Gin Waterherz.
Roman in Ortginalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
109) (Nachdruck verboten.)
„ Nein, Liebe, und er soll es auch nie wissen. Dies muß ein Geheimnis zwischen uns bleiben. Du wirst mich nie verraten
— versprich es mir." Eiste gab nun widerstrebend das verlangte Versprechen. Sie war immer noch wie von einem Traume umfangen, obschon die Thatsachen sehr klar vor ihr lagen. Sie bewunderte Helenens Selbstbeherrschung, mit welcher diese ihre Liebe so lange zu verbergen gewußt hatte und Alle die täuschte, welche an den kühlen Gleichmut dieses vierundzwanztgjährigen Mädchens glaubten. Sic fragte sich, wie rS möglich gewesen, daß Helene ihren Vater lieben gelernt, da dessen Stolz und anfängliche Abneigung ihr doch den Weg zu seinem Herzen förmlich verlegt hatten. .Kannst Du nun erraten," flüsterte Helene, „warum mir jede Anspielung auf eine Heirat zuwider ist?
— warum ich zeitweise auf Dich, ja aus Jeden eifersüchtig bin, für den er einen Schimmer jener Zuneigung zeigt, die er sür mich nicht hat?"
„Ja jetzt errate ich Alles; aber Du bist ihm lieb wie eine Tochter."
„Nein; laß mich ruhig meinen eigenen Weg weitergehen," rief Helene. „Nur eines möchte ich, Eiste was ich selbst thun kann. Du mußt ihm sein Unrecht vorstellen, daß er mich als Fremde behandelt, daß er jeden Versuch, ihm sein rechtmäßiges Eigentum zuzustellen, übel nimmt und vereiteln will. Warum will er morgen kommen und mich mit seiner Abrechnung, mit seinen grausamen Reden von Wiedererstattung zu Boden zu drücken?"
Helene barg ihr Gesicht in beiden Händen, aber Elsie suchte diese mit sanfter Gewalt wegzuziehen. „Dies darf Dich nicht kränken, Lena; Du weißt, wie stolz er ist, und wie er es nicht ertragen kann, gegen Jemanden Verbindlichkeiten zu haben. Habe morgen wenigstens Geduld mit ihm."
Helene seufzte. DaS Bekenntnis war abgelegt, und die beiden Freundinnen saßen längere Zeit wieder da, jede in ihre eigenen Gedanken versunken. Elfte war die erste, welche sich aufraffte. „ES ist Zeit, zur Ruhe zu gehen, Lena," sagte sie, sich er- hebend, „kommst Du nicht mit mir?"
„Noch nicht, Elste. Ich halte späte Stunden, wenn ich über Angenehmes nach- zudenken habe; Schlimmes versuche ich wegzuschlafen."
So sind Deine Gedanken schließlich dennoch angenehmer Natur heute Abend?"
„So ist es, ich freue mich, daß Du einen Einblick in mein Herz gethan und mich deshalb nicht weniger liebst — daß zwischen uns und denen, dir uns teuer sind, kein Mißverständnis mehr besteht — daß unser Weg klar vor uns liegt, bis ein besseres, höheres Leben uns beschicken wird."
Bereits um neun Uhr deS andern Morgens machte Oberst Nord sich auf den Weg nach der Villa, um seine G-schästSan- gelegenheitm mit Helene Drring zu erledigen.
Die beiden jungen Damen faßen noch am FrühstückStifch, als sie ihn mit grimmiger Geschäftsmtene durch den Garten daher kommen sahen; er trug sogar ein Paket Pa
piere unter dem Arm, die sorgfältig, in höchst niederschlagcnder Weise mit rotem Bindfaden umwunden waren. „Da ist er," murmelte Helene leise vor sich hin, und hohe Röte färbte ihre Wangen. „Ich bitte Dich Elsie, laß mich nicht allein mit ihm. Du weißt ja Alles von jenen lästigen Verbindlichkeiten, und wenn ich mich vergessen sollte, so wird ein Blick von Dir mich lehren, auf meiner Hut zu sein.
„Wie Du willst; doch, ich würde es vorziehen, mich zu entfernen."
„Und ich würde Dein Bleiben vorziehen," sagte Helene mit großer Entschiedenheit; „Du kannst dann —
Ein klopfen an der Thüre unterbrach sie; eS klang wie ein befehlendes Verlangen um unverzüglichen Einlaß. Helene und Elsie blickten fast besorgt einander an. Nach allem was vorausgegangen, hatten sie Grund, dieser letzten Auseinandersetzung in Geldsachen — dieser Abrechungen zwischen den Nords und den DeringS — mit einigem Bangen entgegenzusehen. War eS doch leicht möglich, daß neue Verwickelungen, neue Mißverständnisse daraus hervorgingen.
„Herr Oberst Nord," meldete das Dienstmädchen, und der Oberst folgte ihm aus dem Fuße nach, küßte zärtlich seine Tochter und begrüßte Helene mit einem Händedruck. Das Frühstücksserv'ce wurde weggeräumt, und das aufgeweckte Mädchen, das in dem rotumwundenen Pakete unter des Besuchers Arm Geschäfte witterte, stellte ein Schreibzeug auf den Tisch und zog sich zurück. Alles sah so feierlich aus, und keiner der Anwesenden sprach ein Wort.
„Welch' schöner Morgen !" sagte Helene endlich mit einem Blick aus dem Fenster.
„Ja; der Sommer scheint noch verweilen zu wollen, obgleich wir schon tief im September sind," versetzte Nord. „Ich habe heute schon einen meiner großen Spaziergänge gemacht, die Du so wohl kennst, Elsie," fügte er bei, sich zu seiner Tochter wendend und diese durch eine Reihe von Gesichts- Verzerrungen überraschend, welche aber unverstanden bleiben sollten. Eiste hat der Freundin zu bleiben versprochen und ge. dachte ihr Wort zu halten. „Wo bist Du gewesen Vater?" fragte sie ruhig.
„Ich bin am Strande entlang gegangen, bis Barstoft hinter mir lag und ich allein war mit der See — und meinen Erwägungen für und gegen seltsame Entschlüsse, die sich mir aufgedrängt hatten."
„Entschlüsse wiederholte Elste.
„Ja, eine Veränderung betreffend; denn ich btn veränderlicher Natur, wie Du weißt." Er löste den Bindfaden von seinen Papieren und machte wieder Geberden nach Elste, bedeutungsvolle Blicke zu Helene hinüber- werfend, die sich sür das Muster des Fuß- teppichS zu interessiren schien. Allein Elste's Fassungskraft schien jammervoll — was war mit dem Kinde nur vorgegangen, fragte er sich, daß eS ihn so verständnißlos anstarrte?
„Sind Sie WolstonS müde geworden, Herr Oberst?" fragte Helene, ohne aufzuschauen, „und beziehen sich Ihre neuen Entschlüsse aus das Verlassen Ihrer Heimat?"
„Ich glaube, rS ist so." Wieder trat rin verlegenes Schweigen ein, bis Elste ein Buch von einem Seitentischchen aufnahm und eifrig darin zu blättern begann. Dies war zuviel sür des Obersten Geduld. „Elfte,"
sagte er, „Fräulein Dering uub ich haben wichtige Geschäfte zu erledigen."
„Ich weiß cs, Vater; bitte störe Dich nicht an mich, ich werde mich mäuschensstill verhalten."
„Bei Geschäften ist eine dritte Person stets unverwünscht."
„Ja, wenn diese dritte Person fremd ist; — aber"
„Elste," unterbrach sie ihr Vater in sehr bestimmtem Tone, „ich wünschte, Du würdest einen Spaziergang auf der Esplanade machen."
Aber Elste kannte Ihren Vater nur zu gut, um sich durch diese Strenge Einschüchtern zu lassen. „Ich glaube, Helene wünscht, daß ich heute morgen bei ihr bleibe," erklärte sie.
Frank Nord fing an, seine Papiere wieder zusammenzubtnden. „Dann will ich heute Nachmittag noch einmal vorsprechen," sagte er.
Doch nun hielt eS Hel-N- an der Zeit, sich einzumischcn. „Laß uns lieber allein, Eist, ich fürchte mich jetzt nicht. Ich wünschte, Eiste als Verbündete zur Seite haben," beeilte sie sich zu erklären, als Nord etwas verwundert aufschaute, „im Falle Sic hart mit mir verfahren würden; aber wenn Sie
— wirklich — wünschen, daß sie weggehe
— ?" schloß sie sehr langsam.
«Jo, ich holte es sür ratsamer." Elste zog sich zurück, und wenige Minuten später eilte sie den Gartenweg hinunter, lächelnd dem Vater und der Freundin noch einmal zuwinkend. „Gott erhalte sie mir!" rief der Oberst; „wie wohl und kräftig sie geworden ist I"
„Ja; an ihrer Stelle würde ich Wolston nicht zu rasch wieder verlassen.*
„Morgen gewiß noch nicht; cswirdzum großen Teil von Ihnen obhängen, Fräulein Dering." Er begann stets mit der Anrede „Fräulein Dering," wenn er zu einem Streit aufgelegt war, wie Helene wußte.
„Inwiefern, Herr Oberst?"
„Ich habe das alte Haus vor einem Monat gekauft und gedenke eS als eine Art Abschlagszahlung auf Sie zu übertragen."
„O, Herr Oberst!"
„Ich halte dies für notwendig, um unsere Angelegenheit zu einem befriedigenden Abschlüsse zu bringen; doch will ich mich sogleich näher erklären." Frank Nord breitete die mitgcbrachten Papiere auf dem Tische aus und wählte einen Bogen daraus hervor, der, wie Helene bemerkte ganz mit Zahlen bedeckt war. Sic fühlte sich sehr unbehaglich, wartete aber mit musterhafter Geduld auf seine Auseinandersetzung, nur zuweilen einen scheuen Blick auf sein Gesicht werfend, das bereits einen weit strengeren Ausdruck angenommen hatte. „Sie gaben mir in Paris eine Liste meiner Ausgaben in Madame Charamantes Haus, Fräulein Dering, fügte er mit Nachdruck bei und blickte so plötzlich von dem Papiere auf, daß Helme die Augen niederschlug, „welche nicht ganz genau war. Ich bedauere bei einer so jungen Dame ein solch' beklagenswertes Verlangen zu entdecken, einfache Thatsachen zu entstellen," fuhr er troken fort; „aber die Differenz beträgt einige tausend Franks."
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion. Druck und Berta« »an Beruh, tzofmaun in Wildbad.