Gin Waker-Herz.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
96) (Nachdruck verboten.)
„Oberst Nord hätte ihn vielleicht gerne einen Augenblick gesprochen und ganz gewiß nicht die letzten Stunden jenes Mannes zu stören und zu erschweren gesucht."
„Sie sind ihm erschwert schon durch den bloßen Gedanken an ihn; er konnte nicht ruhen, er mußte trinken, als ich ihm den Rücken kehrte; Sie sehen, wie er verändert ist seit Frank Nords Heimkehr."
»Ja, zum Schlimmen verändert; doch dies ist nicht des Obersten Schuld. Sie wenigstens sollten es besser verstehen."
„Ah, Sie sind böse auf mich, weil ich Ihnen nicht Alles gleich erzählt habe; und doch wollte ich nur ein paar Tage warten, um den armen Tropf in Frieden sterben zu lasten. ES war sein sehnlichster Wunsch und meine Pflicht; und obgleich er heute abend sagte, ich sei ihm eine tose Frau ge» wesen — was ich auch war — so konnte ich ihm das jetzt nicht anthun."
„Lassen wir dies jetzt; Sie haben in guter Absicht gehandelt, und ich bin nicht hier, um Ihnen Borwürfe zu machen. Ich habe erfahren, wo Oberst Nord und Elsie sich befinden, und freue mich darüber. Warum dachte ich nicht selbst daran, daß sie in Wol- ston sein könnten? Und doch warum haben Sie mich übergangen — so gänzlich bei Seite geschoben?" Wieder versank Helene in tiefes Sinnen, von Frau Paretti neugierig beobachtet. Ein langes Schweigen herrschte in dem Zimmer, nur unterbrochen von Paulos schweren Atemzügen und dem Heulen deS WindeS der immer heftiger zu werden schien.
„Wie alt ist dieser Oberst Nord ?" fragte Frau Baretti plötzlich.
Helene fuhr zusammen. „Vierzig — beinahe einundvierzig, glaube lch — warum fragen Sie?"
„Ich hätte ihn für älter gehalten," bemerkte Frau Barett!; „er scheint soviel in der Welt herumgekommen zu sein. Sie sind erst vierundzwanzig, nicht wahr?"
Helene errötete bei dieser Frage und ärgerte sich darüber, antwortete aber sehr ruhig: „Ich bin gerade vierundzwanzig."
„Als ich Paulo heiratete, dachte ich, der Unterschied im Alter hätte nicht viel zu bedeuten," fuhr Frau Baretti fort; „und vielleicht war es auch so, obschon er mich nie gut behandelt hat. Aber —ach, das Kindl"
Helene war froh, daß die Kleine plötzlich erwacht war und die Sprecherin von weiteren unangenehmen Fragen ablenkte. Als diese daö Kind wieder in Schlaf gelullt hatte und zu ihrem früheren Platz zurückkehrte, erhob ihre Besucherin sich, um wegzugchen.
„Sie wollen gehen I Ich dachte, Sie seien gekommen, um ihm ein bischen einzureden — ihm vorzulesen, wie Sie eS versprochen."
„Ich will ihm morgen vorlesen; heute Abend ist eS mir unmöglich." Helene wollte um jeden Preis verhindern, daß Frau Baretti ihr peinliches Kreuzverhör wieder aufnehme und Fragen an sie richte, deren eine gebildetere Frau sich enthalten hätte.
„Der Wind hat uns einen tüchtigen Regen gebracht," bemerkte Fanny; „und an Ihrer Stelle würde ich ein bischen warten, bis er vorüber ist. Lange kann's ja nicht
dauern, bei diesem Sturm. Hören Sie nur l"
Helene lauschte auf das Klatschen des Regens gegen die Fensterscheiben, auf.das Rauschen der die Anhöhe htnabstürzenden Wastermastcn, aber das schreckte sie nicht zurück. „Ich danke Ihnen, ich möchte dennoch gehen," sagte sie ruhig; „in der Hochstraße werde ich mir eine Droschke verschaffen können."
„Wie Sie wollen. Ich wäre dankbar gewesen für ein Plauderstündchen mit Ihnen, Fräulein Dertng, jetzt, da er ruhig ist und das Kind schläft; aber ich darf nicht immer auf Ihre Gesellschaft rechnen. Frau Green ist so unwissend, und das ist nicht meine Sper — Sphäre wollte ich sagen- Allein — holla, warum kommen Sie so sonderbar herein, Frau Green?"
Frau Baretli'S Hauswirtin war mit so feierlicher und wichtiger Miene auf den Fußspitzen in die Stube getreten, daß es selbst Helenen überrascht hatte. „Er ist da," flüst-rte sie. „Ich sollte es Ihnen vorsichtig sagen. Er möchte ihn jetzt sehen."
„Herrgott im Himmelreich I wieder dieser Nord," rief Frau Baretti, verzweifelt die HSnve ringend; „und nach all meiner Mühe die Beiden getrennt zu halten!"
„Nord — Frank Nord hier?" sagte Helene, und wieder erfaßte sie die alte Furcht vor ihm und trieb ihr alles Blut nach dem Herzen.
„Sagte ich denn,- es sei einer NamevS Nord?" fragte Frau Green; „es ist der Sohn — aus dem französischen Land. Er sagte mir so."
„Also hat er seinen Weg hierher gefunden bemerkte Frau Baretti ruhig. „Nun, wenn er sich gehörig Zeit genommen hat, so bin doch froh, daß er da ist. Führen Sie ihn herein."
„Nein," rief Helene rasch; „Ihr Mann würde erwachen, und die Erschütterung könnte ihm den Tod bringen. Ich werde bleiben und ihn auf daS Wiedersehen vorbereiten."
„Ach, das ist gut, das ist freundlich von Ihnen," sagte Frau Baretti aufatmend.
Helene trat aus dem Zimmer aus den engen Korridor, wo Antonio wartete. Bei ihrem Anblick stieß er einen Freudenschrei aus, ergriff ihre beiden Hände und rüttelte sie voll Herzlichkeit. „Fräulein Dering! O, das gleicht ganz Ihrem edlen Herzen, für ihn Sorge zu tragen, trotz allem Unglück, das er über Sie gebracht. Wie kann ich Ihnen dies je vergelten?"
„St! er ist sehr schwach ; und wir fürchten, die große Ueberraschung könnte ihn löten. Was hat Sie so lange fern gehalten?"
„Ich war abwesend von Frankreich — in Italien, wo Ihre Botschaft mich gerade erst erreichte. Wo ist er —* mein Vater ?"
„Er schläft."
„Werde ich ihn aufwecken, wenn ich cin- trete?"
„Er scheint jetzt fest zu schlafen, Versetzte Helene zögernd; „doch wir dachten —"
„Ich will nur einen Blick auf ihn werfen," unterbrach Antonio sie ungeduldig. Er trat leise in das Zimmer, gefolgt von Helenen, und seine Stiefmutter schaute neugierig auf Paulo's „Tory".
„Wer ist dies?" fragte Letzterer Helene in leisem Flüstertöne.
„Die Frau ihres Vaters, welche ihn treulich in seiner Krankheit plegte I"
> »Ich freue mich, dies zu hören," sagte
Antonio, der Stiefmutter die Hand reichend, „und ich danke Ihnen. Zu solchen Zeiten ist man zur Vergebung geneigt — und schließlich ist er doch Ihr Gatte und mein Vater."
„Ja, eS ist, wie Sie sagen Herr," war die schüchterne Entgegnung. Das schöne, bleiche Gesicht Antonio's, sein freundliches Benehmen gegen sie machten einen tiefen Eindrück auf Fanny Baretti, und sie drängte die vorwurfsvollen Worte zurück, die ihr bereits auf den Lippen schwebten. Mit verschlungenen Händen stand Antonio in geringer Entfernung von seinem Vater und blickte sichtlich erschüttert auf ihn herab, bei der kleinsten Bewegung des Kranken aus dessen Gesichtskreis tretend. „Ja," sagte er langsam; „er ist dem Tode nahe, und diesem armen, irrenden Vater kann man keinen Wunsch mehr versagen." Der leise Ton in dem Antonio gesprochen, schien den fest schlafenden Mann unmöglich aufweckcn zu körnen, aber es lag etwas tn der Stimme, das ihn störte, denn er öffnete augenblicklich die Augen und starrte wild in Helenens Gesicht, das einzige, das er in diesem Augenblicke zu erblicken vermochte.
„Ich meinte, ich hörte Tony sprechen," murmelte er leise.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Städte Lexikon des deutschen Reichs. HerauSgegrben und verlegt von E. H. Petzvld, Bischofswerde (Sa.) 146 Seiten, elegant in Leinen gebunden 2
Das soeben erschienene Werk bringt Io alphabetischer Reihenfolge sämtliche Städte, des Deutschen Reichs, sowie alle ländlichen Ortschaften, mit dem Sitze eines Amtsgerichts und solcher von über 5000 Einwohnern mit Angabe des Staates bczw. Provinz, der Einwohnerzahl vom 1. Dezember 1900, Ver- waltungS- und Gerichtsbehörden, Verkehrsanstalten, Militärbehörden und Truppenteile, Rechtsanwälte, Notare, Prozeßagenten, Rechts- beistände, Gerichtsvollzieher, Bank und Speditionsgeschäfte re. Außer der Einwohnerzahl nach der neuesten Volkszählung ist auch diejenige vom 5. Dezember 1895 unmittelbar hinter der elfteren in Parenthese mit angegeben. Sehr wichtig ist die Angabe der Prozeßagenten und der zunächst wohnenden RechS- agenten bei denjenigen Orten mit Amtsgericht, wo sich keine Rechtsanwälte befinden; diese Angaben sind in ihrer Vollständigkeit und Zuverlässigkeit bisher noch nirgends bekannt gegeben. Dem lexikalischen Teile geht ein Verzeichnis der Reichsbehörden nebst einer kurzen Darstellung der Bundesstaaten voran, aus welcher auch die Aufsichtsbehörden sämtlicher Stadt- und Landgemeinden deutlich ersichtlich sind, ferner ist eine Zusammenstellung der Städte von über 20 000 Einwohnern nach ihrer Größe geordnet und eine Tabelle über das Wachstum der deutschen Bundesstaaten (von 1816 bis 1900) beigesügt. Kurz zusammengefaßt enthält das Werk für jedermann brauchbare, wichtige, interessante und zuverlässige Angaben nach neustem Stande, welche auf Grund amtlicher Unterlagen und Mitteilungen zusammengestellt sind kann die Anschaffung dieses Buches nur empfohlen werden.
(Fatal.) Dichterling: „Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Gedichte vorlese?" Dame: „Haben Sie keine andern bei sich!?"
Redaktion. Druck und verlas vy» Beruh- Hyfmaan in Wüdbech.