Die weiße Dame.
Eine komische Oper in drei Aufzügen von
B o i e l d i e u.
Nachdruck verboten.
4.
„Du kennst sic? die ich^p suchen nach Schottland gekommen, doch bis heute noch nicht zu finden vermochte!" — „Du sollst sie Wiedersehen," tönt eS ihm entgegen, „wenn Du mir versprichst, meine Weisung zu erfüllen". — Der unglückliche Offizier verspricht alles, wenn er nur seine holde Pfl ge- rin Wiedersehen kann. — „Ich will Dir glauben," sagte die geheimnisolle Erscheinung, „und Dir durch sie, die Du so eifrig suchest, meine Befehle senden". — Nun teilt sie dem Hortenden mit, daß das Schloß, Eigentum des Grafen von Avenel, morgen verkauft werden soll, wobei der nngeireue Verwalter Gaveston als Käufer auftreten, sie aber, als Schutzgeist der Familie, solchen Kauf zu verhindern wissen werde, und nochmals läßt sie sich von dem, jungen Offizier, in ihre Hand getreue Erfüllung ihres Willens geloben. Georg Brown, der die ihm dargereichte Hand ergriffen hat, glaubt einen sanften Druck der seinigen zu empfinden, der weit eher von einem lebendigen und gefühlvollen weiblichen Wesen, als von einem spukhaften herrrühren kann. Er will mehr, die Wahrheit erfahren — doch die rätzcl- hafte Gestalt ist verschwunden.
Der Tag bricht an. Gaveston tritt bei Georg Brown ein, denn in wenigen Augenblicken soll in diesem Saal die öffentliche Versteigerung des Schlosses vor sich gehen. Er erkundigt sich spöttisch nach den Abenteuern, die sein Geist im Laufe der Nacht wohl erlebte, und der junge Offizier erzählt ihm unumwunden, daß er die weiße Dame nicht allein gesehen, sondern auch gesprochen habe, daß sie über ihn, Sir Gaveston, sehr ungehalten sei und nicht zugeben werde, daß der ehemalige Diener das Herrenschloß als Eigentum erlange. — „Er ist ein Phantast, ein ungefährlicher Narr!" sagt sich Gave- ston, und über das Gelingen seiner Pläne durchaus beruhigt, wendet er sich feinem vertrauten Freunde, dem Friedensrichter Mac Jrton zu, der mit seinen Schreibern den Saal betritt, gefolgt von Dickson, den Pächtern und deren Frauen, die gleich neugierig wie teiluahmsvoll, den nun sich entwickelnden Vorgängen folgen wollen.
Die Versteigerung — ein musikalisch dramatisches Meisterwerk, das mit einfachsten Mitteln die vollendete Charakterisierung der Handlung erzielt — beginnt. Mac Jrton entzündet das Licht, dessen Ausbrennen das Ende der Versteigerung und den Zuschlag bedeutet und kündet dann, als erstes Gebot Gavestous, 10 000 schottische Thalcr an. — „Abscheulich!" sagen die Pächter unter sich und bieten in ihrem Namen 15 OOO. Beide bieten immer mehr , bis endlich Gaveston mit ingrimmiger Siegcr- stimme ruft: „100 000 Thaler!" — O, weh! nun ist's vorbei, die Pächter können nicht höher gehen, und das Schloß wird Gaveston zugeschlagcn werden müssen. — „Wer bietet mehr?" fragt Mac Jrton, doch niemand antwortet, die Pächter sind verstummt. Da hört Georg Brown, der bis- heran ruhig und scheinbar teilnahmslos an pem Verstcigerungstische gesessen hatte, eine
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Stimme, die ihm als Antwort auf die Frage des Friedensrichter zuflüstcrt: „Du!" — Als er erstaunt sich umwendet, erblickt er zu seiner hohen Freude seine schöne Unbekannte — Miß Anna! Die weiße Dame hat also doch Wort gehalten, und nun muß er erst recht nach ihrem Willen handeln. Schon stellt Mac Jrton zum zweiten — zum drittenmal die verhängnisvolle Frage: „Bietet niemand mehr?" — schon will er unter atemloser Spannung der Anwesenden dem letzten Gebot den Zuschlag erteilen, da springt endlich der junge Offizier auf und ruft: „Haltet ein! ich biete 1000 Thaler mehr". Nun löst sich das peinvolle Bangen in ein freudiges Aufatmen auf. Bei Gaveston, der sich schon Herr des Schlosses geglaubt hatte, wandelt die jähe Ueberraschung sich in grimmigen Zorn, während neue Hoffnung, Helle Freude sich in den Reihen der Pächter kundgibt, denn Bieten und Ueber- bieten beginnt jetzt erst recht und immer leidenschaftlicher von seiten des arg enttäuschten ehemaligen Verwalters. — „Biete mehr! — immer uuhr — immer mehr!" flüsterte Anna Georg Brown zu, und da die beiden Bewerber endlich bei Gavestons Gebot von 550 000 Thalcr angelangt sind, die Gesandtin der weißen Dame ihren Schützling noch immer auffordert mehr zu bieten, so ruft dieser endlich: — Fünfmalhnnder- tausend Thaler!"
