Nr. 60.

Amis- und Anzeigeblatt für den Oberanttsbezirk Calw.

97. Jahrgang

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Mittwoch, de« 1. März 1922.

vrzugixrelt: In der Ltadt mit LrLzrrlebn MI. 24. virrtrlldtziiich. Paftvezug«- pnli MI. 24 mtl BtsteUaeld. Sitzluh «r Auzeiaoiannahm« I- IIHi uormmiall.

Neueste Nachrichten

Rach einem Schiedsspruch deS SchiichtungSauKsthuffrS Stuttgart soll die Arbeitszeit in der wiirtt. Metallindustrie von 46 auf48 Stunden erhöht werden.

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Die Frage der Herabsetzung der Militärzcit in Frankreich hat den Nationalisten wieder einmal Gelegenheit gegeben, ihre Haß- und VerlcuindungSpolitil gegenüber Deutschland kundzugeben, zugleich aber auch die Pläne deö französischen Militarismus in Europa zu enthüllen. Es wurde nämlich betont, daß eine Herabsetzung der Dienstzeit n ur in Betracht komme, wenn die Entente eine dauernde militärische Kontrolle über Deutschland auszuüben in der Lage sei, und außerdem ein neuer Schutzvcrtrag die Sicherheit Frankreichs garantiere.

Am die Herabsetzung der Dienstzeit in Frankreich.

Die deutsche «Gefahr" mutz wie üblich zur Recht,ertlgung des Militarismus herhalten.

Paris, 28. Febr. In der heutigen Kammeisitzung wurde die Be­sprechung des Gesetzentwurfs betreffend die Rekrutierung des fran­zösischen Heeres eröffnet. In der Debatte erklärte der Berichterstat­ter Fabry, alle Kammermitglieder seien Anhänger der kürzesten Dienst­zeit, die möglich sei. Die Herabsetzung der Dienstzeit auf 1 Jahr set gewissen politischen Bedingungen untergeordnet, die die Regierung und das Parlament stellen müßten, so u. a. der Organisation einer ständigen Kontrolle in Deutschland (!). -2er Schassu,,g eines neuen Schutzvertrags, der Vorbereitung von Jnterventionsmitteln für den Völkerbund. Der Heeresausschuß sei der Ansicht, daß die 18monatige Dienstzeit notwendig sei. Eben wegen der politischen und technischen Bedingungen, die noch nicht erfüllt seien, die jedoch hoffentlich im Jahre 1925 Wirklichkeit geworden seien. Die materielle Entwaff­nung Deutschlands in Bezug auf sein Kriegsmaterial sei von der Kommission Nollets in befriedigender Weise durchgeführt worden und sie werde es bleiben, solange die interalliierte Kontrolle ständig auS- geführt werden könne. Allerdings gebe es noch viele versteckte Waffen in Deutschland. Der Berichterstatter sprach alsdann von der indu­striellen Mobilisierung Deutschlands, die nach seiner Ansicht organi­siert bleibt. Die deutsche Zivil-Flugzeug-Jndustrie werde sich nun aufs neue entwickeln können. Hier sei die Verantwortlichkeit der Alliierten direkt engagiert. Die Notwendigkeit einer ständigen stren­gen Ueberwachung könne nicht abgelcugnet werden. Darauf sprach der Berichterstattert von den deutschen Hochschulen, den deutschen Be­amten, den deutschen Richtern und von dem Deutschland, dem auch das Heer angehöre. Er erklärte weiter, dieses Deutschland in Ver­bindung mit der Schwerindustrie sei das Deutschland wie es denke und handle. ES predige den Haß gegen Frankreich und die Re­vanche. Stinncs und Ludendorff seien seine offiziellen Vertreter. Es gebe auch ein anderes Deutschland, von dem hauptsächlich in den arbeitenden Klassen gesprochen werde. Aber diese Leute würden selbst zugestehen, wenn man sie frage, daß sie gegenüber dem ersteren ohn­mächtig bleiben. Der Redner besprach sodann die Organisation der Reichswehr, der Schutzpolizei und der Technischen Nothilfe. Deutsch­land verfüge über wenigstens 250000 hervorragende Cadres, von denen 100000 Mann in die außerordentlich vervollkommnet? Armee und 150 OM Mann in Formationen eingeretht seien, die für eine rasche Mobilisierung ausgerüstet würden. Diese Bedrohung entspreche keineswegs der, die entstehen wüttie, wenn der Friedensvertrag nicht ausgeführt werde. Also müsse ständig kontrolliert werden und man müsse eine Politik auf lange Sicht betreiben. Das Gleichgewicht (!) in Mitteleuropa könne nicht gestört werden, solange Frankreich am Rhein stehe und gegenüber Deutschland «ine genügend starke Mili­tärmacht besitze. So bleibe die Notwendigkeit einer starken HecreS- macht auch in Frirdenszciien. Die Kammer müsse sich einmütig für die erforderliche Heeresstärke aussprechcn.

