Mussolini.

Heber die Persönlichkeit und die Pläne Mussolinis schreibt dieFrankfurter Zeitung" folgendes: Mussolini ist plötzlich der Herr Italiens geworden. Er hat eine selt­same Laufbahn hinter sich, die in manchen Zügen an Ge­stalten der italienischen Renaissance erinnern mag. Er ist Volkstribun, Condottiere und Diplomat, er ist Sozialist und Nationalist, Verschwörer seinem innersten Wesen nach und Ordnungsmann, der, wie es scheint, nach dem Eewalt- streich sofort die Regierungsmaschine wieder auf den nor­malen Gang einzustellen beabsichtigt. Man geht wohl fehl, wenn man versucht, die von ihm organisierte Bewegung mit Erscheinungen in andern Ländern zu vergleichen, die auf den ersten Blick gewisse Ähnlichkeiten zeigen. Sie mag die gleichen Ursprünge haben, sie ist aber in ihrem Kern spezifisch italienisch und nur aus dem italienischen Volkscharakter heraus zu erklären. Mussolini war ur­sprünglich ein Führer der Sozialisten. Der Krieg machte ihn zum Nationalisten, der indessen weder die sozialen Ideen noch die revolutionären Methoden vergaß. Er blieb vor allem den Methoden treu. Seine geistigen Väter sind die französischen Revolutionäre Blanqui und Georges So- rel, die von der Energie einer Minderheit und den direk­ten Gewalttaten der organisierten Massen die Neubildun­gen in Staat und Gesellschaft erwarteten. Man sagt, daß auch Nietzsche Einfluß auf ihn gehabt habe. Jedenfalls hckt aber Mussolini diese verschiedenen Elemente seiner Welt­anschauung in dem Schmelztiegel seines italienischen Tem­peraments zu einem Ganzen eigenen Gepräge verschmolzen. Mussolini ist vor allem Revolutionär. Ob er imstande sein wird, sein organisatorisches Werk, den Aufbau der faszistischen Partei, durch ein positives Programm prakti­scher Reformen zu bekrönen, muß abgewartet werden. Dar­in ist er von der keineswegs einheitlichen politischen Ge­dankenwelt seiner Parteigenossen abhängig, die vom fa­natischen Republikanertum bis zu konservativen monar­chistischen Staatsausfassungen reicht. Diese Verschiedenar- tigkeit hängt mit der Entstehung des Faszismus zusammen. Die ersten Keime lagen in jenen den Sturmtrupps der Front nachgebildeten Gruppen derarditi", die in ihrem jugendlichen Chauvinismus sich gegen die Friedensverträge auflehnten, da diese nicht alle Hoffnungen des italienischen Nationalismus erfüllt hatten. Die Expedition nach Fiume bleibt das charakteristische Merkmal dieses Arditismus, der auch d'Annunzio eine Zeitlang begeistert hat. Aber diese Aufgaben genügten den Führern nicht. Ihre nächste Ar­beit richtete sich gegen den revolutionären Kommunismus, dessen Terror mit dem gleichen Terror beantwortet wurde. Mussolini baute nach dem Muster der sozialistischen Orga­nisationen die faszistische Organisation aus, gab ihr aber einen militärischen Einschlag und den nationalistischen Erundzug. Diese Gruppierungen umfaßten Angehörige aller Eesellschaftsschichten, die in den sogenanntenfg8ci cii Lombattimento" wiederum an die Sturmtrupps der Kriegsheere erinnerten. DieseBündel" führten ihre Stöße überall dahin, wo der Parteileitung etwas nicht in Ordnung schien, vornehmlich gegen die linksradikalen Ar­beiter. So kam es zu den blutigen Zusammenstößen, die seit einigen Jahren bald da, bald dort in Italien sich er­eigneten. Der Vorstoß nach Südtirol war die letzte grö­ßere Aktion dieser Art gewesen. Mussolinis Pläne wuchsen mit seinen Erfolgen. Sein größter Erfolg bestand darin, daß er die sozialistischen Parteiorganisationen schwer er­schütterte und durch die Aufnahme sozialer Forderungen breite Masten der Arbeiter zu sich herüberzog. Mussolinis Vorgehen weist hier große Ähnlichkeit auf mit der Tak­tik seines großsn Gegenspielers Don Sturzo, des Gründers und Führers derPopolari", der katholischen Volkspartei. Auch Sturzo hat das Parteiprogramm der Katholiken durch die Aufnahme extremer sozialer Forderungen, wie die Auf­teilung des Großgrundbesitzes, erweitert und dadurch den Sozialisten Anhänger entzogen. Don Sturzo hat Mussolini bis jetzt hart bekämpft. Wenn es zu Neuwahlen kommt, wird sich vielleicht zwischen diesen beiden der wahre Kampf um die Wählermasten abspielen. Don Sturzo, den man den neuen Savonarola genannt hat, ist ein ernster Geg­ner. Mussolini freilich wird über den Regierungsapparat verfügen. Wie der Kampf ausgehen wird, hängt von den bürgerlichen Schichten ab, die allerdings sich klar entscheiden müssen, wenn sie nicht zerrieben werden wollen.

