Kronprinz Rudolf hat sich erschossen!

So ist cs denn wahr, was anfangs nun als Gerücht auftanchte, und durch die offizi­ösen Meldungen schnell dcmentirt wurde, Kronprinz Rudolph von Lesterreich ist nicht eines natürlichen Todes gestorben, nicht Hai ihn ein widriges Schicksal überrascht, nicht hat ihn ein Herzschlag hinwegeraffl, nein, der Erbe eines mächtige» Thrones, die Hoffnung eines grossen Reiches hat selbst Hand an sich gelegt. Es war sein Wille, zu sterben, mit kaltblütiger Ueberlegung hob er den Revolver an seine Schläfe, und die todtbringende Kugel entdrückte ihn dem irdischen Dasein. Jetzt ist kein Zweifel mehr möglich an dieser traurigen Thatsache, deren Meldung übrigens nicht unerwartet kommt. Nur da ihr amt- licherseits so bestimmt widersprochen wurde, durfte sie nicht laut werden. Nicht nur in den parlamentarischen Kreisen Berlins, wie oben gemeldet, sondern auch hier wollten die Zweifel an der natürlichen Ursache des Todes nicht zur Ruhe kommen, und viele Anzeichen deudeten darauf hin, daß dieselben berechtigt waren. Nicht nur der Umstand, daß die Neue Fr. Presse" wegen der Einzelheiten, die sic über den Tod des Kronprinzen brachte, sofort konfisziert worben war, sondern auch

der weitere, daß Kronprinz Rudolf kurz vor seinem Tode den Sccktionschef Szoenchy, den er vor zwei Jahren mit der Ordnung seiner Schriftstücke betraut, hieran brieflich erinnert hatte, ließ erkennen, daß er sich mit dem Gedanken an den freiwillig gewähl­ten Tod vollkommen vertraut gemacht hatte, Man hat wohl endlich auch in Wien cinge- schen, daß sich die Thatsache nicht länger vertuschen ließ, wie denn auch ein Vernünf­tiger Zweck hierfür durchaus nicht abznßhcn ist.

So kommt denn nachträglich die amtliche Meldung, daß Kronprinz Rudolf sich das Lebe» genommen habe. Er hat sich Mittelst Revolvers gelobtet. Die Einzelheiten giebt ein Privattelegramm uns folgendermaßen an : Kronprinz Rudolf hatte vorgestern früh, nachdem er den Kammerdiener sortgeschickt, sich eine Kngel in den Kopf geschossen, so daß die Schadcldecke und der Schädclkuochen sich losgelöst haben. Kronprinz Rudolf soll in letzter Zeit nervenkrank und kopf- lcident gewesen sein. Das Kopsleiden wird ans einen Sturz vom Pferde znriickgcsiihrt.

Gewiß wird für das österreichische Kaiser­haus, für die Kronprinzessin-Witwe sowie für Oesterreich-Ungarn der Schlag, der sie

getroffen, dadurch nur noch furchtbarer. Dem Schicksal, wenn cs ihnen den Sohn, den Gatten, den künftigen Herrscher ent­rissen hätte, würden sie sich trotz ihr-s Jam­mers in Ergebenheit haben füge» können; der Gedanke aber, daß der jetzt Betrauerte noch unter ihnen weilen könnte, wen» er nicht selbst es anders hätte haben wollen, läßt den Schmerz nur schwer zur Ruhe kommen. Es ist ein furchtbares Verhäng­nis, das sie betroffen hat, uns aber predigt eS die alle Wahrheit von der Hinfälligkeit aller irdischen Größe. Auch jene Bevor­zugten find nicht frei von d>ii nagenden Sorgen, die den Geist duvchwühlen und schließlich zur Verzweiflung treibe. DaS Un­glück scheut nicht vor der Schwelle der Pa­läste zurück. Auch ein Thronerbe, auch ein Kaiserfohn kan» des Lebens so überdrüssig werden, daß er freiwillig in den Tod gehl, freiwillig ans all die Auszeichnungen, die Machtfülle verzichtet, die seiner noch harren und die Viele für etwas so Verlockendes, so Beneidenswertes Hallen. Das ist die ernste Wahrheit, welche diesen traurigen Fall über die Bedeutung einer nur vorübergehen­den, wenn auch erschütternden Thatsache er­hebt.

KünstLer:Vcrhnen.

Novelle von Stöcke rt.

Nachdruck verboten.

2 .

Der Strich ist die Hauptsache," meinte der alte Janko,und einen reinen, sichern Strich, um den ihn mancher Künstler hätte beneiden können, hatte er seinem vornehmen Schüler wirklich schon bcigebracht.

Stumm und ernst wurde der seltsame Unterricht im Geigenspiel so eine Weile fort; gefetzt. Die heiße Mittagsluft zitterte über der Haide, leise und traumhaft zirpten die kleinen Grillen; blaue und gelbe Schmetter­linge flatterten sorglos um die beiden ein­samen Menschenkinder, die da ganz und gar in der Ausübung der edlen Kunst der Mu- sika versunken waren, als gelte es eine hei­lige Lebensaufgabe zu erfüllen. Erst als Magnus die Hellen Schweißperlen von der Stirn tropften, beendete sein Lehrer den Unterricht, und mit einem Seufzer nahm dieser dann Abschied von der Geige, dem Schäfer und der sonnigen Haide, um den Weg nach dem Schlosse anzulreten.

So lange wie MagnnS denken konnte, hatte weder Gesang noch der Ton irgend eines Instruments durch die weiten Räume des Schlosses geklungen. Es wehte eben eine andere Luft dort oben wie hier draußen und die junge Seele des Heranwachsenden Jünglings hatte schon eine gewisse Empfin­dung von dem, was man Poesie und Prosa des Lebens nennt, wenn er von der Haide nach dem Schlosse znrückkehrte.

Die Stunden draußen ans der Haide bei dem alten' Janko waren das Stückchen Poesie, welches ein gütiges Geschick in sein reiferes Knabenalter gestreut, ein Stückchen Poesie, aus welchem sein junges phantasie- volles Herz reichlich Nahrung empfing, um sich dann mit der Sorglosigkeit, und dem leichte» Sinn der Jugend in der Welt der Träume zu schaukeln.

Das Leben auf dem Schlosse war ein stilles, streng geregeltes. Herr von Senden, der Onkel von Magnus, gehörte zu jenen

charakterfesten Menschen, die sich gewisse nn- ninstößliche Grundsätze zu eigen machen, nach denen sie dann leben und handeln. Nach solchen unumstößlichen Grundsätzen leitete er auch die Erziehung seines einzigen Soh­nes Walter und seines Neffen Magnus. Letzterer war schon im zarlen Alter von Herrn von Senden an Kindesstatt ange­nommen, und wurde auch dann noch, als Walter später geboren, ganz als ein Sohn des Hauses gehalten.

Mit großer Strenge wurden die beiden Knaben erzogen, der fast despotischen Herr­schaft des Herrn von Senden mußte sich eben ein Jeder im Schlosse fügen, auch seine Gemahlin machte davon keine Ausnahme. Sie war eine zarte, schwächliche Dame, die sich in allen Stücken dem Willen ihres Mannes unterordnete, welche Fügsamkeit ihr dieser allerdings auch mit der zärtlichsten Liebe lohnte.

Nur ein Wesen gab es, allerdings keine Bewohnerin des Schosses, aber ein häufiger Gast in demselben, das durchaus keinen Re­spekt vor dem gestrengen Herrn hatte; daö war Eveline v. Bork, ein holdes Mädchen von ungefähr zwölf Jahren.

Sie lebte mit ihrer Mutter, die seit einigen Jahren verwitwet war, ganz in der Nähe des Schlosses, und nahm an dem Untericht des Hauslehrers von Walter und Magnus Teil. Täglich wandelte Eveline, die Schulmappe am Aru, den kurzen Weg von ihrer Wohnung, nach der Sendenschen B-sitzung. Ein verwöhntes Kind des Reich­tums trat sie auch hier, wie überall, mit Nr ganzen Sicherheit solcher verhätschelten Töchter auf; dabei besaß sie aber eine An­mut, eine Liebenswürdigkeit, die ihr aller Herzen gewann.

Auch Herr v. Senden vermochte diesem Zauber nicht zu widererstehn, und vor dem holden Liebreiz Evelinens sebwaud seine kalte, nnbengsame Strenge, und was oft Walter und Magnus mit allen Bitte» bei dem Schloßhcrrn nicht erreichten, wußte Eveline stets mit allerliebsten Schmeicheleien oder wunderlichen Trotz durchzusetzen.

Herr v. Senden verknüpfte allerdings mit der in wenigen Jahren zur blühenden Jungfrau Heranwachsenden Evelme schon klare, bestimmte Zukunftspläne. Sie sollte die Gemahlin seines Sohnes werden, das stand so unwiderruflich fest bei ihm, wie daß Walter einst als Herr v. Felsencck, so hieß das Schloß nebst Rittergut, hier in seine Fußstapfen treten würde.

Für Magnus, der kein Vermögen besaß, hatte Herr v. Senden die medizinische Ca- riöre bestimmt, ziemlich unbekümmert darum, ob Magnus Lust und Neigung dazu hatte, Arzt zu werden.

Seit eine Prinzessin die Gemahlin eines berühmten Arzt-s geworden, stand Herrn v. Senden dieses Studium höher als jedes andere, und war darum auch des Sohnes seiner Schwester nicht unwürdig.

Die drei jungen Leute, die da heute an dem heißen Sommernachmittag, sorglos ans dem Rasenplatz im Parke Ball spielten, ahnten nun wohl noch nichts von diesen Plänen für ihre Zukunft. Waren sie doch noch alle drei in dem glücklichen Alter, in welchem das Leben noch, wie ein unbestimm­tes, aber leuchtendes farbenprächtiges Traum­bild vor uns liegt.

Jetzt kam auch der Hauslehrer und unter seiner Leitung spielten die jungen Leute Croau.t.

Eveline entwickelte dabei eine Grazie, gegen welche die Bewegungen der beiden Jünglinge, welche um einige Jahre älter als Eveline waren, beinahe plump erschienen.

Herr v. Senden, der mit seiner Gemahlin und Evelinens Mutter den jungen Leuten zuschaute, blickte voll unverholener Bewun­derung auf Evelinen, seinen Liebling.

Welche Elasticität und welche blühende Gesnndtheit Ihre Tochter besitzt," wandte er sich jetzt an Frau von Burk, und dächte dabei, welch eine frische blühende Schloß- fran Eveline einst werden würde, im Gegen­satz zu seiner blassen kränklichen Gemahlin.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Lertag von Bernhard H osmann ln Wildbao.