Nun ist's entschieden — vorbei I Gaveston vermag die große Summe nicht zu überbicten — das Licht ist vollständig hcr- untcrgebrannt, und dem jungen fremden Offizier Georg Brown, wird das Schloß mitsamt den Gütern und Schätzen des Grafe» von Avenel für den Betrag von 500 000 schottischen Thalern zugeschlagcn. Mit dem liebenswürdigen Frohmut der Jugend nimmt er die Entscheidung hin und meint:
„Nun werd ich als Verschwender doch wahilich nicht verschrien:
Ich lasse mir die Summe von meinem Sold abzich'n." —
Die grimme Wut Gavestons kennt keine Grenzen mehr, doch seine Zornesausbrüchc gehen unter i» dem Jubel der schottischen Landsleute, die jetzt schon huldigend ihren neuen Herrn und Gebieter umringen. — Aber morgen muß Georg Brown die kolossale Summe bezahlen oder ins Gefängnis wandern. — „Bah I was thuts?" sagt er sich frohgemut. „Dafür ist meine Beschützerin, die weiße Dame da, sie wird schon im rechten Augenblick Mittel und Wege zur Lösung meines Wortes und meiner Freiheit
zu finden wissen!" —
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Am folgenden Tage werden die Siegel von dem alten stolzen Grafensitze abgenom- men, und die weilen prächtigen Säle uns Galerien, die Terassen und Gärten öffnen sich dem neuen Herrn und dem Volke, das ihm huldigen will. Miß Anna und die alte Margareta betreten frühzeitig die große Festhalle, denn hier soll sich »ach der vertraulichen Mitteilnng der Gräfin Mutter, die Statue der weißen Dame mit den Schätzen des gräflichen Hauses befinden. Doch Entsetzen! die Stelle wo die Statue gestanden hatte, ist leer. Da entsinnt sich die gute, nur etwas zu abergläubische Margareta, daß sie am Tage der Flucht des
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Grafen gesehen, wo die Statue von ihrem Piedestal herab, und in die Gewölbe des Schlosses eiugestiegen sei, die also hier einen geheimen Ein- und Ausgang haben müssen. Dorthin eilen beide Frauen, von neuer Hoffnung beseelt.
Georg Brown hat das Schloß durchwandert,und in dem großen Festsaal ist er angelangt. Was er schaut, ergreift ihn mächtig, er wähnt diese Räume, die geharnischten Ritergestalten, die Ahnenbilder an den Wänden schon einmal gesehen zu haben. Doch wann — wann? In die fernen Tage seiner frühesten Jugend führt die Erinueruug ihn zurück und hellt die Bilder, welche verschleiert in seiner Seele schlummerten. Er sieht sich als Kind in ähnlichen Räumen, mit einem kleinen Mädchen spielend
— er sieht eine ältere gutmütige Frau sich um ihn bemühen, die ihm allerlei Lieder und Balladen singt. Doch wo — wo war das? War es hier — oder an anderen Orte? O, wer dies Rätsel dem Sinnenden und Ringenden lösen könnte! denn keine Antwort vermag er sich auf solche Fragen zu geben. — Da nahen die Pächter der Gegend mit ihren Frauen und Töchtern im Festzuge, mit dem aitchrwürdigen Banner des Grafen von Avenel ihm die Schlüssel des Stoffes zu überreichen. Sie singen ein altes schottisches Volkslied sein wirkliches, das Meister Boicldieu in wunderbar schöner und ergreifender Weise ausznnützen verstanden hat). — „Was ist das für ein Sang2" fragt sich der junge Mau», der wie in einem bestrickenden Zauberbann einherwandell. „Ich hörte ihn schon — doch wann — doch wo?
— Hallet ein!" ruft er plötzlich, den Gesang der Landlcute unterbrechend, „Ich kenne Euer Lied — das Ende fälle mir ein — ich will es singen." Und er stimmt den Sang von „Robin Adair" an — leise — leise! tastend, suchend, und immer Heller wirds in seiner Seele, bis er endlich den Referain vollständig inne Hai und wieder- geben kann. (Als der Sänger der Opsrs. oowiHuo, Ponchard, der erste mustergültige Georg Brown — mein unvergeßlicher Gesangslehrer im Pariser Konservakoire — bei der ersten Aufführung der „Weißen Dame", am 10. Dezember 1825, diese Stelle sangMid darstellte, da blieb in dem dichtgefüllten Hause kein Auge trocken). Dann treibt es Georg Brown weiter — und immer weiter, die Gallerien, die Hallen und Gärten zu durchwandern, welche so eigentümliche und ergreifende Erinnerungen und Gefühle in ihm wachgerusen haben. —
Gaveston erwartet mit einem höhnischen Ingrimm und heimlicher Sicgesfrende seinen stillen Verbündeten, den Friedensrichter Mac Jrton, der mit seinen Söldnern kommen wird, Georg Brown zu verhaften, denn daß der leichtfertige Offizier die 500 000 schottische Thaler wird zahlen können, dünkt ihm eine Unmöglichkeit.
(Schluß folgt.)
Vermischtes.
(Was Gescheidtes.) Fremder: „Sag' mal, Kleiner, habt ihr nicht 'n Wirtshaus hier im Dorf?" — „Jo, g'wiß I" — „Gib:'s da auch 'was Gescheidtes ?" — „Jo, unscrn Schullehra!"
rnhard Hofmann in Witdbad.