Ausland.

Die Nationalratswahlen in der Schweiz.

Bern, 2. Noo. Die Nationalratswahlen ergaben folgendes Resultat: Mitgliederzahl des Nationalrats 1S8 (bisher 189). Die Sitze verteilen sich wie folgt: Freisinnige 59 (59), Katho­lische Konservative 44 (41), Sozialdemokraten 43 (38), Vauern- und Bürgerpartei 35 (31), Liberale Konservative 10 (9), Sozial­politische Gruppe und Partei 5 (8), Kommunisten 2 (3).

Jur Vorbereitung der Wahlen in England.

London, 1. Nov. Nach einer Reuter-Meldung wurden für die Wahlen zum Parlament aufgestellt: 452 Konser­vative, 170 nationale Liberals, 308 unabhängige Liberale, 410 Arbeiterparteiler. Es kandidieren 33 Frauen, die ver­schiedenen Parteien angehören. Falls die nationalen Li­beralen ihre angedrohten Wiedervergeltungsmaßnahmen gegen die Konservativen ausführen, wird sich die Zahl der nationalen liberalen Kandidaten erheblich vermehren. Hierzu wird ergänzend gemeldet: Die politische Lage hat plötzlich eine neue Wendung genommen. Während in eini- gen Distrikten die nationalen Liberalen durch die Konser­vativen unterstützt werden, machen an anderen Orten die Konservativen den nationalen Liberalen die Spitze streitig.

London. 1. Noo. Der frühere Kriegsmintster Evans hat in Lolchester eine Rede gehalten, in der er sagte, wenn das Ergeb­nis der Wahlen es Donar Law möglich machen sollte, die Regie­rung zu bilden, werde er diese unterstützen. Wenn aber, was wahrscheinlich der Fall sein würde, keine Partei imstande sein, sollte, die Regierung aus ihren eigenen Mitgliedern zu bilden, dann werde er sich die Freiheit Vorbehalten, mit den nationalen Liberalen zusammenzuwirken.

London, 31. Okt. Die Blätter melden, daß Bonar Law beabsichtige, sein Ministerium unverzüglich zu vervollstän­digen, nicht erst nach den Wahlen, wie von verschiedenen Seiten gemeldet worden sei. Die Konservativen von Car- narvonshire beschlossen, sich der Wiederwahl Lloyd Georges in dankbarer Anerkennung seiner im Kriege geleisteten Arbeit nicht zu widersetzen, sofern er versichere, daß er Bo­nar Law bei seinem Widerstand gegen die Kommunisten unterstütze.

Die Zustände in Irland.

London, 1. Nov. Eine Abteilung Aufständischer hat in Irland mit Unterstützung von Panzerautos die Station von Clifdon angegriffen und sie zur Kapitulation gezwun­gen. Auf beiden Seiten gab es mehrere Tote. 89 Mann der Regierungstruppen wurden gefangen genommen.

London, 1. Nov. Einer Vlättermeldung zufolge wurde in Dublin von den Rebellen versucht, das Polizeibureau in die Luft zu sprengen. Dabei sind 6 Personen verwundet worden. Es wurde eine Anzahl von Verhaftungen vor­genommen.

London, 2. Nov. (Reuter.) In Dublin wurde gestern der Ver­such gemacht, die Einkommenssteuerämter in verschiedenen Stadtteilen in Brand zu setzen. Die Gebäude blieben unbeschä­digt. Es wurden aber wertvolle Papiere vernichtet.

Eine Propagandarede Lenins.

Moskau, 1. Nov. In der heutigen Sitzung der viertkn Tagung der Allrussischen Zentralexekutive hielt Lenin eine Rede, die den Arbeiten der von April bis September abgehaltenen Tagung gewidmet war. Lenin begrüßte zu­nächst dis Besetzung des fernen Ostens durch die Rote Armee als einen Sieg über die letzten Reste der Gegenrevolution» Die Räumung des fernen Ostens sei gleichzeitig ein Sieg der russischen Diplomatie, die auf der bevorstehenden Kon­ferenz von Lausanne hoffentlich ebenso erfolgreich die Rechte der Sowjetrepubliken vertreten werde, oder wenigstens den Volksmassen die wahren Hindernisse zur Verwirklichung der gerechten Forderung Rußlands zeigen werde. Lenin betonte die Bedeutung des von der Tagung angenomme­nen Arbeitskodex, der die Unantastbarkeit des Achtstunden­tages und andere Grundlagen der Arbeitergesetzgebung in einem Augenblick kategorisch festlege, wo die internationale Bourgeoisie zur Offensive gegen die Arbeiterklasse übergehe. Das industriell zurückgebliebene Rußland werde in kurzer Zeit das imperialistische Ausland technisch einholen und zwar in einem Tempo, das im Ausland unbekannt sei. Durch die Annahme des Bodenkodex habe die Sowjetmacht neuerlich den Interessen der Bauernschaft Rechnung ge­tragen. Das neu angenommene Gesetz über das Gerichts­verfahren könne dem Ausland als Beispiel vorgehalten werden. Die Sowjetmacht werde die Grenzen zwischen den gerechten Forderungen der Bürger im Zusammenhang mit der neuen Wirtschaftspolitik scharf ziehen. Die Vervoll­kommnung des Verwaltungsapparats und die Bekämpfung der Bureaukratie bleibe eine wichtige Aufgabe, die mit dem Aufschwung der Arbeitermassen zu einer höheren Kul­turstufe gleichbedeutend sei. Die Ausführungen Lenins wurden stürmisch begrüßt.

Aus der russischen Volkswirtschaft.

Moskau. 26. Okt. (Rust. Tel.Ag.) Der Statistiker Po­pow weist in derEkonomitscheskaja Shisn" auf die Not­wendigkeit hin, die Ausfuhr von 40 bis 100 Millionen Pud Getreide in das Ausland über die Südhäfen zu ermögli­chen. Die Erschließung der Auslandsmärkte werde die Ent­wickelung der Landwirtschaft und des Außenhandels beson­ders fördern. Das allrussische Zentralexekutivkomitee prüft die neue Arbeitsordnung, welche de facto die Ar­beitspflicht aufhebt und die Kollektivverträge, die Schlich­tungsordnung und die Rechte der Gewerkschaften regelt. An der Ausarbeitung der Ordnung haben die Gewerkschaf­ten teilgenommen. Sie gibt statt der bisherigen allgemei­nen Erklärungen eine wirkliche Gesetzgebung. Die Ord­nung wurde angenommen und den Sachverständigen, Ge­werkschaftlern und Wirtschaftlern zur Redigierung überge­ben. Das neue Gesetz über das Gerichtsverfahren wurde ebenfalls angenommen. Es setzt an die Stelle der bishe­rigen Behörden drei Instanzen: Volksgericht, Tribunal, oberstes Tribunal. In den nächsten Tagen wird der Rat der Volkskommissare einen Gesetzentwurf über die Emis­sion neuer Geldnöten im Jahre 1923 beraten. Sokolm- kow wies auf der Finanzkonferenz darauf hin, dqß die Teuerung nicht mehr so stärk fortschreite. Der Warenindex sei im Anfang des Jahres um 190 Prozent monatlich ge­stiegen, vom August ab aber nur um 8 Prozent. Er machte Mitteilungen von der bevorstehenden Ausgabe einer Prä­mienanleihe über 100 Millionen Eoldrubel.

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Vermischtes.

Maßnahmen in Danzig gegen de« «her:-,düe:: Alk-Hslgeüuß.

Berlin, 1 . Nov. Um dem übermäßigen Alkoholgenuß zas steuern, ist vom Danziger Polizeipräsidium eine Verfügung ergangen, wonach das Offenhalten der Likörstuben nur noch an drei Tagen innrer Woche und da nur aus einige Stun-i den gestattet wird. >

Die Ansdehnung des amerikanischen Alkohol­verbots auf die fremden Schiffe.

Bremen, 28. Okt. (Wolfs.) Bösmanns meldet: Nach einem in Bremen eingetroffenen Kabeltelegramm aus New- york ist die amerikanische Prohibitivsverordnung dahin geändert worden, daß es fremden Dampfern bis zur Ent­scheidung des höchsten Gerichtshofes, die wahrscheinlich im Dezember fallen wird, gestattet sein soll, ihre volle Aus­rüstung an alkoholischen Getränken mit sich zu führen. Die Vorratsräume sind vor Eintritt in die amerikanischen Ge­wässer zu versiegeln. Die Dampfergesellschaften haben eine Eingabe an den höchsten Gerichtshof gerichtet.

Die üblichen Zugzusammenstötze in Frankreich.

Paris, 30. Okt. Gestern früh ist der Eilzug ParisBrest auf dem Bahnhof von Chantel-Darn (Cüte du Nord) mit einem rangierenden Eüterzug zusammengestoßen. Nach den ersten Nachrichten sollen 6 oder 7 Personen getötet und mindestens 10 verletzt worden sein.

