Sängers» st.
Wer aus engem Lebensweise
Will ins Land der Träume flieh'«, Trete mit deS Liedes Weise Her zu uns, wo Lieder blüh'n.
Nicht des Tages schwere Plage
Fühlt der leichtbeschwingte Sang, Denn der düstr'e Laut der Klage Schwindet vor des Liedes Klang.
Liebt der Sänger doch das Milde,
Wo er's trifft, an jedem Ort, Und cs strahlt in reinem Bilde Ihm des Schönen edler Hort.
Weib und Sänger sind erkoren
Zu der Schönheit hohem Gut. Nimmer bleibt das Lied verloren, DaS mit Milde paart die Glut!
Wei«, Du edles Blut der Reben,
Kreise schäumend im Pokal! Denn Du bringst das wahre Leben Hier in unfern Frcudensaal.
Und Gesang erschalle nieder
Mit des Donners Tongewalt,
Bis vom Hellen Klang der Lieder Rings der Luflkreis wiederhallt I
Motto: Wer nicht liebt, Weib, Wein und Gesang Bleibt ein Narr sein Leben lang.
Dr. Martin Lu'her.
Bleibt uns Sänger nur die Leycr
Auf des Lebens rauher Bahn, Leuchtet uns ihr lieblich' Feuer Auch den steilsten Pfad hinan. Ein Gesühl entflammt uns Alle: Das der frohen Sangeslust,
Und niit mächt'gem Wogenprallc Schäumt hervor cs aus der Brust.
Narr ist, wer das leichte Leben
Sich mit dumpfen Grame trübt! Kommt, wir werden ihn erheben, Wenn er sich mit uns geübt! Sein Gemüt wird sich erhellen,
Wenn das frohe Lied erklingt, Das ihm mit den Zauberwcllen In der Seele Tiefen dringt!
Leben wir doch in dem Glanze
Unsrer schönen Jugendzeit! Brecht den Strauß v. Blülenkranze, Eh' ihm rasch der Winter dräut! Lang und feurig soll es schlagen,
Unser Herz, für edlen Klang I Auf der Fahne laßt uns tragen: Liebet Wein, Weib und Gesang!
Gine Täuschung.
Novklette von H. v. Ziegler.
Nachdruck verboten.
1.
„Nun mein Fräulein," rief die ältere Schwester etwas spitz, „wo bleibst Du denn 2 Wir wollen zur Kirche und Du bist noch nicht einmal angezogen I Wo stecktest Du Venn?"
„Ich hübe Mutter Brigitte's Hand verbunden," erwiderte Ruth freundlich, griff nach einem Gesangbuch und zog hastig seine dänische Handschuhe an. Väterchen, sei nicht böse, daß ich Dich habe warte» lassen!"
„Bewahre, liebes Kind," erwiderte Herr von Stein nachdrücklich, „Du hast ein Samariterwerk ausgeübt und das wird unser Hergott Dir lohnen. Nun kommt, Kinder, wir gehen jetzt."
Fräulein Nora sah etwas zweifelnd auf das schlichte sandfarbene Wollenklciv ihrer Scbwester, sowie deren breitrandigen Gartenhut; cS stach beides sehr schroff von ihrer eigenen matililascidnen Toilette ab, die sie, im Verein mit dem dazu passenden Copote- hütchen, zum Entzücken kleidete. Sie war eine stolze Schönheit, deren regelmäßiges, griechisch geschniltnes Gesicht mit dem zarten Teint und den dunkelblauen Augen von kastanicnfarbnen Haar eingcrahmt war. Nora wußte genau, daß sie schön war, deshalb trug sie den seinen Kops so hoch und die schlanke Figur so aufrecht; es gab in der ganzen Gegend keine Dame, welche sich mit ihr vergleichen konnte, freilich auch keine, welche ein so kaltes, unnahbares Wesen besaß. Neben ihr verschwand die kleine, zierliche Ruth beinah vollständig, deren rosiges Gesichtchen mehr durch Liebreiz und jugendliche Frische als regelmäßige Schönheitslinien auffiel; überall stellte Ruth sich auch selbst gegen die schöne Schwester zurück, die sie
unbeschreiblich bewunderte. „Aschenbrödel" nannten sie die Leute im Schloß und im Dorf heimlich, aber sie liebten sie herzlich, während Nora „das gnädige Fräulein" nur den notwendigen Tribut an Hochachtung erhielt.
