Gin MaterHerz.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
23) (Nachdruck verboten.)
„Ja, ich bin wohl,* entgegnete Elfte leise. Sie blickte nicht auf; sie sprach nicht weiter. Dir Phantasten des Kranken, das Zischeln und Flüstern der Dorfbewohner, halten von Neuem ihre Angst, ihren Verdacht wachgerufen und eine Schranke zwischen ihr und ihrem Vater errichtet. Dieser hatte auf ihr Vertrauen gerechnet, aber warum sollte das junge Mädchen, nachdem sie so viel Schlimmes über den Vater gehört, ihn anders beurteilen, als die übrige Welt? Sie regelte ihr Verhalten nach dem ihrer Freundin, und diese mißtraute ihm, das wußte er. Er seufzte, drehte undgeduldtg an seinem Schnurr- barte und betrachtete Antonio Barett! mit prüfenden Blicken, als das neue Hindernis, welches sich nach DeringS Aussage ihm in den Weg gestellt. Also dies war Elfte'« Verlobter, der Mann, den er mehr zu fürchten hatte, als ihren Onkel oder besten Schwester I Antonio Baretti schien eifrig das Teppichmuster zu seinen Füßen zu studieren: aber Nord prägte sich trotzdem seine Züge ein und glaubte, sie überall wiederzuerkennen.
„Guten Abend!" sagte er plötzlich, sich zum Gehen wendend. Niemand blickte auf, Niemand folgte ihm, ja Niemand erwiederte auch nur seinen Gruß. Von dem alten Mißtrauen gefolgt, verließ er das HauS; aber er baute darauf, daß Friedrich Dering ihm Gerechtigkeit wiederfahren lasse, ehe die Nacht zu Ende ging, und der Gerechtigkeit mußten die Liebe, das Vertrauen und ein spätes Lebensglück folgen. Er war niedergeschlagen , aber nicht mutlos. Elsie hatte das sanfte Antlitz ihrer Mutter, «S mußte ihm gelingen, mit der Zeit ihre Zweifel zu besiegen. Ueber diesen tröstlichen Gedanken vergaß er ganz die große Summe, welche er bei sich trug, bis er wieder zu Wolston in dem Kaffeezimmer des Wirtshauses saß, und der Kellner ihm das Abendessen servierte.
Bei seinem Eintreten entfernten sich zwei Fremde, welche an einem der Tische gegessen, und Nord, besten Scharfblick nichts entging, beobachtete sie eine Minute. Ihrem Aeußeren nach hielt er sie für Handelsleute und beschäftigte sich weiter nicht mehr mit ihnen. Nach dem Esten zog er Friedrich DeringS Taschenbuch hervor. „Armer Friede!!" murmelte er; „so war er schließlich doch kein vollendeter Schurke."
Er öffnete das Taschenbuch — eS war.
Auf eine solche Ueberraschung war Frank Nord nicht vorbereitet, aber kein Schatten von Enttäuschung zeigte sich in seinen Minen. Er war bestürzt, aber er sah nicht aus wie ein Mann, dem gerade ein großer Verlust wtedersahren ist. Seine Meerschaumpfeife anzündend, dachte er noch eine Stunde über das Erlebte nach, dann suchte er, sehr ermüdet, sein Zimmer im oberen Stockwerk auf. An diesem Abeude ließ der Schlaf nicht auf sich warten, und Nord erwachte sehr erfrischt am anderen Morgen. Als er sich um sieben Uhr in das Kaffeezimmer begab, fand er hier alle Rouleaux herabge- lasten. Er trat an da« Fenster, um Licht und Luft freien Eintritt zu gewähren, als der Kellner ihn daran hinderte. „Bitte,
lasten Sie dies, Herr Nord — der Herr wünscht eS so."
„Der Herr wünscht es so — und warum?"
„Herr Dering ist heute morgen um fünf Uhr gestorben, soeben ist die Nachricht hierhergelangt."
„Todt!" murmelte Frank Nord.
„AL, eS ist ein großer Vertust," sagte der Kellner. „Er war ein guter Mann; Alle haben ihre Läden oder Blenden geschloffen und sie haben Recht. Wenn man sein Ende bedenkt — und er war so gut gegen alle Leute."
„Ja, ja, wie sie sagen," murmelte Nord zerstreut. Er verließ das Wirtshaus, ging auf die Brücke, welche für Dering so verhängnisvoll geworden war und blickte nachdenklich über den Broad auf das große weiße Haus zwischen den Bäumen da drüben. Alle Fenster waren verdunkelt. Es war ein Mensch weniger in der großen Welt, aber das Leben ging seinen alten Gang, als ob nichts vorgefallen wäre. Die Sonne schien in strahlender Pracht, die Vöglein sangen in der Luft, und geschäftiges Treiben herrschte auf dem Master. Nur die feierlich ernsten Klänge der Todtenglocke mahnten daran, daß ein müder Pilger zur Ruhe eingegangen.
„Armer Friede!!" kam «S abermals von seinen Lippen.
In diesem Augenblicke fühlte er sich derb an der Schulter berührt. Er wandte sich um und fand sich den beiden Männern gegenüber, die er am vergangenen Abend im Kaffeezimmer des Wirtes zu Wolston gesehen hatte. Mehrere finster« drohende Gesichter bildeten den Hintergrund.
„Was wünschen Sie von mir?" fragte Nord.
„Ich muß Sie stören, Herr Nord," sagte einer der Männer. „ES thut mir leid, aber Gesetz ist Gesetz, und Befehle mästen respektiert werden. Widerstand hätte keinen Zweck," fügte er bei, „denn wir sind unserer Viele."
„Verhaften?" fragte Nord.
„Ja, mein Herr."
„Kann ich den Verhaftungsbefehl sehen ?'
„Gewiß."
Frank Nord warf eine Blick auf das Papier. Er stand unter der Anklage des Mordes an Friedrich Dering, Friedensrichter von Wolstonhaus, in Wolston.
Ich bin ihr Gefangener," sagteer ruhig. Sein scharfes Auge entdeckte das Glitzern von Handschellen hinter dem Rücken deS zweiten Mannes, der sich bis jetzt ganz teilnahmslos verhalten hatte.
„Ich bin vermutlich ein zu verzweifelter Geselle, um ungefestelt in das Gefängnis gebracht zu werden," sagte er und ließ sich bereitwillig die Eisen anlegen. „Wohin gehen wir?"
„Vorläufig in das Arresthaus zu Barstest," war die Erwiderung.
„Je eher wir dort find, desto bester," bemerkte Nord. Und so verließ er zum zweiten Male seinen Geburtsort.
13. Kapitel.
Mit wahrhaft philosophischer Ruhe benahm sich Frank Nord während dieses ereignisreichen Abschnittes seines Leben. Die leidenschaftliche Heftigkeit, deren man ihn beschuldigt«, trat bet dieser Gelegenheit nicht zu Tage; von Anfang an war er kühl und
gelassen und legte seiner ougenbi'cklichen Lage kei^e ernste Bedeutung b:i. N cht daß ihm an der Ehre seines Nauens o!>rr an seiner Freiheit n chtS gelegen hätte, von der Stunde seiner Verhaftung an glaubte er nicht, daß hinreichende Beweise vorlägen, um ihn nach dem ersten Verhöre noch gefangen zu halten. Er ließ einen Rechtsanwalt zu sich kommen und verhandelte lange und ausführlich mit ihm über alles, was seine Verteidigung betraf. Voll Zuversicht ging er zu sein m ersten Verhör in den Gerichtshof zu Bar» stoft, und obgleich er nicht frei kam und die gegen ihn sprechenden Thatsachen sich zu einer fkstgeschlossenkn, schwer zu durchbrechenden Kette ineinander zu fügen schienen, so zweifelte er dennoch keinen Augenblick an seiner Frei« sprechung bei der zw iten Gelegenheit, wenn er dem Gerichtshof der Grafschaft gegenüber- stände. Er war nicht von Amerika gekommen , um als Mörder gehängt zu werden, und wenn auch eine Menge Zeugen gegen ihn aussagle, seine Unschuld mußte ja doch endlich an den Tag kommen.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Was einem auf einem Pariser Omnibus passieren kann . Auf dem
Verdeck des Omnibus, der vom Nordbohn- hof in Paris nach SsvreS fährt, saßen kürzlich eine junge, bildhübsche Frau und ein würdiger alter Herr, das rote Bändchen der Ehrenlegion im Knopfloche, friedlich nebeneinander. Gerade als der Wagen sich dem Louvre näherte, schrie die hübsche Frau plötzlich auf: „Mein Herr, Sie benehmen sich unanständig, ich werde Sie lehren, mich zn kneifen." Damit versetzte sie dem würdigen alten Herrn eine auögicbtge Backpfeife. Der alte Herr beteuerte seine Unschuld, erhielt aber im selben Augenblicke noch eine zweite, klüftigere Backpfeife von dem Gemahl der jungen Frau, der an ihrer Unten Seite gesessen hatte. Der Schaffner eilte auf daS Dach, der schwer mißhandelte Würdenträger schrie nach einem Schutzmann und die Sache sollte sehr ernst werden, als eine Frau, die rückwärts von der gekneiften Schönen saß, in die Streitreden einen neuen Ton brachte: „Um Himmels willen mein Hummer läuft mir fort!" — Und stehe da. Ein mächtiger Hummer war dem Korbe der Frau entschlüpft und krabbelte mit seiner rechten Schere in eben jener Gegend herum, wo die schöne junge Frau die Kniffe verspürt hatte. Tableau! — Gelächter! — Versöhnung!
— Die Unschuld des alten Herrn war glänzeud erwiesen und als Entschädigung für die Backpfeifen bekam er von der hübschen jungen Frau einen Kuß. — Der Hummer aber wurde bald darauf genötigt, um seiner Mistethat willen zu erröten.
.-. (FatalerDoppelsinn.) Förster:.Nun wo wollen Sie denn schon so zeitig hin?"
— Landgendarm t „Will mal die Gegend wieder absuchen, eS treibt sich jetzt wieder allerlei Gesindel hier 'rum. Sind Ihnen nicht schon so ein paar Tagediebe begegnet?" Förster: „Nee, mein Lieber, Sie sind that» sächlich der erste, den ich heute treffe l"
.. (Wiedersehen macht Freude.) Köchin: „Ich möchte bitten, mir morgen Urlaub zu geben; ich möchte verreisen!" — Hausfrau: „Wohin wollen Sie gehen?" — Köchin: «Zum Verbandstag ehemaliger Grenadiere!"
Kchftkitou, Druck und Brrlag von Beruh. Hyfmauuto Wlldbgh.