Gin englischer Minister gegen die danernden Verdächtigungen Deutschlands bezüglich der Abrüstung.

London, 28. Febr. Chamberlain erklärte im Unter­haus auf verschiäene Anfragen, wonach Deutschland die Bestimmungen des Frredensvertrags bezüglich der Zerstö­rung des Kriegsmaterials und der Einstellung der Fa­brikation neuen Materials, sowie Aber die Abrüstung vorsätzlich und systematisch umgehe, es hätten von einzel­nen Personen, darunter untergeordneten Beamten, Ver­stöße stattgefunden. Nach Ansicht der Regierung würde es jedoch nicht zutreffen, zu sagen, daß auf Seiten der deut­schen Regierung beständige und vorsätzliche Umgehungen «attkinden.

Zur auswärtigen Lage.

Der deutsche Reichskanzler

über dre Aus« oben in Senna.

Berlin, 28. Febr. Reichskanzler Tr. Wirth gewährte, den Abendblättern zufolge, während seiner Anwesenheit in Karlsruhe, einem Vertreter der Badischen Zentrumskorre­spondenz eine Unterredung, in deren Verlauf er über die Konferenz von Epnua u. a. sagte: Gedanken' und Anre­gungen werden aus deutscher Seite nicht fehlen. Die Vor­bereitungen sind in den Ministerien in vollem Gange. Man muß aber eines bedenken: Die Konferenz von Genua ist nicht zusammenberufen, um lediglich über das Schicksal des deutschen Volkes zu beraten, sic beschäftigt sich auch mit der europäischen, ja noch mehr mit der Weltwirtschaft. Wenn man nicht raschestens beginnt, die europäische Wirt­schaft-als Ganzes zum Gegenstand eingehender Erwägun­gen zu machen und darnach zu handeln, so steht man vor dem Untergang des Abendlandes. Man mag über das englische WortSpenglerism" denken wie man will und es als einen Fehlariff anseben, Eurova ist durch und durch wirtschaftlich krank und Diktate, Sanktionen, wie die Be­setzung deutscher Städte und Gewalimaßnahmen können den europäischen Kontinent nicht seiner Gesundung ent- gegenführcn. Aber auch mit Europa allein ist es nicht ge­tan. Die Katastrophe des Weltkrieges hat die Weltwirt­schaft so stark beeinflußt, daß nur Klugheit und Mäßioung auf allen Gebieten innerhalb der Grenzen menschlicher Kraft die Weltwirtschaft zur Gesundung bringen kann. Am Schluß der Unterredung erklärte der Reichskanzler zu Ge­rüchten über Differenzen innerhalb der Zentrumspartei, daß es wohl im Zentrum wie in allen politischen Parteien auch Meinungsverschiedenheiten-gegee-cn habe. Die Haupt­sache aber sei die Erundeinstellung. Und dabei gebe es nur eine Antwort: einig und geschlossen wie kaum jemals.'

Die deutsche Negierung zur Ksiegsbefchnldigtensrage.

