H35utrnche.
Roman von H. von Ziegler.
Nachdruck verboten.
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Die Thür fiel nch dieser entsetzlichen Drohung hinter der Sicilianerin ins Schloß, aber schaudernd verhüllte die Marchese ihr Gesicht; stundenlang noch hörte sie de» unheimlichen Wortklang: „Vencdetta" und sah das bleiche Gesicht mit den funkelnden Augen.
Sie hatte bisher die furchtbare sicilia- nische Sitte der Blutrache nicht kennen gelernt, jene Volkstraditio» , die in Sicilien von Geschlecht auf Geschlecht forterbt, der sich weder Reich noch Arm, weder Mann noch entziehen kann und an deren Grundfesten sogar das Christentum vergeblich rüttelte.
„O Signora/' bat schaudernd die Jungfer der Marchese, als sic den schrecklichen Austritt er'uhr, „reist ab sobald Ihr könnt, denn jenes Weib hält ihren Schwur; sie wird ihn auch auf d,m Todenbelte nicht vergessen, dasür ist sie eine Tochter ihres Volkes."
. Die junge Frau erbebte und schlug das Kreuz, aber sie beschloß, de» Rat der Dienerin zu befolgen. —
Acht Tage darauf verbreitete sich im Dorfe die Nachricbt, daß die Herrschaft mit Leuten und Gepäck in der Nacht abgereist sei, um nicht mehr auf Kastell Roga zurück- zukehren.
Durch die Zeitungen gelangte dann später die Nachricht, daß dem Marchese ein Erbe und Stammhalter geboren worden und Annnnciata lächelte höhnisch bei dieser Neuigkeit; sie nahm ihren Sohn auf den Schoß und sich über ihn beugend sagte sie:
„Vielleicht wirst Du eines TageS die Vendetta an dem Neugeborenen vollziehen, wenn mein Arm seinen Vater nicht mehr erreichen kann. Du sollst dazu groß gezogen werden, daß Deine Aufgabe Vendetta heißt an jenem erbärmlichen Schurken, der deine Mutter verriet and Deinen Vater erschoß. Vendetta!"
Lange, lange Jahre waren seit jener furchtbaren Begebenheit dahin geflossen und im Kreislauf der Jahre war cS wieder Winter auf nordischer Erde geworden.
Weicher, schimmernder Weichnachtsschnee tanzte zur Erde nieder , schon trug Baum und Strauch das weiß' G-wand und noch verdichtete es sich von Minute zu Minute.
Es warn nur wenig Tage noch bis zu dem schönen Weihnachtofest und überall bemerkte man emsige Geschäftigkeit und freudige Gesichter.
Schon brannten die Laternen in den Straßen, als eine junge Dame in knappem Tuchkostüm aus einem Kunstlade» trat uuv die Straße entlang schritt, cs war ein süß-s, frisches Mädchengesicht, das verkörperte deutsche Gleichen, mit blonden, dicken Flechten und wunderschönen blauen Augen.
Sie trug ein Packet und beschleunigte ihren Schritt, als siegewahrte, daß eS schon Völlig dunkel geworden.
„Ich muß eilen," murmelte sie vor sich hin, „Mama liebt eS nicht wenn ich bis zum Dunkelwerden ausbleib."
„Guten Abend gnädiges Fräulein," sagte da plötzlich ein« tiefe Männerstimme hinter
(VeraNtwortlicher Redakteur: Bern
ihr, sind Sie auch in Weihnachtsangelegen- hciten unterwegs? Ich hoffe Sie erlauben, daß ich Sie ein Stück Wegs begleite."
„Oh, das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Marchese," rief das junge Mädchen angenehm überrascht, „ich bin ziemlich ängstlich am Abend, doch bleiben jetzt immerwährend Besorgungen zu machen. Haben Sie schon den Kaffee getrunken?"
„Nein, und ich armer Junggeselle habe auch kein gemütliches Heim, um ein behagliches Ruhestündchen bei der dampfenden Kaffeemaschine zu feiern."
Das Wort klang schwermütig, und dir junge Dame sah verstohlen ihren Begleiter an, welcher, als Verstehe sich daS von selbst, neben ihr weiter schritt.
„Haben Sic schon einmal in Deutschland Weihnachten gefeiert, Herr Marchese?" frug sie endlich nach einer fast drückend langen Pause.
„Nein Fräulein Nora. Ich bin erst seit dem Frühling, als meine Mutter starb, in Wiesbaden; wir lebten bis dahin stets in Nizza."
„Ihre Frau Mucker war Französin?"
„Allerdings, gnädiges Fräulein; sie hieß vor ihrer Verheiratung Gräfin Dorieut und hat sich in Sizilien, meines Vaters Heimat, nie wohlgefühlt."
„Seltsam, ich sollte meinen, eine Frau müsse sich in der Heimat ihres Mannes bald eiulcben. So stammt, ihre Familie aus Sizilien, Herr Marchese.?"
„Jawohl, mein gnädiges Fräulein; Kastell Roga, unser Stammschloß, liegt auf dem Wege nach Messina."
ES muß sich köstlich leben in jene» herrlichen Gegenden und ich wäre an ihrer Stelle niemals fortgezogen," entgegnete die junge Dame.
Ein seltsam forschender Blick ruhte auf dem schönen Mädchcngesickt, der Marchese seufzte leicht, dann entgegnete er ruhig: „Meine Mntter erzählte mir kurz vor ihrem Tode jene düstere Geschichte, welche die Ellern veranlaßte, im Auslande zu leben; doch lassen wir diese unerquickliche Sache, welche in Ihren lichten Gedankenkreis nicht paßt, Fräulein Nora, sondern sagen Sie mir lieber, ob Sie die Weihnachtsredoute mitmachen werden."
„Mama möchte daheim bleiben, wünschl aber, daß ich mit dem Papa hinging."
„Und sie selbst, Fräulein v. Bohlen?"
„Oh, lächelte sie kindlich, „ich gehe ganz gerne hin, den ich tanze so sehr gerne und bekomme wohl auch ein neues Ballkleid zum
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Der stattliche Mann mit den dnnklen Augen und dem Vollbart schaute sinnend in die Ferne; er. vermied, energisch, seine Begleiterin anznschanen, deren kindliches Plaudern ihm tief in der. Seele drang, denn ihre blauen Sterne halten ihn verwundet, daß er meinte, nie mehr Lebe» zu können ohne dieselben..
„Gott sei Dank, Fräulein Nora, daß Sie mit so ungekünstelter Freude von der Geselligkeit spreche»;, die meisten unserer jungen Dame» finden Vergnügen daran, recht blassiert zu erscheinen."
„Werden Sie auch hingehen, Herr Marchese ?
„Vielleicht--- aber ich tanze nicht
mehr."
h »rd Hofmann.) Druck und Verlag von'B t
„Weshalb nicht? Es ist doch so schön, so nach der Musik durch den Saal zu — fliegen."
„Ich bin schon dreißig Jahre, Fräulein Nora, also schon sehr alt. Finden Sie das nicht auch?"
„Nein, ganz gewiß nicht," versicherte sie eifrig, „und damit sie sehe», daß ich die Wahrheit sage, will ich Ihnen auch einen Tanz aufheben. Sehen Sie, nun sind Sie gefai gen und müssen doch tanzen."
In den schönen Männeraugen flammte cs leidenschaftlich auf, dann aber verneigte sich del Roga freundlich und sagte: „Ja, ich will tanzen, Fräulein v. Bohlen, aber Lie müssen nur auch die Tänze gewähre», welche ei» Freund ihres Hauses so unbescheiden ist zu fordern. Geben Sie mir den ersten Walzer, den Rheinländer und d,e Quadrille."
Mora war auf einmal sehr rot geworden und erwiderte jetzt verlege» stammelnd: „O, Herr Marchese - was müssen Sie von mir denken. — ich habe gewiß eine große Taktlosigkeit begangen; ach, verzeihen Sie mir!"
„Mit nichteu, gnädiges Fräulein, sondern Sie bereiteten mir eine große Freude damit; noch einmal, räumen Sie einem so alten Freunde Vorrechte ein gegen die jungen, fremden Tänzer."
Auf dem lieben Gesichtchen lag wieder Heller Sonnenschein,' als das junge Mädchen nun herzlich erwiderte: „Ach, nun freue ich mich doppelt auf den Ball. Wenn ich Ihnen, Herr Marchese, nur nicht zu schlecht tanze."
„Da sind wir angclangt," bemerkte bel Roga, vor einer zierlichen Gitterthür flehe» bleibend, welche die Villa des Obersten von Bohlen von der Straße trennte, „ich habe mich gefreut, Fräulein Nora, Sie begleiten zu können."
Sie merkte nicht die Enttäuschung in seinen Worten und er sagte nicht, wie gerne er einen dreimal längeren Weg an ihrer Seite gemacht, nur die Hand bol er ihr einfach und sie legte die ihre hinein, als gehöre sich das so von selbst.
„Guten Abend und auf Wiedersehen, Fräulein v. Bohlen ; ich werde den heiligen Abend bei Ihnen zubringen auf die freundliche Einladung Ihres Herr» Papas."
Die kleine, eiserne Gartenthür fiel hinter der schlanken Mädchengestalt in's Schloß, ihr leichter Fuß huschte über den Kiesweg zur HauSchür und: „Gute Nacht I" klang es noch herüber zu dem Marchese.
„Gute Nccht, Nora," murmelte dieser als sie längst verschwunden, „Gott behüte Dich ; sckiasc süß und träume von dem; der Dich heißer liebt als sein armseliges, einsames Leben."
Langsam strich er mit der Hand über die Stirn und wandte sich zurück! das silberhelle Lachen des schönen Mädchens klang unausgesetzt noch in seiner Seele, aber er schüttelte schwermütig das Haupt.
(Fortsetzung folgt.)
- ^ ert. g:
Schau I wer im Flegelton Sich seiner Bildung rühmt,
Den triff des Weisen Hohn:
„Ei, lügt Er unverschämt I"
rnhard Hofma n n in Wildbad.