Schwenningen, 16. Sept. Letzten Mittwoch Abend wurde der Dragoner Heinrich Lauch von Pfaffenwiesbach bei Frankfurt a. M. von Thuningen her ins hiesige Krankenhaus verbracht, er war in den Mund ge- tchosse» und schrecklich zugerichtet. Sprechen konnte er nicht mehr, doch schrieb er, über die Ursache seiner Verletzung befragt, auf ein Zettelchen: „Karabiner entlud sich, weil ich nicht gesichert hatte." DaS Regiment und die Eltern des Verstorbenen wurden telegraphisch benachrichtigt.
Mannheim, 15. Sept. Ein tragikomisches Geschick ereilte einen Bauersmann im Odenwatd. Er halte beim Verkauf von Schafen einen guten Erlös erzielt und in der Freude sich „Einen" so angesäuselt, daß er im Straßengraben Nachtquartier nahm. Im Traum hielt er fünf Hundertmarkscheine für wollige Lämmchen und zerrupfte sie. Als er morgens erwachte, lag er in den Schnitzeln des Papiergeldes gebettet, von denen manche bereits ein Spiel des Windes geworden waren. Ob die Nummern der Scheine noch ersichtlich waren, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.
Berlin, 17. Sept. Hinsichtlich der von
Stadtverordneten getroffenen Wahl des Stadtverordneten Singer zum Milglied der städt. Schulddeputation, erließ das Ministerium ein Reskript an den Magistrat, wodurch es diesem unmöglich gemacht wird, die Wahl zu bestätigen.
Warschau, 17. Sept. Das Bezirksgericht verurteilte eine Frau zu 15 Jahren Zwangsarbeit und demnächstiger lebenslänglicher Ansiedelung in Sibirien, weil sie gegen 30, ihr zur Pflege übergebenen Kinder teils vergiftet hatte, teils verhungern ließ.
— Verunglückung eines taubstummen Radsahrers. In Godesberg ist am Abend des 15. September 9°/i Uhr ein taubstummer Radfahrer Namens Scherhag aus Bonn vom Schnellzug Frankfurl-Köln an einem Bahnübergang überfahren und gelötet worden. Der Verunglückte war in Cvblenz gebürtig und in Bonn als Photograph in Stellung. Ec hotte mit zwei Freunden, von denen der eine ebenfalls taubstumm ist, eine längere Fahrt gemacht, von der alle drei spät abends nach Bonn zurückkehren wollten. Zwei von der Gesellschaft halten den Uebergang an der Bonnerstraße passiert, als der Schnellzug heranbrauste. Da ihr Gefährte nicht nachkam,
kehrten sie zurück und fanden den Unglücklichen neben seinem zerschmetterten Rad in den letzten Zügen liegen.
Paris, 19. Sept. Mehreren Blättern zufolge beabsichtigt die Regierung, Dreyfuö noch vor der Entscheidung des KassationS- hoses zurückkommen zu lassen. Man meint, die Revisionskommission werde ihre Arbeit in etwa 10 Tagen beendigt haben.
Budapest, 1b. Sept. Die Ortschaft Mi- halyhaza im Veßprimer Komitate, welche aus 200 Häuser besteht, ist bis auf fünf, welche unbeschädigt sind, niedergebrannt.
.'. (Aus der Höhe.) „Habens a Bier?" — ,,„Na I'"' — „Habens a Milch?" — „„Nal"" „A Butter? — „„Na!"- — „Na was Habens denn eigentlich ?" — ««Ansichtskarten Ham mer l""
(Sein Trick.) A.: „Wie, Siebringen noch einen Band! Ich denke, de! Romanist zu Ende? Der Held war ja tot!" Kolporteur: „Nur scheintot!"
(Die Knochen ) Gast: „Sagen Sie doch, was klappert denn eig-ntticb so da drüben ?" — Piccolo : „Der Oberkellner serviert eben einige Koteletts!"
Nationen der Seligkeit.
Novelle von F. Stöckert.
(Nachdruck verboten.)
17.
Von dieser Stunde an berührte Ellinor nie wieder das verfängliche Thema. Einmal, olS Fräulein Klein sehr angelegentlich nach dem Schriftstellern ihres Mannes forschte, wurde sie ein wenig verlegen und erklärte ihr daun, daß Koser, wie wohl die meisten Schriftsteller, nicht liebe, daß man nach seinen Arbeiten frage und forsche.
„Arbeitet er den jetzt überhaupt?" fragte die Wißbegierige sehr unverfroren.
„Allerdings," versetzte Ellinor etwas pikiert, wurde aber dunkelrot ob dieser Lüge, war doch von arbeiten nicht die Rede, der Schreibtisch ihres Mannes bot vom Morgen dis zum Abend das Bild ziemlichster Ord. nung. Das Einzige, womit er sich jetzt be- schäftigte, war das Studium des Coursbuchs, Rundreisebillets zusammen zu stellen, immer wieder neue Reisepläne zu entwerfen, das schien ihm ganz unbeschreibliches Vergnügen zu machen. Ellinor amüsierte sich über die fast kindliche Freude, die er daran hatte, sie war schon zu viel gereist in ihrem Leben, um dieselbe in solcher Weise mit ihm teilen zu können, freilich an der Seite des geliebten ManneS, war es für sic auch ein neues noch ungekanntes Vergnügen. Schließlich kamen sie beide darin überein, daß eS am schönsten sei ohne Plan und bestimmtes Ziel in die Welt hinaus zu fahren, irgend ein verborgenes Fleckchen Erde zu entdecken, an welchem die Heerschaaren der Touristen bisher vorübergezogen, wo man wirklich noch nur Natur genießen konnte.
„Eine zweite Station der Seligkeit," meinte Ellinor, als sie beide diese Pläne entworfen und gar süße Träume zogen durch ihre Seele. Koser war auch so heiter so liebenswürdig, wie er kaum je gewesen, in der kurzen Zeit ihrer Ehe.
Und so flogen sie denn hinaus in die schöne Gotteswelt» zwei glückliche Menschenkinder, deren Dasein keine Sorge zu trüben
schien. Zunächst ging es durch das schöne Thüringer Land, dann dem Rhein, hie und da wurde länger Station gemacht, bis sie schließlich in der Schweiz landeten.
„Ob wir hier in dieser wundervollen Natur unsere Station der Seligkeit entdecken werden?" fragte Ellinor lachend ihren Mann.
„DaS dürfte sei"e Schwierigkeiten haben, wenigstens was die Einsamkeit betrifft," versetzte dieser, „es ist ja Alles von Touristen überschwemmt, man hört alle Sprachen reden, und Bekannte findet man auch auf Schritt und Tritt, ich glaube Einsamkeit findet man jetzt, wo die Reisesaison begonnen, zu Haus in Berlin noch am ersten, aber mich verlangt garnicht so sehr danach, dieses bewegte Leben und Treiben hat doch auch großen Reiz."
Ellinor fand das nun weniger, sie hatte andere Träume gehegt von dieser Reise, hatte ihren Mann für sich allein haben wollen, denn jetzt war er fast stets der Mittelpunkt irgend eines gesellschaftlichen Kreises, man mochte sein wo man wollte, und stets zeigie er sich als liebenswürdiger, geistvoller Gesellschafter, als wäre das seine einzige Lebensaufgabe jetzt, und könnte Niemand andere Anforderungen an ihn stellen. Sie hütete sich denn auch, ihre Gedanken ouszusprechen.
Eines Tages wurde ihnen von einem Bekannten, ein von diesem entdeckter weltferner Aufenthalt, der so verborgen läge, daß die meisten Touristen an ihm vorüber zögen, sehr warm gepriesen.
„Nun, das wäre vielleicht die von Dir gesuchte Station der Seligkeit," meinte Koser lächelnd zu seiner Frau, wollen wir hin?"
„Gewiß, gern!" rief diese freudig; „die Einsamkeit, denke ich, wird uns beiden gut thun nach all dem gesellschaftlichen Treiben."
„Und ich werde v rsuchen, Dir Deinen stillen Herzenswunsch dort zu erfüllen und arbeiten."
Ellinor sah ihn strahlend an, und begann mit freudigem Eifer noch an demselben Abend ihre Reisevorbereitungen.
Es war ein entzückendes Fleckchen Erde, n,ieS neue Reiseziel, ganz versteck« in einem
Thal gelegen, das von einem wilden rauschenden Gebirgsbach durchschnitten wurde, der ein Mühlrad in Bewegung setzte. In der Mühle fanden sie auch Unterkunft, im Vergleich zu den eleganten Hotels, in welchen sie bisher gewohnt, war hier freilich alles sehr einfach und ländlich, und Koser fühlte sich lebhaft in die Zeit zurück versetzt, wo er noch mit seinen geringen Mitteln reiste, und ihm ein Tisch zum Schreiben, und eine Aussicht in's Grüne genügt hatte.
Ellinor sah mit glückstrahlenden Augen über die Mängel der Einrichtung hinweg, die Natur war ja so wunderschön hier, daß man darüber wohl dergleichen vergessen konnte.
„Hier werde ich Skizzen machen, wozu ich auf der ganzen Reise noch nicht gekommen bin," rief sie begeistert.
„Und ich werde poesiereiche Novollen schreiben, o es wird das reine Idyll hier Werden," versetzte Koser ironisch, während er an dem nicht sehr za, len Schinken herumkaute, den ihne>. die Frau Wirtin mit all ihrer ländlichen Anmut zum Abendbrot serviert hatte.
«Ich fürchte, der Mangel an jeglichem Comfort wird uns sehr bald wieder hinweg treiben aus dieser Einöde."
„Einöde! welch eine Bezeichnung für diese zauberhafte Natur hier! das bischen Comfort, meine ich, könnte man darüber wohl vergissen I" rief die junge Frau.
„Mir würde es garnicht schwer werden, immer in solcher Einfachheit zu leben."
„Na, na, lerne es nur einmal gründlich kennen, Kind, das wirkliche Entbehren, wer so wie Du im vollen ReichMm aufgewachsen, der hat schwerlich eine rechte Idee daron."
„Ich könnte es aber ganz gewiß," be- harrte Ellinor, „wenn eS sein mußte, wenn es vielleicht eine große, gute Sache erfordern sollte."
Einen Moment blickte Koser sie halb erstaunt an, dann rief er lachend: „Kleine Schwärmerin, wie könnte je solcher Heroismus von Dir gefordert werden."
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernh. Hofmann in Wildbad,