Rundschau.

Stuttgart, 24. Sept. (Zum Kaiser- bcsuch.) Die Vorbereitungen sür eine» wür­digen Empfang des Kaisers sind in vollem Gange. Por dem Königsbau wird Tag nnd Nacht eifrig an der Via trumpkalia gearbeitet; sogar am gestrigen Sonntag muß­ten der kurzen Zeit wegen die Arbeiten aus­genommen werden. Im K. Residenzschloß werden die im östlichen Flügel gelegenen Ge­mächer König Wilhelms, für welche sich der Kaiser gleich seinem Großvater entschieden, aufs prunkvollste hergerichtet. Zum Ehren­dienst beim Kaiser soll während seines hiesi­gen Aufenthalts eine Ehrencompagnie des Wcingartener Kaiser Wilhelm-Regiments be­fohlen werden. Die Serenade am Donners­tag abend gedenkt, wie mau hört, der Liedcr- tranz durch das Professor Speidelsche Lied: Heil Dir, Wilhelm! welchem Emil Engel­mann für die diesmalige Gelegenheit einen besonderen Text unterlegen wird, einzuleiten.

Prinz Wilhelm von Württemberg ist zum General der Kavallerie befördert worden.

Stuttgart, 22. Sept. Die frühere, so berühmte Primadona unserer Hofoper, Kam­mersängerin v. Marlow ist heute abend im Theater, wo sie der Aufführung von Wag- »er'sRheingold" beiwohnen wollte, infolge eines Lungcnschlagcs plötzlich gestorben.

Ludwkgsdurg, 23. Sept. Letzten Frei­tag abend nach 9 Uhr kehrten die hiesigen Jnfanteriebataillone aus dem Mauöver hier­her zurück. Viele Häuser, namentlich die Kasernen und die Gasthäuser waren zu Ehren der heimkehrcndcn Krieger beflaggt und schön geschmückt, zuin Teil auch bengalisch beleuch­tet. Gestern vormittag zwischen 9 und 10 Uhr kam die Kavallerie zurück, bei welcher am Montag die Beurlaubungen stattfinden. Die Urlauber bei der Infanterie wurden schon gestern nachmittag in die Heimat entlassen.

Großingersheim, 22. Sept. DieN.-Z schreib: Als gestern nachmittag ein Nach­bar der alt Kaiserschen Eheleute deren Scheuer betrat, um eine Gelte zu suchen, vernahm er ein Geräusch von oben, zugleich fiel auch Brot auf die Tenne herab. Mehrere her- beigcrufene Nachbarn stiegen alsbald in die oberen Räume und fanden da einen etwa 20 Jahre alten Menschen in ZüchtlingS- kleidern. Derselbe setzte sich heftig zur Wehr, endlich gelang es aber doch, ihn mit dem Auszugsseil zu binden und so in die Scheuer hinabzulasscn, von wo er gebunden zur Poli­zei abgesührt werden sollte. Da bemerkte ein Bürger, daß vom Dach Ziegel herab- siclen; es mußte also noch jemand dort oben sein. Wieder stiegen mehrere Männer hin­auf und trafen auch wirklich einen zweiten Burschen an, welcher bereits ein Kleid der Frau Kaiser angezogen und oie Absicht hatte, durch das Dach zu entfliehen. Er zerriß schnell das Kleid, trat jedoch dann ruhig den gewöhnlichen Rückweg auf der Leiter an. Auf dem Boden fand man unter anderem die gesuchte Gelte mit Most gefüllt, einen Laib Weißbrot, einen halben Zuckerhut und sonstige Eßwaren, aber auch einen.alten, schweren, eisernen Gewichtstein, welcher wahr­scheinlich in der folgenden Nacht beim Geld­sachen die sehr bejahrten Kaiserschen Ehe­leute beruhigen sollt«. Bemerkenswert ist noch, daß der eine der Gauner vor Jahren bei einem Vetter der Bestohlenen als Waisen­knabe aufgezogen wurde und deshalb sehr

lokalkundig war. Beide wurden sogleich ans Amtsgericht Besigheim eingeliefert. Dieselben sind am Mittwoch dem Zuchthaus Ludwigs- bnrg entsprungen und ihren Personalien nach der 20 Jahre alte ledige Bierbrauer Joseph Jäggle von Eutingen, OA. Ried­lingen, und der 29 Jahre ledige Dienstknecht Johann Wieland von Oberroth, OA. Gail­dorf.