Eine russische Landwirtschaftsausstellung 1921.

Moskau, 31. Okt. Der Rat der Volkskommissare kün­digt in einer Verordnung die Veranstaltung einer russi­schen Landwirtschaftsausstellung im August 1923 an. Dis Ausstellungskommission beschloß, diejenigen Staaten zur Teilnahme an der Ausstellung einzuladen, die mit Ruß­land politische oder wirtschaftliche Beziehungen unterhal­ten. In Einzelfüllen werden auch andere Staaten geladen. Eine deutsche und eine amerikanische Abteilung werden be, reits vorbereitet. Herriot gab seinerzeit auch den Wün­schen Frankreichs nach Teilnahme Ausdruck. Von Schwe­in und Norwegen sind bereits Anmeldungen eingelaufen. Dänischen Firmen uvird die Teilnahme wegen der Haltung der dänischen Regierung versagt. ^

Weitere Einwanderungsbefchränkungen in den Vereinigten Staaten.

Der Vorsitzende des Einwanderungskomitees im Eeprä- sentatenhaues, Johnson, hat in einer Rede im Kongreß dis Anregung gemacht, die Einwandererquote aus zwei oder nur anderthalb Prozent zu reduzieren, was die Anzahl von Einwanderern aus Ländern vermindern werde, welche zu großen Quoten berechtigt sind. Eine vollständige Suspen­dierung der Einwanderung sei nicht möglich, man dürfe den nächsten Verwandten von amerikanischen Bürgern, den Vätern, Müttern und Kindern nicht die Möglichkeit ver­sperren, einzuwandern, wohl aber ihren Onkeln, Vettern und Tanten.Auch geistig minderwertige Personen" und leitch erregbare Klassen" sollen ausgeschlossen werden kön­nen. Außerdem soll eine gründlichere körperliche Unter­suchung der Einwanderer stattfinden.

Deutschland.

Die Aendsrung des Getrerdeumlagegefetzes.

Berlin, 1. Nov. Das Gesetz zur Abänderung des Getreide« gesetzes ist inzwischen veröffentlicht worden; es sieht eine Er­höhung der Preise für das erste Drittel der Umlage, für Roggen auf 28 300 -4t, für Weizen auf 39 399 ^t, für Gerste auf 27 399 -4t, für Hafer auf 25 599 -4t die Tonne vor, also rund eine Vervier­fachung des bisherigen Preises. Des weiteren sind in dem Gesetz die Ablieferungsfristen für das 2. und 3. Drittel der Umlage da­hin geändert worden, daß bis zum 31. Dezember 1922, bis zum 31. Januar, 28. Februar, 15. April 1923 je ein weiteres Sechstel der Umlage zu liefern ist und daß für jedes dieser Sechstel der, Preis nach dem im Gesetz vom 4. Juli 1922 für die beiden letzten' Drittel der Umlage angeordneten Verfahren festgesetzt wird. Endlich ist die in dem Gesetz vom 4. Juli 1922 vorgesehene Mög­lichkeit zur Ablösung der Ablieferungspflicht von Originalsaatgut durch einen Geldbetrag ausgedehnt worden auch auf anerkanntes Saatgut für die Frühjahrsbestellung. WTB. ,

Eine neue Teuerungsaktion der Beamten r für November.

Berlin, 1. Nov. DieB. Z. am Mittag" meldet: Nach-' mittags haben im Reichsfinanzministerium die Verhand» lungen über die neuerliche Teuerungsaktion der Beamten für November begonnen. Nach den gestern abgeschlossenen Vereinbarungen mit den Organisationen der Reichs- und Staatsarbeiter erhalten im November die Handwerker pro Stunde 117 Mark, die Vorarbeiter 120 Mark, die Werk- führer 123 Mark und die ungelernten Arbeiter 197 Mark.

Der deutsche Beamtenbund gegen das Zusammen­gehen mit den Arbeiterorganisationen bei Teuerungsaktionen.

Berlin, 1. Nov. Gestern Nachmittag fand in Berlin eine Besprechung sämtlicher Spitzenorganisationen der Be«j amten- und Arbeiterschaft des Reichs, ausgenommen ders christlichen Organisationen, statt, worin über neue Teue-s rungsaktioncn beraten wurde. Die Frage, ob auch künf-' tighin Teuerungsaktionen für Beamte und Arbeiter ge-s meinsam erledigt werden sollen, wurde von den Vertretern' des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Allgemeinen Deutschen Veamtenbundes bejaht; die Ver^ treter des Deutschen Veamtenbundes verneinten dies. Eie> erklärten, daß ihr neues Programm dahin gehe, den Zu«' sammenhang in Beamten- und Arbetterfragen zu^lösen^