Berlin, 1. März. Die Mitteilung des Abgeordneten Vonnet, daß Poincare die Auslieferung der Kriegsbeschul­digten von Deutschland zu fordern beabsichtige und für den Fall unserer Weigerung die verlängerte Besetzung der Rheinlande androhe, wird, wie der Berliner Schriftlcrtung desSturtg. Neuen Tagbl." gedrahtet wird, an Berliner unterrichteten Stellen nicht für sehr ernst angesehen. Man meint, cs handle sich um die erhitzte Aeußerung eines na­tionalistischen Abgeordneten, die auf den Gang der Poli­tik keinerlei Einfluß haben würde. Gewiß habe Poincare gelegentlich derlei Absichten angedeutet, aber daß er da­mit Genua im Ernst zu belasten und somit die ganze bis­herige Politik zu erschlagen gedenke, sei nicht ganz anzu­nehmen. Für Deutschland und jede deutsche Regierung sei die Frage der Kriegsbeschuldigten jedenfalls ein für alle­mal erledigt.

Der Stand der deutsch-polnischen Verhandlungen.

Genf, 1. März. Wie das VölkerbundSsekretariat mitteilt, fand gestern beim Präsidenten Calondcr eine Besprechung zwischen den deutschen und den polnischen Bevollmächtigten statt, an der auf deut­scher Seite Reichsminister a. D. Schiffer und Staatssekretär a. D. Dr. Lewald, auf polnischer Seite Olchowski und Woloy teilnahnicn. Calonder stellte mit Genugtuung fest, daß der Vertragsabschnitt über den Grenzverkehr in liberalem Sinne abgeschlossen wurde. Er schlug jedoch einige Aenderungen vor, die sich auf die GrenzvcrkehrSkarte beziehen, insbesondere auf ihre eventuelle Entziehung. Die Bevoll­mächtigten erklärten sich mit einer Prüfung dieser Abänderungsvor­schläge einverstanden. Außerdem wurde vereinbart, daß die beiden Abordnungen eine Liste der noch osfenstehenden Fragen aufstellen und ihre Auffassungen schriftlich motivieren sollen.

Die neue Elbe-Akte.

Berlin, 27. Febr. Noch einer Meldung des .Berliner Lokal- anzcigers" aus Dresden hat nach dreiwöchigen Verhandlungen die Internationale Elbe-Kommission in Dresden die neue Elbe-Akte ab­geschlossen. Es handelt sich um einen Staatsvertrag, der auf Grund des Vertrags von Versailles mit Deutschland, England, Frankreich, Italien, Belgien, der Tschecho-Slowakei abgeschlossen worden ist. Die Bestimmungen der Me haben den Zweck, dir Freiheit der Schiffahrt und die Gleichberechtigung aller Rationen an der Schiff­fahrt sicher zu stellen. Insbesondere sind Erleichterungen für de» Durchgangsverkehr vorgesehen, um der Tschecho-Slowakei einen möglichst gesicherten Zugang zum Meer« zu verschaffen. Die Elbe- Kommisston wird in Zukunft in Dresden zweimal jährlich -usammrn- treten. Sie wird ein ständiges Generalsekretariat «richten, dessen Generalsekretär ein Deutscher ist. Die Elbe-Akte ist «tnes der sichtbarsten Zeichen der Versklavung Deutschlands, denn sie zeigt so recht, daß Deutschland nicht einmal mehr «in souveränes Recht über Leine FW« Heck .

Einflußnahme der iniernationaten

'Ltrbeilskott.erenz in Genua?

Paris, 28. Febr. (Havas.) Der Verwaitungsrar des in­ternationalen Arbeitsamts, der in der internationalen Ar­beitsorganisation ungefähr dem Völkerbundsrat entspricht, wird seine nächste Sitzung am 5. April in Rom abhalten. Diese Zusammenkunft, die nur wenige Tage vor der Ge­nueser Konferenz stattfindet, wird eine besondere Bedeu­tung erhalten wegen der Rolle, die die internationale Ar­beitsorganisation aus der Konferenz zu spielen berufen sein wird.

Der neue italienische Außenminister in Paris.

Paris, 1. März. Der neue italienische Außenminister Schanzer ist gestern nachmittag aus Washington in Paris eingetrofsen und vom Ministerpräsidenten Poincarä empfangen worden.

Französisches Mißtrauen gegen den neuen italienischen Außenminister.

Paris, 28. Febr. (Drahtb. WB.) Heber den neuernann­ten italienischen Außenminister Schanzer schreibt derMa­tin": Sagen wir es offen heraus, daß die Rolle, die er als Delegierter Italiens auf der Washingtoner Konferenz ge­spielt hat, auf den ersten Blick keine Gründe für eine fran­zösische Regierung sind, ihm vor einer Aussprache Vertrauen zu schenken. In Washington hat Herr Schanzer sein Land ausgezeichnet vertreten, indem er die Fehler Frankreichs ohne jeden Großmut ausnützte. Er hat ein doppeltes Sy­stem: einerseits gab er sich als Anhänger der Entwaffnung aus, der Entwaffnung sowohl zu Lande wie zu Wasser; auf der anderen Seite unterstützte er den Satz von der notwendigen Gleichheit der Seeriistrmqen Frankreichs und Italiens, was natürlich Herrn Balfour nur angenehm war. Da Italien seine Flotte nur im MLttelmeer nötig hat, Frankreich sie dagegen auf allen Ozeanen, namentlich für die Verbindungen nach Nordafrika benötigt, muß die französische Macht zur See größer sein. Jetzt gilt es, sich ^ zu versichern, daß die italienische Delegation in Genua nicht 5 daran denkt, die Gedanken wieder aufzunehmen, die Lloich ^ George in Boulogne nicht anzuschneiden versprochen hat." '

Ausland.

Ein Schiedsspruch über die Torpedierung eines holländischen Schiffes.

London, 28. Febr. Die auf Grund einer bereits wäh­rend des Kriegs getroffenen Vereinbarung zwischen der deutschen und der niederländischen Regierung unter dem Vorsitz des Altbundesrats Hoffmann im Haag zu Anfang ds. Js. zusammengetretene internationale llntersuchungs- kommission zur Feststellung der Ursache des am 16. März 1916 erfolgten Untergangs des niederländischen Damp­fersTubantia" hat am 27. Februar ihren Spruch ver­kündet. Die Kommission hat die Ueberzeugung gewonnen, daß dieTubantia" durch einen Torpedo, der durch ein deutsches Uboot lanciert war, gesunken ist. Ob die Torpe­dierung absichtlich oder infolge eines Irrtums geschehen ist, wurde als unentschieden erklärt.

Anmerkung des WTB.: Die Unterfuchungskommisiion hatte lediglich die Aufgabe, den Tatbestand festzustellen. Mit der Entschädigungsfrage war sie nicht befaßt. Eine Stellungnahme zu dieser Frage wird erst möglich fein, wenn der Spruch im Wortlaut vorliegt.

Festliche Begrüßung eines deutschen Dampfers in Teneriffa.

Madrid, 28. Febr. Die gesamte Presse bringt ausführ­liche Berichte über Festlichkeiten, die in Santa Cruz (Te­neriffa) aus Anlaß des Eintreffens des auf der Fahrt nach Südamerika befindlichen DampfersKap Polonia" stattfanden. Es ist der erste größere deutsche Passagier­dampfer, der seit Beendigung des Krieges Santa Cruz be­rührt hat.

Eine Konferenz zur Bekämpfung der Epidemien in Ostenropa.

Genf, 28 Febr. Der Präsident deS Völkerbundsrats, Hymans, hat dem polnischen Ministerpräsidenten telegraphisch mitgetetlt, daß der VSlkerbundsrat den Vorschlag der polnischen Regierung vom 15. Februar, in Warschau «ine europäische Konferenz zur Bekämpfung der Epidemien in Osteuropa einzuberufcn, einstimmig angenommen habe. Der Rat fordere di« polnische Regierung auf, für den 15. März die Vertreter aller europäischen Staaten, die an der Lösung des Problems ein Interesse haben, nach Warschau zu laden. Der Rat beschloß ferner, daß der Völkerbund sich an der Konferenz beteiligen solle. Der Generalsekretär des Völkerbunds hat darauf der polnischen Regierung telegraphisch di« Mitarbeit der in Bettacht kommenden Völkerbunds­organisation angedote».