Zwei Schwestern.
Novelle von H. v. Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
(7. Fortsetzung.)
„Mr. Harry nannte mich heute sehr protegirend sein Ballschwesterchen, doch da kam er sehr schlecht an. Ich habe ihm sein kleines Kamelien-Bouqnetchen zerpflückt vor die Füße geworfen."
„Und trotzdem kam vorhin dieses prachtvolle Ersatzstück an," versetzte Lora unruhig. „Ines, spiele nicht mit dem Feuer; Du weißt, was es bedeutet, wenn ein Mann Blumen sendet."
Das trotzige Köpfchen hob sich noch mehr, die kleine Hand schob das Bouquet zurück und Ines lachte seelcnruhig:
„Nein, gewiß nicht; lieber sterben als den Mann heiraten; nicht wahr, mich kann Niemand zwingen."
Die bleiche Frau wurde noch blässer, doch kein Leben der Stimme verriet den Sturm im Herzen:
„Nein, mein Lieb, das soll und darf niemals sein!"
„O, Lora, Du kannst aus Erfahrung reden," rief Ines schmerzlich, warum mußte Dein Leben so grausam gestaltet werden! Hast Du nie so recht geliebt?" Jetzt war es dunkle Röre, welche über das Gesicht der Leidenden zog. „Eine Gewissensfrage, mein Herz!" meinte sie trübe lächelnd, „glaubst Du, Deine alte Schwester sei gänzlich ohne Liebs durchs Leben gegangen!"
„Alte Schwester," grollte die Kleine vorwurfsvoll, wenn mir das Jemand anders sagte, kratzte ich ihm die Augen aus, „wie denn, wenn Dein unbewußter Held von dem Derbyrennen in London heute da wäre," fuhr Lora fort, das Thema wechselnd; mein Kind würde dann in allen höchsten Regionen schweben. Nicht so?"
„Ach, das wäre allerliebst," fuhr die junge Dame auf, „den möchte ich einmal kennen lernen. Es war ein Amerikaner und er saß im Sattel wie ein Halbgott; jung konnte er nicht mehr sein oder doch schon so einige 40 Jahre," setzte sie altklug hinzu. „Ja, ja, ihr jungen Dinger, denen solch ein Alter greisenhaft erscheint," lächelte die Kranke gutmütig, „denke doch, daß ich auch schon 35 Jahre zähle."
Der Diener öffnete soeben die Thür um den Wagen zu melden, und nun folgte ein zärtlicher Abschied des jungen Mädchens von Frau Volkert. Zwei Mal kehrte sie zurück, bis diese endlich lachend sie von dannen schickte.
Glänzend strahlte der Fcstsaal, als mit lautpochendem Herzen das schöne Mädchen hinter ihrer Ballmama eintrat. Mrs. Brand- reth, eine große, hagere Dame mit glattgescheiteltem, hellblondem Haar, großen wafferblaucn Augen und gravitätischem Benehnien, schritt nach kurzer Begrüßung aller höher stehenden Damen sofort auf den rechten Sophaplatz, ihr rechtmäßiges Eigentum zu, um denselben blos zum Souper zu verlassen. Ines sand sogleich eine Menge bekannter Mädchen, auch dauerte es nicht lange und all der große Kreis von Tänzern schloß sich dicht um die liebevolle Erscheinung.
Mr. Brandreth, der Sohn jener würdevollen Dame auf dem Sopha, stand noch an der Thüre; es war eine große Figur mit rötlich-blondem Kotelletebart, Hellen Augen, ähnlich denen seiner Mutter, und einem gewißlich lauernden, unaufrichtigen Zuge in dem sonst nicht unschönen Gesichte. Als er Ines gesehen, strahlend, lieblich und unbefangen, da war ein zorniges Gefühl in seiner Brust erwacht: sie hatte seine Blumen verschmäht. Und diesem Gefühl war die Eifersucht gefolgt, die Eifersucht, als er das schöne Mädchen, welches er halb und halb schon als die Seine betrachtet, umringt sah von all den Herren, als er ihr sonniges Lächeln bemerkte, das sie ohne Unterschied für einen Jeden hatte.
Mr. Brandreth in seiner Eigenschaft als Korrespondent und erster Buchhalter des reichen Bankherrn Volkert, hatte natürlich in dessen Hause Zutritt und Ines jugendfrisches, kindliches Wesen nahm ihn gefangen vom ersten Augenblick an.
Seine Mutter sah die Vorteile einer solchen Verbindung noch deutlicher als ihr verliebter Sohn, und Sie begann emsig die Sache zu fördern. Der Verkehr mit Frau Volkert blühte von Neuem empor; fast täglich erschien die Engländerin, bald dies oder das zu fragen, das junge Mädchen abzuholen oder über Loras Befinden Erkundigungen einzuziehen. Letztere sah bald klar in der Sache, sie befürchtete für ihren Liebling ein ähnliches Schicksal wie ihr eigenes, und beschloß, auf der Hut zu sein.
Die Klänge eines Gungl'schen Walzers erklangen lockend, die Paare ordneten sich und flogen dahin über das glatte Parkett; ein verspäteter Gast stand in der offenen Saalthür und sein rascher Blick musterte flüchtig die Versammlung. Die hohe elegante Figur konnte selbst durch den häßlichen Frack nicht entstellt werden; das geräuntc, regelmäßige Antlitz mit dem dunklen Vollbart und den ernsten Augen war über die erste Jugend hinaus, doch die Schwermut, das Nachdrückliche, welches aus ihnen sprach, machte sie um so anziehender. Plötzlich zuckte er zusammen und ein seltsam starrer, ungläubiger Ausdruck trat in die gespannten Züge; Ines hatte abgetanst und stand nun lachend und plaudernd mit ihrem Tänzer unweit des Fremden. „Lora," klang cs gepreßt von dessen Lippen, und die nervige Gestalt erbebte in seltsamer Bewegung. „Wer ist die Dame im rosa Kleide?" fvug er fast rauh einen vorübergehenden Offizier. „Ah, Mr. Dahlen," rief dieser munter und schüttelte kräftig die Hand des Fragenden, „Sie auch hier? Ich glaubte, Sie seien nicht anwesend!" —
„Doch, und ich gedenke noch eine Weile hier zu bleiben. Aber sagen Sie, Herr Rittmeister, wer ist die junge Dame hier vor uns?" —
„Fräulein Volkert," lautete die Antwort, doch der Vielbegehrt! ward im Moment von einer Dame zur Extratour abgcholt und konnte Näheres nicht berichten. Wie verzaubert starrte der Amerikaner auf die Gestalt in rosa, die aus einem Arm in den andern flog und die Jugcndlust mit vollen Zügen genoß. Es war, als gleite sein Blick aus dem Saale fort, weit in eine ferne Vergangenheit; seine Lippen murmelten noch einmal „Lora" und mit magischer Gewalt zog es ihn hin zu dem schönen Mädchen.
Eine Pause trat ein, Mr. Brandreth schleuderte vorüber und blieb höflich sich verneigend vor dein Fremden stehen. „Mr. Dahlen, wie geht es?" frug er langsam und ein lauernder Blick M über die vornehme Gestalt; „es scheint ein recht animirtes Fest zu werden. Tanzen Sie nicht mehr?"
— „Die Rundtänze überlasse ich der Jugend," lachte der Angeredete, „meine 45 Jahre begnügen sich mit einer Francaise. Aber bitte, stellen Sie mich dieser jungen Dame in rosa vor." —
„Fräulein Volkert?" frug Mr. Harry gedehnt und mißtrauisch. Sie schritten hinüber zu dem jungen Mädchen; der Fremde war tief erbleicht, der Name, den er soeben vernommen, klang schrill wieder in seiner Seele. „Sie kann es nicht sein und doch, so sah sie aus, ganz und gar so," rief eine innere Stimme und ein Seufzer hob die breite Brust.
„Fräulein Ines, erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Lord Dahlen präsentiere," begann Mr. Brandreth und neigte sich mit pro- nonzierter Vertraulichkeit zu dein schönen Mädchen. Sie blickte kühl, beinahe unwillig nach ihm hin, neigte dann flüchtig das Köpfchen und schaute erst dann zu dem Vorgestellten empor; doch ein halb überraschter, halb freudiger Laut erklang jetzt von ihren Lippe, als sie das Antlitz des Herrn erblickte.
„Mein Himmel, Sie sind Mr. Dahlen und ich habe nie Ihren Namen erfahren können."
— „Kannten Sie mich schon, meine Gnädigste?" und die tiefe Stimme klang bewegt, während ein Schleier seinen Blick umflorte. —
„Ja freilich," entgegnete Ines ganz erstaunt, „Sie haben ja das erste Derbyrenncn im Frühling in London gewonnen; wisset! Sie, auf dem Sweetheart!"
— „Und Sic haben mich seitdem nicht vergessen?"
Wie seltsam Ines fühlte, wie unter seinem bewegten, forschenden Blicke die heiße Röte in ihre Wangen stieg, sie vermochte nur stumm bejahend zu nicken und zupfte an der Quaste ihres Fächers.
„Haben Sie,-noch einen Tanz für mich alten Mann, gnädiges Fräulein?" frug Mr. Dahlen, ich bin nicht so unbescheiden, mich an einen Rundtanz zu wagen, aber ich bitte um die nächste Francaise."
Ines nahm das zierliche Täfelchen, ihr Blick überflog all die eingekritzelten Namen und hafte an dem einen, der hinter dem Kontre stand. „Brandreth? der steht zweimal hier. O, er hat den Kotillon; die Francaise muß er streichen." Mil schmeichelnder Gebärde eines verzogenen Kindes wandte sie sich an Mr Harry und frug:
„Nicht wahr, Sie haben nichts dagegen, wenn ich Ihren Namen hier streiche; ich gab den Tanz nämlich an Mr. Dahle»-" (Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildbad.