Acrs Hpfer des Ker:zens.
Novelle von H. v. Limpurg.
(21. Fortsetzung.)
Zehlen war, als man das Verschwinden des Hauptmann Schröders bemerkte, zuerst in dessen Zimmer geeilt, um danach zu suchen, ob er eiwa eine Nachricht hinterlassen habe.
Und in der That lagen da die Papiere sorgsam geordnet, zuerst das Testament, dann die Meldung an sein Regiment sowie der Brief an die Mutter. Von allen hinterlassenen Mitteilungen aber siel das Telegramm in die Augen mit den inhaltsschweren Worten: „Komme gleich! Georg."
Die Stimme, welche die Mutter herbei rief, war schon auf ewig verstummt- Die Hand, die jene Worte niederschrieb, hielt noch die Waffe umspannt, aus welcher der tödtliche Schuß gefallen.
In einsamer Nacht, fern von Menschemrost und Hilfe war Georg Schröder in einem Zustande geistiger Umnachtung gestorben — um einer Elenden willen.
Still und wortlos machte sich in der Erlau der kleine Zug auf, um die Leiche des Verunglückten herbeizuschaffcn. Voran schritt Vincenz Harkmann, den Bergstock in der Hand, Axt und Beil am Gürtel, zur Beseitigung aller etwaigen Hindernisse. Ihm war zu Mute, als sei es sein leiblicher Bruder, welcher da drunten läge, als habe sich mit den beiden Augen des Hauptmanns Schröder auch für ihn so manche Hoffnung auf ewig geschlossen.
Dem Lebenden hätte sich Walpurga wohl, nicht mit heiligem Schwure ergeben, sondern sie würde vielmehr nach und nach ein- gesehcn haben, daß er unerreichbar hoch über ihr stehe und sie doch nie sein Weib werden könne. Aber dem Tobten durste sie sich geloben, an ihn durfte sie denken, von ihm träumen, um ihn weinen, Niemand hinderte sie daran, zumal der ehrwürdige Herr Pfarrer den Tobten hier in der Erlau begraben wollte, falls die Angehörigen keinen Einspruch dagegen erhoben.
Auch der greise Pfarrer befand sich mitten in dem kleinen Trupp, der den Tobten abholen wollte.
Langsam schritt der Geistliche neben Vincenz. Dieser hatte mit großer Vorliebe an dem Herrn Hauptmann gehangen, daö wußte der Pfarrer und darum verlangte es ihn besonders, ein Wort mit ihm zu reden.
„Wie nahm Gräfin Arloff wohl eigentlich die Nachricht auf? Man sagt, sie seien zusammen verlobt gewesen ?" frug der Pfarrer.
„Sic ist ja fort," murmelte Vincenz finster, „ohne Gruß ist sie mil einer Lüge auf den Lippen abgereist und Niemand wünscht sie zurück, denn sie allein hat jenes Leben geopfert.
„Der arme Hauptmanu," meinte der Pfarrer milde, „wir wollen seine That nicht verdammen, denn welche schweren Seelenkämpfc müssen vorausgegangen sein, ehe dieser Mann zur Pistole greifen und sein irdisches Dasein vernichten konnte.
„Wenn ich jenes elende Weib unter den Händen hätte," knirschte Vincenz zornig, „an ihren blonden Haaren wollt' ich sie herbeischleppen zu dem Tobten, daß sie ihm mit blutigen Thränen ab- bilten müßt', was sie ihm gethan."
„Laß das ruhen, mein Sohn, Du weißt ja, die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Allmächtige."
„Sie soll ja die Frau von dem andern Herrn sein, sagen die Leute," begann Vincenz abermals nach einer kleinen Pause, „aber ich glaub's nicht, das ist doch sicher kein Graf und sie war so hochmütig' daß sie für uns einfache Leut kaum einen knappen Gruß hatte."
Jetzt blieben die Vordersten des kleinen Truppes stehen und ein Gemurmel lief durch die Reihen.
„Dort unten liegt er auf dem Gesicht — er ist tot," rief mau sich halblaut zu.
Sie hatten es Alle nicht anders geglaubt, aber als sie jetzt von fernher den leblosen Körper liegen sahen, übersiel sie dennoch ein Schaudern.
„Vorwärts, Ihr Leute," rief jetzt der greise Pfarrherr, sein Käppchen ziehend, „Ihr sollt Eurem armen Christenbruder zur letzten, ewigen Ruhestätte verhelfen. In Gottes Namen!"
Und so schritten sie denn alle langsam abwärts in die tiefe Schlucht, wo Schröder lag. Ein ernster Seufzer war an die Stelle des Grauens getreten. Wollten sie doch alle dereinst im Segen des Allmächtigen ruhen und der da unten war ja gleichfalls ein Christ, ein Milbruder gewesen.
„Tragen wir ihn dann bis zur Alpenkapelle," entschied
der Pfarrer, „dort wollen wir Alle ein stilles Gebet für sein Seelenheil sprechen."
Endlich, nach mühsamem Klettern, standen die Leute vor dem Toten. Er lag auf dem Gesicht, die eine Hand schlaff niederhängend, die andere etwas ab vom Kopfe, noch den Revolver krampfhaft festhalteud. Die Kngel war in die Schläfen gegangen, nur ein kleines Loch war am Körper zu sehen und eine schwache Blutspur am Boden zu unterscheiden.
Vincenz, der bisher mit zusammcugepreßten Lippen still und gefaßt neben dem Geistlichen gestanden, zuckle plötzlich zusammen u»d in der nächsten Minute lag er, schluchzend wie ein Kind, neben dem Toten am Boden.
„Mein lieber, guter Herr Hauptmann! So hat er enden müssen, hier droben in der Schlucht, mitten in finstrer Nacht und ich, der Vincenz, war ihm so nahe in der Muttergotteskapelle. O, ich hätt' mein Herzblut gegeben, wenn ich ihm doch wenigstens die Augen hätte zndrücken können!"
Schweigend, in scheuer Ehrfurcht standen die starken Männer vor diesem ungestümen Schmerzensausbruch des treuen Vincenz. Sie ahnten nicht, daß der eigene Schmerz des Vincenz dessen Trauer verschärfte. Sie alle ehrten den Toten durch eine stille Trauer, die in jedes Herz einzog.
Man legte alsdann den Toten auf eine mitgebrachte, aus Zweigen geflochtene Bahre. Sein Antlitz war farblos und ein herber Zug des Schmerzes hatte sich um den Mund geprägt. Leise breitete der alte Pfarrer ein seidenes Tuch über die Leiche, faltete die Hände und betete still für sich und ein Jeder folgte seinem Beispiel.
„Und nun zur Alpenkapelle," sagte Vincenz, mühsam sich aufrafsend, „wir wollen ihn der Mutter GotteS empfehlen, daß er droben Gnade finden kann."
Wohl noch nie war in dem kleinen Gotteshause im Hochgebirge eine so ergreifende Feier gehalten worden, als es jetzt geschah. Die Bahre mit dem Toten stand vor dem Bilde der heiligen Maria. Der milde Blick der Heiligen schiele hcrabzu- sehcn in das bleiche Antlry des Toten.
Im Halbkreis darum standen neben dem ehrwürdigen Pfarrer mit entblößten Häuptern und ernster Miene die Gebirgsbewohner, an ihrer Spitze Vincenz, welchem zu Mute war, als sei's ein lieber Anverwandter, dem er die letzte Ehre geben müsse.
Jetzt siel sein Blick auf die Wachsherzen unter dem Bilde der Jungfrau Maria. Es dnrchichauerie ihn, als er daran dachte, daß auch das seine darunter sei, welches er um WalpurgaS Willen hier hergebracht.
Und er, der Tote da vor ihm, war auch um der Liebe willen aus dem Leben geschieden, hatte das schwere Verbrechen des Selbstmordes auf sein treues, cdels Gewissen geladen, weil er im unheilvollen Wahne gemeint, daß er nun unglücklich sein und ohne jenes Weib nicht mehr leben könne.
Aber sollte da droben der Allgütige unversöhnlich gegen ihn sein als selbst das sündige Menschengeschlecht hier aus Erden?
Die tiefbewegte Stimme des alten Pfarrers las die Sterbegebete, während von draußen her die abgebrochenen Töne eines Alphorns sich vernehmen ließen.
Keiner der Männer vermochte diese Stunde zu vergessen und als der Pfarrer nun laut und andächtig ein Valerunser begann, sanken die schlichten Leute vom ersten bis zum letzten auf die Kniee und beteten für den Toten:
„Und vergieb uns unsre Schuld" —
„Barthel," sagte Vincenz Hartmann, als sie wieder aus der Kapelle traten, „laß mich jetzt statt Deiner mittragen an der Bahre; ich will dem toten Herrn auch noch einen letzten Liebesdienst erweisen."
So griff Vincenz denn das eine Ende der Bahre und sie schritten voran. Die Andren folgten in halblautem Gespräch. Jetzt kamen sie an die Wegbiegung und — plötzlich sprang der Barthel erschrocken vorwärts.
„Um des Himmelswillen, was ist denn Vincenz, er gleitet aus — er — fällt."
Vor den Augen des schwergeprüften und schon seit langen Tagen von Gram verzehrten Vincenz flirrten und jagten plötzlich goldnc Flämmchen und dunkle Streifen. Wie ein Alp legte es sich auf seine Brust und sein Fuß strauchelte, Vincenz glitt über den schmalen Rand des Weges und stürzte hinab in die Tiefe.
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildbaü.