Wilde Wose.
Novelle von Jenny Piorkowska.
(Nachdruck verboten.)
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Der Offizier folgte der Aufforderung und kehrte bald mit einem jungen Herrn zurück, der Erna zum Walzer aufforderte; diese aber, wenig an den Gefellschaftston gewöhnt, mißfiel in ihrer ganzen Unterhaltung dem von sich selbst eingenommenen jungen Grafen, der von feiten der jungen Damen an fade Unterhaltung und Schmeicheleien ge« wöhnt war.
Inzwischen hatte Baron Nölten, nachdem er einen zweiten Tanz mit Melanie getanzt hatte, sich mit derselben in ein kleineres etwas kühleres Zimmer zurückgezogen, das an den Ballsaal stieß. Und hier bei mattem Kerzenschein, halb verborgen hinter üppigen Blattpflanzen und duftenden Blüten, flüsterte er ihr die alte, alte Geschichte ins Ohr, und Melanie verriet ihm zur Entgegnung mit glücklichem Lächeln das Geheimnis ihrer Liebe.
Und noch ihre Hand in der seinigen haltend, fuhr er ruhiger, doch mit demselben tiefen Ernste fort:
»Ich habe Dir noch etwas zu sagen, meine süße Melanie, denn um nichts in der Welt möchte ich Dich täusche». Wäre auch meine Liebe zu Dir dieselbe gewesen, so hätte ich Dir doch, wenn Du nicht reich wärest, keinen Antrag machen können. Meine Besitzung ist, von meinem Vater her, tief verschuldet, und ich habe trotz allem Bemühe» leider nicht vermocht, die großen Hypotheken die darauf lasten, zu tilgen. Infolge dessen bin ich verhältnismäßig arm und hätte Dir nicht zumuten können, meine Armut zu teilen. Dein eigenes Vermögen verhindert zum Glück, daß Du je Not leiden könntest. Glaube mir, Geliebte, meine Liebe zu Dir wäre in allen Lagen des Lebens die gleiche gewesen, nur hätte ich unter anderen Verhältnissen nie daran denken können, Dich je die meine nennen zu können."
Lächelnd schloß Melanie seine Rechte in ihre zarte Hand.
»Wenn ich an Deiner Treue und Selbstlosigkeit zweifelte, könnte ich Dich nicht lieben," entgegnete ste einfach, aber ich danke Dir für Deine Offenheit. Vor allem wollen wir die Schulden bezahlen, die auf Deiner Besitzung lasten; dann sind wir immer noch reich genug."
Dankbar küßte er ihr die Hand.
„Wie edelmütig von Dir," sprach er. „O ich wußte es ja, daß Du mit keinem niedrigen Verdacht mich kränken könntest; sonst hätte ich Dich auch nie zu meiner Gattin begehrt."
Laute Stimmen und nahende Schritte störten ste in ihrem Gespräche.
„Laß uns in den Saal zurückkehren I" sprach Melanie, indem ste erregt aufsprang. „Morgen Vormittag mußt Du zu uns kommen, damit wir alles mit dem Papa bereden. Ich darf ihn doch noch heut Abend zum Mitwisser unseres Glückes machen?"
„Gewiß," entgegnete er, im stillen froh, daß sie die Initiative ergreifen wollte, „ich hoffe, er wird nicht glauben —"
Er stockte.
„O, Papa und ich sind immer, wenigstens fast immer, gleicher Meinung," bemerkte Melanie lächelnd. „Mir ist nicht
bange, daß unsere Ansichten jetzt zum erstenmal auseinander gehen sollten."
Als ste in den Ballsaal zurückkehrtcn, blieben sie ganz in der Nähe von Frau Merling und deren Schützling stehen.
„Wie, Sie tanzen nicht, Fräulein von KortiS?" fragte Melanie, als sie bemerkte, wir Erna's Augen mit halb wehmütigem Blick den Tanzenden folgten.
„Ich bin nicht engagiert," erwiderte sie in bedauerndem Tone, indem ste mit ihren großen, veilchenblauen Augen zu Melanie aufsah.
„So erlauben Sie mir, Ihnen hier einen Tänzer vorznstellen, — Baron Nölten," sprach Melanie. „Es wird Quadrille getanzt; dortkommt auch mein Partner. Wollen Sie unser vis-ü-vis sein?"
Nach zehn Minuten war Nölten ganz entzückt von .seiner kleinen Tänzerin; sehr empfänglich für alles Schöne, hatte ihre ungewöhnliche Anmut einen besonderen Reiz für ihn; ste tanzte 'so leicht und graziös und plauderte mit solch einer Offenheit, wie Nölten sich kaum abseiten einer anderen jungen Dame erinnern konnte; knrz ihr ganzes Wesen nahm ihn so für sie ein, daß Melanie fast ein wenig Grund zur Eifersucht gehabt haben würde, wenn sie geahnt hätte, wie entzückt Nölten von Erna war.
Derselbe war aber viel zu weltklug, als daß er sein Gesicht etwas von seinen Gedanken hätte erraten lassen. Und doch hatte er, als er Melanie zu Tisch führte, bereits dafür Sorge getragen, daß Erna von Kor- tis seine Nachbarin zur Linken ward.
Bald nach dem Essen hatte Frau Merling eine lange Unterredung mit Herrn von Haiden, und voll Schrecken gewahrte Melanie, als sie an Beiden vorüberging, die lölliche Blässe auf ihres Vaters sonst so frischem Gesicht. Aber nur zu schnell vergaß ste den Eindruck.
„Papa," sagte sie, als alle Gäste sich entfernt hatten, „hast Du je ein so reizendes Geschöpf gesehen, wie den Schützling von Frau Merling? In ihrer Anmut und der großen Einfachheit erinnert sie mich an eine schöne wilde Rosei"
„Mit vielen unsichtbaren Dornen, fürchte ich I" antwortete Herr von Halden mit einem tiefen Seufzer. „Geh'schlafen, mein liebes Kind, Du wirst sehr müde sein!"
Es lag etwas so Sorgenvolles in seinem Blick und Ton, daß Melanie ihm gehorchte, ohne Nölten's Antrag auch nur mit einem Worte zu erwähnen.
»
Es war ein schöner Septembermorgen; die warmen Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und tanzten mutwillig auf Melanies schwarzem Haar, während dieselbe neben ihres Vaters Stuhle kniete und mit geröteten Wangen Herrn von Halden erzählt, daß Nölten um sie geworben und sie ihm ihr Jawort gegeben habe.
Tiefer Ernst lagerte auf seinen Zügen, während er diesem leis gehauchten Geständnis lauschte, und als Melanie schüchtern zu ihm ausblickte, ward ste schwankend, ob er seine Einwilligung dazu geben werde.
„Mein liebes Kind," hob er an, indem er ihren angstvollen Blick gewahrte, und legte seine Hand zärtlich auf ihre Schulter, Dein Glück liegt mir am meisten am Herzen, doch hätte ich gewünscht, Du hättest einen andern
Mann als gerade Nölten gewählt. Er ist bedeutend älter als Du, — er zählt mindestens fünfunddreißig Jahre und wie ich gehört habe, soll er sehr verwöhnt »nd anspruchsvoll sein, während es mit seinen pekuniären Verhältnissen dagegen sehr schlecht steht. Vor allem habe ich Grund, bei dem Bewerber um Deine Hand egoistische Beweggründe zu fürchten. Ich halte es nicht für unmöglich, daß ein Glücksjäger sich von Deinem Reichtum locken läßt, ohne Deine übrigen Vorzüge nach Gebühr zu schätzen.
„Einen solchen Verdacht fürchtete Nölten," sprach Melanie eifrig, denn er war vollkommen ehrlich und offen gegen mich. Er machte gar keinen Hehl daraus, daß seine Besitzung stark verschuldet sei und er mir hätte keinen Antrag machen können, wenn ich arm gewesen wäre. Er will sich nicht an meinem Vermögen bereichern; er möchte aber auch nicht, daß die, welche er liebt, sich Entbehrungen auferlegen soll."
„Das klingt allerdings sehr offen und lobenswert," entgegnete Herr von Halden nachdenklich, „und der Zufall will, daß wir ihn heute noch auf die Probe stellen können, liebe Melanie, ob er es mit seinen Worten wirklich aufrichtig gemeint hat. Der gestrige Abend hat unserem Leben eine große Umwandlung gebracht.
(Fortsetzung folgt.) ^
Verschiedenes.
.'. Ueberlistet. Vor dem Richter Jackson in London stand dieser Tage ein Angeklagter. „Plaidkrcn Sie schuldig oder unschuldig?" fragte der R cbter." — „Unschuldig, Herr Richter, nicht ich habe gestohlen, sondern mein rechter Arm hier." — „Schön! Dann wtrv ihr rechter Arm zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt." Zum größten Erstaunen des Richters und des Publikums nahm der Angeklagte seinen rechten Arm, der von Holz >st, ganz gemütlich vom Körprr und überreichte ihn dem Richter zur Vollstreckung des Urteils.
— Naiv. Ein Bittgesuch an den Kaiser hatte, wie der „Volsztg." geschrieben wird, vor einigen Wochen ein Schulknabe aus der Dammvorstadt in Köpenick abgesandt. Der 13jährige Bursche sagt in dem Schreiben, daß er große Lust zum Militär habe und später gern Soldat werden wolle, er knüpfte daran die Bitte, der Kaiser möge ihm, da seine Eltern unbemittelt seien, ein Fahrrad schenken. Auf das Gesuch, das mit einem „besten Gruß" schließt, ist ein ablehnender Bescheid eingetroffen.
— Ein merkwürdiger Klub ist soeben in Chicago gegründet worben. Als Mitglieder werden nämlich nur Herren ausgenommen, die mit Witlwen verheiratet sind oder eine Wittwe zu heiraten wünschen. Obwohl der Klub erst kurze Zeit besteht, empfängt er schon täglich Berge von Briefen aus allen Ländern. Sie sind von Witlwen jeder Schat- tirung, jungen und alten, reichen und armen, schönen und häßlichen, die mit Genossen des Klubs ihre zweite Ehe eingehen möchten. Aber die amerikanischen Misses protestieren bereits energisch gegen den Wettbewerb des Auslandes.
(Sonntagsjägerei). „Auf Eurer Jagd ist wohl osi Veränderung?" „Ja, die Jagd, gäst' wechseln . . . aber der Hase ist immer derselbe."
Redaktion, Druck rmd Verlag von Beruh. Hofmaun in Mldbad.