Der Reichskanzler Fürst Otto v- Bismarck hat nun wirklich seine Entlassung eingegeben und ist ihm sein Abschied geworden. Es lebt wohl kein Meister der deutschen Sprache, der im Stande wäre, die große Bedeutung dieses hochwichtigen Ereignisses recht anschau­lich zu schildern. Jeden recht deutsch ge­sinnten Mann wird diese Nachricht weh­mütig stimme»; hätte der Tod unser» Kanz­ler von seiner erfolgreichen WirkungSihätig- kcit äbberufen. so würden wir uns in Uner- bitlichkeit des Schicksals fügen, so aber möch­te» wir fast denjenigen grollen, die wohl die Schuld seines Rücktritts trifft, denn nicht etwa eine gestörte Gesundheit ist cs die ihn bewog von diesem verantwortungsvollen Posten zurückzutreten, nein es sind leider andere sachliche Gründe, die sich jedenfalls in der nächsten Zeit klären müssen.

Hat nicht dieser große Geist, den selbst die Franzosen für einen Riesen erklären, wie keiner seit Napoleon I. dagewescn sei, unserem ganzen Jahrhundert seinen Stempel aufgedrückt: Er war die höchste Verkörpere ung der deutschen Vaterlandsliebe, er hat Deutschland groß gemacht, er hat durch seine weise, gesunde, offene und ehrliche Politik unS behütet vor verderblichen, europäischen Kriegen, die bald da bald dort auszubrechen drohten, auf ihm lag die ganze Last jeglicher Verantwortung seiner Politik der ganzen Welt gegenüber, er war der Gnt>n Lust, der Bösen Schrecken. Bismarck scheidet nun aus dem Amte, aber seine Thaten können nicht nntergehe», sein Name glänzt mit gol­denen Lettern in der Weltgeschichte.

Und nun meine lieben Wildbadcr und ihr anderen Einwohner des EnzthaleS. die ihr mit unS de» Rücktritt dcS größten Man­nes, unseres an großen Männern so armen Jahrhunderts, bedauert, wollen wir nicht zu unserer eigenen Ehre diesem großen und mächtigen Geiste unfern aufrichtigen Dank abstatten, indem wir seinen am 1. April d. I. komm nden 75. GeburtSlag festlich be­gehen.

Möge unS nicht der Vorwurf treffen:

Die undankbare Mitwelt hat ihn ver­kannt."

Der Ruhm der Nachwelt ist ihm ge­sichert, stolz darf er sprechen:

Es kann die Spur von meinen Erdentagen Nicht in Aconen untergehen."

Rundschau.

Ludwigsburg, 17. März. Am vorigen Freitag mußte, wie dem Schw. B> geschrie­ben wird, ein hiesiger Bürgersohn, welcher gegenwärtig als Einjährig-Freiwilliger dient, von einem Tanzkränzchen nach Hanse ge­bracht werden, da er sich unwohl und schläf­rig fühlte. Zu Bett gebracht, verfiel ex sofort in einen liefen Schlaf, aus dem er bis heute noch nicht erwacht ist; er schläft also bis jetzt schon drei Tage ununterbrochen fort und reagiert wider auf Anrufen noch auf kräftiges Schütteln. Ob ein Fall von Nona vorliegt, kann nicht mit Bestimmtheit behauptet werden.

(Eisenbahnunfall.) Der Güterzug mit Personenbeförderung Nr. 625, wecher auf der Station Schorndorf fahrplanmäßig 6 Ubr abends eintrifft, ist gestern auf der EinfabrtSweicke daselbst infolge Auslaufens der Lokomotive cnlglust. Zwei Reisende und 3 Bedienstete wurden hiebei leicht ver-

' HsHruwöttlichcr Redakteur: Beruh

letzt; die Geleise sind unerheblich, der Ge­päckwagen und zwei Personenwagen deS ZugS dagegen stärker beschädigt. Die Ursache deS Auslaufens konnte bis jetzt nicht festgestellt werden. Die nachfolgende Züge der Rems» bahn haben erheblichere Veripätungen erhal­ten; seit heute früh 8 Uhr ist der regel­mäßige Zugsverkehr wieder hergcstellt.

Hall, 18. März. Heute nachmittag gegen 2 Uhr fuhr der leichte Wagen eines Braunsbacher Handelsmanns über die Hen- kersbrücke; am Eintritt in die Neue Straße packten die Pferde auf und direkt i» das Schaufenster eines hiesigen Eiscngeschäftes, das zertrümmert wurde, ohne daß jedoch die darin ausgestellten Waren oder die Tiere bedeutenderen Schaden nahmen.

Aus dem Oberamt Künzelsau, 18. März. Dieser Tage wurde ein Knecht in Dörzbach von einer Fohlenstute, die er cinschirren wollte, derart geschlagen, daß er sogleich tot war. Der zweite Knecht, der zu Hilfe eile» wollte, wurde von dem Pferd ebenfalls ge­schlagen und liegt lebensgefährlich varnieder.

Bon der badischen Grenze, 19. März. In Rappenau ist gestern für eine ohnehin mtt Glücksgütern ziemlich gesegnete Familie aus Breslau das reiche Erbe von 580,000

ejiigetroffen, das unter 8 Geschwister zu gleicher Verteilung kommt. Der Erb­lasser ist der vor kurzem verstorbene Direk­tor Freudenbcrgrr der Zuckerfabrik in Bres­lau und die Erben sind 8 Bruderskinder desselben. Nachdem der badische Staat die lOprozentige Erbschaftssteuer im Betrage von 58,000 von der Verlasscnschaft cingezogen hat und einige besondere Legate ausgelöst sind, kann an jeden der 8 Erben die hübsche Summe von rund 70,000 ausbezahll werden.