Waldsee, 21. Skptl In der Nacht von gestern auf heute wurde, wie der O. A. meldet, ein 28jähriger Bauernsohn von Gwigg, der seinem erkrankten Schwager in Menisweiler das Hauswesen führte, ans dem Heimweg von einer Hochzeit, die in Roß­berg gehalten wurde, wegen eines harmlosen Wortwechsels im Beisein weiterer Kameraden von dem Dienstknecht Friedrich Weiß von Eugerazhofen durch einen Stich in den Hals derart verletzt, daß er nach wenigen Schrit­ten tot zusammenbrach. Der Thäter, all­gemein als roher, brutaler Mensch bekannt, lief mit seinem Nachbarknecht, wie wenn nichts vorgefallen wäre, seines Weges weiter, ging daheim ruhig zu Bett, wurde aber heute früh in sichern Gewahrsam gebracht.

Das Obst wird immer billiger. Auf den Märkten vom 19. und 21. wurde in Friedrichshafen und Tettnang der Zentner Mostobst zu 1 M. 30 Pf., 1 M. und zu 80 Pf. und in Tettnang noch billiger ver­kauft. Tafelobst kostet in Tettnang eben­falls 80 Pf. bis 1 M-, in Friedrichshasen 1 M. 50 Pf. Aus der Schweiz berich­tet dasSeebl." , daß in Fraucnfeld auf dem letzten Obstmarkt der größere Teil der Zufuhr wieder nach Hause geführt wurde, weil die Ware absolut nicht begehrt war. Verkäufer, welche dieselbe nicht mehr mit- nchmen wollten, gaben sie nach Schluß des Marktes zu allen Preisen ab. Den Land­wirten wird geraten, unter solchen Umstän­den lieber zu mosten, zu brennen u. Lager­obst einznlegen, als zu verkaufen.

Nach der neuesten Statistik über den Gustav-Adolf-Vcrcin umfaßt der Gesamt­verein 45 Hauplvereine. In Verbindung mit diesen wirken 1764 Zweigvereine, 421 Fraucnvereine und 9 Studentcnvcreine. Die Gesamtsumme aller seit der Gründung des Vereins (1832) eingelaufenen Gaben be­trägt über 21 Millionen Mark. 3330 evangelische Gemeinden im In- und Aus­land haben Unterstützung empfangen und sind dem Siechtum entrissen. Im vergang­enen Jahre hat der Gustav-Adolf-Verein 9 neue Schulhäuser, 4 neue Kirchenbautcn be­gonnen. Desgleichen wurden im verflossenen Jahre 17 mit Hilfe des Vereins erbaute evang. Kirchen und Kapellen und 4 Schul- häuser cingeweiht, 4 Pfarrhäuser vollendet.

Berlin, 22. Sept. Wie verlautet, lehnte der Kaiser das von der Stadt Köln ange- botcne Gürzenich-Bankett ab, weil er die Stadt auf seiner Reise gar nicht berühren wird. Es ist demnach der ursprüngliche Plan aufgegeben und der Weg von Detmold nach Stuttgart wohl über Frankfurt a. M. gewählt.

Die jüngste Ausgabe derDeutschen Rundschau" enthielt ein 32 Seiten großes Lagebuch Friedrich III., welches er als Kron­prinz während der ganzen Dauer des deutsch« französsischen Krieges 1870 71 geführt hat und aus dem hervorgebt, daß Friedrich allein mit großer Entschiedenheit für die Wicder- ausrichtung des Reiches und des Kaisertums

eintrat, während König Wilhelm, Bismarck und andere diesem Gedanken lange wieder- strebten und sich nur zögernd zu seiner Ver­wirklichung entschlossen. Das Tagebuch enthält viele interessante Einzelnheiten über die damals entscheidenden Personen und Vor­gänge.

Dem General der Inf. v. Werder Gouverneur von Berlin, ist der nachgesuchte Abschied bewilligt worden. Generaloberst v. Pape hat seine Funktionen übernommen.

Als ein Geschenk König Oskars, von Schweden an Kaiser Wilhelm traf am Sonntag über Stralsund ein mächtiges 6- jährizes Elchtier in Berlin ein, das König Oskar bei einer am Freitag auf Hunnc- berg abgehallcnen großen Elchtierjagd, zu welcher auch Kaiser Wilhelm eingeladen wor­den war, geschossen hatte. Das mit einem prächtigen Geweih geschmückte Tier wog nicht weniger als 400 Kilogramm.

Gesunde Naturen diese bayerischen Burschen! Geriet da kürzlich der Müller Haberstumpf mit seinem Vetter Eichenmüller in Langerchrück bei der Heimkehr in Streit, in dessen Verlauf ersterer dem letzteren einen tiefen Messerstich in den Unterleib versetzte. Der spürte aber davon gar nichts, sondern prügelte sich wacker weiter herum und ging schließlich wohlgemut nach Hause. Dort merkte er erst, daß ihm ein Darm zum Leibe heraushing I Der Arzt erklärte die Verletz­ung sür höchst gefährlich, nichts destoweniger war der Verwundete in 8 Tagen wieder munter und gesund. Der Messerheld er­hielt übrigens vom Gericht in Nürnberg ein Jahr Gefängnis.

Durch eine Wrrnderkur irrsinnig ge­worden. Die Frau eines Gutsbesitzers -in Löwenberg war sehr nervös und hatte auch an Krämpfen zu leiden. EinWunder­doktor" wollte ihr nun Heilung bringen und gab ihr den Rat, bei dem nächsten Begräb­nis mit einer langen Rute in das offene Grab zu schlagen. Die Frau folgte dem Rate, wurde aber bei dieser Handlung von einem Grausen befallen und viel ohnmächtig nieder. Sie kam wieder zu sich, war aber irrsinnig geworden und mußte in eine Irren­anstalt verbracht werden.

Frankreich. Die Blätter brachten die Meldung von einem Attentat auf einen höheren Offizier in Belfort. Pariser Hetz­blätter beeilten sich nun, aus dem Mörder einen Deutschen zu machen. Sie verkünde­ten mit Wutausbrüchen den Mord und for­derten dafür Rache, indem sic von der Negier­ung sofortige Repressalien gegen die Deut­schen verlangten. Nachträglich stellt sich nun heraus, daß der Mörder kein Deut­scher war, vielmehr ein Franzose.

(Eine kleine Störung.) Am 6. d. sollte die Vermählung der siebenzehnjährigen Gertrud Jaffe mit dem Geldwechsler Loven« berg in Newyork stattfinden. Eine große Gesellschaft versammelte sich im Hause der Braut; diese selbst stand im schönsten Schmuck, den Gästen die Honneurs machend. Plötz­lich wurde der Vater abberufcn und bald darauf holte man auch die Braut in ein Nebengemach. Nach einer Pause von fünf Minuten kehrte Gertrude in denEmpfangS- salon zurück und sagte den Versammelten: Mein Bräntigam hat sich aus bis nun un­bekannten Gründen erschossen, somit fällt die Trauung, zu der wir Sie geladen, weg. Diner und Ball aber, zu welchen bereits