Mm einen Mosenstrauß.
Novelle von Ah. Kempek.
(Nachdruck verboten.)
3. Fortsetzung.
Mark« fühlte keine Neigung auf den schmerzhaften Ton cin- zugehen, sondern cntgegnete bitter:
„Um meine Hülfe abzulehnen, gaben Sie sich für einen Arzt aus, ich trug die Schuld daran nicht."
»Ich log in der Thal nicht, gnädiges Fräulein, als ich Ihnen sagte, daß mir einige Kenntnis der medizinischen Wissenschaft zu Gebote stände. Ich halte sie nöthig auf meinen weiten Reisen, wo ich oft den Arzt und Apotheker entbehren mußte, ich konnte mir und Anderen oft mit meinem Wissen nützlich sein."
„Es muß herrlich sein, die Welt zu sehen, herauszutreten aus dem täglichen Einerlei, aus dieser verzehrenden Langenweile," erwiderte jetzt plötzlich die Baronesse, dem Gespräche eine andere Richtung gebend.
„Sollten Fräulein von Schönau keine Mittel zu Gebote stehen, einen erfrischenden Lebenshauch in ihr Dasein zu bringen? Warum reisen Sie nicht?
„Meinen Sie, ich sehne mich darnach, mit dem großen Strome der Verguügungsreisenden zu ziehen? Ich sah Italien, die Schweiz, und bereiste den Rhein. Gewiß erfreute mich die herrliche Natur, die Schätze der Kunst im fernen Süden. Ich staunte über die Schönheiten, die überwältigende Macht der Alpen, ich schwärmte von dem gewaltigen deutschen Strom mit seinen grünen Wogen, aber versunken in all diese Herrlichkeiten, tönten schwatzende, störende Mxirschenstimmen an mein Ohr. Wollte ich im Gasthaus noch einmal all' das Erhabene durchleben, die großartigen Eindrücke in mir verarbeiten, so mußte ich bei der Mittagsund Abeudtafel die fadesten Unterhaltungen anhören. Seitdem hasse ich das Reisen l"
„So würden Sic vorziehen, einzudringen in die unermeßlichen Urwälder, in denen keine Menschenstimme, nur das Geheul wilder Thiere an Ihr Ohr dringt, würden unter der glühenden Sonne der Tropen sich Wege zu bahnen suchen?"
Marka's Augen leuchteten hell auf:
„Ja, das muß prächtig sein. Lernten Sie das Alles kennen?" frug sie, die abweisende Haltung völlig vergessend, welche sie, dem Grafen gegenüber, vorher eingenommen hatte.
»Ja, ich habe viel gesehen, Großes erlebt, bis die Verhältnisse mich zwangen, nach der Heimath zurückzukehren."
„Ward Ihnen nicht schwer, sich wieder in das alltägliche Lebe» zu finden?
„Nein, denn Jeder hat es schließlich in der Gewalt, wie er sich sein Leben gestalten will, und außerdem packte mich mitunter das Heimwe, und ich freute mich, diesem schmerzliche» Gefühl zu entrinnen."
„Fanden Sie dazu wirklich Zeit, bei dem Leben, das Ihnen des Interessanten und Schönen so viel bot?"
„Ich müßte kein Deutscher sein, wenn das Gegenteil der Fall wäre," entgegnetc Kronau. „Noch erinnere ich mich des letzten Weihnachtsabends, welchen ich in Südamerika in dem prachtvollen Landhaus eines PlantagenbcsitzerS verlebte. Mit der liebenswürdigsten Gastfreundschaft ausgenommen, umgeben von Pracht und Reichtum, und herrlichen Lebensgenüssen, überwand ich keine» Augenblick die Sehnsucht nach dem deutschen geschmückten Tann nbaum. Man lächelte wohl über den sentimentalen Deutschen, welcher sein Heimweh nicht zu verbergen vermochte. Auf eigentümliche Weile ward ich dann davon befreit. Eine arme Negerin crschj n, ihre Gebieterin um Hilfe für ihr krankes Kind anzn- flehen. Mich rührte des Weibes Angst und Mutterliebe. Da ein A,zt nicht zu erreichen, folgte ich ihr mit meiner Reiseapotheke nach ihrer Hütte Ich fand einen Knabe» von vielleicht fünf Jahren in heftigem Fieber, das wesentlich erhöht war, durch die Hitze in dem engen Raume. Die frische Nachtluf:, die durch das geöffnete Fester drang, eine kühlende Arznei, thaten dem Kinde wohl, es verfiel bald in ruhigen Schlummer und ich verließ gegen Morgen, begleitet von den lebhaften Dankesergüsscn der Negerin, die Hütte. Mein Heimweh war geschwunden, ich meinte, auch im fröhlichsten Kreise, im Glanze der Kerzen, nie einen schöneren Weihnachtsabend verlebt zu haben als hier im fernen Süden, wo mir vergönnt war, ein Menschenleben zu retten."
Marka blickte träumerisch hinauf nach den Wolken, als er schwieg, wendeten sich ihre Augen ihm zu:
„Glauben sie wirklich, daß Sie ein so gutes Werk getha», das Leben eines als Sclave geborenen Negerkindes zu retten?"
„Ich vermochte einer Mutter ihr Kind zu erhalten, den einzigen Reichtum in ihrem armen Leben. Ich beschwöre Sie," — fuhr er mit bittender Stimme fort, ihr einige Schritte näher tretend, — „spielen Sie nie, nie wieder mit einem Menschenleben, eine Bewegung des Kindes, ein falscher Schritt Ihres Pferdes konnte Sie zur Mörderin machen, einen tiefen Schatten hineinwerfen in ihr Leben."
Marka richtete sich stolz auf und sagte, sich verletzt von ihm wendend:
„Ich muß bitten, Graf Kronau, daß Sie mich mit Ihren Ratschlägen verschonen, ich bin Herrin meines Thuns und werde es verantworten."
Schnell, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie die Veranda und bewegte sich bald, anscheinend in heiterster Stimmung, in dem bunten Treiben der Gäste.
Der Graf stand noch einen Augenblick allein.
„Schade," — sagte er zu sich, „sie ist eine interessante, eine großartig angelegte Natur, aber Launen und Selbstüberhebung überwuchern in ihr die guten Eigenschaften!"
Bald darauf empfahl sich der Graf, nicht achtend der dringenden Bitten des Barons und seiner Gemahlin, zum Abendessen ihr Gast zu sein.
Die Mitternachtstunde hatte geschlagen, die Gesellschaft war zu Ende und tiefe Ruhe herrschte im Schlosse Schönau. Nur Marka vermochte nicht, den ersehnten Schlummer zu finden, und als sich endlich die müden Augen geschlossen, fuhr sie erschrocken wieder auf aus bösem Traume.
Oder hatte sie nicht geträumt, war es Wirklichkeit, lag die alte Frau vom Hufe ihres Pferdes getödtet zu ihren Füßen? Drang in Wahrheit des Grafen Stimme an ihr Ohr: Sie sind eine Mörderin I — Verfolgte^sie bereits der Arm der Gerechtigkeit? —
Marka richtete sich auf, eine tiefe Stille herrschte um sie her, der Nachtlampe matter Schein leuchtete beruhigend, nur das laute Klopfen ihres Herzens glaubte sie zu vernehmen. Sie zürnte sich selbst, daß der Vorgang ihre Nerven so beunruhigte, sie hoffte, daß ein milder Schlummer den Rest der Nacht verkürzen würde, vergebens, der Schlaf floh sie und ließ sich durch nichts herbei- locken. Uebernächtlich und ermüdet erhob sich Marka frühzeitig.
Der Helle Morgensonnenstrahl verscheuchte ihre Sorgen und bald dachte Marka:
Der Graf gefiel sich wohl gar darin, sie zu ängstigen und wollte Einfluß auf sie einüben, meinte wohl gar, sie sollte als Pflegerin ihr Unrecht abbüßen. Nein das sollte sicher nicht geschehen, ganz sicher nicht?
Marka meinte mit leichten Gedanken abgcschüttelt zu haben, was sie bedrängte und doch, wenn die alte Frau vor ihre Seele trat . . . Ach, was gieng diese sie an, sie wollte nicht mehr an den unliebsamen Vorfall denken. Sie beteiligte sich lebhaft an neuen Vergnügungsplänen, dann unkernahm sie ihren Spazierritt, welcher, wie sie behauptete, zu ihrem Wohlbefinden nötig fei.
Heute wählte sie jedoch einen andern Weg, sie mochte dein Schauplatz ihrer gestrige» Thaten nicht nahe kommen.
Lange ritt sie umher, in Gedanken versunken, den Weg nicht beachtend und lenkte schließlich, wie sie meinte, ohne es zu wollen, doch auf den gestrigen Weg.
Dort am Walde lag das Häuschen der alten Frau. „Ob sic doch nach der Kranken sah, um sich nicht noch einmal die Nachtruhe stören zu lassen. Den Grafen Kronau wußte sic ja fern und brauchte sich weder vor ihm zu schämen, noch zu fürchten.
Schnell sprang sie vom Pferd-, band eS an einen Baum und trat vorsichtig näher. Leise öffnete sie die Thür und sah, wiesttb die alte Frau unruhig auf dem Bette hin und her warf, während ein Kind von acht Jahren sich vergebens bemühte, kühlende Umschläge auf der Stirn der Verwundeten festzuhaltcn.
Marka trat ei», aber entsetzt bedeckte sie daS Gesicht mit den Händen. Ach, diese schmerzverzerrten Züge, die von Fieber glä»- zeuden, unheimlich blickenden Augen der kranke» Frau, wie furchtbar I Und dies war ihr Werk.
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildbad.