Die Nachtwandlerin
au und stille ist die Nacht.
Oj Auf Gassen und Dächern ruht Wie träumend daS Mondlicht.
Sieh! Wer wandelt dort oben In schwindelnder Höh'
Auf dem Firste so sicher dahin,
Als ging es durch blühende Garten?
Ein wcißeö weiches Gewand Umhüllet lässig Die marmornen Glieder.
Wie lieblich umspielen das Mvndlicht Und wvnncseliges Lächeln Das schone bleiche Gesicht,
Als schwelge die Seele In stiller Glückseligkeit!
Sieh! Jetzt steht sie am Rande Tief unten gähnt schaurig Der sichere Tod.
Preßt den Athem zurück in die Brust,
»wei Schwestern
Nobelle von H. V. Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
(14. Fortsetzung.)
Sie haben meine Lora gewiß auch lieb, Mr. Dahlen," schloß sie von neuem in Thränen ansprechend, „und ich mußte Ihnen eben Alles sagen, ich habe sonst Niemand."
Tief, tief hinein in seine Seele gruben sich diese schlichten Kinderwortc, er glaubte, die matte Stimme der Sterbenden zu hören, wie sie neulich geflüstert hatte: Es kann »och einmal Alles gut werden; so allein war ihre Ines, ihr Sonnenstrahl, wenn Lora heim ging — und in dieser Stunde gelobte sich der starke Mann, daß er diese Sorge von ihr nehmen werde, fürs ganze Leben! Aber das junge Mädchen wußte noch nicht alles.
„Fräulein JneS," begann Dahlen nach einer Pause und trat einen Schritt zurück; ich bringe Ihnen eine andere Hiobspost, die Ihre Schwester nicht mehr erfahren soll."
Ein herzzerreißender Ausdruck überzog das süße Gesicht und ' sie flüsterte: „Wenn sie von mir geht, daun kann mich nichts kncbr berühren. Reden Sie mein Herr!" — „Volkert ist entflohen, mir scheint ein Bankerott auszubrechen." — „Mag ergehen, der Elende, rief jetzt mit funkelnden Blicken daS junge Mädchen, er ist an Allem schuld. Ich kam noch rechtzeitig in das Zimmer, um zu sehen, wie er sie von sich schleuderte, daß die arme, schwache Lora umsank! Das war zu viel gewesen, der Arzt hatte keine Hoffnung mehr. Warum Eugen sie so mißhandelte, weiß ich nicht; sie that ihm nie auch nur das geringste Leid, im Gegenteil. Trotzdem sie durch ihn elend und unglücklich geworden war, durfte nie etwas über ihn verlauten. Mag er sein wo er will, sein Gewissen schweigt wohl nie und er wird das todt- bleichc Gesicht Loras in seiner Sterbestunde einst vor sich sehen."
Gedankenvoll schaute Dahlen in das erregte traurige Gesicht, dann nahm er liebevoll die kleine Hand und führte sie an die Lippen.
„Ines, seien Sie ruhig, vertrauen Sie auf den lieben Gott und denken Sie, daß ich da bin, ich will und werde Sie schützen."
„Verwirrt und ängstlich schaute sie empor, kaum ihren Ohren trauend ob dieser Worte; ein Händedruck, ein inniger Blick, und er war gegangen. Halb ohnmächtig sank das junge Mädchen auf den Divan nieder; cs war zu viel für sie, und ein hysterisches Schluchzen erschütterte den zarten Körper. Glück und Schmerz so dicht nebeneinander! Wie von Furien gejagt stürzte in dem Augenblicke Anna, das Zimmermädchen, herein.
„O, gnädiges Fräulein," stöhnte sie ganz außer sich, „sie sagen, er sei geflohen, der Herr und Alles sei fori. Er sei kauk- rott, — und ich sah es selbst, — wie er der gnädigen Frau den Lrillanischmnck fortnahm. Ich habe mit mir gekämpft, ich wollte eS sagen, und dann kam die Krankheit, ich dachte, cs sei nur Einbildung gewesen und nun ist er ganz fort!"
Starr und bleich saß Ines da und hörte dem Jammern zu;
Daß kein Hauch sie erwecke!
