o Einer einer eine Reise thut,
So kann er was erzählen Bei mir ist dieses nicht der Fall Dieweil mich Schmerzen quälen.
Ich sitze hier in meiner Sind'
Und laß die Glieder hängen,
Dieweil mir die verfluxte Gicht Hängt in dem Leib und Gängen.
Ich lieg auf meinem Lager da Und laß den Körper schwitzen Es soll nach gutem alten Rat Geg'n Podagra 'was nützen.
Zwei Schwestern.
Novelle von H. V. Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
(13. Fortsetzung.)
Mit einem wilden Fluche schleuderte er die schwankende Gestalt von sich, ein dumpfer Fall, ein schwacher, halb versagender
Aufschrei-die Thür fiel hinter Volkert ins Schloß und ohne
sich umzusehen, stürmte er hinauf in sein Zimmer. Vorbereitungen waren unnötig, er nahm einen leichten Handkoffer, eine Briftasche, welche er eiustecktc, dann nach wenigen Sekunden eilte er die Treppe hinunter zum nächsten Droschken-Halteplatz und fuhr nach dem Berliner Bahnhofe.
Drei Tage sind verstrichen, lange, endlose Tage und Nächte; in dem Volkert'schen Hause schleicht die Dienerschaft leise auf den Zehen umher und die bleichen Gesichter zeigen tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit; die gnädige Frau ist sehr schwer krank und der Herr Doktor hat gar keine Hoffnung mehr l Mr. Dahlen ist täglich drei- auch viermal da, um sich zu erkundigen; sein angstvolles, gebrochenes Wesen fällt sogar den Leuten auf, sie schütteln erstaunt die Köpfe, daß sogar ei» Fremder, der vor zwei Tagen den ersten Besuch machte, so ganz in Teilnahme und Mitgefühl aufgeht. Sollte Fräulein Ines im Spiel sein? Die Köchin, welche den Gedanken aussprach, hält erschrocken inne:
„Das paßte sich doch nicht, wo drinnen die liebe, sanfte Herrin im Sterben liegt I"
Das Kammermädchen ist aber völlig niedergeschmcttert; sie hat etwas gesehen und es es drückt wie glühende Kohlen auf ihr Gewissen, hier ist ein Geheimnis und sie hält den Schlüssel in Händen. Aber soll sie die Sterbende noch mehr betrüben, helfen ihr denn die funkelnden Brillanten noch etwas? Jene Bemerkung der Köchin machte sie stutzig; jenem Herrn der so ernst und vornehm aussicht, dessen Blick so liebevoll an Ines hängt, wenn sie selbst ihm jedesmal Bescheid bringt über die todtkranke Schwester, ihm will sie erzählen — was sie gesehen und — wen!
Drüben im Kontor des Bankiers sitzt Harry Brandreth und blättert in dem großen Hauptbuche. Sieht er all die fein ausradierten Zahlen und die so künstlich dafür hingemalten neuen? Er stutzt, hier diese Aktiva und Passiva stimmen nicht; er rechnet höhnisch lächelnd, es stimmt auch wieder nicht. Jetzt klopft es an der Thür. Ein roter, wohlbeleibter Mann tritt ein, mit glitzernden Limilibrillanten an Knöpfen und Kette. „Morgen, Herr Brandreth," begann er vornehm von oben herab, „Herr Volkert zu sprechen?" — „Bedaure, ist nach London gereist." — „Noch immer? War schon gestern hier, mein Depositivm zu erheben, bin eher zurück als ich dachte." — „Ihr Name?" — Kommerzienrat Werkheim, mein Herr, sollten mich doch wohl kennen I" —
„Bedaure, mein Herr, hatte nicht die Ehre; bedaure doppelt, denn ich fürchte, seit einer halben Stunde, daß — Herr Volkert gar nicht wiederkommt. Ihr Depositum ist auch mit fort, ebenso das des Herrn Negierungsrat Leupold und noch manches andere." —
Das dicke Gesicht wird mit einem Male aschfahl. „Was soll das heißen, Herr, sind Sie toll? Wo ist Volkert?" —
„Fort!" schrie der Engländer, „durchgebrannt mit einigen Tausenden und jetzt vielleicht schon in Amerika, oder doch auf dem Wege." —
Langweilig wird die Cur mir schier,
Dieweil die andern laufen;
Fest sitze ich und liege hier Dieweil die andern — trinken.
