Seine Schwester.

Erzählung aus der Gegenwart von Fanny S t ö ck e r t.

S) (Nachdruck verboten.)

Und ich leiste ja auch etwa-dafür, sagte sich Melitta, wurden doch ihre Kräfte vom Morgen bis zum Abend in Anspruch ge­nommen, todtmüde betrat sie oft des Abends ihr Zimmer, um daun sofort in den tiefen gesunden Schlaf der Jugend zu sinken. DaS Hcrumwtrtschaften im Hause bekam ihr frei­lich beffir, wie die frühere Beschäftigung mit Handarbeiten, sic wurde täglich frischer und blühender. Floras Blicke ruhten oft voll Neid auf dem rosigen Gesicht, sie blieb blaß und mager, trotz aller Pflege, die sie für sich beanspruchte. Getauscht hätte sie aber doch uicht mit Melitta, ein armes Mädchen zu sein, war in ihren Augen das Beklagens­werteste was es gab, mußten doch solche ihrer Meinung nach auf alle Lebensfreuden ver­zichten. Welch eine traurige Stellung nahm schon Melitta hier ein, ihre Kräfte wurven auf alle Weise ausgrnutzt, und nahm man sie wirklich einmal mit in Gesellschaft, so spielte sie dort stets eine sehr bescheidene Rolle Wie eS eben solchen armen Mädchen zukam, das keine Ansprüche machen durfte. Im Winter würbe ihr Leben hier nun ein ganz trostloses werden, da sie und ihre Mutter eine Reise nach Berlin planten, konnten sie doch ohne Sorge Melitta die Oberleitung des Haushaltes überlassen. Die Frau AmtS- rätin hatte sie gut cingejchult, und freute sich ihrer klugen Berechnung. Wie einsam das junge Mädchen sich hier in der Gesellschaft ihres immer schweigsamer werdenden Galten fühlen mußte, wenn die Natur draußen im tiefen Winterschlaf lag, darüber machte sie sich.keine Gedanken w-iter. Und derWinter kam und breitete seine weißen Schneedecken aus. Die beiden Damen traten gleich nach Weihnachten die geplante Reise an, und Me­litta blieb mit dem Onkel allein zurück in dem düsteren Hernnhauje.

O diese trostlose Einsamkeit. War denn das noch Leben zu nennen l War denn das noch Jugend oder war sie alt, uralt, so fragte sie sich oft, wenn ein Tag nach dem andern im grauen Einerlei dahin ging. T»e Wege waren verschneit, wollte sie frische Lust schöpfen, da mußte sie schon durch tiefen Schnee stampfen, und Loch war das ihre ein­zige Erholung, ihre einzige Freude, da draußen am weilen einsamen Meer.sstlande zu stehn, und den Sturmesliedern der Wellen zn lauschen. Da regten sich die Flügel ihrer Seele, die Gedanken flogen ins Wette der lieben fernen Heimat zu.

Laß eS D»r nicht zu traurig, zu einsam werden, hatte die Mutter neulich geschrieben. Der Frühling kommt auch wieder, und der Sommer bringt uns vielleicht ein Wieder­sehen ; Fred wenigstens spricht schon immer von einer Reise nach Rügen. Ach er ist jetzt so glücklich, jo übermütig, wo er sich nicht so um jede Mark zu sorgen braucht. Ost bringt er etnzele seiner Freunde mit zu uns, und ich alte Frau werde dann selbst ganz jung wieder mit, wenn ich ihrem Ge­plauder zuhöre. Was haben sie alles für kühne ZukunftSpläne große Weltbeglückcr hoffen sie zu werden^ Fred gedenkt einst alle Bacillen aus der Welt zu schaffen, mittels einer großen, wissenschaftlichen Entdeckung,

der er schon auf der Spur Ist, wle er be­hauptet. Der kleine Straffort hofft einmal als Minister daS ganze veraltete Gerichts­wesen umzustoßen, die höchsten Ziele haben st- alle, und ist ein Vergnügen diesem fröhlichen, echt jugendlichen Geplauder zu­zuhören, ich wollte Du könntest eS auch. Dich muß eben daS beglücken, Fred, der doch daS Liebste ist, waS wir haben, die paar Jahre das Opfer zu bringen, ^er wird es Dir sicher einst lohnen. Marlin Harden kommt jetzt seltener, ob er dich vermißt, manchmal glaube ich es fest. In seinem übertriebenen Unabhängigkeitsgefühl kann er eS nicht begreifen, daß wir daS Geld für Freds Studium annehmen. Es sei doch auch früher so gegangen, hat er neulich erst wieder zu Fred gesagt. Mir ist eS ja auch pein­lich, unser fröhlicher Student aber denkt sorg­loser darüber, schließlich leistest Du ja auch etwas dafür, sei immer nur recht fleißig und laß Dir keine Mühe verdrießen' damit Du die Wohllhat einigermaßen wieder gut machst.

Melitta hatte den Brief gelesen, und war dann ins Freie hinausgeeilt, die Stuben kamen ihr so bedrückend vor, als müßte sie darin ersticken. Sie atmete tief auf, unten am McereSstrand, den Blick ins wette ge­richtet. Wie gut es ihr that solch ein be­freiender Atemzug hier angesichts der weiten Meeresfläche, ein Bild dcS unendlichen Ewigen bei dessen Anblick die kleinlichen Sorgendes Daseins in ein Nichts zerfließen müssen. WaS war eS nnr, was ihr daS Herz vorhin so beengt Halle, war eS Heimweh, Sehnsucht nach Müller und Bruder? oder Martin Harden. leise kam der Name über ihre Lippen, warum urteilte er nur so hart über Fred, das war eS, daö hatte ihr das Herz zusammen geschnürt. Wie deutlich sic daö erustc Antlitz vor sich sah, die dunklen Augen, die immer auf die höchst-n Dinge gerichtet schienen. War es nicht, als ver­nähme sic durch das Brausen der Wogen seine Stimme so wahr, so überzeugend.Nein, nein, sie schüttelte den Kopf, sie halte doch nicht recht, Freds Natur war eben nicht für Einschränken, für Entsagen geschaffen, sie orängte und trieb nach vollem Lebensgenuß aber warum 'sollte er nicht trotzdem auch einmal Großes erreichen. Die Mutter schrieb ja von hohen Zielen die er und seine Freunde sich gesteckt, nein, er war ein guter braver Junge, ihr Fred, wenn er sich auch seines Lebens freute, und Martin Harden brauchte garnicht immer jo aus ihn zu sehen.

Unter solchen Gedanken «änderte sie den einsamen Strand entlang und stieg jetzt eine der bewaldeten Höhen hinauf. Wie schön mußte es hier oben im Frühling sein, wenn die Wälder sich wieder grün färbten und die Vögel sangen, und der Frühling mußte kommen so gewiß wie sic hier obeu stand in der toten, starren Wlntereinsamkeit.

Wie diese Frühlingsgedanken alle Wol­ken von ihrer Stirn verschwinden ließen, Hellen AugeS und elastischen Hauptes trat sie den Heimweg an. Fast verwundert sah sie ihr Onkel an, als sie am abend mit rosigen Wangen und strahlenden Blicken vor ihm saß, und ihm von dem Brief ihrer Mutnr erzählte.

Woher nahm dieses junge Geschöpf nur diese LebenSsreubigkeit in dieser kalten, düster» Atmosphäre seines HauseS hier, die auch im

Sommer, wenn daS warme Sonnenlicht sich überroll Bahr brach, nie ganz schwinden wollte.

War eS einmal anders? war es einmal anders? Er kann sich kaum noch darauf besinnen, als er auch einst, als armer junger Offizier mit so lachenden Augen in die Welt geblickt, daß er auch seine Jugend gehabt. Er har eS aber nicht verstanden etwas da­von fcstzuhalten, seine Frau hat eS aber desto mehr verstanden, ihn in ihre engen Kreise hinein zu ziehen, wo der Besitz als >hr Höchstes galt. Gewiß war eS auch schön daS Gefühl des Reichtums, nur durfte man sein Denken nicht allein darauf richten, und daS volle reiche Leben darüber versäumen; das Leben von welchem Melitta so anmutig plauderte. Wie sie das Alles schilderte die Abende in dem bescheidenen Heim seiner SLw ster, wenn sie musiciert, vorgelesen, ober heiter geplaudert wurde, dann kam ihm daS Dasein dieser doch eigentlich armen Menschen­kinder doch tausendmal reicher vor, als daS seiner Familie hier in allem Luxus deS Reichtums.

Wie erträgst Du'S hier nur jetzt, ganz auf die Gesellschaft Deines alten mürrischen Onkels angewiesen?" fragte er sie.

Melitta lachte:O Onkel so schrecklich mürrisch bist Du ja gar nicht, Du sollest nur öfter mtt mir spazieren kommen, drau­ßen in der Naiur ist eS immer schön, auch im Winter, da findet man sich immer wiener zurecht, wenn «S ein>m manchmal in den Stuben zu eng wird."

Ja wer noch mit jungen, lebensfrohen Augen in dir Welt und die Natur blickt wie Du, aber ich, für mich hat die Matur hier längst ihren Reiz verloren, wenn man so jahraus, jahrein dieselben Bilder vor Augen hat, und dazu das ewige, graue Einerlei der Tage.

Er fuhr mit einer müden Handbcweg« ung über seine Stirn.ES ist elwaS tot da innen, daS lebt nicht wieder auf," mur­melte er.

Melitta sah ihn mitleidig an, sollte eS ihr nicht geiinegn, doch eiwas wieder zu er­wecken, von dem was da gestorben an dem schrecklichen Rechengeist der Tanie. Doch jetzt war diese nicht hier, und sie Hane das Regi­ment der häuslichen Angelegenheiten in Hän­den und den besten Willen dazu ein wenig Sonenschein in das alte, düstere Haus zu zaubern. So nach und nach gelang eS ihr wirklich, Frühlingsblumen, die sie selbst ge­zogen blühten an den Fenstern, und deS Abends brodelte die Theemaschtene, die die Tante aller Gemütlichkeit abhold, längst bei Seite gestellt hatte. Auch Bücher hatte sie sich zu verschaffen gewußt, aus welchem sie dem Onkel vorlas, und waren eS besonders Reuters Werke, die dem alten Herrn uner­schöpfliche Genüsse bereiteten.

(Fortsetzung folgt.)!

Verschiedenes.

.-. (Anstrengende Arbeit).Sag' mir nur, Micher, warum schrmtz'l du Venn so?

. . . Hast d' am Ena g'arveii't?"O na aber 'n Herrn Grasen Hab' ich troff'o der hat mi ang'sproche'n und da Hab' ich hochdeutsch red'n müss'n I"

(Der Hanpischmerz).Daß i'Zahn­weh hav', seit lyui uix; aver seit tfcht arg; r' ka' mvl'm Hundie uel ptvife l"

ßitgkito«, Druck im- Verlag von vernh. Hosmauu in Wwhgh.