Me Kapelle.
Novelle v. H. Waldemar.
(Nachdruck verboten.)
7 .
Welling allein hatte unermüdlich weiter gearbeitet, ihn störte in der kühlen Capelle die draußen herrschende große Hitze nicht. Seine Thätigkeit nahte sich dem Ende — er bemerkte es mit Schrecken. Mit düsteren Farben malte er sich sein späteres Leben aus, wenn er nicht mehr die liebliche Comtcsse sehen, nicht mehr ihre melodische Stimme hören sollte. Wie flink war ihm die Arbeit von der Hand gegangen, wenn sie neben ihm gesessen, wenn sie ihn mit ihren lieben Augen anschante und er den sie umgebenden Veilchenduft einatmetc. Wie hatte sie gestrahlt vor Freude, als er ihr eines Abends die Fresken gezeigt, die er unter der dünnen Kalkschicht entdeckt, Fresken, die wohl schon über hundert Jahre übcrtüncht waren und die nun dem Kirchlein einen so eigenen Zauber verliehen, wie hatte sic ihm damals so innig die Hand gedrückt, während ihr reizender Mund Dankesworte stammelte; Und nun sollte sich in wenigen Tagen der lichte Sonnenschein seines jetzigen LebenS in ewige dunkele Nacht verwandeln — er mochte es gar nicht auSdcnkcn.
Traurig saß er auf einem Balken und beaufsichtigte die Arbeiter, die erstaunt ob seines rätselhaften Schweigens die Köpfe schüttelten. „Was ist mit dem lustigen Mann geschehen?" fragten sie sich, aber keiner konnte Antwort geben. Sie liebten ihn Alle, da er für Jeden einzelnen eine Aufmunterung hatte, dabei hielt er streng auf Fleiß und Pünktlichkeit.
Wie er so grübelnd saß, zogen die schönen Abende, die er auf dem Schlosse verlebt, vor seinem Geiste vorüber. Er hatte sich ganz der Comtesse gewidmet, hatte mit ihr gelesen und geplaudert; sie hatte ihm ihre süßen Westen vorgejpielt, die sie meisterhaft dem Flügel zu entlocken wußte; auch er hatte nicht gegeizt mit seinen Fähigkeiten, hatte er sich erfreut durch manches schöne Lied seiner kräftigen Laritonstimme, die doch so weich, so einschmeichelnd durch den trauten Raum klang, — er hatte seine ganze Seele in den Gesang gelegt, sein ganzes Hoffen und Bangen. Hatte sie diese Sprache verstanden ? Wie oft glaubte er in solchen Momenten, wenn ihre Angen so innig auf ihm ruhten, darin Gegenliebe zu lesen; es war aber nur ein Moment — im nächsten war ihre weiche Stimme verflogen. Er sagte sich oft, daß es eine Vermessenheit sei, sie zu lieben, und doch konnte er sie nicht bannen diese Liebe, die ihm selig uud traurig zugleich machte, und die so plötzlich in seinem Herzen Wurzel gefaßt für dies engel- gleiche, schöne Wesen.
Hörig's Stimme riß ihn aus seinem Brüten, und uiit Verwunderung sah er in dessen bleiches, erregtes Gesicht.
„Ernst, ich muß Dich sprechen, ich ertrage dies Leben so nicht länger," rief Hörig, „komm mit und stehe mir Rede I"
„Was hast Du, Otto, Du bist ja außer Dir, und wie siehst Du aus?" rief Welling überrascht.
Hörig halte den Freund am Rockkragen gefaßt, um ihni gerade in's Gesicht sehen zu. können und stieß heftig die Worte hervor: „Wie stehst Du mit Lisbeth?"
„Wie ich mit Lisbeth stehe ? Wi so ? Was meinst Du, Otto ?" fragte Welling.
„Foltere mich nicht, Ernst!" flehte Hörig. ,,Jch möchte rasend werden, wenn ich daran denke, wie sie mit Dir freundlich ist und mich kaum beachtet.' Seit Du im Haus bist, habe ich kein liebes Wort mehr von ihr gehört. Ich ertrage es nicht/' fügte er trostlos hinzu.
„Also eifersüchtig bist Du auf mich, Otto? rief Welling lachend. „Beruhige Dich, ich gab Dir hierzu keine Veranlassung. Ich finde Lisbeth unterhaltend und auch recht hübsch und lieb, aber sie lieben, was man so lieben nennt mit seinem ganzen Herzen — nein, das kann ich nicht. Ich will Dir einen guten Rat geben, Otto: geh mutig auf Dein Ziel loS, reiße Dich aus dieser Ungewißheit, die Dich aufreibt, Du bist jetzt schon ganz hohläugig. Hole Dir Dein Glück nnd gönne mir dann, mich daran etwas zu erwärmen, ehe ich in meine öde, trostlose Heimat zurückkehre." Traurig sprach er die letzten Worte.
Der Freund schien es nicht zu hören, er war zu sehr in Anspruch genommen durch seine eigene Angelegenheit. „Also Du glaubst wirklich, Ernst, daß sie mich liebt und mich nicht zurückweist?"
„Ich bin fest davon überzeugt, Otto! Sieh, dort geht sie in den Garten, benütze die Gelegenheit, sie kann Dir nicht günstiger sein."
Hörig eilte in der Richtung davon, ohne dem Freunde nur zu danken.
Welling bemerkte eö mit bitterem Lächeln. „Das Glück macht egoistisch," murmelte er, „es bewahrheitet sich auch an Otto, er schien meinen Trübsinn gar nicht zu bemerken. Doch es gilt sich noch zusammcnzunchmen die letzten Tage. Heute ist Montag. Bis nächsten Sonntag werde ich wohl Alles hinter mir haben und die schönen Wochen werden mir wie ein Traum vorschweben."
Auch im Schloß dachte man mit Bangen an die nächste leere Zeit, wenn Welling gegangen sei; der Graf konnte sich ein Leben ohne ihn kaum mehr vorstellen. Und Comtcsse Hedwig? Sie hatte sich noch kaum über ihre Gefühle Rechenschaft gegeben. War dies süße Schauern, das sie bei seiner Berührung durchbebte, waren die Freude bei seinem Erscheinen, die Trauer, wenn er abwesend, waren dies wirklich Zeichen dieser Liebe, die so „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt" mache» konnte? Sie fragte sich wiederholt, hatte aber noch keine bestimmte Antwort darauf gefunden. Daß er sie liebte war ihr längst klar, er hatte cs auch nicht zu verheimlichen gesucht; jedes seiner Lieber, jeder Blick atmete Liebe, innige Liebe und doch — sie mußte ihn deswegen um so höher achten — hatte er dieser Liebe noch keine» Ausdruck gegeben, sie schwebte noch wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen.
Hedwig auch vergegenwärtige sich mit Bangen die Zeit, wenn sie seine liebe Stimme nicht mehr hören sollte, nicht mehr mit ihm die Licbliügsplätze besuchen könncund die Abende allein Verbringen müsse.
Der vorletzte Abend, den Welling im Schloß verbrachte, verlies bedeutend ruhiger wie die vorhergehenden, ja zeitweilig schwieg die kleine Gesellschaft ganz. Ein Jedes hing seinen Gedanken nach.
Die Comtesse spielte schwermütige Weisen und Welling vermochte eS nicht ein lustiges Lied anzustinnnen. Nachdem er Lassen's „Vorsatz": „Ich will Dir's nimmer sagen, wie ich so lieb Dich Hab'," vorgitragen, intonierte es als Letztes ein Volkslied, daß er von seiner Mutier oft singen hörte, als sie noch im Vollbesitz ihrer schönen Stimme war. Es schien ihn: so recht geeignet sür diesen Tag; cS war das bekannte Rückert'sche Lied:
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit Klingt ein Lied mir immerdar.
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!
Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
Die den Herbst und Frühling bringt,
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang Das jetzt noch klingt?
„Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwer:
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War Alles leer."
Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt, Und der leere Kasten schwoll:
Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
Wird's nicht mehr voll.
Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt Dir zurück, wonach Du weinst,
Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt Im Dorf' wie einst.
„Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwer:
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War Alles leer!"
Bei der Einleitung schon ging mit dem Grafen eine Veränderung vor; er erhob (ich halb, wie um besser hören zu können, und als Welling jene oft gehörte, nie vergessene Weise mit den traurigen Worten zu singen begann, da barg der Graf das Gesicht in den Händen, um seine Erregung nicht zu zeigen.
(Schluß folgt.)
Medaktion, Druck und Vertag von Bernhard Hofmann in Wldbav.