Ein Watertzerz.

Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.

52) (Nachdruck verboten.)

»Mutter Charmante ließ sich genau un­terrichten, ehe sie mir ein Dutzend Stühle zur Verfügung stellte."

»Diese stehen draußen auf dem Vorplatz," bemerkte Antonio.

»Alle Wetter, warum werden Sie denn nicht hereingeholt?'

Antonio neigte sich liebevoll besorgt über den Kranken. »Sie sind heute so anders, wie sonst, mein Freund, so unruhig und erregbar. Lassen Sie mich jene Leute ab­weisen.'

»Nein,' versetzte Nord entschieden; »ich habe selbst diese Stunde festgesetzt, mögen sie nun kommen.'

Seufzend trat Antonio weg und schickte sich dann an, eine Sammlung von Stühlen jeder Art und Größe in das Zimmer zu holen. »Hier sind sie endlich,' sagte er er-- schöpst den letzten niederstellend, denn er selbst war noch schwach und angegriffen, und der Exprästbent von Alsako warf einen grim» migen Blick in die Runde.

»Sehr nett,' bemerkte er trocken, dann streckte er die Hand nach seiner Pfeife auf dem KaminstmS aus doch Anionio hielt ihn rasch zurück. »Heute nicht mehr, lieber Freund. Sie haben bereits zuviel geraucht, Es ist nachleilig für Ihren Zustand, wirklich sehr nachteilig.'

Wie können Sie dies wißen?' begann Frank Nord stirnrunzelnd, als ein leises Klopfen an der Tbüre ihn innehalten ließ. Der erste Ankömmling und fünf Mi­nuten zu frühe,' murmelte er. »Führen Sie den Herren herein, Antonio, und geben Sie ihm den besten Stuhl für die Ehre, die er mir durch seinen Eifer erweist.'

Antonio öffnete die Thüre, und ein kurzer, scharfer Aufschrei entfuhr ihm.

»Sie Sie dürfen ihn auf diese Weise nicht überfallen,' rief er; aber eine schwarz­gekleidete Dame, die bet seinem Anblick sicht­lich überrascht war, huschte an ihm vorüber und trat rasch mit ausgestreckten Händen aus Frank Nord zu

Fräulein Deiing l' ries dieser matt.

Oberst Nord! endlich I Gott sei's gedankt I'

Der Kranke drehte sich langsam auf seinem Stuhle um, und mit abgezehrten Händen den Arm seiner Besucherin umklammernd, blickie er eifrig an ihr vorüber nach der noch offen- stehenden Thüre, als ob er erwarte, daß noch Jemand ihr folge. Erst als Antonio die Thür zumachte und sich als Schildwachc dagegen postierte, erlangte Frank Nord seine Fassung wieder. AIS Fräulein Derring zitternd an seiner Seite stand, voller Zweifel, wie sie mit ihrer Erzählung beginnen solle, und ge- ängstigl wie ein Kind, das schwere Fehler zu gestehen hat und der ersehnten Vergebung nicht sicher, da erhob sich der Kranke Imüh- sam von seinem Sitze und blickte gelaffen auf die junge Dame. Er schien sehr schwach zu sein, denn seine Hand griff nach dem KaminstmS. um sich zu stützen; aber sein Gesicht wurde ernster und härter. während er auf dem Tuchfetzen, der die Stelle eines KaminteppicheS vertrat, festen Boden be­hauptete.Fräulein Dering erzeugt mir eine

hohe Ehre durch diesen Besuch,' sagte er kalt und gemessen,obgleich ich in Verlegen­heit bin, welchem Umstande ich denselben ver­danke. Weiß die Dame, was sie durch ihr Hierherkommcn riskiert?"

Was ist hier zu riskieren?' fragte Helene.

»Fieber «ine Krankheit, von der die meisten Frauen sich fürchten; und Sie sind nicht tapfer und furchtlos mit der Minder­heit ihres Geschlechtes. Lassen Sie mich Ihnen raten, sich zurückzuziehen.'

Ich fürchte das Fieber nicht. Ich kann nicht Weggehen, nachdem ich monatelang nach Ihnen gesucht ich habe Ihnen so Vieles zu sagen.'

»Dann muß ich Sie bitten ein andermal vorzusprechen,'versetzte Nord in dem gleichen gemessenen Tone.Es ist mir eben un­möglich, Fräulein Dering, Ihnen Gehör zu geben. In wenigen Minuten sollen hier wichtige Angelegenheiten zum Abschluß ge­bracht werden.'

Nichts kann wichtiger sein, als was mich hirrhergeführt,' rief Helene.O, Herr Oberst. Sie müssen die Aufrufe in den Blättern gesehen haben, durch welche wir Sie zur Rückkehr aufforderien. Warum gaben Sie keine Antwort?'

Ich habe Sie gesehen, sie erzählten ihre eigene Geschichte und bedurften keiner Ant­wort.'

Welche Geschichte?'

»Daß Sie ihren Sinn geändert viel­leicht etwas entdeckt hätten, was mich Jbreo Augen weniger schurkisch, sondern Ihrer Acht­ung würdigerscheinen ließ. Allein mich be­rührte dies nicht mehr es war zu spät für eine Entschuldigung.'

Nein, nein, nicht zu spät,' rief Helene flehentlich.Ich bitte Sie, nicht grausam zu sein in ihrer Festigkeit sich zu er­innern"

Wollen Sie sich um eiues schwachen ManneS willen gefälligst erinnern, Fräulein Dering, daß ich Ihren Besuch zu anderer Zeit vorziehen würde" unterbrach er ste ruhig: Ihre Mitteilung ist unwichtig und kann keinen Einfluß haben auf das Leben, welches ich mir selbst vorgczeichnet habe. Fragen Sie meinen Freund, ob ich heute nicht ohne­hin genug zu denken habe.'

Helene blickte auf Antonio Baretti, besten Anwesenheit hier sie sich nicht im Entfern­testen zu erklären vermochte.Sie sind un­gerecht, Herr Oberst,' murmelte ste;die Nachrichten, die ich dringe, berühren Sie sehr nahe und verursachen Ihnen neuen Kummer.

Ich, ein armes, schwaches Mädchen trage die Schuld daran und bin hier um Ihre Verzeihung zu erbitten. Ich that Alles, strebte nach dem Besten, aber cs mißlang mir gänz­lich.'

Sie wandte sich ab und bemerkte die plötzliche Besorgnis nicht, die aus Nords Zügen sprach; als ste ihn wieder anblickte, war eS das harte unbewegliche Ge­sicht, welches nicht das mindeste Gefühl ver­riet. »Wir sind alle für Erfolge geboren, junge Dame," versetzte Nord in belehrendem Tone;wenn Sie nach bestem Ermessen handelten, brauchen Sie nicht die Vergebung besten zu erbitten, der Ihr Ankläger nicht ist.'

Ihre Tochter Elfte Sie sprechen

nicht von ihr Sie fragen mich nicht,

ob'

Wieder unterbrach er sie. »Ich weiß nicht, daß ich mich des Segen einer Tochter erfreue,' sagte er strenge; »es lebt noch eine schwache Erinnerung an ein blondlockiges Kind, das, wie ich zu glauben versuche, mit drei Jahren schon starb weiter nichts mehr. »Ich würde sicher nicht allein in der Welt stehen, wenn ich mit Kindern gesegnet wäre nicht wahr?'

Ach, Sie denken an unsere frühere Ver­blendung und sind hart gegen uns in Ihrem neuen grausamen Stolz; aberbitte, hören Sie meine Geschichte. Ich werde nicht Weggehen, bevor ich Ihnen nicht jedes Wort erzählt habe.'

»Wollen Ste gefälligst Platz nehmen,' sagte der Oberst mit einer auffordernden Haud- bewegung nach einem der Stühle, und He­lene stammelte ein leisesIch danke'. Aber während ste noch forschend in die Züge deS Kranken blickte, mit dem sehnlichsten Verlangen in seinem Herzen lesen zu können, öffnete sich die Thüre, und zwei ausländisch aus- sehei de Männer mit gebräunten Gesichtern und langen Bärten traten in das Zimmer und schritten auf Elftes Vater zu.Mein lieber Oberst endlich, alter Freund endlich', riefen ste.

»Endlich,' sagte Nord etwas weniger herzlich, aber ihren Händedruck erwidernd; »endlich, wie Ihr seht.'

»Sie sind sehr krank gewesen,' rief der Aeltere, seine Worte mit lebhaften Beweg­ungen begleitend; »Sic sind nicht mehr der Alte Gott stehe uns bei, das ist schreck­lich. DaS ist kein Leben.' Er warf die Arme in die Luft, zuckle die Achseln und stampfte heftig mit den Füßen.

Nord lächelte matt.Ihr wäret stets leicht erregbar, Leon,' sagte er;aber setzt Euch meine Freunde; die übrigen werden hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten lassen.'

»ES hat Drei geschlagen,' bemerke An­tonio.

»Bis Ihr All« hier versammelt seid, möchte ich über die uns vorliegende Frage nicht diskutieren,' sagte Nord.Bitte, nehmt Platz. Antonio, sorge für Fräulein Dering.' Der Kranke sank langsam in seinen Stuhl zurück, umfaßte seinen Bart mit der Rechten und sann lange vor sich hin, ohne daß Je­mand ihn zu stören versuchte, Helene Dc- ering saß etwas entfernt von den Fremden, und Antonio stand an ihrer Seite, sic be­sorgt betrachtend. Nach einer Weile begeg­neten sich ihre Blicke, und Antonio lehnte sich vor und fragte leise:Elfteist ste wohl?'

Gott weiß es l" murmelte Helene als einzige Erwiederung.

»Gott weiß es.I und Sic nicht?' flüsterte Baretti geängstigt.Was soll dies bedeuten i Was ist vorgefallen?'

»Sie hat sich entfernt von mir und keine Spur hinterlassen!'

Antonio sank erschreckt auf den Stuhl an LenaS Seite; dann sprang er wieder aus und durchschritt die Stube. Bleich und ver­stört trat er dann zu ihr hin.Es war gut, daß er cs nicht vor der Unterredung erfahren,' sagte er, auf den Kranken deutend. Er wird heute ohnehin viel durchzumachrn haben, der Arme I' (Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von yernh. Hofmauain Wildbad.