Als die Gutsherrschaft in dem Kirchenstand erschien, schaute drüben von einem der Chorplätze ein hoher, stattlicher Mann auf und im selben Momente färbte sich Fräulein Ruths Gesichtchen purpurrot. Auch Nora sah den Fremden prüfend an, er machte einen vornehmen, aristokratischen Eindruck, sie hatte ihn noch nie gesehen, aber im selben Momente schon flog der Gedanke durch ihren schönen Kops: Es ist sicher der neue Besitzer von Tzendrin! Er ist hier bei uns eingefparrt und sollte diese Woche ankom- men!"
Unwillkürlich schob die junge Dame die Schleife am Gürtel zurück und zog den langen, perlgrauen Handschuh glatt, dann blickte sie hinüber und begegnete einem dunklen Augenpaar, welches den gleichen Zweck verfolgte. Herr von Barnow war unleugbar ein schöner, stattlicher Mann mit interessantem Gesicht und wohlgepflegtem Vollbart.
Die beiden Schwestern folgten heute der Predigt nur recht unaufmerksam, der Gegenstand ihrer Gedanken war ein anderer und — derselbe! Auch der stattliche Babnow mußte immer wieder nach der gutsherrlichen Loge blicken. Ein zitternder Sonnenstrahl glitt üver de» breitrandigen Strohhut der kleinen Nnth, welcher das frische Gesichtchen verbarg, aber der Sonnenstrahl haftete schlim- mernd an Noras wunderschönen Zügen, welche so zart und entzückend unter dem duftigen Cröpeschleier hcrvorsahen! Sinnend hing BarnowS Auge an der stolzen Schönheit. Hatte er denn die kleine Waldelfe bereits vergessen?
Kaum war Herr von Stein mit seinen
Töchtern wieder ins Schloß zurückgckehrt, als man ihm eine Visitenkarte brachte; verwundert laß er den Namen: „Cnrt vonBarnow- Tzendrin, Rittergutsbesitzer," dann fuhr er plötzlich lebhaft in die Höhe und rief:
„Kinder, das ist ja unser neuer Gutö- uachbar, ick stelle ihn Euch nachher vor!"
Fräulein Nora nickte heiter, das war eine interessante Unterbrechung hier in dem eintönigen Landleben und sie wußte genau, daß sie heute sehr gut aussah; so blieb sie ruhig sitzen, nahm ein Buch zur Hand und begann scheinbar zu lesen — ohne zu ahnen daß sie eine gelehrte Schopenhauersche Abhandlung ergriffen hatte, in die sie hinein- starrte, während ihre Gedanken bei ganz anderen Dingen weilten.
Ruth aber hielt es nicht hier im Zimmer, sie eilte hinaus in den Garten zu den Pftngströschen und Jasminbüschen, senkte das glühende Gesichtchen tief, tief in die wonnig duftenden Blüten und meinte: So schön wie heute sei es doch noch niemals in der Welt gewesen.
Aber woher kam das? Sic schaute hinauf zu dem blauen Himmel, an dem lichtweise Wölkchen cinhcrzogen, sie preßte die Hand auf das klopfende Herz, aber sie wußte k-ine Antwort auf diese Frage; nur eine Thräne trat ihr ins Auge, während cs über das feine Gesichtchen wie Sonnenschein glitt. Langsam wanderte sie dann dem Schlosse wieder zu, vor der Freitreppe erblickte sie einen neuen Freund, welcher gehorsamst wartete, der schöne große Sultan, Herrn von Barnows Dogge hi», die bei ihrem Anblick ganz ruhig blieb und gar nicht knurrte.
„Sultan," rief Fräulein Ruth und streichelte den großen Kopf des TierS furchtlos mit der Hand, „da bist du ja wieder! Warte, ich will dir dir ein Stück Zucker holen oder noch lieber Fleisch.
(Fortsetzung folgt.)
Skdaktivn, Druck und vertag von Bernhard Ho,mann in Wildbav.