AigeunerBLut.
Novelle von H. von Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
1 .
Ueber die Pußta, Ungarns Steppenland, wehte ein kalter Herbstwind. Dichte, dunkle Wolken jagten in allerlei jeltsamen Bildungen vor ihm her, die Bäume bogen sich ächzend und aus dem moorigen Wiesengrund flogen die vertrockneten, herabgewehten Blätter empor. Der kleine, rieselnde Bach, welcher sonst so lustig dahin eilte, wie ein übermütiges Kind mitten unter schwermütigen Menschen, trug heute ein trübes, lehmfarbenes Kleid und aus dem strohgedeckten Häuschen dort am Rande der Heide wälzte sich dicker, qualmender Rauch.
Die Sommertage waren vorüber, verflogen wie die rosigen Goldwölkchen beini Sonnenaufgang und das herrliche Lied des Sängers der Pußta paßte heute nicht mehr ans die sturmdurch- fegte Einöde, von welcher der lichte Dlütenschimmer der Blumen verschwunden war wie die Strahlen der Mutter Sonne.
Und doch besaß die Pußta auch im Herbst ihre Reize, besonders für die Menschen, welche auf ihr geboren und an das Lächeln und Grollen der Steppe gewöhnt waren. Die zwei dunklen träumerischen Knabenaugen dort unter der halblverkrüp- pelten Weide schauten immer und immer wieder auf die jäh wechselnden Wolkenmassen, die sich durcheinander schoben, bald dunkelnd und drohend, bald von einem helleren Lichtschein durchflimmert, und das hochaufpochende Herz des halbwüchsigen Burschen meinte noch nie Schöneres empfunden zu haben. Dabei zauste der Pußtenwind in dem krausen, blauschwarzen Gelock des Knaben, er empfand es nicht, er hörte nur phantastische, halb gellende, halb wehmütig klagende Weisen in seinem Ohr und griff beinahe unwillkürlich nach der alten, morschen Geige neben sich, uni auf ihr wicderzugeben, was seiner Seele vorschwebte. In seinem magern, braune» Gesichte arbeitete es mächtig dabei; Niemand hätte geglaubt, daß dasselbe einem vierzehnjährigen Knaben angehöre, so mild und ungestüm, so neckisch und kosend verstand der Knabe auf der Geige zu spielen.
Und dabei zog Bild auf Bild seines kurzen, aber seltsamen Lebens kaleidoscopartig an ihm vorüber: wie die Mutter, das Weib des Zigeuners, welcher schon längst in den Fluten der Theiß ruhte, ihn auf dem Schoß gehalten, mit ihm gerändelt und gejauchzt hatte, wie er neben ihr in der Asche gekauert, wenn sie den Mädchen und Knaben aus den Linien der Hand prophezeit, bald Glück, bald Leid hier Liebe und Leben, dort Tod und Verzweiflung. Schon damals halte der achtjährige Knabe oft gesonnen, was es wohl bedeuten könne, jenes kurze Wort, das die Mutter mit so glänzendem Auge halblaut flüsterte, und welches solch' aufleuchtendc Blicke bei den Burschen, solch' freudiges Erröten bei den Mädchen hervorrief: Liebe! Er verstand ja noch nichts davon!
Und dann sah er die ganze Zigeunergesellschaft auf der Reise, die Mutter und sich selbst zuletzt nachstehend. Welch' buntes, vielbewegtes Treiben, welch' ewig wechselndes Aussehen bot der Zug! Kam derselbe in ein Dorf, so trieben die Bewohner wohl ängstlich das Federvieh in die Ställe und verschlossen Milch- und Speisekammern, denn das fremde, abenteuerliche Völkchen verstand nichts von deni siebente» Gebote, und glaubte, daß es ein Recht habe, sich, wo es immer etwas fand, Nahrung zu verschaffen. Am Abend aber, wenn das qualmende prasselnde Lagerfeuer aufglühte, kamen die Dorfbewohner, erst vereinzelt, dann truppweise heran, um den eigenartigen Liedern der Zigeuner beim Klange von Cymbel und Geige zu lauschen oder die Perlen und Muscheln der Zigeunermädchen gegen Geld einzutauschen. Freilich, vas Zukunftsspiel aus den Linien der Hand zog am meisten, doch dursten die gestrengen Eltern, Basen und Großmütter oft nichts davon wissen, es mußte heimlich geschehen!
Und endlich kam der jugendliche Träumer zu dem Punkte, der noch in der Erinnerung sein Blut schneller kochen, sein Auge höher flammen und die Geige in seiner Hand Heller klingen ließ.
Gestern war's gewesen, als er weiter oben am Bache unter einer knorrigen Weide gelegen, und wunschlos, träumend in den tiefblauen Himmel gestarrt hatte. Es blieb so still ringsum, kein Blatt regle sich, kein Vogel sang, nur die Mücken umschwirrten ihn und die kleinen Wellen des Baches glitten leise plaudernd
vorüber an dem Zigeunerkinde, während aus der Ferne weiße, zierliche Rauchwölkchen von einem abgelegenen Pußtahäuschen aufstiegen.