D'rum b'steig ich nun den Pegasus Die Langweil zu vertreiben,
Sitz' ich auch nicht ganz sattelfest,
Die Zeit thut doch enteilen.
So dicht' ich hin und dicht' ich her,
Damit die Zeit vergehet,
Und damit wird auch Qual und Pein So nach und nach verwehet. v. b.
„Aber alle TeufelI" brüllte der blitzende Kommerzienrat und schlug dröhnend mit der Faust auf den Tisch, „das ist undenkbar; ich habe ja Papiere von 5000^ bei ihm liegen gehabt, die will ich haben, die muß ich haben."
„Ja, das wird mancher sagen," höhnte Brandreth, „aber Mmi, schreien sie nicht so, es wird ja doch bald an den Tag kommen. Ich habe mein Geld ihm glücklich aus den Händen gezogen." „Zch gehe nicht von der Stelle bis ich die Gewißheit habe," stöhnte die dicke Jammcrsigur und sank erschöpft in einen Stuhl. Leider war das eine Bein desselben nicht ganz taktfest, ächzend und krachend versank das Möbel in sich selbst und Herr Kommerzienrat Werk- Heim fand sich recht unsanft Plötzlich auf dem teppichlosen Fußboden des Kontors. Halb rasend über all seinen Aerger rannte er hin und her und bald hatte sein lautes Schimpfen all die Schreiber aus dem nebenanliegenden Zimmer gelockt. Wie ein Lauffeuer durcheilte die Nachricht, welche Mr. Brandreth soeben mitgeteilt, das ganze Haus. Gruppenweise standen sic flüsternd beisame» all die Diener der Familie; fast ein jeder hatte gegen den Herrn ebensoviel Abneigung gefühlt als für die sanfte Dame Liebe, niemand bedauerte ihn, nur Verwünschungen sandte man ihm nach. Brandreth trat jetzt aus dem Kontor, er eilte hastig zur Polizei indessen Werkheim wie eine Bildsäule dasaß, um das Kontor zu bewachen. Wenige Augenblicke nachher trat Mr. Dahlen ein und frug nach einem flüchtigen Gruße nach dem Bankier.
„Sind Sie auch einer der Gerupften?" stöhnte Werkhem geknickt, „er ist auf und davon, kein Groschen ist dageblieben, sogar all die Depositen hat er gestohlen I"
„Um des Himmelswillen, sprechen Sie von dem Bankirr Volkert? Er ist für einige Tage nach London."
„Schon recht, aber Sie können ihn erwarten bis zum jüngsten Tage, der kommt nicht wieder, schnaubte der Dicke so wüthend, als sei der Amerikaner selbst mit schuldig.
„Ich ahnte dergleichen," murmelte der letztere finster, „schon vorgestern entdeckte ich ans dem Gerichte, wie er mich betrogen, doch um ihretwillen —"
Mit kurzem Gruße gegen den geknickten Kommerzienrat eilte er fort hinüber in die Volkertsche Wohnung und ließ Fräulein Ines zu sich bitten. Wenige Sekunden und das junge Mädchen stand vor ihm; tief traurig war das süße Gesichtchen, die schäm» Augen standen voll Thränen als sie zu ihm ausblickte. Wortlos nahm er ihre beiden Hände in die seinen und sie ließ es ruhig geschehen, als sei dies nur natürlich; die letzten qualvollen Tage lasteten schwer auf der jungen Seele, seine Teilnahme thal so wohl und brachte Beide unwillkürlich näher.
„Ines, mein Kind," erklang endlich die sonore Stimme, die das schöne Mädchen sogar im Traume zu hören wähnte, „M furchtbar lastet das Geschick auf Ihnen, seien Sie standhaft, ks muß doch wieder Alles gut werden."
„O, meine Lora," schluchzte Ines nun ganz fassungslos, „wenn sie sinkt, bin ich ganz allein."
Eine tieferschütternde Klage lag in den wenig Worten; Arthur legte wie ein Vater beruhigend seinen Arm um ihre SHs"' tern und sprach leise tröstende Worte. Sie ward ruhiger, schs^ es gar nicht zu bemerken, wie er sie stützte und schüttete ihm M kummervolles, trostloses Herzchen so recht kindlich aus.
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildbad.