würde mich aufreiben. Glaubst Du überhaupt, daß sie ihn erhören könne? Oder glaubst Du, daß sie mich liebt, daß ich hoffe» kann, sie vielleicht zu erringen und mit ihr glücklich werden kann, trotz aller Bedenken ?"
„Wie kann ich das wissen, HanS," erwidere? Berko. „Zunächst kann ich Dir überhaupt nur raten, Dich zu fassen, zu sammeln und Dein Denken in etwas ruhigere Bahnen zu lenken. Bedenke Hannah Delio ist blutarm, mit ihrem Gehalt bei Bergs unterstützt sie noch ihre Geschwister. Du hast auch kein Vermögen. Deine Praxis als Rechtsanwalt bringt auch noch keine großen Einnahmen, und was heutzutage ein einigermaßen anständiger Hausstand kostet, das weiß ich am besten, und Du bist auch nicht der Mann, der sich gern Entbehrungen auflegt."
„Geld. Geld und wieder Geld! Hängt denn Alles von diesem schnöden Worte ab. Ist nicht die Liebe eine höhere Macht?" schrie Hoff fast laut und ärgerlich auf.
„Blicke doch um Dich, welche Macht schwingt denn das Zepter überall und leitet die Entschlüsse und Handlungen der Menschen ?"
„Nun, mich treibt dann ausnahmsweise einmal eine andere Macht," erwiderte Hoff mit einem etwas erzwungenen Lächeln. „Sic trieb mich auch dazu, in stillen Nachtstunden, wie einst in jenen Frühlingstagen, zur Feder zu greifen, in dem Glauben, daß die Liebe den schlafenden Genius wieder erwecken muffe. Ich wollte meiner großen Liebe ein großes unvergängliches Denkmal setzen; aber cs war ein eitles Beginnen. Die Unruhe und quälenden Zweifel jagten meine Gedanken am wilden Chaos hin und her. Ein Dichter bedarf wohl vor Allem heitere Seelenruhe."
„Oft ist es auch die tragische Ruhe des Schmerzes, die da die besten Werke zeitigt," meinte Berko ernst.
Hoff sah den Freund düster an und sagte:
„Das wahre Genie mag sich wohl aus Schmerz und Trübsal strahlend empor ringen, aber wo das nicht vorhanden, da geht eben das Beste von uns zu Grunde in solchen Tagen des Schmerzes und der Qual. Ich habe das an mir erfahren." —
„Was Du damals beklagtest, war doch nur eine Jugcndthorheit, ohne jeden tieferen Gehall."
„Ja allerdings, jetzt stehen die Sachen aber anders, Hannah Delio ist nicht sdie Dame, die man je verachten könnte, wie jene. Die Liebe zn ihr erscheint mir wie der ideale Inhalt meines Lebens, und wenn mir der genommen wird, dann weiß ich nicht, ob es sich lohnte, noch weiter zn leben."
„Dann wird fein Genius die Schwingen entfalten," sagte sich still Berko, als er in das strahlende geistig belebte Gesicht des Freundes sah.
(Fortsetzung folgt.)
rnhard Hosmann in Wildbad.