Die schwarzen Augen des Knaben tauchten hinab in das klare Wasser, als wollten sie demselben Grüße auftrage» an die allmächtige Wasscrgöttin Donau, welcher es zueiltc? Ach, der einsame Knabe empfand ja eine so unbezwingbare Sehnsucht nach der Hauptstadt mit all' ihrem bunten Zauber! Er griff zur Geige und ließ sie in ihrer Wundersprache für ihn reden. Die Geige jubelte und schluchzte, klagte und jauchzte wechselweis durcheinander, bis dem Knaben die Thränen in den Augen standen und er sich zu Boden warf, um all' sein kindliches Leid auszuschluchzen, hier vor der cwigmildcn Mutter Natur-
Es dauerte sehr lange, bis seine Thränen endlich langsamer flössen, aber auch sie versiegten endlich und ermattet sank das dunkelgelockte Haupt des Knaben auf die Brust, als er es plötzlich, scharf aufhorchend, wieder emporhob I Halt, was war das?
Ueber die weiche Fläche der Steppe rasten Pferdehufe heran, aber unregelmäßig und wild. Schnauben und Wiehern drang zu dem feinen Ohr des Lauschers, dazwischen erscholl in versagenden Tönen eine schwache weibliche Stimme. — — WaS konnte das sein? Doch noch ehe der Zigeunerknabe auszudenken vermochte, sah er, was geschehen war.
Heran raste ein Rappe, dichten Schaum vor den aufgeblähten Nüstern, weit ausgreifend mit den schlanken Beinen und flatternder Mähne; er trug noch Sattel- und Saumzeug, aber die Reiterin, welche er geiragen — schleifte am Boden, während Fuß und Reitklcid zusammen verwickelt im Steigbügel hängen geblieben waren.
Mit einem scharfen Aufschrei sprang der Knabe auf, während das scheue Tier vorbeiraste. Aber alle Energie und Thalkraft, die weit über seine Jahre aus den flammenden Blicken des Knaben sprühten, zusammenraffend, eilte er wie ein Pfeil hinter dem Rappen her. Die Geige lag weit weg geschleudert im herbstlichen Grase, ihr Lied war verklungen vor dem Menschenleid, welches sich hier auf der öden Pußta vor des Knaben Augen abspielte.
Geschmeidig gleich einer Katze, hurtig wie die Gazelle war der Zigeuner während weniger Sekunden in kurzem Bogen vor das blind weiter stürmende Pferd gekommen; ein mutiger Griff in die Zügel erfolgte, der Rappe bäumte noch einmal auf und — stand dann am ganzen Leibe bebend, wie ein Lamm vor dem mutigen Knaben.
Und nun knieete der arme, fremde Knabe neben der völlig bewußtlosen Dame, nahm den Kopf derselben in seinen Arm und schaute, heftig erschrocken und ohne sich helfen zu könne,!, in das totenblasse, liebliche Gesicht, welches von kastanienbraunen Löckchen umrahmt war. Mit der freien Hand suchte er mühsam und langsam zwar, aber doch endlich mit Erfolg, die Dame aus dem Steigbügel zu befreien, nahm dann die schlanke Gestalt behutsam wie ein Wachspüppchen in die Arme und ließ sie sanft zur Erde gleiten, als auch das glücklich geschehen, atmete der Knabe tief auf. Was sollte nun geschehen? Wo war die Dame her? Wie kam sie so ganz allein auf dem wilden Pferde in die Pußta, und wo wollte sie hin??
Des Knaben braune, harte Hände hoben den herabgeruschten Sattel wieder auf das Pferd empor, dann schlang er den Zügel des noch immer bebenden Tieres, ihm in fremden weichen Lauten zusprechend, um einen Baumstumpf und wandte sich endlich wieder zu der Verunglückten.
Sie regte sich noch immer nicht, ihre Augen blieben nach wie vor geschlossen und unter den braunen Locken schlängelte sich jetzt eine feine rote Blutspur hervor, aber ringsum erschien keine Hilst-
Dem Zigeuner pochte das Herz in der Brust, starr sah er in das jugeudfrische, rosige Antlitz des bildschönen Mädchens und plötzlich erfaßte ihn eine seltsame, namenlose Angst, daß das Mädchen nie mehr zum Leben erwachen möge. Eine Sekunde später knieete er ani Boden und nahm des Mädchens kleine Hand,
welche mit feinem dänischen Handschuh bedeckt war, in die seine. Ja,
sie fühlte sich warm an, das Blut pulsierte noch in derselben und jetzt kehrie auch die Farbe in die Lippen zurück, so daß der Knabe einen kurzen Ausruf ausstieß, denn er brauchte sich nun nicht mehr zu ängstigen.
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Hosmann in Wildbad.