Aus Baden-Baden, 18. März, schreibt man uns: Gestern ereignete sich ein schwerer Unglücksfall. Der 30 Jahre alte Franz Gorth von Halberstung kam auf bis jetzt noch nicht erklärte Weise an der Ein- steighalle des hiesigen Bahnhofs unter den um 9 Uhr 22 Minuten abends hier eirrtref- senden Pcrsonenzug und wurde durch die Näder der Wagen mitten entzweigerissen.

Berlin, 19. März. Caprivi wird Reichs­kanzler. Graf Herbert Bismarck tritt mit dem Reichskanzler zurück. Sei. 3 Uhr ist heute nachmittag preußischer Ministerrat. Graf Waldersec ist in Ungnade gefallen.

Berlin, 20. März. Graf Herbert Bis­marck nahm an dem gestrigen Ministerrate nicht mehr teil.

Berlin, 20. März. Eine Extraausgabe des Rcichsanzeigcrs enthält das EntlassungS- schreibcn des Kaisers an den Fürsten Bis­marck. Letzterer wurde zum Herzog von Lauenbnrg und Generalobersten der Kaval­lerie mit kein Range eines Generalfeldmar- schalls ernannt und erhält das Bildnis des Kaisers. Ferner wurde Caprivi zum Reichs­kanzler und Ministerpräsidenten ernannt. Herbert Bismarck wurde einstweilen mit dem Ministerium des Auswärtigen betraut.

Köln, 20. März. Man meldet der Köln. Zig. aus Berlin: Die Urkunde über die Entlassung Bismarcks wurde heute nach­mittag 3 Uhr durch den Chef des Zivilkabi- netts, Geheimerat v. LucannS, und den Chef des MilitärkabinettS, Generallieutenant v. Hancke, im Aufträge des Kaisers dem Fürsten BiSmarck überbracht. Pariser Blätter

melde» laut der Köln. Ztg. übereinstimmend, die in Berlin erfolgte Zusainmenberufung der kommandierenden Generale Preußens habe der Frage gegolten, ob auf das Septe- nat veizichtct werden könne, und es hätien Erörterungen über eine eventuelle 2jährige Präsenzzcit bei der Infanterie stattgefunden.

Am 17. März brach in einer großen Buchhandlung in Jndianopolis Feuer ans, wobei 13 Feuerwehrleute getötet und 19 meist tödlich verletzt wurden. Der Unglücks­fall war die Folge des Einsturzes einer Mauer in dem Augenblick, als eine größere Anzahl Feuerwehrleute die Leitern bestiegen.

Am Montag vormittag entdeckte mau auf dem Bahnhof in Nom in einem Kas­senschrank, der sich in einem Gepäckwagen befand, die Leichen von zwei Kindern, welche Bluispuren an Händeu und Füßen trugen. Es sind die Kinder einer armen Frau, welche dieselben seit sechs Tagen vermißte und seit­her überall vergebens gesucht Hai. Man nimmt an, die Kinder seien in den offen- stehenden Schrank geschlüpft und dieser habe sich automatisch hinter ihnen geschlossen. Da der Wagen in einem unbelebten Winkel des Bahnhofs stand, wurden ihre Hilferufe nicht gehört. Die Müller war außer sich vor Verzweiflung, als sie ihre Kinder tot wiedersah.

In der Nacht vom 17. auf 18. März wurden in Bonn zwei Erdstöße wahr- genommcn, von denen namentlich der erstere, der kurz nach 11 Uhr erfolgte, ein unge­wöhnlich heftiger gewesen ist. Man glaubte einen schwer beladenen Rollwagen eilig vor­überkommen zu hören und unmittelbar dar­auf verspürten namentlich die bereits im Bett Liegenden eine schwankende oder auch stoßarlige Bewegung, die so stark war, daß man sich in einzelnen Häusern erschreckt vom Lager erhob. Weniger heftig soll diezweite Erschütterung gewesen sein, die gegen 5 Uhr morgens stattfand. Wie aus Madrid ge­meldet wird, ist am Morgen des 18. März auch in Malaga ein heftiges Erdbeben ver­spürt worden. Große Bestürzung herrschte dort und in den Nachbarstädten ; besonderer Schaden ist nicht eingetretcn.

London, 19. März. Die Times sagt heute: BiSmarck kann keinen eigentlichen Nachfolger haben. Findet sich jemand, welcher die ungeheuren furchtbaren Kräfte, die selbst BiSmarck zeitweilig kaum zu zähmen ver­mochte, in Schranken halten könnte? Dir Standard sagt:Bismarck kann einen Nach­folger haben, aber nicht ersetzt werden, der Nachfolger mag das Amt erben, aber nicht das Ansehen, nur Bismarck kann Bismarks Pläne auöführen. Die Erhaltung des Frie­dens wird schwerer sein, wenn des Meisters leitende Hand verschwunden ist." Die Pall Mall Gazette schreibt:Bismarcks Fall wird in ganz Europa widerhallcn, seine Stellung war einzig in Europa." St. James Gazette: Bismarcks Verschwinden ist das bedeutendste Ereignis seit dem Fall deS zweiten Kaiser­reichs." Star:Man kann sich kaum Vor­steven , was Deutschland ohne BiSmarck sein wird."

Paris, 18. März. Fürst Bismarck's Rücktritt erregt großes Aufsehen und wird lebhaft erörtert. DieRepubl. Francaise" findet es bezeichnend und ernst, daß der Rücktritt mit der Eröffnung der Arbeiter- schutzkonfcrenz zusammenfalle, für welche Fürst BiSmarck die Verantwortung ablehnte.

ar» Hofmann.) Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildhad.