Jetzt heißt die letzten Wintersorgen

Hinaus in alle Lüfte zieh'n

Laßt vor dem gold'nen Pfingstenmorgen

Nun auch das letzte Leid entflieh'«

So prangt in märchenhafter Hülle

Rings wieder die verjüngte Welt

Umströmt von soviel Lebensfülle,

Fühlt ihr auch eure Brust'geschwellt

Mahnt'S euch doch jetzt auf allen Wegen

Beseligend im Lenzesrauschen

Grüßt er die Welt so wonnesam

In kargbemefsener Stunden Flucht:

Eie soll der Offenbarung lauschen,

AuS LtebeSwerken sprießt der Segen,

Die ja in seinem Wehen kam!

Im Strahl der Sonne reift die Frucht!

Denn überall ein emsig Regen

Wohl, sei willkommen Fest der Maien

In Hain wie Au und Wald wie Flur,

Zieh ein in deiner Lenzcspracht

Und überreich von künft'gem Segen

Magst alle, alle du erfreuen

Quillt's hoffnungsfroh in der Natur

Durch deine Blütenzaubermacht

Ein Blühen, Duften, Schwellen, Werden,

Ein frisches Hoffen sollst du bringen

Wohin daS Auge staunend späht

UnS ja zur frohen Rosenzeit,

ES herrscht erneut nunmehr auf Erden

Mit gnadenreichem Hauch durchdringen

DeS Frühlings volle Majestät.

Die Herzen alle weit und breit l

Gin WaterHerz.

Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.

47) (Nachdruck verboten.)

In der zweiten Woche des Januar der- ließen die Reisenden das alte Wolstonhaus. ES erschien als keine gute Vorbedeutung sür künftigen Erfolg, als Eiste, bereits im Wagen sitzend, von Onkel Friedrich Abschied zu nehmen wünschte.Ich würde ihm wehe thun, wenn ich so ohne Weiteres wegginge," sagte sie; .gerade, als ob ich döse mit ihm wäre.*

Helene erschrack Elste halte seit ihrer Erkrankung nicht mehr von ihrem Onkel ge­sprochen aber sic war rascher gefaßt, als die Wärterin. .Vielleicht werden wir ihn am Bahnhof treffen,* versetzte sie mit sinken­dem Herzen.

.Ach, das hatte ich vergessen,* sagte Elste beruhigt.

Helene gab sich der Hoffnung hi», die Kranke werde ihren seltsamen Wunsch wieder vergessen, aber als sie auf dem Bahnhofe in Barstest angekommen waren, schrit Elste hastig den Perron auf und ab und blickte jedem Fremden neugierig ins Gesicht, ob sie den Ersehnten nicht finde.

.O, er ist ja in London,* bemerkt plötz­lich die Wärterin.Wie thörtcht von uns allen, dies zu vergessen. Sagte Herr De- ring nicht, er werde uns auf dem Londoner Bahnhof treffen, Fräulein Helene?*

Helene preßte die Hand aufs Herz bei dieser schrecklichen Frage, aber sie erwiederte rasch:Daß ich daran nicht mehr dachte I*

.Er sagte mir nichts davon,* bemerkte Elste, stieg aber ohne Wiederstreben in das Coupä ein.

ES war eine lange, trübselige Fahrt, und sie erreichten London, als allenthalben die Lichter ausflammten und Lärm und Getöse die Ankommenden empfing.Das ist Lon­don,* sagte Elste mit ängstlichem Geflüster. .Es gefällt mir nicht. Laß uns sobald als möglich Weiterreisen.*

.Wir werden nur eine Nacht hier bleiben, liebe Elste.*

Ich danke Ihnen, Fräulein Dering," war die kalte Entgegnung;das wird eine Nacht zu viel sein.*

Dieser plötzliche Uebergang von neu er­wachendem Vertrauen zu kühler Zurückhalt­ung war selbst Helenen auffallend. Sir be-

obachtetete die Kranke besorgt. .Du bist er­müdet,* sagte sie;darum bist Du unge­halten über mich.*

Ihr Alle hintergeht mich,* versetzte Elste. Ich weiß cS ich sehe es und ich dulde nicht länger. Merkt es Euch, Ihr Beide ich dulde eS nicht länger.*

Man bemühte sich, die Erregte zu be­ruhigen, was auch anscheinend gelang, denn Elste wurde sehr ernst und nachdenklich, blickte aber neugierig auf das ung'wohnte Getriebe, welche- sie umgab. Während Helene noch das Ueberbringen ihrer Gepäckstücke auf dem Kutschersitz der Droschke überwachte, sagte die Wärterin zu Elste:Es wäre gut, wenn Sie einstweilen einsteigen wollten, Fräulein Nord.*

Ja aber wohin bringt Ihr mich?*

AnS diesem Getöse fort, an einen Ort, wo wir ruhen können,* versetzte Helene.

Elste stieg ein, und nahm Platz. Dir Wärterin vermißte eine Hutschachtel und über­blickte eifrig die noch auf dem Trottoir stehen­den Sachen, und Helene wandte sich eine Sekunde zur Seite, um die Frage eines Ge­päckträgers zu beantworten eS war nur eine Sekunde, aber Elste sah sich unbeachtet, sah eine Gelegenheit zur Flucht, und der wilde Gedanke stieg in ihr auf, die Suche nach ihrem Vater allein, nicht mit diesen Feindinnen fortzusetzen. Eine schmale weiße Hand öffnete die Wagenthühre auf der anderen Seite eine bleiche, in Trauer gehüllte Gestalt stieg leise heraus und eilte flüchtigen Fußes, von den Vorübergehenden unbeachtet, in das Menschengedränge der Londoner Straßen, wo sie nicht mehr entdeckt werden konnte.

Entflohen!* rief Helene Dering mit lautem Aufschrei, als sie in die Droschke einstieg und die geöffnete Thüre, aber keine Spur ihres Schützlings erblickte.

26 . Kapitel.

Von dem einen sehnsüchtigen Verlangen geleitet, Allen zu entfliehen, die sie getäuscht hatten, stürmte Elste immer weiter, bis das Menschengewühl, die blendenden Lichter und das unaufhörliche Wagengerasstl sie förmlich betäubten. AuS der friedlichen Stille von Wolston so plötzlich in das Rauschen und Brausen der Weltstadt versetzt zu werden, hätte die meisten Landmädchen in Verwirrung gebracht, und Elftes Geist war ohnehin schon verwirrt. Sie war froh, endlich wieder in Freiheit zu sein, frei von Lenas beobachten­

den Blicken, frei von der lästigen Sorglich­leit jener ernsten Fremden, für deren An­wesenheit sie keinen Grund angeben konnte, obgleich sie wohl hundertmal des Tages dar­nach gefragt hatte, aber sie war nicht stark genug für das rauhe, lärmende Leben in welches sie sich gestürzt hatte. Ihr Kopf war schwach; sie fühlte sich von Schwindel erfaßt und floh in eine enge, dunkle Straße, deren anscheinend friedliche Stille sie wohl» thuend berührte. Im Schatten einer Thor­halle stehend, versuchte sich sich zu erinnern, was sie zu zu dieser Verlassenheit gebracht hatte. Stach einer Weile fing die Dunkelheit an, sie zu beängstigen; zerlumpte Mänuer, Frauen, auch wohl Kinder, huschten an ihr vorüber; und Worte fielen an ihr Ohr, Worte so gräßlich, daß sie das Blut in ihren Adern erstatten machten. Elste war froh, sich wieder ln die geräuschvolle Straße stehlen zu können; hier, unter den Vielen, war sie weniger unbeschützt und verlassen.

Jene kurze Rast in der engen Straße war eS, welche die Bemühungen der nach ihr suchenden vereitelt hatte; denn Helene sowohl wie die Wärterin und die beiden Dienerinnen eilten hilflos vorwärts, hundert Fragen an die Vorübergehenden und die wenigen aber vielbeschäfliftten Polizisten stellend, denen sie auf ihren Wegen begegneten. Doch waS be­deutete ihn London eine verlorene Frau l In ElsteS Erscheinung lag nichts Auffallendes, denn der dichte schwarze Schleier verhüllte das verstörte Antlitz und die ängstlichen Blicke, welche sie vielleicht verraten hätten. Trotz ihrer Angst und Verwirrung war Elste immer noch froh, ihrem Gefängnis, wie sie Wolston­haus zu nennen pflegte, entkommen zu sein. Sie fühlte, daß sie in den Straßen ihrem Vater näher sein, daß er plötzlich unter dieser wogenden Menge auftauchen müsse, um ihr Herz mit Freude zu erfüllen. Die ganze Welt schien ja an diesem abend in Bewegung zu sein; sicher mußte sie ihren Vater auch darunter finden. Wenn er ihr jetzt entgegenkam, darüber nachgrübclnd, warum sic sich ihm ferne gehalten und ihn nie geliebt habe, so wollte sie ihn auf der Straße sogar mit ihren Armen umschlingen und an seiner breiten Brust ihren Schmerz ausweinen; sie wollte ihm sagen, daß sie nun die ganze Wahrheit kenne und immer bei ihm bleiben wolle, bis man sie zur ewi­gen Ruhe bette.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von Pernh. Hosmonn in MMad,