Noch steht sie sicher,
Noch lächelt sie selig. »
Da — lost sich leise Von ihrem Fußtritt Ein lockerer Stein —
Er senkt sich nach unten —
Ein lauter Schall!
Sie erwacht — sie zittert —
Sie wankt — ein Schrei!
Und zerschmettert ruht sie am Boden. —
So wandelt die Menschheit im Traum Und sicherem Wahn dahin,
Nicht ahnend den Abgrund des Lebens.
Selig, wer träumt!
Wer wachenden Auges will wandeln,
Schwindel erfaßt ihn,
Er stürzt in den Tod.
F. Plettke.
es war ihr, als sei sie fremd hier, als vernehme sie eine felis» Erzählung, die sie nichts anginge. Ihr Schwager, Loras Gatte sollte ein — gemeiner Dieb sein. Unmöglich! Und doch, Dahle» hatte ja ebenfalls erzählt, daß Volkert ruiniert und entflohen sä War ihm diese That nicht znzutrauen? Sie mußte Gewißheit haben, wenn Anna sich täuschte!
Mühsam erhob sie sich und winkte dem Mädchen, sie zu begleiten; ans dem Schreibtische Loras lagen in einer silbernen Schall sämtliche Schlüssel und sogleich hatte Ines den der Schmuckjcha- lnlle gefunden. Jetzt waren sie an Ort und Stelle, mit vor Ani- rcgnng zitternden Händen öffnete sie das Schloß, hob den Decke! und brach mit dumpfem Stöhnen in die Kniee. Die Schabt war leer, ihr Auge haftew auf dem leeren, rotsammetnen Grmüe. Das Mädchen sah halb entsetzt, halb triumphierend nach ihrn Herrin; eine fahle Blässe bedeckte deren liebliches Antlitz mit schlaff sanken die Hände am Körper nieder. Es war zu viel dl» Jammers der Aufregung:
Ines sank in tiefe Ohnmacht.
Drüben im Kontor gieng es laut zu; nur zu bald hatte ick Gericht sich überzeugt, daß Bankier Volkert ruiniert sei und iH der Verantwortung durch Flucht entzogen habe. Man sandte sogleich die erprobtesten Detektives aus, um seiner habhaft zu werden und besonders Mr. Brandreth war auf's emsigste beschäftigt Er eilte sofort auf alle Bahnhöfe und erfuhr nach einer Weilt zu seinem größten Erstaunen, daß der Flüchtige nicht nachLoiido», sondcrn nach Berlin abgercist sei. Der Telegraph spielte hin »ck her und nach wenig Stunden hielt Mr. Harry eine befriedige»« Antwort in der Hand:
„Ist hier angelangt, Stadt Leipzig abgestiegen, wohnt Nr. ll! heißt jetzt Wolfersheim."
Noch in derselben Stunde expedierte Mr. Brandreth aberimll eine Depesche und fuhr sodann, haßerfüllt und rachsüchtig mit du» Kourierzuge nach der Hauptstadt ab. Er hatte eine kurze Unterredung mit Fräulein Ines gehabt, in welcher er ihr steine H»>ü angetragen, ohne zu bedenken, wie wenig passend der Auge»» gewählt sei. Kurz und kühl lautete denn auch die verneine»^ Antwort der jungen Dame.
„Ich werde mich in so trüber Zeit überhaupt nickt verlock», mein Herr; Ihre Wahl ehrt mich, doch kann ich die Ihrige M werden. Dazu fehlt meinerseits eine der Ehe so nötige wahre Liebe." —
Sein Antlitz wurde bläulich, er trat näher und flüstert! drohend :
„Seien Sie nicht vorschnell, das Schicksal Ihrer Schwees liegt in meiner Hand. Ihr Schwager ist entflohen. Ich wohin — ich kann die Polizei ans falsche Fährte lenken. Asti» Vermögen ersetzt die Passiva und Alles wird im Sande verlaufe». Und dies sogleich, wenn Sie Ihr Jawort geben. Wen» dann werden schon morgen die Gläubiger Alles versiegeln W» und das Gesetz nimmt seinen Lauf.
(Schluß folgt.)
Nedaktton, Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildln