Ilata Mlorgana.
Novelle aus der jüngsten Gegenwart von Ludwig Hertens.
S) (Nachdruck verbotm.)
„Hat sie das?"
„Das weiß die ganze Stadt, auch das noch» daß er seit ihrer Heirat wieder bet ihr Hahn im Korb« ist. Er soll sie täglich besucht haben!"
„Dem ist'« zuzutrauen!"
„Und Hippel hat er nichts gemerkt?"
„Wer wollte es ihm sagen?"
Der Horcher legte Geld auf den Tisch, nahm seinen Hut und ging durch die Thür, die neben dem dunklen Winkel lag, auf den Korridor hinaus, dann auf die Straße. Er hastete heim und murmelre fortwährend:
„Betrogen, betrogen von einer Schlange! Aber ich Hab'« verdient, ich Narr!"
Er trat in seine Wohnung, niemand hatte »S gemerkt. Er ging in sein Zimmer, machte sich am Schreibtische zu schaff-n, nahm aus seiner Schublade einen geladenen Revolver und steckte ihn in die Tasche. Dann schlich er sich zum Zimmer seiner Frau, die von seiner Nähe keine Ahnung hatte.
Eben war Franz Sparr bei ihr ringe- treten:
„Ah. Franz," sagte sie, „wo bleibst Tu so lange?'
„Ich war behindert, Olga; ich komme heute auch zum — letztenmalc!"
„Was heißt d°S?"
„Ich — habe mich verlobt!"
„Verlobt? Bist Du wahnsinnig?'
„Nein, ganz normal I Du bist — verheiratet, und ich will nicht Dein — Opfer sein!"
„Ha, nun erkenne ich Dich, Du lumpiger Egoist! Hinaus!"
Er ging eilig. Hippel murmelte indes:
„Nein, nun nicht! Schlange, trage den Doppelfluch, daß Dich beide verachten l"
Leise ging «r zu seinem Schreibtisch in seinem Zimmer zurück. Hier schrieb er aus «in Blatt:
„Olga, ich ich verachte Dich. Julius."
Eine Minute später erscholl ein Knall im Hause. AlS man in de« Hausherrn Zimmer stürzte, lag er tot und blutüvelst.ömt aus dem Teppich. Ein Dienstmädchen fand und la« den Zettel.
Der Einzige, welcher in der Trauerzeit zu Gisela und Natalie hielt, war Arnold BuseniuS, auch er halte den ominösen Zettel gelesen und behandelte Frau Olga mit auffallender Kälte. Die Obervormundschast sorgte übrigen« gleich dasür, daß der Nachlaß Hippels sogleich inventarisiert ward, seine Verhältnisse waren noch nicht so verzweifelt denn eS blieb doch ein Kapital von 30 000 Mark und das Möblement übrig, für G'sela und Natalie waren ja 20 000 ^ .stcherge. stellt. Darnach mußte Olga mit den Stief. tichtern sich in den Nachlaß teilen. Sie mußten nun von den Zinsen deS kleinen Kapital« dürsttg leben.
Welche Aussicht für das lebenslustige Weib, welches nun auch noch dir Verachtung der Wohldcnkenden ertragen mußte. Hatte sie nicht anch nach einer Fata Morgan» gehascht?
Einige Tage später hatte Frau Angelika Reimer« die wahre Todesursache H'ppelS er
fahren, man weiß nicht wie. Sie hatte eine heftige Auseinandersetzung mit Margo.
„Kind", flehte sie, „ich beschwöre Dich, gieb die Verlobung mit Franz Sparr auf, eS kann, eS wird zu nichts Gutem führen l Ein Mann, der noch bis zur Verlobung ein Verhältnis zu einer verheirateten Frau unterhielt, kann Dich nicht in Wahrheit lieben!"
„Großmama, es wäre mein Tod!"
„Kind, wie Du redest! Glaube mir, er würde sich sofort von Dir wenden, wenn Du nicht «eine Erbin wärest, eS ist ihm nur um das Geld zu thun."
Marga lächelte:
„Ich glaub'« nicht, ich prüfe ihn."
Bald darauf erkrankte die Kommerzien« rätin am typischen Fieder. Sparr behandelte sie.
„Steht eS schlimm?" fragte Margo.
„Ja, Kind, aber ich gebe mir alle erdenklichste Mühe."
„Wie alte Leute doch wunderlich sind."
„Wieso?"
„Großmama sprach von einer Enterbung wenn ich dich nicht aufgäbe."
„Weshalb sollst Du das?"
„Weil — «eil Du mit Frau Hippel ein — ja ein — Verhältnis unterhalten haben sollst."
„Das ist Klatsch! Olga Hippel war meine Jugendfreundin, nicht« mehr!'
„O Gott!"
„Liebe Marga," sagte nun Franz Sparr milde, „das liegt wohl in Großmamas Krankheit. Heute Abend komme ich wieder."
Er ging, indem er murmelte:
„Die Nacht darf sie nicht überleben. Eine Enterbung? — Wollen da« lieber Vorbeugen."
Am Abend gab eS eine neue Mixtur, die Kranke war bewußtlos, der Puls zeigte 43'/» Grad. Auguste, die Magd, mußte die Mixtur holen, der Doktor gab ihr selbst davon. Al« eS zum zweiten Male geschehen sollte, streute der Doktor ein wenig weißes Pulver in'« Theelöfsilchen. Auguste kam darauf zu, achtete aber nicht weiter darauf, nur war eS ihr auffällig, daß etwa« weißes Pulver hernach aus dem Teppich lag. Der Doktor stäubte eS später mit dem Taschentuch sort.
Der Pulsschlag trat höher, um zwei Uhr nachmittags war die Kommerzirnrätin verschieden.
Dr. Sparr stellte den Totenschein aus. Todesursache: typhöses Fieber.
Marga war untröstlich, obschon Franz überall zu trösten suchte.
Die Großmutter ward beerdigt.
Nun wußte er Marga zu bereden, daß sie ihm vier Wochen später tn oller Stille zum Bunde für'« Leben die Hand reichte.
Auguste blieb im Dienste des jungen Ehepaares.
Um jene Zeit führte such Arnold Busr- niuS Natalie heim, Gisela nahm eine Stellung als Gouvernannte an.
Auch Arthur v. Markwitz heiratete damals, nämlich die reiche Witwe Adele v. Prittwttz.
Gisela seufzte bei dieser Nachricht:
,O Welt der Eitelkeiten!"
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Ein halbes Jahr war vergangen. Dr. Franz Sparr besaß jetzt al« reicher, rinfluß. reicher Arzt eine große Praxis. Die Dienst- magd Auguste Sattler war entlass n, und
trat in dev Dienst des Professors der Chemie Dr. Give.
Dieser hatte Olga Hippel kennen gelernt, hatte sich als rechter Bücherwurm gar nicht nm das Gerede der Welt bekümmert, er heiratete Olga Hippel, und diese war nun bei allem schlechten Gerede wieder obenauf.
Sie hatte aber Franz Sparr nichts vergessen, ihr Vater war gestorben, eS gab keinen Menschen, der ihr etwas nachsagen konnte, als Franz Sparr, darum haßte sie ihn.
Mit Auguste that sie sehr vertraut und erfuhr auch ihre Beobachtungen über das weiße Pulver. Eine« TageS legte sie ihrem fast 80jährigen gemäht die Frage vor:
„Sag' mal, Mann, ist das wahr? Da lese ich in einer Zeitung von einer Vergiftung, die Geschichte ist ein Jahr später he- rauSgekommen I Ist das möglich?"
Gille lachte:
„Du nimmst eS genau, Olga."
„Es interessiert mich, Eberhard l"
„Nun, ich will Deine Neugier befriedigen. Gift ist nett Sicherheit nur al« Arsenik nach so langer Zeit tm Körper zu konstatieren."
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Der Wert der Schönheit. Das Wiener OberlandeSgericht hatte unlängst dortigen Blättern zufolge darüber zu entscheiden, inwieweit die Schönheit eines Mäd, chengksichteS einen materiellen Wert repräsentiere. Fräulein Anna R. war an einem stürmischen Tage durch die Martahtlsstraße gegangen und da passlcrie ihr daS Matheur daß ein Auslagesenster, welches der Sturm aus den Angeln riß, ihr ins Gesicht siet. Sie erlitt Verletzungen solcher Art, daß ihre Oberlippe durch die Narbe dauernd entstellt »leibt. Von der Firma, deren Auslagesenster das Unglück verursachte, verlangte nun Fräulein Anna R. Schadenersatz und nun wurde er ihr auch in der Höhe von 400 Kronen gertchtSo»dnuvgSmäßig zugesprochen. Im Ur- teil wird die beklagte Firma verpfltchiet, für die „erschwerte Versorgung" des Mädchens den Betrag zu erlegen. 400 Kronen find nicht viel. Aber interessant ist es immerhin daß der Gerichtshof einem Abstraktum, wie eS Schönheit oder Anmut eines Antlitzes ist, einen realen Besitzwert zuerkennt. Aesthetiker werden zwar behaupten, daß ein ziffermäßiger Ersatz für verlorene Schönheit überhaupt nicht geboten werden kann, Praktiker des Lebens aber müssen zugeben, daß der Besitz von 400 Kronen die „Versorgung" der Besitzerin ost mehr erleichtert, aiS der Besitz einer noch so unenistrllten Oberlippe.
— Amerikanische Leistung in Religtons. mengerei. Auf einem Dampfschiff wurde, nach dem Bericht der in San Franzisko erscheinenden Zeilung „Examiner", eine gottesdienstliche Versammlung gehalten, tn welcher ein jüdischer Rabbiner die Predigt hielt; ein protestantischer KollegiumSpcäsident gab eine Ansprache, ein Priester des Götzen Buddha erteilte den Segen, ein Kapitän der Heilsarmee und seine Frau lasen etliche Schrtst- abschnitte und ein Priester der römisch-katholischen Kirche las Psalmen vor. Das erinnert stark an de» allen Rationalismus: Wir glauben all' an einen Gott, Christ, Jude, Türt' und Hoticntott"
Druck u, Perlag der Bernh. Hofmann'schen Buchdruckerei in Wildbad. Für die Redaktion verantwortlich: G- Drechsler.